TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/27 I403 2223091-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.03.2020
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Entscheidungsdatum

27.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I403 2223091-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Irene OBERSCHLICK, Weyrgasse 8/6, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs.1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben, und diese werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 28.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen damit, dass er als Sunnit in Bagdad von schiitischen Milizen bedroht worden sei, unter anderem auch, weil ihm ungerechtfertigterweise die Beteiligung an einer Straftat vorgeworfen worden sei.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 28.05.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gegen den am 03.06.2019 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht mit Schreiben vom 25.06.2019 in vollem Umfang Beschwerde erhoben.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2019 vorgelegt. Für den 09.12.2019 wurde eine mündliche Verhandlung anberaumt. Aufgrund eines Hinweises der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, dass dieser aufgrund psychischer Probleme nicht in der Lage sei, die Verhandlung durchzuführen, wurde ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben, das am 12.02.2020 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde. Dieses wurde dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde zum Parteiengehör übermittelt; von Seiten des Beschwerdeführers langte eine Stellungnahme ein, in welcher auf die unzureichende psychiatrische Versorgung im Irak hingewiesen wurde. Von Seiten der belangten Behörde langte keine Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zum Fluchtvorbringen:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber, konkret dem Stamm XXXX, an und ist Muslim der sunnitischen Glaubensrichtung. Der Beschwerdeführer ist in Bagdad geboren und aufgewachsen. Er hat im Irak elf Jahre lang die Schule besucht und daneben in den Ferien gearbeitet. Sein Vater ist Beamter in einem Ministerium; neben diesem leben seine Mutter, seine zwei Brüder und seine zwei Schwestern noch in Irak. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu ihnen.

Der Beschwerdeführer verließ den Irak im September 2015, allerdings nicht aufgrund einer Verfolgung durch schiitische Milizen. Er ist einer solchen auch im Falle seiner Rückkehr in den Irak nicht ausgesetzt. In Österreich stellte er am 28.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Seit 04.11.2015 wohnt der Beschwerdeführer bei XXXX (im Folgenden: A.M.), die ihm gegenüber eine Mutter- bzw. Betreuerrolle einnimmt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX, Zl. XXXX wurde das Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters eingestellt, da die Angelegenheiten des Beschwerdeführers auch andersweitig besorgt werden können, nämlich mithilfe der Unterstützung von A.K.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX, Zl. XXXX zu einer bedingten Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unter Setzung einer Probezeit von 5 Jahren verurteilt. Der Beschwerdeführer hatte unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer undifferenzierten Schizophrenie beruhte, einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem er im Zuge einer durchzuführenden Personenfeststellung auf den einschreitenden Beamten zulief und versuchte ihn gewaltsam zur Seite zu stoßen. Es wurde der Beschluss gefasst, dass er sich regelmäßigen nervenärztlichen Kontrollen zu unterziehen habe, wobei einmal im Quartal auch der Medikamentenspiegel zu überprüfen ist, dass er bei A. K., die ihn unterstütze, wohnen müsse und dass er drogen- und alkoholabstinent bleiben müsse, was durch eine Harnüberprüfung monatlich kontrolliert werde.

1.3. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer leidet seit Dezember 2015 an einer psychischen Erkrankung, konkret an einer chronisch-polymorphen Psychose mit depressiven Komponenten sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er war vom 15.12.2015 bis 26.12.2015 und vom 27.12.2016 bis 03.01.2017 in psychiatrischen Einrichtungen stationär aufhältig wegen deutlich psychotischer Symptomatik. Er steht auch derzeit in einer regelmäßigen ambulanten Behandlung mit entsprechender neuroleptischer Therapie sowie auch psychotherapeutischer Begleittherapie. Die derzeitige medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika ist notwendig und muss auch weiterhin unter regelmäßiger ärztlicher Betreuung empfohlen, da sich sonst die Krankheit jederzeit verschlechtern kann. Eine Unterbrechung dieser Therapie würde zu einer Exazerbation der Erkrankung und Symptomatik führen, die wiederum zu Psychose führt und damit auch stationäre Behandlung notwendig macht.

