TE Bvwg Beschluss 2020/3/25 W204 2196510-2

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Veröffentlicht am 25.03.2020
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Entscheidungsdatum

25.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1
VwGVG §32 Abs1 Z2
VwGVG §32 Abs1 Z3

Spruch

W204 2196514-2/2E

W204 2196508-2/2E

W204 2196499-2/2E

W204 2196510-2/2E

BESCHLUSS

1.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über den Antrag von S XXXX , geboren am XXXX 1955, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 28.05.2019 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu W204 2196514-1/13E:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über den Antrag von G XXXX , geboren am XXXX .1970, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 28.05.2019 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu W204 2196508-1/12E:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über den Antrag von A XXXX , geboren am XXXX .1998, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 28.05.2019 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu W204 2196499-1/10E:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über den Antrag von N XXXX , geboren am XXXX 2001, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 28.05.2019 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu W204 2196510-1/17E:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die nunmehrigen Wiederaufnahmewerber, afghanische Staatsangehörige, reisten illegal in die Republik Österreich ein und stellten am 13.08.2015 beziehungsweise am 16.11.2015 Anträge auf internationalen Schutz. Diese wurden letztlich durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 28.05.2019 zu W204 2196514-1/13E, W204 2196508-1/12E, W204 2196499-1/10E, W204 2196510-1/17E abgewiesen.

I.2. Am 19.03.2020 stellten die Wiederaufnahmewerber durch die im Spruch genannten Vertreter einen Antrag auf Wiederaufnahme dieser Verfahren. Das Bundesverwaltungsgericht möge den Wiederaufnahmewerbern in den wiederaufzunehmenden Verfahren den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu ihnen humanitäre Aufenthaltstitel zuerkennen, in eventu die angefochtenen Bescheide aufheben und die Rechtssachen zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vorfrage zur Rückkehrmöglichkeit im Verfahren der Tochter beziehungsweise Schwester der Wiederaufnahmewerber anders entschieden worden sei, weil dieser der Status einer subsidiär Schutzberechtigten gewährt wurde. Dies ändere das Verfahren der Wiederaufnahmewerber als wesentlich anders beurteilte Vorfrage insofern, als nicht nur die Sicherheitslage neu beurteilt werden müsse, sondern auch über die Trennung der Familie im Sinne von Art. 8 EMRK neu entschieden werden müsse.

Auch unter Berücksichtigung der "EASO RL", wonach keine innerstaatliche Fluchtalternative für Familien bestehe und die Gruppe der lang von Afghanistan Abwesenden als Risikogruppe eingestuft werde, werde das wiederaufzunehmende Verfahren zu einem anderen Ergebnis gelangen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

Die Wiederaufnahmewerber sind Staatsangehörige Afghanistans, deren Identität nicht feststeht. Die Wiederaufnahmewerber zu 1.) und 2.) sind verheiratet, die Wiederaufnahmewerber zu 3.) und 4.) sind deren zum Zeitpunkt der Stellung ihrer Anträge auf internationalen Schutz minderjährige Kinder. Sie gehören der Volksgruppe der Hazara/Sadat an und sind schiitischen Bekenntnisses.

Ihre am 13.08.2015 beziehungsweise am 16.11.2015 gestellten Anträge auf internationalen Schutz wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheiden vom 20.04.2018 vollinhaltlich abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 28.05.2019 zu W204 2196514-1/13E, W204 2196508-1/12E, W204 2196499-1/10E und W204 2196510-1/17E als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die zur Erhebung einer Revision gestellten Verfahrenshilfeanträge nicht bewilligt. Beim Verfassungsgerichtshof sind zur Zahl E 2350-2353/2019 Verfahren anhängig. Es ist nicht absehbar, wann in diesen Verfahren eine Entscheidung ergehen wird. Die aufschiebende Wirkung wurde bisher nicht gewährt.

In den Erkenntnissen wurde festgestellt, dass alle nunmehrigen Wiederaufnahmewerber in Afghanistan geboren wurden und etwa im Jahr 2002 in den Iran zogen. Der Wiederaufnahmewerber zu 1.) arbeitete bereits in Afghanistan in der Landwirtschaft und als Abwäger auf dem Bazar. Im Iran arbeiteten alle Wiederaufnahmewerber.

Zu den Familienangehörigen wurde Folgendes festgestellt: "Im Bundesgebiet befinden sich weiters zwei volljährige Töchter und ein volljähriger Sohn des BF1 und der BF2. Die Familie lebt im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt. Die Familie lebt von der staatlichen Grundversorgung, die Familienmitglieder sind nicht voneinander finanziell abhängig.

