TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/10 W231 2216175-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.2020
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Entscheidungsdatum

10.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W231 2216175-1/31E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 11.11.2019 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX ), geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer [in Folge: "BF"] stellte in Österreich am 13.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.10.2015 gab er an, er sei verheiratet, Paschtune und dem sunnitischen Islam zugehörig. Er sei in Nangarhar in Afghanistan geboren und habe keine Schule besucht. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, er sei von den Taliban bedroht worden, da er als Sicherheitswache gearbeitet habe. Er sei dabei auch mit einem Messer am Ohr verletzt worden. Man habe von ihm auch verlangt, dass er eine Polizeiwache in die Luft sprengen sollte, was er abgelehnt habe. Sein Bruder sei von den Taliban entführt worden und unbekannten Aufenthalts. Der BF sei aus seinem Land geflüchtet, um nicht umgebracht zu werden.

I.3. Bei seiner ersten Einvernahme am 28.02.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (in Folge: BFA) an, dass er Paschtune und sunnitischer Moslem, verheiratet sei und einen Sohn habe. Er stamme aus einem namentlich genannten Dorf im Distrikt Kama, Provinz Nangarhar. Seine Eltern seien bereits verstorben. In seiner Herkunftsprovinz lebten noch seine Ehefrau, einer seiner beiden Brüder, seine beiden Schwestern, zwei Onkel väterlicherseits, ein Onkel mütterlicherseits und drei Tanten mütterlicherseits.

Zu den Fluchtgründen gab er auf das Wesentlichste zusammengefasst an, er habe in Afghanistan drei Jahre lang bei einer Securityfirma als "Guard" gearbeitet. Sein Gehalt habe er vom Innenministerium bezogen. Seine Aufgabe sei gewesen, Warentransporte der Amerikaner zu bewachen. Sein Bruder habe bei einer Minenentschärfungsfirma gearbeitet. Die Taliban hätten verlangt, dass der BF und sein Bruder mit ihnen zusammenarbeiten sollten und hätten den BF über ein Jahr hinweg mehrfach bedroht. Die Taliban hätten etwa verlangt, dass der BF auf seinem Stützpunkt eine Bombe einschleusen sollte. Der BF und sein Bruder hätten die Taliban nicht unterstützen wollen. Die Taliban hätten seinen Bruder mitgenommen und dieser sei nun verschwunden. Etwa einen Monat später habe der BF Afghanistan verlassen.

I.4. Am 08.03.2017 langte eine Stellungnahme des BF beim BFA ein.

I.5. Bei seiner zweiten Einvernahme am 24.09.2018 wurde der BF vor dem BFA ergänzend zu seinem Gesundheitszustand, dem Aufenthalt seiner Familie und zu seiner Integration in Österreich befragt.

I.6. Mit angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 14.02.2019 wies diese den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan glaubhaft machen habe können. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten.

I.7. Am 18.02.2019 langte eine weitere Stellungnahme des BF beim BFA ein. Darin wurde auf den Gesundheitszustand des BF eingegangen.

I.8. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde. Dem BF drohe aufgrund seiner Tätigkeit als Security asylrelevante Verfolgung durch private Akteure, nämlich die Taliban. In eventu wäre dem BF mangels familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte außerhalb der Heimatprovinz der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Es wurden auch Länderberichte zur Sicherheitslage in Afghanistan zitiert.

I.9. Am 16.07.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung statt. An der Verhandlung nahm eine Vertreterin der belangten Behörde teil. Weiters wurde ein vom BF beantragter Zeuge einvernommen. Der BF wurde eingehend zu seinen Fluchtgründen befragt und erhielt Gelegenheit, zu diesen auszusagen. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet. Der BF legte weitere Bescheinigungsmittel vor.

Die Verhandlung wurde auf den 21.08.2019 vertagt. Dieser Verhandlungstermin musste jedoch kurzfristig abberaumt werden, da die Rechtsvertretung des BF das Bundesverwaltungsgericht am 21.08.2019 darüber informierte, dass sich der BF ihren Informationen nach im Krankenhaus befinde. Die Übermittlung einer Aufenthaltsbestätigung wurde zugesagt, eine solche wurde jedoch nicht übermittelt.

I.10. Mit Schreiben vom 16.07.2019 stellte das Bundesverwaltungsgericht ein Anfrageersuchen betreffend die Behandlung von Epilepsie in Mazar-e Sharif an die Staatendokumentation des BFA. Mit Schreiben vom 30.09.2019 übermittelte das BFA eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation.

