TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/30 W161 2229660-1

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Veröffentlicht am 30.03.2020
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Entscheidungsdatum

30.03.2020

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W161 2229662-1/2E

W161 2229660-1/2E

W161 2229659-1/2E

W161 2229657-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. mj. XXXX , geb. XXXX , 3. mj. XXXX , geb. XXXX , 4. mj. XXXX , geb. XXXX , 2. - 4. gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle StA. Russische Föderation, sämtliche vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2019, Zl. 1258089800-200063072 (1.), Zl. 1258092305-2000063340 (2.), Zl. 1258092708-200063425 (3.), Zl. 1258092403-200063382 (4.) zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gem. § 5 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer. Die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die BF gelangten illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellten am 17.01.2020 Anträge auf internationalen Schutz.

Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer.

In der polizeilichen Erstbefragung am 17.01.2020 gab die BF1 an, dass sie keine an der Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten habe. Sie habe ihren Herkunftsstaat am 10.11.2019 verlassen und sei über Weißrussland nach Litauen gelangt, wo sie sich ca. zwei Monate aufgehalten habe. Sie habe in Litauen um Asyl angesucht. Nach Antragstellung sei sie dort einvernommen worden und in ein Lager gekommen. Sie habe die Ablehnung ihres Asylantrages bekommen, aber noch nichts schriftlich erhalten, das Ergebnis sei ihr von einer Sozialarbeiterin am 14.01.2020 im Lager mitgeteilt worden. Wenn sie nach Litauen zurück müsste, sei Russland gleich in der Nähe und das sei gefährlich für sie. Als Fluchtgrund gab sie an, sie sei von ihrem Mann weggelaufen, da er sie geschlagen habe und Vorstrafen gehabt hätte. Bei einer Rückkehr in die Heimat würde sie sich vor ihrer eigenen Familie (Vater und Brüder) fürchten, da sie ihren Mann verlassen habe.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) richtete unter genauer Wiedergabe der Angaben der BF zu ihrem Reiseweg am 22.01.2020 auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Feststellung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO), gestützte Wiederaufnahmeersuchen an Litauen.

Mit Schreiben vom 04.02.2020 stimmten die litauischen Behörden den Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO für die BF ausdrücklich zu.

Am 27.02.2020 fand die niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem BFA statt. Sie gab an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Ihre Angaben bei der Erstbefragung würden der Wahrheit entsprechen. Sie sei erstmals in Österreich und habe ansonsten keinen Bezug zu Österreich. Sie habe Gründe, warum sie nicht nach Litauen möchte. Sie sei vor ihrem Mann geflüchtet, aus Angst, dass er ihr ihre Kinder wegnehmen werden. Litauen liege in der Nähe von Russland und sei es leicht, sie dort zu finden. Sie habe in Litauen keine Probleme gehabt und habe es keine Vorfälle gegeben. Sie habe in Litauen nur einen Asylantrag gestellt und sonst nichts. Auch ihre Kinder hätten in Litauen keine Probleme gehabt, aber ihre Kinder seien sehr oft krank. Befragt nach dem aktuellen Gesundheitszustand der Kinder gab die BF1 an, dem jüngsten Sohn gehe es in letzter Zeit nicht so gut. Er habe juckenden Ausschlag und könne nicht so gut schlafen. Die Älteren seien gesund. Sie seien zwei Monate in Litauen gewesen. Sie sei mit ihrem Sohn XXXX in Litauen beim Arzt gewesen, er habe eine Kinderkrankheit, Masern, gehabt. Sie sei geflüchtet, weil ihr Mann ihr die Kinder habe wegnehmen wollen. Ihr Mann werde sie in Litauen finden, weil es nicht weit von Russland entfernt sei und wie das ausgehe, wisse sie nicht. Wenn ihr Mann ein normaler Mensch gewesen wäre, wäre sie nicht mit einem vier Monate alten Baby geflüchtet.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Litauen für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 (zu ergänzen jeweils: Abs. 1 lit. b) zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Litauen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Litauen wurden in den angefochtenen Bescheiden wie folgt zusammengefasst (unkorrigiert):

1. Allgemeines zum Asylverfahren

Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (MD 25.1.2014; vgl. MD 13.3.2015, RoL 28.4.2015, FAFO 2017, USDOS 20.4.2018; für weitere Informationen siehe dieselben Quellen).