Die Anträge auf internationalen Schutz der nicht im Familienverfahren geführten Familienmitglieder stützen sich auf dieselben Fluchtgründe wie jene der BF und wurden vom BFA ebenfalls vollinhaltlich abgewiesen sowie Rückkehrentscheidungen erlassen. Die dagegen erhobenen Beschwerden sind derzeit beim Bundesverwaltungsgericht zu den Geschäftszahlen W276 2196507-1, W202 2196518-1 und W230 2196504-1 anhängig. [...]

Ein Halbbruder des BF1 lebt im Iran, drei Halbschwestern leben in Europa und zwei Halbschwestern in Afghanistan. Eine Schwester der BF2 lebt in Afghanistan in Kandahar, ein Bruder im Iran. Eine Schwester des BF3 und des BF4 verlobte sich im Iran mit einem Sohn einer der Schwestern des BF1. Die Verlobung wurde in Österreich aufgelöst. Die BF haben Kontakt zu ihren Familienmitgliedern."

Den Erkenntnissen liegt zugrunde, dass die Wiederaufnahmewerber in ihr Heimatdorf, Kabul Herat oder Mazar-e Sharif gefahrlos zurückkehren können, zumal die Söhne gesund und arbeitsfähig sind und mehrere Familienangehörige in Afghanistan leben, die die Wiederaufnahmewerber finanziell und organisatorisch unterstützen können. Auch der lange Auslandsaufenthalt steht einer Rückkehr nicht entgegen, weil die Eltern weit mehr als ihr halbes Leben in Afghanistan verbracht haben, daher mit der Kultur ihres Heimatlandes vertraut sind und auch die Söhne - soweit dies durch die Erziehung nicht ohnedies bereits geschehen ist - auch damit vertraut machen können. Auch im Iran und in Österreich pflegen die Wiederaufnahmewerber zudem Kontakt zu Afghanen und leben im afghanischen Kulturkreis.

Ein Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Familienleben wurde mit folgender Begründung verneint: "Die BF1 bis BF4 werden gemeinsam als Familie ausgewiesen, sodass sie insofern nicht in ihrem Recht auf Familienleben verletzt werden können. Auch gegen die übrigen nicht im Familienverfahren geführten im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen bestehen erstinstanzliche Rückkehrentscheidungen. Selbst wenn einzelne dieser vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben werden sollten und diesen eine (un-)befristete Aufenthaltsberechtigung zukommen sollte, werden die BF durch die Rückkehrentscheidung nicht in ihrem Recht auf Familienleben verletzt. Wie festgestellt, lebt die Familie zwar in einem Haushalt, es wurde während des gesamten Verfahrens jedoch nicht behauptet, dass sie voneinander finanziell oder sonst in besonderer Art und Weise abhängig wären. Davon ist auch nicht auszugehen, zumal die gesamte Familie von staatlichen Unterstützungsleistungen lebt und keine besondere Betreuungssituation vorliegt. Es sind somit keine Abhängigkeitsmerkmale hervorgekommen, die über die üblichen Bindungen hinausgehen und einen Eingriff unzulässig machen könnten. Vielmehr ist der Familie zuzumuten, - so gewünscht - mittels moderner Medien den Kontakt aufrecht zu erhalten. Es stünde diesen auch frei, gemeinsam und freiwillig ins Heimatland zurückzukehren, weil dort keine Bedrohung der Familie, die sich auf denselben Fluchtgrund beruft, festzustellen war."

Das Verfahren der volljährigen Tochter zu W276 2196507-1 wurde mittlerweile mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.03.2020, das am 05.03.2020 in den elektronischen Verfügungsbereich deren Vertreterin gelangte, abgeschlossen. Ihre Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten wurde abgewiesen. Hingegen wurde ihrer Beschwerde hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben, ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.03.2021 erteilt. Dem liegt im Wesentlichen zugrunde, dass die allgemeine Situation in Herat und Mazar-e Sharif zwar derart sei, dass dieser kein Eingriff in ihre nach § 8 AsylG geschützten Rechte drohe, allerdings würde sie als alleinstehende Frau, als die sie zu qualifizieren sei, weil die Verfahren der Wiederaufnahmewerber noch beim Verfassungsgerichtshof anhängig seien, zurückkehren, weswegen aufgrund der bestehenden gesellschaftlichen Reaktionen nicht zu erwarten sei, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen und für eine entsprechende Wohnmöglichkeit sorgen könnte, zumal sie in Herat und Mazar-e Sharif keine (männlichen) Familienangehörigen habe.

