TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/23 G303 2213880-1

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Veröffentlicht am 23.03.2020
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Entscheidungsdatum

23.03.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §43
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G303 2213880-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX,

geboren am XXXX, gegen den vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX, mit Schreiben vom 29.10.2018 ausgestellten Behindertenpass mit Bescheidcharakter, OB: XXXX, wegen dem ausgewiesenen Grad der Behinderung von 60 v.H., nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung vom 17.01.2019 und Vorlageantrag vom 27.01.2019, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung vom 17.01.2019 ersatzlos behoben.

Der angefochtene Behindertenpass wird dahingehend abgeändert, dass der Grad der Behinderung achtzig von Hundert (80 v.H.) beträgt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 27.08.2018 bei der Zentralen Poststelle des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass ein. Dem Antrag waren medizinische Beweismittel und eine Kopie des ausgestellten Behindertenpasses angeschlossen.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.

2.1. In dem eingeholten Gutachten von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 15.10.2018 wurde, nach persönlicher Untersuchung der BF am 24.09.2018, im Wesentlichen folgendes festgehalten:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Chronisches Wirbelsäulensyndrom mit psychovegetativen Begleiterscheinungen Unterer Richtsatzwert entsprechend der Funktionseinschränkungen ohne neurologische Ausfälle

02.01.02

30

2

Schultersteife beidseitig, rechts stärker als links Richtsatzwert entsprechend der Funktionseinschränkung

02.06.04

30

3

Kiefersperre Zwei Stufen über unterem Richtsatzwert entsprechend der Beeinträchtigung der Kaufunktion mit Malnutrition u. z. T. Beeinträchtigung der Artikulation

07.02.02

30

4

Leichte Gleichgewichtsstörungen unklarer Genese Eine Stufe über unterem Richtsatzwert entsprechend der Gangbildstörung

12.03.01

20

5

Funktioneller Handtremor rechts stärker als links ohne bekannte Ursache Eine Stufe über unterem Richtsatzwert entsprechend dem intermittierenden Auftreten mit Ablenkbarkeit

03.05.01

20

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

60 v.H.

Als Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, dass der Behinderungsgrad vom Leiden Nr. 1 durch das Leiden Nr. 2 um eine Stufe wegen zusätzlicher Bewegungseinschränkung und durch das Leiden Nr. 3 wegen Beeinträchtigung der Kaufunktion und durch die Leiden Nr. 4 und 5 zusammen um eine Stufe wegen zusätzlicher Beeinträchtigung im Alltag angehoben werde.

3. Mit formlosem Schreiben vom 24.10.2018, OB: XXXX, teilte die belangte Behörde der BF mit, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 60 % festgestellt worden und daher ein neuer Behindertenpass auszustellen sei, welcher unbefristet ausgestellt werde.

3.1. Der BF wurde sodann mit Schreiben der belangten Behörde vom 29.10.2018 ein Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 % ausgestellt.

4. Gegen diesen Behindertenpass mit Bescheidcharakter vom 29.10.2018 brachte die BF binnen offener Frist die bei der belangten Behörde am 27.11.2018 eingelangte Beschwerde ein. Begründend führte die BF darin aus, dass die aus dem Ergebnis der Begutachtung im Jahr 2016 unter Punkt 2 angeführte "reaktive depressive Störung" sowie die unter Punkt 5 angeführte "Sehstörung links" in die aktuelle Begutachtung nicht mitaufgenommen worden seien. Diese Einschränkungen würden nach wie vor bei der BF vorliegen. Des Weiteren brachte die BF einen Neurologischen Befund des Landeskrankenhauses - XXXX vom 13.06.2018 in Vorlage.

5. Im Rahmen des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens holte die belangte Behörde ein weiteres Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, ein. In dem aufgrund der Aktenlage erstellten Gutachten vom 08.01.2019, führte die Sachverständige zusammengefasst aus, dass alle vorgelegten Befunde im letzten Sachverständigengutachten von Oktober 2018 mitberücksichtigt worden seien. Die Sehschwäche links (im Vorgutachten von 2016 mit 10 v.H. eingeschätzt) habe aufgrund der niedrigen Einschätzung keine Behinderungsrelevanz und sei nicht nochmals angeführt worden. Die reaktive depressive Störung sei in sämtlichen angeführten Leiden (Nr. 1, 4 und 5) mit inkludiert worden, weshalb dieses Leiden nicht gesondert angeführt worden sei. Eine Therapie der reaktiv depressiven Störung mit Anpassungsstörung, neurotischer Belastungsstörung und Somatisierung finde nicht statt. Im Vergleich zum Vorgutachten würden sich keine gesundheitlichen Änderungen ergeben.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 17.01.2019 wies die belangte Behörde die Beschwerde ab, da mit einem Grad der Behinderung von 60 % keine Veränderung des bisherigen Grades der Behinderung eingetreten sei. Gestützt wurde dies auf die aufgrund der Beschwerde durchgeführte ärztliche Begutachtung, wonach der Grad der Behinderung 60 % betrage. Das unter Punkt I.5. angeführte Aktengutachten wurde der Beschwerdevorentscheidung angeschlossen und zum Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt. In der rechtlichen Begründung der Beschwerdevorentscheidung wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes zitiert.