Quellen:

- FAFO - Fafo Research Foundation (2017): Anne Brunovskis (author): Asylum, integration and irregular migration in Lithuania. Policy and practice at the edge of the European Union, https://www.fafo.no/index.php/zoo-publikasjoner/fafo-rapporter/item/asylum-integration-and-irregular-migration-in-lithuania, Zugriff 2.11.2018

- MD - Migracijos Departamentas (25.1.2014): Examining an application, http://www.migracija.lt/index.php?21088311, Zugriff 29.10.2018

- MD - Migracijos Departamentas (13.3.2015): Granting of Asylum, http://www.migracija.lt/index.php?1976995706, Zugriff 29.10.2018

- RoL - Republic of Lithuania (28.4.2015): Law on the legal status of aliens, https://e-seimas.lrs.lt/portal/legalAct/lt/TAD/d7890bc0fa2e11e4877aa4fe9d0c24b0?jfwid=181l7li0hc, Zugriff 29.10.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lithuania, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430320.html, Zugriff 29.10.2018

2. Dublin-Rückkehrer

Nach Art. 72 (3) des litauischen Gesetzes über den legalen Status von Fremden, muss Litauen einen Asylantrag inhaltlich prüfen, wenn es für die Abwicklung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß Artikel 76 (2), ist Asylwerbern, die im Rahmen des Dublin-Abkommens nach Litauen zurückgeschickt werden, weil Litauen für deren Verfahren zuständig ist, temporäres territoriales Asyl zuzusprechen (RoL 28.4.2015).

Der Zugang zum Asylverfahren nach Dublin Rücküberstellung ist vom Stand des Verfahrens in Litauen abhängig. Wenn ein Dublin-Rückkehrer in Litauen noch keinen Antrag gestellt hat, kann er dies nach seiner Rückkehr tun (EASO 24.10.2017).

Entzieht sich ein Antragsteller dem Verfahren, wird dieses suspendiert und neun Monate später eingestellt. Wurde das Verfahren eines Rückkehrers in der Zwischenzeit eingestellt, kann ein neuer Antrag gestellt werden (EASO 24.10.2017).

Wurde das Verfahren eines Rückkehrers bereits rechtskräftig abgeschlossen, kann ein neuer Antrag gestellt werden (EASO 24.10.2017).

Ist das Verfahren eines Dublin-Rückkehrers suspendiert, kann dieses fortgesetzt werden (EASO 24.10.2017).

Wenn das Verfahren eines Dublin-Rückkehrers noch läuft, etwa weil er vom Ausgang seines Verfahrens noch nicht in Kenntnis gesetzt wurde oder weil noch ein Beschwerdeverfahren anhängig ist, kann das Verfahren fortgesetzt werden (EASO 24.10.2017).

Dublin-Rückkehrer haben in Litauen ohne Unterschied dieselben Ansprüche betreffend Unterbringung und medizinische Versorgung wie andere Asylwerber auch (EASO 24.10.2017).

Quellen:

- EASO - European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query. Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail

- RoL - Republic of Lithuania (28.4.2015): Law on the legal status of aliens, https://e-seimas.lrs.lt/portal/legalAct/lt/TAD/d7890bc0fa2e11e4877aa4fe9d0c24b0?jfwid=181l7li0hc, Zugriff 29.10.2018

3. Non-Refoulement

Die litauischen Behörden erlauben Asylwerbern, die aus sicheren Herkunfts- oder Drittstaaten kommen, nicht den Zutritt zum Territorium. Stattdessen werden sie ohne inhaltliche Überprüfung des Vorbringens in selbige zurückgeschickt (USDOS 20.4.2018).

Solche Fälle gibt es pro Jahr nur wenige. Diese Regelung gilt nicht für unbegleitete Minderjährige und auch nicht bei EU-Mitgliedsstaaten, denn dann gelten die Dublin-Bestimmungen (FAFO 2017).