I.11. Am 11.11.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht die fortgesetzte mündliche Beschwerdeverhandlung statt, zu der der BF trotz ordnungsgemäßer Ladung an die bevollmächtigte Vertreterin erneut nicht erschien; auch die belangte Behörde ist nicht erschienen. Anwesend war die Rechtsvertreterin des BF, die eine Stellungnahme datiert 06.11.2019 vorlegte. Die Rechtsvertretung gab auch an, der BF habe die angeforderte Bestätigung über seinen stationären Aufenthalt im Krankenhaus um den 21.08.2019 herum trotz Zusage nicht vorgelegt, weshalb die Rechtsvertreterin selbst bei der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK) angefragt habe. Die Rechtsvertreterin legte ein Schreiben der NÖGKK vom 27.08.2019 vor, wonach der NÖGKK kein stationärer Aufenthalt des BF bekannt sei.

Die erkennende Richterin brachte folgende Unterlagen in das Verfahren ein: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte KI eingefügt am 04.06.2019; die unter I.10. erwähnte Anfragebeantwortung zur Behandelbarkeit von Epilepsie in Afghanistan; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; Landinfo report Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Behandlung von Epilepsie in Herat, vom 06.06.2018.

Die erkennende Richterin verkündete mündlich die Abweisung der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid.

I.12. Am 18.11.2019 langte der Antrag der Rechtsvertretung des BF auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der BF ist volljährig, führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er beherrscht auch Dari. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

II.1.2. Der BF stammt aus dem Dorf XXXX , Distrikt Kama, Provinz Nangarhar, und hat dort mit seiner Familie gelebt. Er hat keine Schule besucht und in der Landwirtschaft seiner Familie gearbeitet. Die Eltern des BF sind bereits verstorben. Der BF hat zwei Brüder und zwei Schwestern, ist verheiratet und hat einen Sohn.

II.1.3. Die Angehörigen des BF leben in Afghanistan in der Provinz Nangarhar. Der BF steht mit seiner Frau, seinen Schwestern und mit seinem Bruder in Kontakt. Der BF hat weiters Onkel und Tanten in der Provinz Nangarhar. Die Angehörigen des BF haben landwirtschaftliche Grundstücke im Ausmaß von ca. 25 Jirib, aus deren Erträgen die Angehörigen ihre Existenz sichern. Die Felder werden von Bauern, an die das Land verpachtet wurde, bestellt. Auch der BF hat Erfahrung in der Landwirtschaft und hat früher die Grundstücke selbst bewirtschaftet. Der Anteil an den Grundstücken, die dem BF gehören, beträgt etwa 7,5 Jirib. Dort wird Weizen, anderes Getreide, Gemüse aller Art, Kürbisse, Melanzani, Reis, usw. angebaut. Der BF und seine Familie haben in Nangarhar auch ein Haus, und seine Frau hat etwas Gold und Schmuck.

II.1.4. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

II.1.5. Ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie ordnete den BF deskriptiv folgender Diagnose zu: organisch-affektive Erkrankung unklarer Genese, Posttraumatische Belastungsstörung und Epilepsie mit Grand Mal und lokalen Anfällen unklarer Genese, der BF leidet auch an Depressionen. Seit 2015 befindet sich der BF deswegen in medizinischer Behandlung und zeitweilig auch in Psychotherapie. Der BF war deswegen auch bereits in stationärer Behandlung (03.08.2016 - 16.08.2016; 20.07.2018 - 24.07.2018). Der BF nimmt die Medikamente Wellbutrin (Antidepressivum) und Lamotrigin (Antiepileptikum) ein. Der BF führt seine psychischen Probleme vorranging auf die Belastung durch das offene Asylverfahren in Österreich und die Trennung von seiner Familie zurück. Die diagnostizierten Erkrankungen des BF sind in Afghanistan behandelbar.

II.1.6. Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 13.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

II.1.7. Der BF war in Afghanistan nicht Mitglied einer politischen Organisation oder eines politischen Vereins und wurde von staatlicher Seite weder bedroht noch verfolgt. Er hatte auch keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit.

II.1.8. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Sicherheitswache verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten hätte. Der BF wurde in Afghanistan weder unmittelbar noch mittelbar von den Taliban oder von anderen Personen mit dem Tod oder der Ausübung von psychischer oder physischer Gewalt bedroht. Die Taliban haben nicht versucht, den BF mit Zwang zu rekrutieren. Der BF hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen. Die vom BF vorgebrachten Gründe für seine Ausreise werden mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht festgestellt.