7. Mit E-Mail vom 27.01.2019 stellte die BF fristgerecht einen Vorlageantrag. Darin brachte sie vor, dass sie nach wie vor unter Depressionen leide und brachte einen Befundbericht von Dr. XXXX, Facharzt für Neurologie, vom 16.01.2019, in Vorlage.

8. Die gegenständliche Beschwerde, der Vorlageantrag und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde vorgelegt, wo sie am 31.01.2019 einlangten.

9. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichtes ein fachärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.

9.1. Im fachärztlichen Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 03.10.2019, wird basierend auf der persönlichen Untersuchung der BF am 29.07.2019 im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Depression mit deutlicher Somatisierungsneigung sowie dissoziativer Bewegungsstörung (Tremor, Koordination); Unterer RSW entsprechend der depressiven Grundstimmung und der ausgeprägten funktionellen Störung und der Somatisierungsneigung

03.06.02

50

2

Chronisches Schmerzsyndrom der Wirbelsäule Unterer RSW entsprechend der Funktionseinschränkung und der Abnützungserscheinungen

02.01.02

30

3

Schultersteife beidseits, rechts mehr als links RSW entsprechend der Funktionseinschränkung und der Skapula alata

02.06.04

30

4

Kiefersperre RSW entsprechend der beeinträchtigten Kaufunktion mit Malnutrition und der leicht eingeschränkten Artikulation

07.02.02

30

5

Gleichgewichtsstörungen und Koordinationsstörungen Eine Stufe über dem unteren RSW entsprechend der Gangunsicherheit und der Koordinationsprobleme in den Händen (zusätzlich zum Tremor)

12.03.01

20

6

Sehstörung Unterer RSW entsprechend der Amblyopie

11.02.01

10

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

80 v.H.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich der Grad der Behinderung durch die führende Gesundheitsschädigung (GS) 1 ergebe, die GS 2 bis GS 5 würden gemeinsam wegen negativer wechselseitiger Leidensbeeinflussung um drei Stufen anheben. Die GS 6 hebe wegen Geringfügigkeit nicht weiter an. Entsprechend den vorgelegten Befunden könne davon ausgegangen werden, dass der Grad der Behinderung von 80 v.H. zumindest bereits seit Jänner 2019 bestehe.

Stellungnehmend zu den gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten wurde festgehalten, dass nun die Depression mit dissoziativer Störung und ausgeprägter Somatisierungsneigung gesondert als GS 1 angeführt und mit 50 v.H. eingeschätzt worden sei. Diese stehe derzeit absolut im Vordergrund, sie werde nun auch behandelt (bisher ohne ausreichenden Erfolg, nervenfachärztliche Befunde würden vorgelegt werden) und bedinge bzw. verschlimmere auch teils erheblich die anderen Leidenszustände, wie z.B. die Gleichgewichtsstörungen. Die Sehstörung sei nun in der GS 6 berücksichtigt worden, sie hebe aber nicht weiter an. Insgesamt ergebe sich nun ein Grad der Behinderung von 80 v.H. gegenüber 60 v.H. im Vorgutachten.

10. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 30.10.2019 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.

10.1. Eine Stellungnahme beziehungsweise Äußerung seitens der Verfahrensparteien langte dazu beim Bundesverwaltungsgericht nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung in Höhe von 60 von Hundert und hat einen Wohnsitz im Inland.

Sie leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:

- Depression mit deutlicher Somatisierungsneigung sowie dissoziativer Bewegungsstörung (Tremor, Koordination) (Grad der Behinderung: 50 %)

- Chronisches Schmerzsyndrom der Wirbelsäule (Grad der Behinderung: 30 %)

- Schultersteife beidseits, rechts mehr als links (Grad der Behinderung: 30 %)

- Kiefersperre (Grad der Behinderung: 30%)

- Gleichgewichtsstörungen und Koordinationsstörungen (Grad der Behinderung: 20%)

- Sehstörung (Grad der Behinderung: 10%)

Im Vordergrund des Gesamtleidenszustandes steht die Depression mit dissoziativer Bewegungsstörung mit einem Grad der Behinderung von 50 %. Dieser Grad der Behinderung der führenden Gesundheitsschädigung wird durch die vorliegenden Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, der Schulter, des Kiefers sowie durch die Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen wegen negativer wechselseitiger Leidensbeeinflussung um insgesamt drei Stufen angehoben. Die Sehstörung ist zu gering ausgeprägt, um eine Erhöhung des Grades der Behinderung insgesamt bewirken zu können.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt somit 80 (achtzig) von Hundert (v.H.).

