TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/10 W204 1434767-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.2020
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Entscheidungsdatum

10.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W204 1434767-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther Schneider über die Beschwerde des A XXXX , geb. XXXX .1995, StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2019, Zl. 821149006 - 190473601/BMI-BFA_STM_RD, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 27.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.04.2013, Zl. 12 11.490 - BAG, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Der BF wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

I.2. Infolge einer gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 23.01.2015, Zl. W119 1434767-1/7E, die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet ab. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wurde stattgegeben, dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.01.2016 erteilt.

I.3. Am 10.03.2015 und am 17.06.2015 wurden dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) Abschlussberichte hinsichtlich mehrerer dem BF vorgeworfener Vergehen gegen das SMG übermittelt. Am 21.07.2015 langte ein diesbezügliches rechtskräftiges Urteil ein.

I.4. Am 07.03.2016 wurde das BFA verständigt, dass gegen den BF Anklage wegen eines Diebstahlvorwurfs erhoben worden sei.

I.5. Infolge seines Antrags "auf Verlängerung des subsidiären Schutzes" wurde dem BF mit Bescheid vom 22.03.2016 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.01.2018 erteilt.

I.6. Am 31.05.2017 erstattete die Landespolizeidirektion Bericht, dass der BF eines Vergehens gegen das SMG verdächtig sei. Am 07.07.2017 wurde das dieses Verfahren abschließende rechtkräftige Urteil übermittelt.

I.7. Infolge eines weiteren Antrags "auf Verlängerung des subsidiären Schutzes" wurde dem BF mit Bescheid vom 25.01.2018 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.01.2020 erteilt.

I.8. Am 01.03.2019 wurde das BFA neuerlich verständigt, dass sich der BF seit 28.02.2019 aufgrund eines Vorwurfes nach dem SMG in Untersuchungshaft befinde (Strafantrag vom 01.03.2019 zu 28 St 47/19w der Staatsanwaltschaft).

I.9. Mit Schreiben vom 10.05.2019 teilte das BFA dem BF mit, dass am 09.05.2019 ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei.

I.10. Am 29.07.2019 erstattete der BF infolge einer Aufforderung durch das BFA eine Stellungnahme, in der er ausführte, er sei seit 2012 in Österreich. 2015 habe er eine Frau in Österreich kennengelernt. Am 20.01.2018 sei ihr gemeinsamer Sohn geboren worden. Er habe als Küchenhelfer und als Dolmetscher gearbeitet, verstehe und spreche folglich gut Deutsch.

I.11. Am 26.08.2019 wurde die Mutter des Kindes des BF als Zeugin von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des BFA niederschriftlich einvernommen. Befragt, wie sie mit dem BF in Kontakt gekommen sei, führte diese aus, dass sie mit dem BF seit 2015 zusammen sei. Seit Dezember 2017 lebe sie mit dem BF, der der Vater ihres Kindes sei, im gemeinsamen Haushalt. Derzeit sei der BF in Haft. Die bisherigen Ausgaben für das Kind hätten sie beide gemeinsam bestritten.

I.12. Mit Bescheid vom 30.08.2019, dem BF am 03.09.2019 zugestellt, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die ihm erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Gegen den BF wurde ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde ausgeführt, der aus Kabul stammende BF spreche sechs Sprachen und habe bereits als Elektriker gearbeitet, weshalb das BFA davon ausgehe, dass er bei einer Rückkehr nicht in eine existenzbedrohende ausweglose Situation kommen würde. In Österreich habe er Lebenserfahrung sammeln können und sich Deutschkenntnisse angeeignet. Er werde als gesunder und arbeitsfähiger junger Mann mit Berufserfahrung bei einer Rückkehr nicht in eine ausweglose Lage geraten, zumal er auch von Österreich aus ein wenig finanzielle Hilfe bekommen könne. Für das gemeinsame Kind habe der BF auch vor der Inhaftierung nicht gesorgt und er befinde sich derzeit wie auch die meiste Zeit seit der Geburt des Kindes in Haft, sodass auch die Rückkehrentscheidung zulässig sei. Aufgrund der von ihm ausgehenden Gefährdung, die sich in seinen Straftaten gezeigt habe, sei ein Einreiseverbot zu erlassen gewesen.