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF aus den vorgebrachten Gründen weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban oder durch andere Personen.

Der BF konnte insgesamt nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, Religion, oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und eine mit dieser zusammenhängende (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung zu befürchten hätte.

II.1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf das Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Dem BF kann bei einer Rückkehr nach Afghanistan in seine Herkunftsprovinz Nangarhar ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Dem BF steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung. Die Wohnraum- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif und Herat ist zwar sehr angespannt, der BF kann jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Neuansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF spricht beide Landessprachen des Herkunftsstaates und hat bis zu seiner Ausreise in Afghanistan gelebt, ist somit mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut.

Zudem ist er anpassungsfähig und verfügt in Afghanistan über ein großes familiäres Netz. Er kann mit finanzieller Unterstützung seiner Familie rechnen, die über vergleichsweise große landwirtschaftliche Grundstücke verfügt und hat selbst ein großes landwirtschaftliches Grundstück, von dessen Erträgen bereits aktuell die Familie des BF lebt. Eine räumliche Trennung steht einer solchen Unterstützung nicht entgegen. Mit Unterstützung seiner in Afghanistan ansässigen Familie ist es dem BF möglich, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Seine psychischen Probleme, einschließlich Epilepsie, sind dort behandelbar. Die Städte Mazar-e Sharif und Herat sind mittels Flugzeug sicher erreichbar. Der BF kann auch Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch nehmen.

II.1.10. Der BF war seit seiner Asylantragstellung in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig. Der BF hielt sich seit seiner Einreise nach Österreich im Oktober 2015 zum Zeitpunkt der mündlichen Verkündung des gegenständlichen Erkenntnisses seit etwa vier Jahren im Bundesgebiet auf und konnte spätestens ab Erhalt der seinen Asylantrag abweisenden Entscheidung vom 14.02.2019 nicht mit einem weiteren Bleiberecht in Österreich rechnen.

Der BF lebt von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen, und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen.

Der BF hat in Österreich einen Alphabetisierungskurs sowie Deutschkurse (zuletzt auf dem Niveau A2) besucht und das ÖSD-Sprachzertifikat Deutsch Niveau A1 bestanden. Er hat an verschiedenen Kursen (z.B. Werte- und Orientierungskurs, Informationsmodule der Stadt Wien) und Workshops teilgenommen. Weiters hat sich der BF mehrfach ehrenamtlich betätigt und verschiedene Remunerationstätigkeiten (z.B. auf einem Bauhof einer Gemeinde) ausgeübt. Der BF erhielt Unterstützung durch eine Privatperson (dem in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen) beim Erlernen der deutschen Sprache, bei der Integration in Österreich und bei der Aufnahme von erlaubten Tätigkeiten. Der BF hat sich auch mit Freunden, darunter auch Österreichern, getroffen. Der BF ist weder Mitglied in einem Verein, noch in einer Organisation, er hat jedoch an Veranstaltungen eines afghanischen Kulturvereins teilgenommen und auch regelmäßig ein Café-Projekt zur Integration von Flüchtlingen besucht. Eine besondere, außergewöhnliche Integration des BF in Österreich kann nicht festgestellt werden.

II.1.11. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

a. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 04.06.2019 kurz: LIB 04.06.2019 - 3. Sicherheitslage).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 04.06.2019 - 3. Sicherheitslage).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 04.06.2019 - 3. Sicherheitslage).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019) (LIB 04.06.2019 - 1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 04.06.2019 - 3. Sicherheitslage, Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 04.06.2019 - 3. Sicherheitslage, Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 04.06.2019, 1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen).

Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 04.06.2019, 3.5. Balkh).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen. Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (LIB 04.06.2019, 3.5. Balkh).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (LIB 04.06.2019, 3.5. Balkh).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal, sowie auch das Camp. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 04.06.2019, 3.5. Balkh).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (LIB 04.06.2019, 3.5. Balkh).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (LIB 04.06.2019, 3.5. Balkh).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert. (LIB 04.06.2019, 3.5. Balkh).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat- Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB 04.06.2019, 3.13. Herat).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran- Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion (LIB 04.06.2019, 3.13. Herat).