Der Beschwerdeführer ist in seiner Erwerbsfähigkeit insofern eingeschränkt, als ihm derzeit nur einfache Arbeiten ohne besondere Anforderungen an Konzentration und Aufmerksamkeit zuzumuten sind. Zudem ist auch ein Entgegenkommen des Arbeitgebers notwendig, da eine Überwachung seiner Arbeit im derzeitigen Zustand noch notwendig ist.

Eine regelmäßige Einnahme der ihm verschriebenen Medikamente (aktuell: Ixel, Quetiapin, Akineton und Haldol) ist für den Beschwerdeführer notwendig.

1.4. Zur medizinischen Versorgung im Irak:

Dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 30.10.2019 ist zur medizinischen Versorgung Folgendes zu entnehmen:

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen.

Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767, Zugriff 20.11.2018

-IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 16.10.2018

ACCORD-Anfragebeantwortung

In der Beschwerde wurde eine Anfragebeantwortung des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Anfragebeantwortung zum Irak: Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen (z.B. bei posttraumatischer Belastungsstörung), Verfügbarkeit von Antidepressiva und (sedierenden) Antipsychotika, Verfügbarkeit von Medikamenten gegen Bluthochdruck bzw. Herzprobleme [a-10861], 12. Februar 2019; abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/1457781.html (Zugriff am 16. März 2020)) zitiert (im Folgenden, soweit entscheidungsrelevant):

"Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen (z.B. posttraumatischer Belastungsstörung, PTBS)

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) geht in ihrem 2018 veröffentlichten Mental Health Atlas (Berichtszeitraum: 2017) auf die im Irak verfügbaren Ressourcen zur Behandlung psychischer Erkrankungen ein. Diesen Angaben zufolge gebe es insgesamt 639 Fachkräfte für psychische Gesundheit. Auf eine Bevölkerung von 100.000 Menschen kämen 0.34 PsychiaterInnen, 1.22 MitarbeiterInnen des psychiatrischen Pflegepersonals ("mental health nurses"), 0.11 PsychologInnen und 0.09 SozialarbeiterInnen. Im Irak befänden sich 610 Einrichtungen für die ambulante Behandlung psychiatrischer PatientInnen, davon seien 34 innerhalb eines Krankenhauses verortet und 575 gemeindebasierte ("community-based") Einrichtungen. Stationäre Behandlung von psychiatrischen PatientInnen sei in zwei psychiatrischen Kliniken sowie auf 22 Stationen allgemeiner Krankenhäuser verfügbar. Die Betreuung und Behandlung von Personen mit schwerwiegenden psychischen Störungen (Psychose, bipolare Störung, Depression) sei in den staatlichen Krankenkassen oder Erstattungssystemen nicht enthalten.

In einer E-Mail-Auskunft vom Februar 2019 führt Dr. Ameel Al Shawi von der medizinischen Hochschule an der Universität Falludscha an, dass es im Irak viele Probleme hinsichtlich der psychischen Gesundheit gebe. Es herrsche ein Mangel an SpezialistInnen, PsychologInnen und PsychiaterInnen vor. Es gebe nur wenige Tertiärkliniken, die sich mit psychischen Erkrankungen befassen würden. Diese seien zudem für die Bevölkerung schwer zugänglich. Es seien zudem keine Zentren für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder, PTSD) vorhanden, diese würden besonders in Regionen, die mit großer Gewalt und militärischen Operationen konfrontiert gewesen seien wie beispielsweise im Westen des Iraks, fehlen.

Das Al-Bayan Center for Planning and Studies, ein unabhängiger, gemeinnütziger Think Tank mit Sitz in Bagdad, veröffentlicht 2018 einen Bericht zum Wiederaufbau des irakischen Gesundheitssektors. Dem Bericht zufolge habe der Irak ein Defizit an ExpertInnen für die Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung und anderen Erkrankungen, die sich aufgrund eines Traumas oder Konflikts entwickeln. Die Ausbildung und Bereitstellung von geschultem Personal, das zur Heilung dieser Gemeinschaften und Einzelpersonen beitragen könne, hänge daher von der Bereitstellung ausreichender Mittel und einer koordinierten Reaktion auf diese Krise ab:

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) verweist in einem gemeinsam mit dem norwegischen Herkunftsländerzentrum Landinfo im November 2018 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage und Situation der Binnenvertriebenen in den umkämpften Gebieten auf Gespräche mit VertreterInnen der Weltgesundheitsorganisation. Diesen zufolge bestehe in Bezug auf die psychische Gesundheitsversorgung ein enormer Bedarf, die verfügbaren Dienste würden die Nachfrage aber nicht decken. Maßnahmen zur Unterstützung der psychischen Gesundheit seien zeit- und ressourcenaufwendig und würden qualifiziertes medizinisches Personal, das für diese Formen der Behandlung entsprechend ausgebildet sei, benötigen:

Eine Anfragebeantwortung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom Jänner 2018 an die Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befasst sich unter anderem mit der medizinischen Versorgung bei psychischen Erkrankungen in Bagdad. Auf die Frage nach Behandlungsmöglichkeiten einer posttraumatischen Belastungsstörung und nach Krankenversicherung und Kostenübernahme, antwortet IOM Folgendes:

"2. Es gibt ein Krankenhaus, in welchem eine Behandlung erfolgen kann: AlRashad mental hospital, Baghdad - AlSadr city.

Zudem gibt es auch private Kliniken: Dr.Qasim AlAboodi in AlHarthiya - AlKindi St, Dr. Mahdi AlTa'an in AlMagrib St.

[...]

4. Es gibt keine Krankenkasse, welche die Kosten tragen könnte. Patienten müssen für Behandlungen und Medikamente selbst aufkommen."

Die BFA Staatendokumentation führt in einer Anfragebeantwortung zu Behandlungsmöglichkeiten von paranoider Schizophrenie und posttraumatischer Belastungsstörung vom Juni 2017 Folgendes an:

"Der Auskunft [vom Juni 2017] von IOM Bagdad zufolge gibt es in Bagdad zwei spezialisierte nationale Gesundheitszentren für die Behandlung von psychiatrischen Störungen. Diese Krankenhäuser bieten ihre Dienste unabhängig vom Wohnort des Patienten an. Die Kapazitäten dieser Krankenhäuser sind begrenzt, oft überfüllt, es gibt Wartelisten. Darüber hinaus ist die Qualität der Behandlung gering. Deshalb würde jeder, der sich das leisten kann, eine Privatklinik oder einen privaten Arzt aufsuchen".

"Das deutsche Auswärtige Amt berichtete [im Februar 2017] unter anderem, dass in Bagdad viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität arbeiten und die örtlichen Gesundheitszentren sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. [...]

Die IOM hat [2016] unter anderem berichtet, dass keine Kosten von einer Krankenversicherung übernommen werden. Öffentliche Gesundheitsdienstleister bieten Behandlungen an, die jedoch kostengünstiger sind als private. Die Preise von Medikamenten variieren je nach Diagnose des Patienten. In staatlichen Krankenhäusern oder Kliniken werden zumeist nur wenige Medikamente erhältlich sein (jedoch günstig). In privaten Krankenhäusern und Kliniken werden qualitative Medikamente zumeist erhältlich sein (jedoch sehr teuer). Die Kosten für die Behandlung sind von verschiedenen Faktoren wie Alter, Geschlecht und Wohnort abhängig".

