Entscheidungsdatum
13.03.2020Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W144 2229518-1/3E
W144 2229521-1/3E
W144 2229523-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die gemeinsame Beschwerde von 1. XXXX , XXXX alias XXXX geb, 2. Mj. XXXX , XXXX geb., und 3. Mj. XXXX , XXXX geb., alle StA. von Nigeria, gegen die Bescheide des Bundesamtes Für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 25.02.2020, Zlen: XXXX (ad 1.), XXXX (ad 2.), und XXXX (ad 3.), zu Recht erkannt:
A)
In Erledigung der Beschwerde werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Die 1.-Beschwerdeführerin (1.-BF) ist die Mutter der minderjährigen (mj.) 2.- und 3.-Beschwerdeführer (2.- und 3.-BF) alle sind Staatsangehörige von Nigeria. Die 1.-BF hat Nigeria im Jahr 2008 verlassen und sich über unbekannte Länder und die Türkei nach Griechenland ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten begeben, wo sie sich in den Jahr 2011/2012 aufgehalten und einen negativen Bescheid bezüglich ihres dort gestellten Asylantrages erhalten hat. In der Folge durchreiste die BF Ungarn, hielt sich im Jahr 2014 etwa sechs Monate lang in der Schweiz auf, wo sie ebenfalls eine negative Entscheidung im Asylverfahren erhalten hatte und begab sich im Zeitraum 2014/2015 nach Italien, wo sie in der Folge etwa vier Jahre lang verblieb, bis sie sich am 01.02.2020 ins Bundesgebiet begab. Am selben Tag stellte sie für sich und ihre beiden Kinder die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.
Zur Person der 1.-BF liegen folgende Eurodac-Treffermeldungen betreffend Asylantragstellungen vor:
* Schweiz vom 19.5.2015
* Ungarn vom 20.5.2015
* Italien vom 19.11.2015
Der Beschwerde liegen folgende Verwaltungsverfahren zugrunde:
Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Salzburg vom 01.02.2020 gab die 1.-BF neben ihren Angaben zum Reiseweg lediglich an, dass sie in Italien hätte arbeiten wollen, doch keine Möglichkeit dazu gefunden habe. Sie habe auch keine Unterkunft in verschiedenen Städten gefunden und habe ihre Tochter nicht in die Schule bzw. den Sohn nicht in den Kindergarten geben können. In Italien habe sie ein Aufenthaltsrecht (permesso di soggiorno) vom 10.1.2018 bis 22.9.2019 besessen.
Die mj. 2.- und 3.-BF wurden altersbedingt nicht einvernommen.
Das BFA richtete in der Folge bezüglich aller 3 Antragsteller am 04.02.2020 auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestützte Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Italien akzeptierte diese Wiederaufnahmeersuchen durch ausdrückliche Zustimmung mit Schreiben vom 13.02.2020. Unter einem teilte Italien das Alias-Geburtsdatum der 1.-BF XXXX mit.
Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 24.02.2020 gab die 1.-BF in eigener Sache sowie als gesetzliche Vertreterin für ihre mj. Kinder, die 2.- und 3.-BF im Wesentlichen zu Protokoll, dass sie an keinen Krankheiten leide, keine Medikamente benötige und auch ihre Kinder gesund seien. Sie habe weder familiäre noch besondere private Bindungen in Österreich. In Italien habe sie sich vom Jahr 2015 bis zum 01.02.2020 aufgehalten. Sie sei schon sehr lange in Europa und sei ihr bewusst, dass sie auf der "Dublin- Schiene" sei und keine Chance auf Asyl habe. Sie habe sich wirklich bemüht, in Italien Fuß zu fassen, doch sei es nicht möglich gewesen dort eine Arbeit zu finden. Die italienische Regierung habe ihr zu Beginn geholfen und sie habe Unterstützung bekommen, wie z.B. eine Unterkunft. Sie wolle sich schon wegen des Wohles ihrer Kinder ein Leben aufbauen, doch sei die Situation in Italien sehr schwierig gewesen. Sie wolle nicht nach Italien zurückkehren - bevor sie dorthin zurückgehe, habe sie sich entschlossen, in ihr Heimatland Nigeria zurückzukehren; sie wolle wirklich nach Hause gehen. Es sei 11 oder 12 Jahre her, dass sie aus ihrem Heimatland weggegangen sei. Sie wisse immer noch nicht, was sie aus ihrem Leben machen solle, außer von einem Ort zum nächsten zugehen.