II.2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang sowie die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt, insbesondere aus dem Antrag auf Wiederaufnahme und dem diesem beigelegten Erkenntnis der volljährigen Tochter sowie den im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnissen der Wiederaufnahmewerber betreffend deren Anträge auf internationalen Schutz.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz geregelt (§ 1 leg. cit.)

II.3.2. Nach § 32 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens unter anderem stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten (Z 2), oder das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde beziehungsweise vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde (Z 3).

Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG entsprechen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG, sodass auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgriffen werden kann (VwGH 25.06.2019, Ra 2019/10/0061; 30.04.2019, Ra 2018/10/0064; 28.06.2016, Ra 2015/10/0136).

Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass die das seinerzeitige Verfahren abschließende Entscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar, also formell rechtskräftig ist. Die Zulässigkeit und auch die Erhebung von Rechtsmitteln bei den Höchstgerichten hindern, selbst wenn der Beschwerde oder der Revision die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, nicht den Eintritt der formellen Rechtskraft (VwGH 16.09.1980, 1079/79; 23.02.2012, 2010/07/0067; 28.02.2012, 2012/05/0026).

Entscheidungen eines Verwaltungsgerichtes werden mit ihrer Erlassung rechtskräftig. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.05.2019 wurde durch die Zustellung rechtskräftig, sodass die erste Voraussetzung des § 32 Abs. 1 VwGVG erfüllt ist.

Die Wiederaufnahmewerber beziehungsweise deren Vertreter erlangten am 05.03.2020 Kenntnis vom Erkenntnis ihrer Tochter beziehungsweise Schwester. Der am 19.03.2020 eingebrachte Antrag auf Wiederaufnahme ist daher rechtzeitig und auch sonst zulässig. Er ist jedoch nicht begründet:

II.3.3. Anders als beim Wiederaufnahmegrund nach § 32 Abs. 1 Z 2 kommt es beim Wiederaufnahmegrund der abweichenden Vorfragenentscheidung nicht darauf an, ob die wiederaufnehmende Behörde im wiederaufgenommenen Verfahren zu einem voraussichtlich anderen Verfahrensergebnis kommen kann, wohl aber, dass die neue Vorfragenentscheidung bindende Wirkung für die Behörde entfaltet (VwGH 31.08.2015, Ro 2015/11/0012).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt. Dass es sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln muss, über die von der anderen Behörde als Hauptfrage zu entscheiden ist, ergibt sich daraus, dass der besondere prozessökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG nur dann erreicht werden kann, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge die Behörde bindet, wobei eine solche Bindungswirkung jedoch immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage entfaltet (VwGH 27.06.2019, Ra 2019/02/0017).