Das Education for Peace in Iraq Center (EPIC), eine unabhängige Organisation, die sich für Frieden im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan einsetzt, berichtet im Mai 2017 über die psychische Gesundheitskrise im Irak. In Bezug auf die Lage im Nordirak wird auf die Herausforderung, den überwältigenden Bedarf mit den begrenzten Ressourcen zu decken, hingewiesen. Im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan gebe es nur noch 80 praktizierende Psychologen, die mit einer limitierten Anzahl von Psychiatern zusammenarbeiten würden. Der hohe Bedarf an psychosozialer Betreuung habe lokale und internationale Organisationen dazu veranlasst, in einigen Fällen unterqualifiziertes Personal einzustellen, dem die Ausbildung zur Behandlung schwerer Traumata fehle. Sherri Talabany, die Präsidentin der SEED Foundation, einer NGO, die sich für den Aufbau psychosozialer Gesundheitskapazitäten in der Autonomen Region Kurdistan einsetzt, sei zum Schluss gekommen, dass viele NGOs Personal und medizinische Fachkräfte eingestellt hätten, die erst bei der Arbeit selbst die psychosoziale Behandlung besonders verletzlicher und vulnerabler Bevölkerungsgruppen effektiv lernen würden. Die Menschen würden daher nicht die Pflege erhalten, die sie dringend benötigen würden, was wiederum auch zu Suiziden führen könne. Der Zustrom an PatientInnen führe zu verlängerten Arbeitszeiten des medizinischen Personals und verminderter Patientenversorgung. Dr. Redar Mohamed, der Chefpsychiater einer Klinik in Erbil müsse seine Zeit auf drei separat betriebene Einrichtungen innerhalb von Erbil aufteilen, darunter ein staatlich betriebenes öffentliches Krankenhaus. Insgesamt betreue er monatlich 200 psychiatrische Fälle, von denen viele eine intensive Medikation und Nachsorge bei posttraumatischem Stress und anderen Erkrankungen erfordern würden. Laut den in Erbil befragten PsychiaterInnen und Pflegekräften, die in Vertriebenenlagern im Nordirak arbeiten würden, blieben oft nur wenige Minuten Zeit, um die Bedürfnisse eines/r PatientIn zu ermitteln. Im psychiatrischen Krankenhaus in Erbil würden MitarbeiterInnen täglich fünf neue PatientInnen erhalten. Dieser überwältigende Bedarf bedeute letztlich, dass Ärzte sich oft übermäßig auf Medikamente (die teuer oder schwer aufzutreiben sind) verlassen und zeitaufwändigere Methoden wie Therapie oder Beratung nicht anwenden könnten.

Der EPIC-Artikel führt weiters an, dass Pflegekräfte für psychische Gesundheit sich darauf verlassen müssten, dass PatientInnen ihre Erkrankungen selbst diagnostizieren und sich in staatlichen Krankenhäusern in Großstädten, in denen psychiatrische Dienstleistungen angeboten würden, behandeln lassen würden. Der Weg dorthin stelle die besonders vulnerablen PatientInnen vor erhebliche finanzielle und soziale Herausforderungen. Nach Angaben des Verwaltungsbeamten eines öffentlichen Krankenhauses in Erbil könnten viele Menschen, die in Dörfern und Ortschaften fernab der Stadt leben würden, nicht so lange von zu Hause fernbleiben, wie es für eine angemessene Behandlung erforderlich sei. Die PatientInnen würden häufig fragen, ob die Regierung Geld für Transport und Unterkunft bereitstellen werde, aber es sei unmöglich, diesen Menschen mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen, so Talabany, die Präsidentin der SEED Foundation. Talabany habe weiters angeführt, dass diese Dynamik enorme Anforderungen an die staatlichen Dienstleister stelle und die lokalen Institutionen von den steigenden Bedürfnissen überfordert seien.

Das Integrated Regional Information Network (IRIN), ein unabhängiger, humanitärer Nachrichtendienst, berichtet im Jänner 2017, dass es im Irak bereits vor dem Aufkommen der Gruppe Islamischen Staat (IS) einen Mangel an Psychiatern und Psychologen gegeben habe. Nun, nach den Jahren der IS-Herrschaft, würden die Auswirkungen dieser Defizite schmerzhaft deutlich. Es gebe schlicht nicht genug ausgebildete klinische PsychologInnen im Irak, um sich um die Bedürfnisse der Betroffenen zu kümmern. Im Irak werde keine Ausbildung für klinische Psychologie angeboten, die Regierung der Autonomen Region Kurdistan biete diese Kurse jedoch an. Neben den Teams von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) und jenen Teams, die mit anderen Hilfsorganisationen in Verbindungen stehen, würden nach offiziellen Angaben nur rund 80 klinische Psychologen im Irak und der Autonomen Region Kurdistan arbeiten. 2010 seien es nur 47 gewesen. Die Anzahl der PsychiaterInnen sei höher, einige davon hätten Techniken wie beispielsweise die Kognitive Verhaltenstherapie erlernt, aber auch sie seien überlastet. Dr. Ahmed al-Rudaini, ein Sprecher des irakischen Gesundheitsministeriums, habe bestätigt, dass die psychische Gesundheitsversorgung heutzutage sehr wichtig sei. Es sei allerdings nicht die oberste Priorität der Regierung gewesen. Man konzentriere sich darauf, Menschenleben zu retten und Operationen und Erste-Hilfe-Behandlungen in den Bereichen, in denen gegen die Gruppe Islamischer Staat gekämpft werde, bereitzustellen, anstatt sich auf psychologische Fragen zu konzentrieren, so der Sprecher des irakischen Gesundheitsministeriums. Die Regierung habe Pläne, Menschen über die Bedeutung des Bereichs der psychischen Gesundheit zu schulen, zu ermutigen und aufzuklären. Dies brauche, so al-Rudaini, jedoch Zeit.