Das BFA wies sodann die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheiden jeweils vom 25.02.2020 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zur Prüfung der Anträge zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung der BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig sei.
In der Begründung traf das BFA Feststellungen zur allgemeinen asyl- und menschenrechtlichen Situation in Italien, konkret zu Dublin-Rückkehrerin, zu den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten ein neues Asylverfahren in Italien zu führen, zur Versorgung, einschließlich der medizinischen Versorgung von Antragstellern, sowie zu deren Unterbringung.
Gegen diese Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde der BF, in welcher sie im Wesentlichen die allgemeinen Unterbringungs- und Aufnahmebedingungen für Asylwerber in Italien bemängelten und letztlich auch geltend machten, dass aufgrund der aktuellen Corona-Virus-Epidemie und die in Italien aktuell gesetzten Maßnahmen, eine Abschiebung nach Italien derzeit jedenfalls nicht möglich sei.
Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 12.03.2020.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.
Feststellungen zur gegenwärtigen Situation der Corona-Virus-Pandemie und der - sich diesbezüglichen rasch verschärfenden - Lage in Italien, die notorisch dergestalt ist, dass Italien am 10.03.2020 seine Grenzen und am Mittwoch 11.03.2020 auch landesweit alle Lokale/Geschäfte (Ausnahme: Apotheken und Lebensmittelläden) geschlossen hat und mit einem enormen Anstieg von Erkrankten konfrontiert ist, hat das BFA in der angefochtenen Entscheidung vom 25.02.2020 noch keine getroffen (bzw. noch keine treffen können).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus den Akten des Bundesamtes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde
Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG idgF lauten:
"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
[ ... ]
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
[ ... ]
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
[ ... ]
und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
Zu A) Behebung des bekämpften Bescheides:
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:
"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Das BFA hat in den angefochtenen Entscheidungen grundsätzlich Feststellungen über die rechtliche und faktische Situation von Dublin-Rückkehrern in Italien getroffen. Angesichts der gegenwärtigen, notorischen Lage im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Pandemie ist es jedoch unumgänglich, diese allgemeinen und generellen Feststellungen zur Versorgung und Unterbringung von Asylwerbern in Italien vor dem Hintergrund der verschärften Lage der gegenwärtigen Pandemie zu beleuchten.
Italien ist mit einer sehr hohen Anzahl von Erkrankten konfrontiert, Es besteht seitens des BM für europ. und internationale Angelegenheiten eine Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) für Italien und ist das öffentliche Leben durch die Schließung von Lokalen und Geschäften in weiten Bereichen zum Erliegen gekommen, sodass diesbezüglich über die konkrete Situation der BF im Falle ihrer Rückkehr, umso mehr noch vor dem Hintergrund, dass es sich bei den 2.- und 3.-BF um ein Kleinkind und um eine Minderjährige handelt, Feststellungen getroffen werden müssen, um eine Verletzung der Rechte der BF gemäß Art. 2, 3 EMRK mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Zudem hat Italien seine Staatsgrenzen geschlossen, sodass gegenwärtig nicht klar ist, ob eine Rücküberstellung der BF nach Italien von den italienischen Behörden überhaupt akzeptiert werden würde.
Der festgestellte Sachverhalt in den angefochtenen Bescheiden ist daher insoferne mangelhaft iSd § 21 Abs. 3 BFA-VG, als er keine tragfähige Grundlage zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation der BF im Falle ihrer Rücküberstellung darstellt.
Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.
Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Familienverfahren Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pandemie RückkehrsituationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W144.2229521.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020