Inwiefern die Rückkehrmöglichkeit der Tochter beziehungsweise der Schwester der Wiederaufnahmewerber eine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG sein sollte, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht ersichtlich und wird auch im Wiederaufnahmeantrag nicht annähernd plausibel dargelegt. Da es sich bei den Verfahren der Wiederaufnahmewerber im Verhältnis zum Verfahren der Tochter beziehungsweise der Schwester - unbestritten - nicht um ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG handelt, zumal diese bereits bei Einreise volljährig war, entfaltet die nunmehrige Entscheidung in ihrem Asylverfahren keine Bindungswirkung im Verfahren der Wiederaufnahmewerber. Vielmehr ist die Rückkehrmöglichkeit in jedem Verfahren einzeln zu prüfen, ohne an eine andere Entscheidung gebunden zu sein. Die Rückkehrmöglichkeit der Tochter beziehungsweise der Schwester der Wiederaufnahmewerber ist für das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz der Wiederaufnahmewerber rechtlich irrelevant. Die Rückkehrmöglichkeit der Wiederaufnahmewerber wurde vielmehr aufgrund der Gesundheit und - wenn auch teils beschränkten - Arbeitsfähigkeit dieser sowie der Unterstützungsmöglichkeit der Familie in Afghanistan bejaht. Ob auch die Tochter beziehungsweise Schwester zurückkehren kann, stellt für diese Beurteilung keine unabdingbare Voraussetzung dar. Zudem beurteilte das Bundesverwaltungsgericht die allgemeine Situation jedenfalls in Bezug auf Mazar-e Sharif und Herat auch nicht abweichend vom Erkenntnis von Mai 2019, ihr wurde lediglich aufgrund ihrer persönlichen Situation der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Auch in Bezug auf die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung legen die Wiederaufnahmewerber nicht dar, inwiefern es sich dabei um eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG handeln sollte. Auch bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist das Bundesverwaltungsgericht nämlich keineswegs daran gebunden, ob eine volljährige Familienangehörige im Bundesgebiet aufhältig ist. Vielmehr ist in einer solchen Situation anhand der konkreten Umstände zu prüfen, ob überhaupt ein von Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben vorliegt, zumal familiäre Beziehungen unter Erwachsenen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VwGH 10.01.2020, Ra 2019/20/0579; 08.09.2016, Ra 2015/20/0296; 15.12.2015, Ra 2015/19/0149). Selbst wenn die Beziehungen - sei es nun als Familienleben oder als Privatleben - unter Art. 8 EMRK fallen sollten, ist in weiterer Folge im Einzelfall zu prüfen, ob die Rückkehrentscheidung deswegen unzulässig ist, oder aber aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen trotzdem zulässig ist. Das Bundesverwaltungsgericht ist jedenfalls nicht an eine Entscheidung in einem anderen Verfahren gebunden. Im Übrigen wurde auch bereits in den Erkenntnissen von Mai 2019 ausgeführt, dass selbst wenn einem der weiteren Familienangehörigen eine (un-)befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt werden sollte, wie dies nunmehr geschehen ist, es zu keiner unverhältnismäßigen Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben führen würde; dies mangels eines Abhängigkeitsverhältnisses und auch weil diesen zumutbar ist, den Kontakt über Telefon oder soziale Medien zu halten.

II.3.4. Soweit die Ausführungen im Antrag auf Wiederaufnahme auch dahingehend verstanden werden könnten, dass die Wiederaufnahmewerber von der Erfüllung des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ausgehen, ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass auch diese Voraussetzungen im gegenständlichen Fall nicht erfüllt sind.

Nach ständiger - auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG übertragbarer - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen, das heißt Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024), oder Beweismittel, das heißt Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.

Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" beziehungsweise "nova causa superveniens").

Das Erkenntnis der Tochter beziehungsweise der Schwester der Wiederaufnahmewerber ist erst nach Abschluss der Verfahren entstanden und kann daher bereits deswegen nicht als Wiederaufnahmegrund geltend gemacht werden. Auch soweit sich der Antrag auf die "EASO RL" stützt, wird damit kein Grund aufgezeigt, der eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen könnte:

So ist bereits nicht klar, auf welche "EASO RL" sich die Wiederaufnahmewerber stützen. Anhand der weiteren Ausführungen ist jedoch ersichtlich, dass sie sich damit auf den Country Guidance von EASO aus Juni 2018 stützen. Dieser lag daher zwar bereits zum Zeitpunkt der Erlassung der Erkenntnisse im Mai 2019 vor, allerdings ist aus den Ausführungen im Wiederaufnahmeantrag nicht ersichtlich, warum die Wiederaufnahmewerber diesen nicht bereits im Verfahren, dessen Wiederaufnahme sie anstreben, vorlegen konnten, zumal sie während des gesamten Beschwerdeverfahrens rechtsfreundlich vertreten waren. Ihnen wäre daher etwa in der Verhandlung im April 2019 oder in der danach erstatteten Stellungnahme möglich gewesen, diesen Bericht vorzulegen, was bereits die Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme nach sich ziehen muss.

Zudem fehlt dem Bericht von EASO jedoch die Eignung ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das Bundesverwaltungsgericht entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197, mwN).

Diese abstrakte Eignung ist im gegenständlichen Fall nicht gegeben:

Hinsichtlich des Status der Asylberechtigten bringt der Wiederaufnahmeantrag nichts vor, was zu einer anderen Einschätzung führen könnte, zumal einerseits der Antrag der Tochter beziehungsweise der Schwester der Wiederaufnahmewerber in Bezug auf den Status der Asylberechtigen ebenfalls abgewiesen wurde und andererseits sie auch selbst aus den "EASO RL" keine Asylgewährung folgern.

Hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten ist den Wiederaufnahmewerbern entgegen zu halten, dass sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof auf Basis dieses Berichts (beziehungsweise teils auch auf Basis des Berichts von EASO aus Juni 2019, der jedoch keine entscheidungswesentlichen Änderungen beinhaltet) davon ausgehen, dass dieser Bericht eine Rückkehr nicht grundsätzlich ausschließt, sondern eine Einzelfallabwägung unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person beziehungsweise Verbindungen zu Afghanistan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (VfGH jeweils 12.12.2019, E 236/2019; E 3350/2019; E 3369/2019; VwGH 13.02.2020, Ra 2019/01/0488; 29.01.2020, Ra 2019/18/0258; 28.01.2020, Ra 2019/18/0204; 30.12.2019, Ra 2019/18/0241; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160 uva).

Eine derartige Abwägung führte das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen der Sache nach bereits durch, wobei weitere EASO-Berichte in die Feststellungen einflossen, auch wenn nicht explizit auf diesen Bericht verwiesen wurde. Insbesondere ist dabei auf die Ausführungen unter II.2.8. zu verweisen. Dort wurde nicht nur ausgeführt, dass die nunmehrigen Wiederaufnahmewerber über zahlreiche Familienangehörige in Afghanistan, im Iran und in Europa, zu denen Kontakt besteht oder wiederhergestellt werden kann, verfügen, sondern auch dass die Eltern jahrelang in Afghanistan lebten, ihre Söhne der afghanischen Kultur entsprechend erzogen haben und sie daher alle mit den afghanischen kulturellen Gepflogenheiten vertraut sind, zumal sie sich auch im Iran und im Bundesgebiet in ihrem Kulturkreis bewegten und bewegen. Auch waren die nunmehrigen Wiederaufnahmewerber im Iran in der Lage, ihren Lebensunterhalt durch ihre eigene Erwerbstätigkeit selbst zu bestreiten. Alle verfügen über Berufserfahrung und die Söhne zudem über Schulbildung. Aufgrund der eigenen Kontakte und jener ihrer Familienmitglieder ist davon auszugehen, dass sie einen Arbeitsplatz finden werden. Die Ausführungen der Wiederaufnahmewerber sind daher nicht geeignet, ein anderes Ergebnis herbeizuführen, weil sie sich auch nicht konkret auf ihre eigene Situation beziehen, sondern ihre Ausführungen lediglich allgemein halten.

Auch die Ausführungen, wonach die "EASO RL" eine innerstaatliche Fluchtalternative für Familien ausschlössen, sind ungeeignet, ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbeizuführen. Einerseits führt EASO in seinem Bericht von Juni 2018 nämlich selbst aus, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative lediglich dann nicht zumutbar sein könnte, wenn die Familie keine finanzielle Unterstützung habe (S. 108), andererseits wird aus den Ausführungen des EASO auch deutlich, dass dieses bei seinen Ausführungen eine Familie mit minderjährigen Kindern vor Augen hatte, was daran ersichtlich ist, dass das Alter und der Zugang zu Bildung Beachtung finden sollten. Das Risikoprofil von EASO ist daher auf die Wiederaufnahmewerber nicht zutreffend, zumal sie familiäre finanzielle Unterstützung haben werden und alle bereits volljährig sind.

II.3.5. Abgesehen von diesen Gründen, die allesamt bereits zur Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme führen müssen, ging das Bundesverwaltungsgericht von einer Rückkehrmöglichkeit in das Heimatdorf der Wiederaufnahmewerber aus, weshalb eine allenfalls bestehende innerstaatliche Fluchtalternative nicht maßgeblich für die Entscheidung war (vgl. etwa VwGH 24.01.2017, Ra 2016/01/0338). Die Ausführungen im Antrag auf Wiederaufnahme beziehen sich jedoch alle nur auf die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Auch deswegen können die Ausführungen im Antrag auf Wiederaufnahme zu keinem anderslautenden Spruch führen.

II.3.6. Aus den dargelegten Erwägungen sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 und 3 VwGVG nicht erfüllt, weshalb der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens spruchgemäß abzuweisen ist.

II.3.7. Da die Sachlage aufgrund der Aktenlage als geklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben. Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen beziehungsweise Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beurteilende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund vorliegt, rechtlicher Natur und es wurde dem tatsächlichen Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag gefolgt. Dem Entfall der Verhandlung stehen im Ergebnis weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140). Auch haben die Wiederaufnahmewerber keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

II.3.4. Zu B) zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053). Im Übrigen ergeht die vorliegende Entscheidung in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des § 69 AVG bzw. § 32 VwGVG.

Schlagworte

Voraussetzungen Vorfrage Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W204.2196510.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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