Die Hilforganisationen Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF), Première Urgence Internationale und SEED bieten eigenen Angaben zufolge psychologsiche Betreuung allen voran für Binnenvertriebene und RückkehrerInnen im Irak und der Autonomen Region Kurdistan an. Es wird jedoch nicht erwähnt, wo diese Dienste genau angeboten werden.

Medikamentöse Behandlung psychischer Erkrankungen: Verfügbarkeit von Antidepressiva und (sedierenden) Antipsychotika

Es konnten keine Informationen zur Verfügbarkeit der in der Anfrage angeführten Antidepressiva und Antipsychotika Sertralin (Wirkstoff: Sertralin), Zyprexa Olanzapin (Wirkstoff: Olanzapin), Dominal forte (Wirkstoff: Prophipendyl) und Abilify (Wirkstoff: Aripiprazol) gefunden werden. Wir haben diesbezüglich ExpertInnen kontaktiert. Sollten wir eine Antwort erhalten, werden wir diese umgehend an Sie weiterleiten.

Folgende Informationen beziehen sich auf die Verfügbarkeit von Antidepressiva und Antipsychotika allgemein:

Dr. Ameel Al Shawi von der medizinischen Hochschule an der Universität Falludscha führt in seiner E-Mail-Auskunft vom Februar 2019 an, dass Antidepressiva und Antipsychotika seines Wissens nach grundsätzlich verfügbar seien. Aufgrund von finanziellen Problemen würde zu manchen Zeiten allerdings Knappheit herrschen. (Al Shawi, 6. Februar 2019)

In einer im November 2016 von der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) veröffentlichten Sonderausgabe der medizinischen Fachzeitschrift CliniCum neuropsy zur medikamentösen Behandlung von Schizophrenie werden Aripiprazol, Olanzapin, Paliperidon und Risperidon derselben Wirkstoffklasse, den atypischen Antipsychotika, zugeordnet. (Kasper et al., November 2016, S. 16-17). Die atypischen Antipsychotika seien "strukturell und pharmakodynamisch eine heterogene Gruppe und unterscheiden sich dadurch auch hinsichtlich der unerwünschten Arzneimittelwirkungen."

In der bereits erwähnten Anfragebeantwortung vom Juni 2017[1] schreibt die BFA Staatendokumentation zur Verfügbarkeit des Antipsychotikums Risperidon [ein Wirkstoff derselben Wirkungsstoffklasse wie Olanzapin und Aripiprazol, Anm. ACCORD] in Bagdad Folgendes:

"Zu dieser Fragestellung berichtete IOM, dass die erwähnten Medikamente manchmal in öffentlichen Krankenhäusern verfügbar sind. Allerdings haben die Patienten aufgrund fehlender Finanzierung keine Garantie dafür, dass sie diese Medikamente im Krankenhaus erhalten. Sehr häufig müssen die Patienten ihre Medikamente in privaten Apotheken kaufen".