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat. Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (LIB 04.06.2019, 3.13. Herat).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen (LIB 04.06.2019, 3.13. Herat).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 04.06.2019, 3.13. Herat).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban- Gruppierungen (LIB 04.06.2019, 3.13. Herat).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat. (LIB 04.06.2019, 3.13. Herat).

Nangarhar

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan.

Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert; Nangarhar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten. Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war. In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen. Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt. Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen ausgeführt, um gewisse Distrikte von Aufständischen zu befreien. Ebenso werden Luftangriffe durchgeführt; in manchen Fällen wurden Aufständische getötet; darunter auch IS-Kämpfer (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz; zu diesen werden mehrere südliche Distrikte gezählt. Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv. In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium. In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Seit dem Jahr 2014 tauchen immer mehr Berichte zu einem Anstieg von Aktivitäten des IS in manchen abgelegenen Teilen der Provinz - dazu zählt auch der Distrikt Achin. Der IS zeigte weiterhin große Widerstandsfähigkeit, wenngleich die afghanischen und internationalen Kräfte gemeinsame Operationen durchführten. Die Gruppierung führte mehrere Angriffe gegen die zivile Bevölkerung und militärische Ziele aus - insbesondere in Kabul und Nangarhar (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Eine Anzahl Aufständischer der Taliban und des IS haben sich in der Provinz Nangarhar dem Friedensprozess angeschlossen (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Nangharhar IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen Zivilisten, Auseinandersetzungen mit den Streitkräften und Gewalt) gemeldet (LIB 04.06.2019, 3.22. Nangarhar).

Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (LIB 04.06.2019, 5. Sicherheitsbehörden).

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder. Zwischen 1.1.2018 und 29.4.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (LIB 04.06.2019, 20. Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (LIB 04.06.2019, 20. Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (LIB 04.06.2019, 20. Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).

Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw. (LIB 04.06.2019, 20. Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 04.06.2019, 21. Grundversorgung und Wirtschaft).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 04.06.2019, 21. Grundversorgung und Wirtschaft).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (LIB 04.06.2019, 21. Grundversorgung und Wirtschaft).

Medizinische Versorgung

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (LIB 04.06.2019, 22. Medizinische Versorgung).

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (LIB 04.06.2019, 22. Medizinische Versorgung).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (LIB 04.06.2019, 22. Medizinische Versorgung).

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (LIB 04.06.2019, 22. Medizinische Versorgung).

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (LIB 04.06.2019, 22. Medizinische Versorgung).

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (LIB 04.06.2019, 22. Medizinische Versorgung).

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (LIB 04.06.2019, 22. Medizinische Versorgung).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 04.06.2019, 23. Rückkehr).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 04.06.2019, 23. Rückkehr).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 04.06.2019, 23. Rückkehr).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 04.06.2019, 23. Rückkehr).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 04.06.2019, 23. Rückkehr).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 04.06.2019, 23. Rückkehr).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 04.06.2019, 23. Rückkehr).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt (LIB 04.06.2019, 16. Ethnische Minderheiten).

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017) (LIB 04.06.2019, 16.1. Paschtunen).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016) (LIB 04.06.2019, 16.1. Paschtunen).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016) (LIB 04.06.2019, 16.1. Paschtunen).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 04.06.2019, 15. Religionsfreiheit).

b. Auszug aus dem Landinfo Bericht Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017:

[...] Das relativ eindeutige Bild über Rekrutierungen durch die Taliban deutet darauf hin, dass die Organisation Zwangsrekrutierungen nicht systematisch betreibt und dass Personen, die sich gegen eine Mobilisierung wehren, keine rechtsverletzenden Reaktionen angedroht werden. Zahlreiche Gesprächspartner von Landinfo in Kabul (April 2016) waren der Ansicht, dass die Taliban keine Zwangsrekrutierungen durchführen. Eine NGO (April 2016) verwies darauf, dass es sehr einfach sei zu desertieren (Gespräch in Kabul, April 2016). Erklärungen eines nationalen Thinktanks zufolge (April 2016) stünde eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit (siehe zB Landinfo 2011) entgegen. Eine internationale Organisation (April 2016) verwies auf ein Argument, das seitens Landinfo im Zusammenhang mit einer quellenkritischen Bewertung von Informationen über die Zwangsrekrutierung aufgeworfen worden war: bei den Quellen handle es sich oft um Personen oder Gruppen, die Anschuldigungen betreffend Zwangsrekrutierungen im Eigeninteresse erheben, etwa Personen, die von den Sicherheitskräften festgenommen wurden oder die als Binnenvertriebene (IDPs) anerkannt werden möchten.