I.13. Mit Verfahrensanordnung vom 02.09.2019 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.14. Am 20.09.2019 erhob der BF durch seine Vertretung Beschwerde gegen diesen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde beantragt, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht abzuerkennen, in eventu die gegen den BF gefällte Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu die "festgestellte Abschiebung" aufzuheben, in eventu einen Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen, das verhängte Einreiseverbot zu beheben, in eventu das verhängte Einreiseverbot zu reduzieren, falls als notwendig erachtet, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Begründend wurde zunächst darauf verwiesen, dass mit dem Bescheid ausgesprochen worden sei, dass dem BF der mit Bescheid des Bundesasylamtes gewährte subsidiäre Schutz aberkannt werde, während dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt worden sei. Inhaltlich wurde ausgeführt, das BFA habe es unterlassen, sich mit dem Sachverhalt gehörig auseinanderzusetzen. Insbesondere sei der BF nicht zu einer Einvernahme geladen worden, um das Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und in Afghanistan abzuklären. Zudem wurde unter Vorlage von auszugsweise zitierten Berichten bestritten, dass die vom BFA genannten Städte als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kämen. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, das BFA habe entgegen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die konkreten Auswirkungen auf die Beziehung zu seinem Sohn nicht ermittelt und nicht in die Interessensabwägung einbezogen.

I.15. Am 02.10.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.16. Am 26.11.2019 übermittelte das BFA ein den BF von dem zuletzt gegen ihn erhobenen Vorwurf freisprechendes Urteil (zu I.8.).

I.17. Am 02.12.2019 übermittelte der Vertreter diesen Freispruch und führte aus, durch diesen sei ersichtlich, dass sich die Einleitung des Aberkennungsverfahrens auf eine falsche Basis gestützt habe.

I.18. Am 06.12.2019 wurde dem BF Parteiengehör zu den aktuellen Länderinformationen und Änderungen in seinem Privat- und Familienleben binnen einer Frist von drei Wochen ab Zustellung gewährt.

I.19. Am 13.02.2020 übermittelte der Vertreter einen aktuellen Lohnzettel des BF.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF;

- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

- Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zum BF und seiner Situation im Falle einer Rückkehr:

Der BF ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Außerdem beherrscht er Paschtu, Englisch, Usbekisch und Punjabi. Seine Identität kann nicht festgestellt werden.

Der BF ist in der Stadt Kabul geboren und lebte dort bis zu seinem zweiten Lebensjahr. Danach zog der BF aufgrund einer Geldforderung der Geschäftspartner seines Vaters mit seinen Eltern und seinen Geschwistern nach Pakistan, wo er in Peshawar lebte. Dort besuchte er elf Jahre lang die Schule und arbeitete als Elektrikerlehrling.

Dem BF wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.01.2015 zu W119 1434767-17E der Status des subsidiär Schutzberechtigten gewährt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Das Bundesverwaltungsgericht stellte dazu fest, der BF, der in Kabul geboren und in Pakistan aufgewachsen sei, verfüge über kein familiäres Netzwerk oder verwandtschaftliche Beziehungen zu Afghanistan.

Zur Sicherheitslage wurden unter anderem folgende auszugsweise Feststellungen getroffen:

"Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt unvorhersehbar, die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts (UNAMA-Midyear Report von Juli 2013). Im Jahr 2013 stieg die Zahl der Verluste unter den Zivilisten um 14% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. [...]

Mittlerweile betrifft der Konflikt, der sich zuvor auf den Süden und Osten des Landes konzentrierte, die meisten Landesteile, insbesondere den Norden, aber auch Provinzen, die zuvor als die stabilsten im Land gegolten hatten. Die zwölf Provinzen mit den insgesamt meisten Sicherheitsvorfällen im Jahr 2012 waren Helmand, Kandahar und Urusgan (südliche Region), Ghazni, Paktika und Khost (südöstliche Region), Nangarhar und Kunar (östliche Region), Herat und Farah (westliche Region) und Kabul und Wardak (Zentralregion). Die südliche, die südöstliche und die östliche Region entwickelten sich zu einem zunehmend zusammenhängenden Kampfgebiet. In den Provinzen Kandahar, Kunar, Nangarhar, Logar und Wardak kam es im Jahr 2012 zu einem deutlich höheren Grad an Sicherheitsvorfällen als 2011 (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). In Kandahar und Ghazni erreichte die Zahl der Vorfälle Rekordhöhen (INSO-Report vom Jänner 2014). [...]