Eine Anfragebeantwortung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom Februar 2017 an die Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befasst sich unter anderem mit der medizinischen Versorgung bei psychischen Erkrankungen in Erbil. Laut dieser Anfragebeantwortung sei das Antipsychotikum Invega (Wirkstoff: Paliperidon) [ein Wirkstoff derselben Wirkungsstoffklasse wie Olanzapin und Aripiprazol, Anm. ACCORD] in Erbil nicht erhältlich.

Die belangte Behörde gab, nach Beschwerdeerhebung, eine Anfrage zur psychiatrischen Betreuung im Irak in Auftrag. Aus dieser Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu "Schizophrenie, Anpassungs- und Belastungsstörung" vom 13.08.2019 ergibt sich, dass laut MedCOI in Bagdad stationäre Behandlungen durch Psychiater und Psychologen und die Medikamente Ixel (Wirkstoff: Milnacipran), Risperidon (Wirkstoff: Risperidon) und Zyprexa (Wirkstoff: Olanzapin) im Irak verfügbar sind.

1.5. Zur sonstigen Situation im Irak:

Zur aktuellen Situation im Irak werden auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation und von Berichten von EASO und UNHCR folgende Feststellungen getroffen:

1.5.1. Zur Sicherheitssituation in Bagdad

Obwohl die terroristischen Aktivitäten im Irak deutlich zurückgegangen sind, stellt der Islamische Staat (IS) nach wie vor eine Bedrohung dar (SCR 30.4.2019). Nachdem der IS am 23.3.2019 in Syrien das letzte von ihm kontrollierte Territorium verloren hatte (ISW 19.4.2019), kündigte er Anfang April einen neuen Feldzug an, um den Gebietsverlust in Syrien zu rächen (Joel Wing 3.5.2019).

Laut Joel Wing ist Bagdad ist allerdings eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine "Unterstützungszone" im südwestlichen Quadranten der "Bagdad-Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019) .

Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019).

Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).

In Ergänzung zu diesen Feststellungen des Länderinformationsblattes ergibt sich aus den Berichten von EASO und UNHCR Folgendes:

Im Dezember 2017 wurde, nach einem dreijährigen Kampf, von der irakischen Regierung der Sieg über den Islamischen Staat (IS) erklärt. Seither gibt es keine großflächigen Militäraktionen mehr und wurden die Attacken des IS im Laufe des Jahres 2018 weniger. Trotzdem bleibt der IS als terroristische Organisation eine Gefahr und in der Lage, landesweit Anschläge zu verüben. Insbesondere in den zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Regierung der Autonomen Region Kurdistan umstrittenen Gebiete ist ein Sicherheitsvakuum entstanden und der IS wieder vermehrt aktiv (Auswärtiges Amt 4).

In Bagdad hat sich die Sicherheitssituation im Wesentlichen stabilisiert. 2018 blieb der IS noch in den kleinen Dörfern rund um Bagdad aktiv und hat gelegentlich zivile Ziele angegriffen; seine entsprechende Kapazität, um größere Anschläge zu verüben, hat sich aber stark reduziert (UNHCR, Considerations 19). Die Anzahl der Entführungen hat in den letzten Jahren in Bagdad massiv abgenommen, allerdings gibt es noch immer gezielte Tötungen von exponierten Personen (UNHCR, Considerations 19). Bagdad ist eine der wenigen Regionen des Irak, in der es noch eine gemischte Bevölkerung aus Sunniten, Schiiten und Christen gibt, wenn auch seit 2006 eine zunehmende Aufteilung der Stadtviertel anhand religiöser Grenzen erfolgt ist (EASO, Key socio-economic Factors 29).

Quellen:

Der Standard (19.5.2019): Rakete schlägt in Grüner Zone in Bagdad ein, https://derstandard.at/2000103450186/Rakete-schlaegt-in-Gruener-Zone-in-Bagdad-ein. Zugriff 14.6.2019

ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html. Zugriff 17.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (1.5.2019): Security In Iraq Apr 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/securitv-in-iraq-apr-22-28-2019.html. Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new- offensive.html, Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State's Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html. Zugriff 14.6.2019

Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State's Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html. Zugriff 3.7.2019

SCR - Security Council Report (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast. https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2019-05/iraq-3.php. Zugriff 1.7.2019

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 12.01.2019.