Die Beantwortung einer Anfrage zur Rekrutierung durch Landinfo im Februar 2012 kommt zu dem Schluss, dass es nur in Ausnahmefällen zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban gekommen ist. Die Antwort bezieht sich auf Gespräche, die Landinfo im Oktober 2011 in Kabul geführt hat (Landinfo 2012). Es gibt keine Angaben, die darauf hindeuten, dass sich das Ausmaß von Zwangsrekrutierungen in den vergangenen Jahren erhöht hat. Das geänderte Konfliktschema und die Tatsache, dass die Taliban ihre Truppen professionalisiert haben, bedeuten auch, dass unmittelbare Zwangsrekrutierungen vermutlich sehr gering verbreitet sind. Dies wurde in Gesprächen von Landinfo im April/Mai 2017 in Kabul bestätigt; unmittelbare Zwangsrekrutierungen erfolgen in sehr beschränktem Ausmaß und lediglich in Ausnahmefällen. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Eine Quelle äußerte den Gedanken, dass es "schwierig sei, einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden/etwas zu kämpfen". [...]

[...] Im Februar 2016 berichtete Human Rights Watch (HRW), "die Streitkräfte der Taliban haben seit Mitte 2015 unter Verstoß gegen das internationale Verbot des Einsatzes von Kindersoldaten unzählige Kinder in ihren Reihen aufgenommen". Eine Sprecherin der Organisation behauptete, die Taliban hätten Dreizehnjährige (und jünger) in den Madrassen von Kunduz, Takhar und Badakhshan rekrutiert. Aus Chahardara, einem Distrikt in Kunduz, seien im Jahr 2015 mehr als 100 Kinder rekrutiert worden. HRW meldete auch, dass die Taliban Ausbildungszentren in Kunduz eingerichtet hätten. Als Quelle für HRW fungierten unter anderem Verwandte von 13 der rekrutierten Kinder und Bewohner des Distrikts Chahardara von Kunduz (HRW 2016). [...]

[...] Ein Mitarbeiter einer NGO (NGO A, Gespräch in Kabul, Mai 2017) aus einem Distrikt in Kunduz behauptete, die Taliban hätten bezüglich Rekrutierung anscheinend eine langfristige Strategie und Perspektive. In der Provinz Kunduz werden große Madrassen mit einer Vielzahl von Studierenden eingerichtet. In einigen Jahren werden die Jungen dieser Madrassen Teil des Rekrutierungsreservoirs der Taliban bilden. Es wurde von Fällen berichtet, in denen sich Kinder freiwillig den Taliban angeschlossen hätten; wenn sie jedoch ihre Meinung ändern und die Bewegung verlassen wollen, können sie von den Taliban daran gehindert werden (HRW 2016). [...]

c. Auszug aus der vom Bundesverwaltungsgericht für den vorliegenden Fall eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan - Behandlung von Epilepsie in Mazar-e Sharif vom 30.09.2019:

1. Ist die Behandlung von Epilepsie bzw. PTBS in Mazar-e Sharif möglich?

2. Sind folgende verschriebenen Medikamente bzw. Medikamente mit gleichem Wirkstoff in Mazar-e Sharif / Afghanistan erhältlich?

2.1. Lamotrigin Genericon 50mg (Wirkstoff: Lamotrigine)

2.2. Wellbutrin 150mg (Wirkstoff: Bupropion)

3. Sind die Medikamente frei zugänglich oder kostenpflichtig?

[...]

Laut dem MedCOI-Bericht, BDA-6811, wird Epilepsie in Afghanistan als psychische Erkrankung eingestuft und die Behandlung von Epilepsie ist Teil des Basic Package of Health Services (BPHS). Gemäß der afghanischen Verfassung sind alle Gesundheitsdienste im Rahmen des BPHS kostenlos; dem afghanischen Gesundheitsministerium zufolge ist die Forderung von Gebühren durch BPHS-Einrichtungen an afghanische Staatsbürger offiziell untersagt.

Betreffend der Behandlung von Epilepsie in Mazar-e Sharif, kann dem MedCOI-Bericht, BMA-12643, entnommen werden, dass Menschen mit geringen finanziellen Mitteln eine psychiatrische Versorgung in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos erhalten können. Die Medikamente, die nicht im Krankenhaus verfügbar sind, müssen auf eigene Kosten in privaten Apotheken erworben werden. PTBS wird in der Region Mazar-e Sharif häufig nicht diagnostiziert, da einige der Symptome nicht als abnormal angesehen und auch ein allgemeines Tabu innerhalb der Gesellschaft besteht, über psychische Probleme zu sprechen.