2. Beweiswürdigung:

Der unter I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellung zum Besitz des unbefristeten Behindertenpasses ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, aus der Beschwerde, dem Vorlageantrag sowie nunmehr aus dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellung zum Wohnsitz ergibt sich aus einem Auszug des Zentralen Melderegisters und den Angaben der BF im verfahrenseinleitenden Antrag.

Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 03.10.2019, ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Leiden der BF, deren Ausmaß und Wechselwirkungen zueinander ausführlich eingegangen. Mit den seitens des erkennenden Gerichtes vorgenommenen Korrekturen wurde lediglich ein Tippfehler im Gutachten berichtigt sowie der Grad der Behinderung und die laufende Nummer des Leidens "Schultersteife" ergänzt.

Die von der BF in der Beschwerde bzw. im Vorlageantrag behauptete Depression sowie die Sehstörung wurden von XXXX Dr. XXXX in ihrer Einschätzung mitberücksichtigt und gesondert eingeschätzt.

Im Vergleich zum Vorgutachten von Dr. XXXX, das der angefochtenen Beschwerdevorentscheidung zugrunde liegt, wurde nunmehr die Depression mit dissoziativer Bewegungsstörung und ausgeprägter Somatisierungsneigung nach persönlicher Untersuchung der BF und entsprechend den vorgelegten nervenfachärztlichen Befunden, als neues behinderungsrelevantes Leiden eingeschätzt. Die körperlichen Leiden (Wirbelsäule, Schultersteife, Kiefersperre) sowie die Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen steigern den Gesamtbehinderungsgrad laut den schlüssigen gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen aufgrund der negativen wechselseitigen Leidensbeeinflussung um drei Stufen an.

Insgesamt konnte aus dem vorliegenden Sachverständigengutachten somit ein Gesamtgrad der Behinderung von 80 v. H. objektiviert werden.

Der Inhalt des Sachverständigengutachtens von XXXX Dr. XXXX vom 03.10.2019 wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Eine Stellungnahme wurde dazu weder von der BF noch von der belangten Behörde erstattet. Dieses fachärztliche Sachverständigengutachten blieb damit im gegenständlichen Verfahren unbestritten.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen daher keinerlei Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens von XXXX Dr. XXXX. Dieses wird daher der gegenständlichen Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 in der geltenden Fassung) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 in der geltenden Fassung) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen. Abweichend davon beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 46 BBG zwölf Wochen.

Gemäß § 15 VwGVG kann jede Partei binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung von XXXX Dr. XXXX basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung der BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde im Rahmen des gewährten schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.

Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.

Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist;

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen;

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten;

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 22/1970 in der geltenden Fassung, angehören.

Nach § 35 Abs 2 Einkommensteuergesetz (EStG 1998), BGBl. I Nr. 400/1998 in der geltenden Fassung, sind die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

- Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. I Nr. 183/1947).

- Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

- In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des BBG, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 leg. cit. genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010 in der geltenden Fassung) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen;

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 leg. cit. vorliegt.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß § 45 Abs. 1 BBG nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

Mit der gegenständlichen Beschwerde bzw. Vorlageantrag wird nunmehr die Höhe des Grades der Behinderung, welche seitens der belangten Behörde mit 60 von Hundert festgestellt und im Behindertenpass eingetragen wurde, bekämpft.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG hat das Bundesverwaltungsgericht unter Mitwirkung der fachärztlichen Sachverständigen XXXX Dr. XXXX den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung nochmals eingeschätzt. Danach konnte ein Gesamtgrad der Behinderung von 80 vH festgestellt werden.

Alle in der Beschwerde bzw. im Vorlageantrag angeführten Gesundheitsschädigungen der BF, insbesondere die depressive Störung sowie die Sehstörung, wurden in dem vorliegenden Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX berücksichtigt; für jedes einzelne behinderungsrelevante Leiden wurde ein Grad der Behinderung nach der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt.

Die Gesamteinschätzung ist auch unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vorzunehmen (vgl. VwGH 19.11.1997, Zl. 95/09/0232; 04.09.2006, Zl. 2003/09/0062).

Die Erhöhung des Grades der Behinderung im Vergleich zu dem von der belangten Behörde festgestellten Grad der Behinderung von 60 von Hundert im angefochtenen Behindertenpass beziehungsweise in der Beschwerdevorentscheidung begründet sich auf das nunmehr gesondert eingeschätzte Krankheitsbild der Depression, welche mitsamt der anderen vorliegenden körperlichen Leiden (Wirbelsäule, Schulter, Kiefer) und der Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen zu einer Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung auf 80 v.H. führt.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Behindertenpass mit Bescheidcharakter spruchgemäß insofern abzuändern, dass der Grad der Behinderung 80 von Hundert beträgt.

3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die oben angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2213880.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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