Sicherheitslage im Raum Kabul:

Der Fokus des Terrors liegt nicht auf Kabul oder allgemein auf städtischen Zentren, sondern der Großteil der Gewalt passiert in ländlichen Gegenden. Dennoch verüben die Taliban (einschließlich das Haqqani-Netzwerk) in Kabul weiterhin öffentlichkeitswirksame Angriffe und demonstrieren, dass die Aufständischen überall im Land zuschlagen und selbst den "Stahlring" der afghanischen Sicherheitskräfte um die Zentren großer Städte überwinden können, was anscheinend darauf abzielt, die Aufmerksamkeit internationaler Medien und möglicher "Geldgeber" zu erregen und Unsicherheit in der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und den afghanischen Streitkräften zu verbreiten (Ruttig, After the ?operational pause', vom 2.6.2013)."

Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde vom BFA nach entsprechenden Anträgen des BF jeweils bescheidmäßig verlängert, zuletzt mit Bescheid vom 25.01.2018 zu 821149006 - 2069457/BMI-BFA_STM_RD bis zum 23.01.2020.

Der BF hat in Österreich ein am 20.01.2018 geborenes Kind mit einer griechischen Staatsangehörigen, das griechischer Staatsangehöriger ist.

Der BF hat in Österreich Deutschkurse besucht und kann sich auf Deutsch verständigen. Von 14.07.2015 bis 23.01.2016 hat der BF als Küchenhelfer gearbeitet. Danach bezog er von 17.02.2016 bis 05.07.2016 und von 21.06.2018 bis 31.12.2018 mit kurzzeitigen Unterbrechungen Arbeitslosengeld. Von 21.01.2019 bis 27.01.2019 erhielt er Notstandshilfe. Derzeit ist der BF als Pizzabäcker beim Großvater seines Kindes beschäftigt.

Der BF wurde mit rechtskräftigem Urteil eines Bezirksgerichts vom 11.06.2015 wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Z 1 SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Die bedingte Nachsicht wurde nach einer zuvor erfolgten Verlängerung der Probezeit am 21.06.2017 widerrufen. Die Strafe wurde am 30.04.2018 vollzogen.

Mit einem rechtskräftigen Urteil eines Landesgerichts vom 30.01.2017 wurde der BF wegen der Vergehen nach §§ 27 Abs. 2a, 27 Abs. 3 und 1 Z 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Zehn Monate dieser Strafe wurden ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Der Rest des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe wurde - nach einer zwischenzeitigen bedingten Entlassung und des Widerrufs dieser - am 20.06.2018 vollzogen. Die Probezeit des bedingten Strafteils wurde auf fünf Jahre verlängert.

Mit einem weiteren rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts vom 21.06.2017 wurde der BF wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 2a SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Diese wurde bis zum 30.03.2018 vollzogen.

Mit einem weiteren rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes vom 11.11.2019 wurde der BF von einer gegen ihn erhobenen Anklage nach SMG freigesprochen.

Der BF war infolge seiner Verurteilungen beziehungsweise der gegen ihn geführten Verfahren von 13.01.2017 bis 21.04.2017, von 31.05.2017 bis 20.06.2018 und von 28.02.2019 bis 11.11.2019 in Straf- beziehungsweise Untersuchungshaft.

Seine Mutter und seine Geschwister leben wie zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Pakistan und der BF hat nach wie vor Kontakt zu ihnen.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.1.2. Zur derzeitigen Situation in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (LIB 13.11.2019, S. 18).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP): Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

Alle Distrikte Kabuls sind unter der Kontrolle der Regierung oder unbestimmt (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 101).

Balkh:

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).

Herat:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108f).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Bewegungsfreiheit:

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).

Meldewesen:

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Wirtschaft:

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 13.11.2019, S. 289f).

Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Religionen:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

Sunniten sind allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

II.2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den glaubhaften Angaben des BF während des gesamten Verfahrens. Diese Umstände wurden bereits vom Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung vom 23.01.2015 und auch vom BFA dem nunmehr angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt. In der Beschwerde werden diese Feststellungen nicht bestritten, sodass sie auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden können. Ebenso verhält es sich mit den Feststellungen zur Herkunftsprovinz des BF, seinem Umzug nach Pakistan und seiner dortigen Schul- und Berufserfahrung. Alle diese Angaben beruhen auf den gleichbleibenden Angaben des BF während des gesamten Verfahrens und wurden auch allen bisherigen Entscheidungen zugrunde gelegt.

Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

II.2.3. Dass und warum dem BF subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, war aufgrund des im Akt einliegenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.01.2015 zu W119 1434767-1/7E festzustellen. Auf dem unstrittigen Akteninhalt beruht auch die Feststellung zur Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

II.2.4. Die Feststellungen zu seinem Kind, dessen Mutter und deren Staatsangehörigkeit ergeben sich einerseits aus den Aussagen der Mutter des Kindes sowie aus den von ihr vorgelegten Unterlagen (AS 507, 509, 513).

Die Feststellungen zur Lebenssituation des BF in Österreich beruhen auf seinen schriftlichen Angaben vor dem BFA, in der Beschwerde und den Schriftsätzen im Beschwerdeverfahren sowie den vorgelegten Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein vernünftiger Grund zu zweifeln besteht. Dem BF wurde im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit gegeben, aktuelle Ausführungen zu seinem Privat- und Familienleben zu tätigen, wovon er jedoch keinen Gebrauch machte. Allerdings legte er einen Lohnzettel vor, aus dem hervorgeht, dass er seit dem 08.01.2020 beim Großvater seines Kindes als Pizzabäcker beschäftigt ist (OZ 10).

Die Feststellungen zum strafrechtlichen Fehlverhalten, seinen Aufenthalten in der Justizanstalt und zum Freispruch basieren auf dem unstrittigen Akteninhalt, insbesondere einer aktuellen Strafregisterauskunft, einem aktuellen ZMR-Auszug und den Schriftsätzen der Strafgerichte.

II.2.5. Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen in Pakistan beruhen auf den glaubhaften Angaben der Mutter seines Kindes (AS 503).

Dass der BF gesund und arbeitsfähig ist, konnte festgestellt werden, weil der BF während des gesamten Verfahrens nie vorbrachte, unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden. Auch legte er keine Dokumente vor, aus denen ein gegenteiliger Schluss zu ziehen wäre. Auch seine momentane Arbeit zeigt, dass er gesund und arbeitsfähig ist.

II.2.6. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die dem BF vorgehaltenen und im Akt ersichtlichen Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums nicht wesentlich geändert haben.

Die herangezogenen Länderberichte wurden dem BF im Parteiengehör mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. In seiner Stellungnahme tritt der BF diesen ebenso wenig entgegen wie in seiner Beschwerde. Die von ihm vorgelegten Berichte zeigen vielmehr ein im Wesentlichen mit den getroffenen Feststellungen übereinstimmendes Bild. Es sind daher im Verfahren keine Zweifel an der Richtigkeit der verwendeten Länderinformationen hervorgekommen.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 68/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des BFA.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

II.3.2. Zu Spruchpunkt A.

II.3.2.1. Zunächst ist den Beschwerdeausführungen dahingehend zu folgen, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht - wie in Spruchpunkt I. des nunmehr angefochtenen Bescheids behauptet - mittels Bescheid vom 12.04.2013, sondern erst durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.01.2015 zuerkannt wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Entscheidung bei Unrichtigkeiten, die nach § 62 Abs. 4 AVG jederzeit hätten berichtigt werden können, auch vor einer Berichtigung bereits in der entsprechenden richtigen Fassung zu lesen. Die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG setzt einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, dass eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben ist. Die Berichtigung ist auf jene Fälle der Fehlerhaftigkeit eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, wobei es allerdings ausreichend ist, wenn die Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit des Bescheides hätten erkennen können und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Bei der Beurteilung einer Unrichtigkeit als offenkundig im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG kommt es letztlich auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile (z.B. Begründung) beziehungsweise auf den Akteninhalt an (VwGH 29.04.2019, Ro 2018/20/0013).

Hier liegen die Voraussetzungen des § 62 Abs. 4 AVG vor, da sowohl aus der Begründung des Bescheids (BS 3) als auch aus dem Akteninhalt hervorgeht, dass das BFA den mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zuerkannten Schutzstatus aberkennen wollte, was auch der BF in seiner Beschwerde erkannt hat und wozu er auch inhaltliche Ausführungen tätigte. Das BFA hätte diesen Fehler bei entsprechender Aufmerksamkeit auch vermeiden können. Nicht gefolgt werden kann daher der weiteren Beschwerdeansicht, dass der durch das Bundesverwaltungsgericht zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten durch den angefochtenen Bescheid nicht aberkannt worden sei, vielmehr ist Spruchpunkt I. dahingehend zu lesen, dass er zu lauten hat: "Der Ihnen mit Erkenntnis vom 23.01.2015, Zahl W119 1434767-1/7E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt."

