TE Bvwg Beschluss 2020/3/19 W144 2229656-1

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Veröffentlicht am 19.03.2020
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Entscheidungsdatum

19.03.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W144 2229656-1/3E

BESCHLUSS!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb, StA. Von Algerien, gegen den Bescheid des Bundesamtes Für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2020, Zl: XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und das Verfahren zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger von Algerien und hat sich im Jahr 1997 (!)nach Griechenland begeben, wo er bis zum Jahr 2014 aufhältig gewesen ist. In der Folge hat sich der BF bis 31.10.2018 in der Tschechischen Republik aufgehalten.

Am 31.10.2019 reiste er ins Bundesgebiet und stellte den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Zur Person der 1.-BF liegt eine Eurodac-Treffermeldung betreffend Asylantragstellung für Tschechien vom 23.03.2014 vor.

Der Beschwerde liegen folgende Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien vom 01.11.2019 gab der BF neben seinen Angaben zum Reiseweg lediglich an, dass er wegen der wirtschaftlichen Krise in Griechenland keine Arbeit gefunden habe und dass er dort auch keine ärztliche Versorgung mehr bekommen habe. In Tschechien habe er ein Problem mit der Sprache gehabt. Wenn man dort die Landessprache nicht spreche, werde man sehr schlecht behandelt. Er habe in Tschechien um Asyl angesucht, sein Antrag sei jedoch abgelehnt worden. Er wolle nicht nach Tschechien zurückkehren. In Algerien sei er seit dem Jahr 1997 nicht mehr gewesen, er wisse nicht, was ihm dort zustoßen würde.

Das BFA richtete in der Folge am 15.11.2019 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Tschechien. Tschechien akzeptierte dieses Wiederaufnahmeersuchen durch ausdrückliche Zustimmung mit Schreiben vom 28.11.2019 unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 24.02.2020 gab der BF im Wesentlichen zu Protokoll, dass er dort gesundheitliche Probleme gehabt habe, konkret mit seiner Prostata, eine Operation sei jedoch nicht durchgeführt worden. Er habe in Tschechien auf der Straße gelebt und keine Mittel für keine Unterkunft gehabt. Weiters leide er noch an anderen Krankheiten, so war er etwa bei einem Rheumaarzt, da ihm immer kalt gewesen sei. Die auf Tschechisch formulierte Diagnose habe er nicht verstanden. Zudem habe er Probleme mit den Augen, er sehe teilweise schlecht und sehe rote Punkte. In Österreich habe man ihm mitgeteilt, dass er einen Augenkatarrh habe und dringend operiert werden müsse, da er sonst erblinde. Er habe einen Termin für September 2020 bekommen. In Tirol sei ihm gesagt worden, dass er eine Operation wegen Hämorrhoiden erhalten solle. Anlässlich seiner Erstbefragung habe er die Wahrheit gesagt, er habe keine Korrekturen anzuführen. Befragt nach Verwandten gab er an, dass er zwei Schwestern in Frankreich habe, ansonsten habe er keine Verwandten in Europa. Es gebe in Österreich keine Personen, von denen er abhängig wäre oder zu denen ein besonders enges Verhältnis bestehe. Nach Vorhalt, dass Tschechien zur Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei, gab der BF an, dass er im Hinblick auf seine gesundheitlichen Probleme nicht nach Tschechien zurückkehren wolle. Er habe auch psychische Probleme und gehe er davon aus, dass sein Asylantrag in Tschechien negativ abgeschlossen worden sei, sodass ihm die Rückverbringung in sein Heimatland drohe. Er sei seit dem Jahr 2014 in Tschechien aufhältig gewesen. Als er nach Tschechien eingereist sei, sei gesund gewesen; er sei dort im Verlauf des Aufenthaltes erkrankt und sei nicht richtig behandelt worden. In Tschechien seien sie rassistisch behandelt worden.

Unter einem legte der BF diverse medizinische Unterlagen vor.

Eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren Dris. XXXX vom 08.02.2020 ergab, dass sich beim BF eine leichtgradige depressive Episode findet. Dazu passe die negativ getrübte Befindlichkeit, die gedrückte Stimmung sowie Freud- und Lustlosigkeit, was diesen Kriterien entspreche. Für eine andere Störung finde sich kein Hinweis. Insbesondere kein Hinweis auf eine Angsterkrankung oder Traumafolgestörung. Die Ängste beziehen sich auf Zukunftsängste, diese seien im Rahmen der Depression, leichtgradige Episode zu verstehen. Eine Suizidalität findet sich derzeit nicht. Medizinische Maßnahmen seien anzuraten, konkret ein schlafanstoßendes Antidepressivum wie z.B. Trittico retard.

Das BFA wies sodann den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 28.02.2020 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Tschechien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Prüfung des Antrags zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei.

In der Begründung traf das BFA Feststellungen zur allgemeinen asyl- und menschenrechtlichen Situation in Tschechien, konkret zu Dublin-Rückkehrerin, zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Asylverfahrens, zur Versorgung, einschließlich der medizinischen Versorgung von Antragstellern, sowie zu deren Unterbringung.

Gegen diesen am 02.03.2020 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde des BF, in welcher er im Wesentlichen die allgemeinen Unterbringungs- und Aufnahmebedingungen für Asylwerber in Tschechien bemängelten.

Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 17.03.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.

Feststellungen zur gegenwärtigen Situation der Corona-Virus-Pandemie und der - sich diesbezüglichen rasch verschärfenden - Lage in ganz Europa, die notorisch dergestalt ist, dass Tschechien am 21.03.2020 seine Grenzen zu Österreich und auch landesweit alle Lokale/Geschäfte (Ausnahme: Apotheken, Lebensmittelläden, Tierfutter, Drogerien) geschlossen hat und mit einem Anstieg von Erkrankten konfrontiert ist, hat das BFA in der angefochtenen Entscheidung vom 28.02.2020 noch keine getroffen (bzw. noch keine treffen können).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus den Akten des Bundesamtes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG idgF lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

[ ... ]

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

[ ... ]

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

[ ... ]

und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Zu A) Behebung des bekämpften Bescheides:

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Das BFA hat in den angefochtenen Entscheidungen grundsätzlich Feststellungen über die rechtliche und faktische Situation von Dublin-Rückkehrern in Tschechien getroffen. Angesichts der gegenwärtigen, notorischen Lage im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Pandemie ist es jedoch unumgänglich, diese allgemeinen und generellen Feststellungen zur Versorgung und Unterbringung von Asylwerbern in Tschechien vor dem Hintergrund der verschärften Lage zu beleuchten.

Der BF leidet an diversen Erkrankungen und ist notorisch, dass gegenwärtig die europ. Gesundheitssysteme durch die Pandemie belastet sind, sodass diesbezüglich über die konkrete Situation des BF im Falle seiner Rückkehr Feststellungen getroffen werden müssen, um eine Verletzung seiner Rechte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Zudem hat Tschechien jüngst (nach Zustimmung vom 28.11.2019) seine Staatsgrenzen geschlossen, sodass gegenwärtig nicht klar ist, ob eine Rücküberstellung des BF nach Tschechien von den tschechischen Behörden überhaupt akzeptiert werden würde, zumal Bürger aus 12 von Tschechien definierten Risikostaaten, darunter auch Österreich, nicht mehr einreisen dürfen (vgl. noen.at vom 14.03.2020; weiters etwa wko.at wonach in Tschechien ein Einreiseverbot für alle Ausländer ohne 90 tägiges Aufenthaltsrecht gilt).

Laut jüngster Mitteilung wurden Dublin-Überstellungen mittlerweile von 16 Staaten, darunter Tschechien, eingestellt.

Der festgestellte Sachverhalt in den angefochtenen Bescheiden ist daher insoferne mangelhaft iSd § 21 Abs. 3 BFA-VG, als er keine tragfähige Grundlage zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation der BF im Falle ihrer Rücküberstellung darstellt.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pandemie Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W144.2229656.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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