EASO, Country of Origin Information Report: Iraq - Key socio-economic indicators, Februar 2019.

EASO, Country of Origin Information Report: Iraq - Security situation (supplement) - Iraq Body Count - civilian deaths 2012, 2017-2018, Februar 2019.

UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

1.5.2. Zu den Milizen im Irak:

Aus den Berichten von EASO und UNHCR ergibt sich Folgendes:

Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul einnahm, rief Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Kleriker im Land, dazu auf, den Staat bei der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Zehntausende Männer folgten dem Aufruf des Klerikers und sammelten sich unter dem losen Dachverband der Volksverteidigungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF). Circa 50 Milizen mit insgesamt 45.000 bis 142.000 Kämpfern sind unter diesem Dachverband gruppiert. Von manchen Quellen wird die arabische Bezeichnung der PMF, Al-Haschd Asch-Schaabi (Al-Hashd Al-Sha'abi), verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind Popular Mobilization Units (PMU) oder einfach nur "Hashd" (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im November 2016 wurde mit Unterstützung des schiitischen Blocks im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Legalisierung der PMF und deren Einrichtung als separate militärische Einheit vorsieht, die dem Premierminister untersteht. Die PMF-Milizen erhalten ihren Sold aus der Staatskasse. Seit Ende 2017, als die irakische Regierung offiziell den Sieg über den IS verkündete, haben die PMF neben ihren kämpferischen Funktionen ihren Wirkungsbereich ausgeweitet. So verfügen sie über einen eigenen Parteienblock im Parlament und haben insbesondere in den vom IS zurückgewonnenen Gebieten im Zuge des Wiederaufbaus Wirtschaftssektoren übernommen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen. Nachdem der Parteienblock der PMF, genannt Fatah, bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 die zweitstärkste Kraft wurde, erließ das Parlament im November 2018 ein Gesetz, das den PMF-Kämpfern den gleichen Lohn und manche der Vorzüge von Soldaten der irakischen Armee garantiert. Im Jänner 2019 wurde den PMF laut lokalen Medienberichten die Kontrolle über eine der größten in Staatsbesitz befindlichen Baufirmen übertragen. Die PMF-Kämpfer könnten folglich in Zukunft dafür eingesetzt werden, Straßen zu bauen und Häuser wieder instand zu setzen. Anfang Juli erließ Premierminister Abd Al-Mahdi ein Dekret, in dem er alle PMF-Milizen dazu aufforderte, sich bis zum 31. Juli den regulären Sicherheitskräften anzugliedern oder nur mehr als politische Bewegung zu fungieren. Die Milizenführer der Badr-Organisation, der Asa'ib Ahl al-Haq sowie Milizenführer Muqtada Al-Sadr gaben ihre Zustimmung bekannt. Laut Renad Mansour von der britischen Denkfabrik Chatham House ist das Ziel der PMF-Führung, Teil des Staates zu werden, um so Kontrolle über diesen zu erlangen (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distriktvorsteher und andere Amtsträger auszuüben (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019[vii]). Seit 2003 ist der Irak von verschiedenen bewaffneten Konflikten geprägt. Der dreijährige Konflikt mit dem Islamische Staat hat einen Aufstieg der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die man unter PMU (Popular Mobilization Units) zusammenfasst, ermöglicht. Sie waren maßgeblich an der Vertreibung des IS beteiligt und genießen hohe Anerkennung unter der schiitischen Bevölkerung. In den PMU sind Dutzende bewaffnete Gruppen mit unterschiedlichen Zielen und Programmen zusammengefasst. 2016 wurde die PMF zu einer "independent military formation as part of the Iraqi armed forces and linked to the Commander-in Chief". Im März 2018 wurden Millizangehörige den Angehörigen der Sicherheitskräfte gleichgestellt, auch etwa in Bezug auf den Lohn; dennoch variiert das Ausmaß der Integration in den Staatsapparat und gibt es Teile der Milizen innerhalb und außerhalb der formellen Sicherheitskräfte (UNHCR, Considerations 14). Der faktische Einfluss der Regierung und ihrer Sicherheitsorgane auf die Milizen ist nicht zuverlässig sichergestellt (Auswärtiges Amt 4).