II.3.2.2. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht (1. Fall) oder nicht mehr (2. Fall) vorliegen. Diese Bestimmung verfolgt das Ziel, sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153). Es würde nämlich der allgemeinen Systematik und den Zielen der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Statusrichtlinie) widersprechen, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsstellungen Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweisen. Der Verlust des subsidiären Schutzstatus unter solchen Umständen steht mit der Zielsetzung und der allgemeinen Systematik der Statusrichtlinie, insbesondere mit Art. 18, der die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nur an Personen vorsieht, die die Voraussetzungen erfüllen, im Einklang (EuGH 23.05.2019, Bilali, C-720/17, Rn 44 ff).

Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie, der im Sinne einer richtlinienkonformen Interpretation zu berücksichtigen ist, lautet: "Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist." Nach Absatz 2 leg.cit. berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Dabei ist es Aufgabe des BFA - beziehungsweise im Beschwerdeverfahren des Bundesverwaltungsgerichts - offen zu legen, weshalb es davon ausgeht, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegen. Diesem Grundsatz der Amtswegigkeit korrespondiert die Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken. In Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz wurde in der Rechtsprechung im Besonderen festgehalten, dass grundsätzlich der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG - diese Bestimmungen stellen auf dieselben Gründe ab, wie sie in §§ 3 und 8 AsylG enthalten sind - glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person liegt grundsätzlich bei dieser, dabei sind aber gleichzeitig die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheidet, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat geht, ist jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich haben die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liegt an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (vgl. zum Ganzen VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314).

Diese Sichtweise hat - auch vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Regelungen in Art. 19 Abs. 4 Statusrichtlinie - im Aberkennungsverfahren nicht uneingeschränkt Platz zu greifen, hat die Behörde die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz doch bereits geprüft und bejaht. Das bedeutet jedoch nicht, dass der betroffene Fremde im Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes jeglicher Mitwirkungsverpflichtungen enthoben wäre, was sich auch aus Art. 19 Abs. 4 iVm Art. 4 Abs. 1 Statusrichtlinie ergibt. Es ist daher Aufgabe der Behörde, näher darzulegen, worin sie im konkreten Fall Umstände erblickt, sodass davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen. Ausgangspunkt dieser Betrachtungen haben jene Umstände zu sein, die ursprünglich zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben. Vermag die Behörde insoweit ihre Ansicht ordnungsgemäß zu belegen, liegt es am betroffenen Fremden, ein entsprechendes Vorbringen ins Treffen zu führen, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin vorliegen. Dies gilt vor allem dann, wenn er dies auf andere als die bisher maßgeblichen Gründe stützen möchte. Er hat das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den (in der Regel) Heimatstaat dort gegebenen Bedrohung glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen der Zuerkennungsentscheidung ist es zwar nicht zulässig, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes beziehungsweise der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG nicht geändert hat. Soweit aber neue Sachverhaltselemente hinzutreten, die für die Frage der Aberkennung von Bedeutung sein können, ist es der Behörde nicht verwehrt, auch Elemente, die vor Zuerkennung des subsidiären Schutzes beziehungsweise vor Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung liegen, in die Gesamtbeurteilung einfließen zu lassen. Eine Änderung der maßgeblichen Umstände wird sich regelmäßig daraus ergeben, dass sich die tatsächlichen Umstände im Herkunftsland geändert haben und durch diese Änderung die Ursachen, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, beseitigt worden sind, jedoch sieht weder § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG noch Art. 16 Statusrichtlinie vor, dass deren Anwendungsbereich auf einen solchen Fall beschränkt ist (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Eine Änderung der Sicherheitslage vermag eine Aberkennung des subsidiären Schutzes jedenfalls zu rechtfertigen (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0416). Es kann aber auch eine Änderung des Kenntnisstands der Behörde hinsichtlich der persönlichen Situation der betroffenen Person in gleicher Weise dazu führen, dass die ursprüngliche Befürchtung, der Fremde habe eine Verletzung der in § 8 Abs. 1 AsylG genannten Rechte zu gewärtigen oder er werde einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 Statusrichtlinie erleiden, im Licht der neuen Informationen, die nunmehr zur Verfügung stehen, nicht mehr begründet erscheint. Der EuGH hat zudem - unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 Statusrichtlinie - festgehalten, dass dies jedoch nur gilt, soweit die neuen Informationen, über die der Aufnahmemitgliedstaat verfügt, zu einer Änderung seines Kenntnisstands führen, die hinsichtlich der Frage, ob die betreffende Person die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt, hinreichend bedeutsam und endgültig sind (vgl. EuGH 23.05.2019, Bilali, C-720/17, Rn. 49f).