Dem Bericht ist zu entnehmen, dass sich das erste private neuropsychiatrische Krankenhaus Afghanistans in Mazar-e Sharif befindet; dieses bietet Platz für 80 bis 120 Personen. Es gibt keine lokalen Psychotherapeuten oder Psychologen in Mazar-e Sharif, und so werden psychische Erkrankungen medikamentös behandelt. Konsultationen kosten rund 3 USD (ca. 236 AFN) pro Person wobei EKGs 3,5 USD (ca. 275 AFN) und Röntgenaufnahmen 4 USD (ca. 315 AFN) kosten. In öffentlichen Krankenhäusern ist sowohl die stationäre, als auch ambulante Behandlung durch einen Neurologen bzw. einen Psychiater kostenfrei. Die Behandlung in privaten Institutionen ist hingegen kostenpflichtig: ambulante Behandlung durch einen Psychiater kostet 500 AFN (ca. 6,3 USD) und die stationäre Behandlung 1.000 AFN (ca. 12,7 USD); die ambulante Behandlung durch einen Neurologen kostet 300 AFN (ca. 3,8 USD), während die stationäre Behandlung 1.500 AFN (Anm.: je nach Umrechnungskurs 23 USD) kostet.

MedCOI gibt in nachstehend zitierten Bericht, BDA-7048, zu den beiden angefragten Wirkstoffen Lamotrigine und Bupropion folgendes an:

Der Wirkstoff Lamotrigine (100 Einheiten, 100mg - 260 AFN) ist in Mazar-e Sharif verfügbar; Ebenso verfügbar ist als Alternative Valproic Acid (10 Einheiten, 250mg/500mg - 25 AFN/35 AFN), wobei zum Zeitpunkt der Anfrage Lieferprobleme von 3 Wochen bestehen.

Der Wirkstoff Bupropion ist in Mazar-e Sharif nicht verfügbar. Laut MedCOI sind jedoch mehrere alternative Wirkstoffe verfügbar: wie z.B. Amitriptyline (10 Einheiten, 25mg Tablette - 20 AFN), Mirtazapine (20 Einheiten, 75mg/100mg - 120 AFN/150 AFN) und Sertraline (20 Einheiten, 100mg Tablette - 260 AFN). Auch im Falle von Mirtazapine bestehen zum Zeitpunkt der Anfrage Lieferschwierigkeiten von 3 Wochen.

[...]

d. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan - Epilepsie in Herat; Wirkstoffe Oxcarbazepin, Carbamazepine, Valproic acid, Phenobarbital vom 06.06.2018:

1. Ist Epilepsie in Herat behandelbar?

[...]

Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass alle relevanten medizinischen Behandlungen für Epilepsie in Herat verfügbar sind, beispielsweise in den folgenden Krankenhäusern:

* Afghan Aria Hospital, Darwazae Khush,Jadae Qumandani, Herat;

* Private Psychiatric Clinic (Dr Momen Waseq), Istgahe Tanke Teel, Herat;

* Herat Regional Hospital, Jadae walaiat, Herat.

* Jamhooryat-Krankenhaus in Herat.

* Mehraban Hospital, Herat.

* Mental Health Clinic and Training Center in Herat (MHTC-H) geleitet durch die International Assistance Mission (IAM).

Epilepsie wird in Afghanistan als psychische Störung eingestuft und die Behandlung von Epilepsie ist Teil des Basic Package of Health Services (BPHS). Gemäß der afghanischen Verfassung sind alle Gesundheitsdienste im Rahmen des BPHS kostenlos und das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) schreibt vor, dass Behandlungsgebühren an BPHS-Einrichtungen für alle afghanischen Bürger offiziell verboten sind.

Im öffentlichen Jamhooryat-Krankenhaus in Herat sind alle Behandlungen kostenlos mit der Möglichkeit der ebenfalls kostenlosen Medikamentenverabreichung, wenn diese vorrätig sind.

Im privaten Mehraban Hospital werden ebenfalls alle Behandlungen angeboten. Nach den erhaltenen Informationen kostet eine Konsultation mit einem Arzt in diesem Krankenhaus zwischen 200 AFN und 250 AFN. Die Gebühr eines Professors beträgt AFN 450, die eines Assistenzprofessors AFN 350. D

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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