Einige PMF Gruppen sind verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen gegenüber IS-Verdächtigen, Kritikern und Personen, die sich nicht strikt an die Vorgaben einer konservativen Islamauslegung halten (UNHCR, Considerations 15). Die im Kampf gegen den IS mobilisierten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Strukturen (Auswärtiges Amt 16). Laut EASO werden die PMF generell auch als Kräfte des Staates angesehen (EASO, Guidance 43)

Die Rekrutierung durch die PMF ist gänzlich freiwillig. Einige treten bei, weil das Gehalt attraktiv ist, zugleich gelten die Milizen als einflussreich und beliebt, weil sie entscheidend zum Sieg über den IS beigetragen haben. Zwangsrekrutierungen finden nicht statt, wenn auch auf einige Personen sozialer Druck ausgeübt worden sein will beizutreten (EASO, Guidance 54).

Milizen in Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, Security Situation 75).

Im Juni 2018 berichtet das Long War Journal (LWJ) über Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der irakischen Polizei und Kämpfern der irakischen Hisbollah-Brigaden (Kata'ib Hisbollah) in Bagdad. Bei dem Schusswechsel sind laut Angaben einer anonymen Quelle aus Sicherheitskreisen mindestens drei Personen verletzt worden. Im August 2018 räumen Asa'ib Ahl al-Haqq ein, dass rund 50 ihrer Milizkämpfer in Bagdad Verbrechen, darunter Plünderung, Erpressung, Entführungen und Morde verübt haben, um an Geld zu gelangen. Der irakische Innenminister gibt im Oktober 2018 bekannt, seine Mitgliedschaft in der Badr-Organisation auszusetzen. Zuvor hat der schiitische Kleriker Muqtada Al-Sadr verkündet, dass die Ministerien für Inneres und Verteidigung von unabhängigen Personen geleitet werden sollten. Al-Arabiya bezeichnet im Dezember 2018 den gerade vom Provinzrat gewählten Provinzgouverneur von Bagdad als Person mit Naheverhältnis zur Miliz Kata'ib Hisbollah. Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa'ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne. Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor (MEMO)[xviii] unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden. Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat. Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen. Laut einer Meldung auf Sumer News vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern (ACCORD, Schiitische Milizen).

Quellen:

* UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

* Austrian Centre for Country of origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Schiitische Milizen im Irak, 22.07.2019.

* EASO, Country of Origin Information Report: Iraq - Security situation, März 2019.

* EASO, Country Guidance: Iraq (Juni 2019).

1.5.3. Zur Versorgungslage im Irak und zur Rückkehr:

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 25.07.2019 wird festgestellt:

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staates und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018).

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 119 von 126

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt.

Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen

angeboten (IOM 13.6.2018).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

Wasserversorgung

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

Nahrungsversorgung

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-AW - The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq's ailing economy liberate itself in 2018?, https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018, Zugriff 15.10.2018

-Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf, Zugriff 15.10.2018

-Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 15.10.2018

-FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 15.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 20.11.2018

-Iraqi News (28.8.2018): Iraq's Basra declares 17000 infection cases from water pollution, https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/, Zugriff 15.10.2018

-IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf, Zugriff 15.10.2018

-UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20Iraq%20Humanitarian%20Bulletin%20-%20August%202018.pdf, Zugriff 15.10.2018

-USAID - Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture https://www.usaid.gov/iraq/agriculture, Zugriff 16.10.2018

- USAID - Unites States Agency for International Development (23.2.2018): Food Assistance

Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/Iraq_-

_Country_Fact_Sheet.pdf, Zugriff 15.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights

Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

- WB - The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018,

https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018, Zugriff

16.10.2018

- WB - The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview,

http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview, Zugriff 15.10.2018

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft,

https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2018

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570, Zugriff 20.11.2018

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zum Irak und in die oben zitierten Anfragebeantwortungen von ACCORD sowie der Staatendokumentation. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Herkunft sowie der Volkszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen diesbezüglich glaubhafte Angaben vor der belangten Behörde (Protokoll vom 22.01.2018). Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines vorgelegten irakischen Personalausweis fest.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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