Gerade in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen. Es sind daher nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

II.3.2.3. Im gegenständlichen Fall stützt sich die belangte Behörde nicht ausdrücklich auf einen der beiden Fälle des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, aus den Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung ergibt sich jedoch, dass sich das BFA auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, nämlich, dass die Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, stützt.

Dazu führt es insoweit aus, der BF sei mittlerweile 22 Jahre alt und ein erwachsener, junger, lediger und arbeitsfähiger Mann. Er spreche sechs Sprachen und habe als Elektriker gearbeitet. Das BFA gehe daher davon aus, dass er bei einer Rückkehr nicht in eine existenzbedrohende Situation kommen werde. Zudem habe er seit seiner Ankunft in Österreich Lebenserfahrung sammeln können und sich Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet.

Diese Ausführungen des BFA sind bereits insofern aktenwidrig, als der BF zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids bereits 24 Jahre alt war. Die übrigen Umstände waren zudem allesamt bereits bei Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (etwa ES 22f) beziehungsweise bei der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung am 25.01.2018 bekannt und können daher nicht zu einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen. Seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung am 25.01.2018, die die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf und der daher Beachtung zu schenken ist (VwGH 29.01.2020. Ra 2019/18/0367), hat sich an der persönlichen Situation des BF bis auf das Lebensalter des BF jedoch nichts geändert, war er doch seitdem bis 20.06.2018 und von 28.02.2019 bis 11.11.2019 in Straf- beziehungsweise Untersuchungshaft und daher nur etwa elf Monate nicht in Haft, während derer er allerdings auch keine Berufs- oder Schulerfahrung hinzugewann. Auch durch seine nunmehrige Arbeit als Pizzabäcker ist jedenfalls noch nicht eine derart maßgebliche Änderung in der persönlichen Situation des BF eingetreten, weil nicht ersichtlich ist, wie ihm seine nur wenige Monate dauernde diesbezügliche Berufserfahrung bei einer Rückkehr in sein Heimatland helfen könnte (siehe auch VwGH 29.01.2020, Ro 2019/18/0002). Insbesondere hat das BFA die bisherige Berufserfahrung des BF von Juli 2015 bis Jänner 2016 als Küchenhelfer - und damit eine zum Pizzabäcker vergleichbare Tätigkeit - nicht als ausreichende Änderung in den persönlichen Lebensverhältnissen des BF gesehen, sondern seine befristete Aufenthaltsberechtigung verlängert.

Auch eine Verbesserung der Sicherheitslage in seiner Geburtsstadt Kabul (oder auch in Herat oder Mazar-e Sharif), die allenfalls zu einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen könnte, ist aus einem Vergleich der damaligen zu den heutigen Länderfeststellungen nicht ersichtlich. Vielmehr wurden auch zum Zeitpunkt der Zuerkennung bereits öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul durchgeführt, wobei der Fokus des Terrors jedoch nicht auf Kabul oder allgemein auf städtischen Zentren lag, sondern der Großteil der Gewalt in ländlichen Gegenden registriert wurde. Auch bei der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung im Jahr 2018 lag eine zur derzeitigen Situation vergleichbare Sicherheitslage vor.

II.3.2.4. Letztlich läuft die Begründung des BFA in seiner rechtlichen Beurteilung darauf hinaus, dass es nunmehr im Gegensatz zur Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgeht, dem BF wäre die Rückkehr in sein Heimatland beziehungsweise die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative möglich und zumutbar.

In diesem Zusammenhang ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass die von Amts wegen durch die belangte Behörde wie auch durch das Bundesverwaltungsgericht zu prüfende Frage, ob einem Antragsteller auf internationalem Schutz eine - ihm auch zumutbar

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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