Quellen:

- FAFO - Fafo Research Foundation (2017): Anne Brunovskis (author): Asylum, integration and irregular migration in Lithuania. Policy and practice at the edge of the European Union, https://www.fafo.no/index.php/zoo-publikasjoner/fafo-rapporter/item/

asylum-integration-and-irregular-migration-in-lithuania, Zugriff 2.11.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lithuania, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430320.html, Zugriff 29.10.2018

4. Versorgung

In Litauen gibt es zwei Zentren zur Unterbringung von Fremden. Asylwerber werden bis zum Ende ihres Verfahrens im Fremdenregistrierungszentrum (FRC) in Pabrade untergebracht. Das umfasst auch eine eventuelle Beschwerdephase. Die Asylbehörde kann auch eine private Unterbringung genehmigen. Während eines Aufenthalts in einer Unterkunft, die von den Behörden der Republik Litauen zur Verfügung gestellt wird, hat ein Asylbewerber das Recht alle Aufnahmeeinrichtungen zu nutzen. Er hat das Recht auf Information über seine Rechte und Pflichten und auf staatlich garantierte Prozesskostenhilfe, kostenlose Dienste eines Dolmetschers, kostenlose medizinische Grundversorgung und soziale Leistungen in den Zentren (MIPAS 24.11.2017). Abgesehen vom offenen Bereich für Antragsteller besitzt Pabrade auch einen geschlossenen Bereich für illegale Migranten. Die Unterbringungsbedingungen in Pabrade haben sich in den letzten Jahren sehr verbessert und werden als sehr gut beschrieben, jedoch gibt es auch Stimmen, die es für langfristige Unterbringung als ungeeignet empfinden und weitere Verbesserungen fordern (FAFO 2017).

Die Kapazitäten der beiden Zentren betragen 98 Plätze im geschlossen Bereich von Pabrade und 88 Plätze im offenen Bereich, sowie 20 Plätze in Rukla. Alle Antragsteller in Litauen erhalten ein Taggeld in Höhe von EUR 10,- im Monat. Nahrung und Hygieneartikel werden vom Zentrum zur Verfügung gestellt (EASO 2.2016; vgl FAFO 2017).

Asylwerber haben während ihr Verfahren anhängig ist keinen Zugang zum Arbeitsmarkt (FAFO 2017).

Quellen:

- FAFO - Fafo Research Foundation (2017): Anne Brunovskis (author): Asylum, integration and irregular migration in Lithuania. Policy and practice at the edge of the European Union, https://www.fafo.no/index.php/zoo-publikasjoner/fafo-rapporter/item/

asylum-integration-and-irregular-migration-in-lithuania, Zugriff 2.11.2018

- MIPAS - Platform for Migration Information and Cooperation (24.11.2017): Receipt of Asylum Seekers and Asylum System, http://mipas.lt/en/2017/11/24/receipt-of-asylum-seekers-and-asylum-system/, Zugriff 31.10.2018

4.1. Unbegleitete Minderjährige (UM) / Vulnerable

Für Vulnerable gelten besondere Aufnahmebedingungen gemäß ihrer Bedürfnisse (MIPAS 24.11.2017).

Der zweite Stock des offenen Bereichs des Fremdenregistrierungszentrums (FRC) Pabrade, wo Asylwerber bis zum Ende ihres Verfahrens untergebracht werden, ist für Familien reserviert (MIPAS 24.11.2017; vgl. FAFO 2017). Fehlende Spielmöglichkeiten für Kinder im Außenbereich werden kritisiert. Die NGO Vilnius Caritas füllt diese Lücke mit dem Caritas Day Center in Pabrade, wo verschiedene Aktivitäten angeboten werden, ist aber von EU-Finanzierung abhängig. Alle im Land aufhältigen Kinder unterliegen der Schulpflicht. Im Zentrum Pabrade untergebrachte Kinder besuchen die lokale Schule (FAFO 2017).

Im Unterbringungszentrum für Flüchtlinge in Rukla (RCR) werden unbegleitete Minderjährige (UM) und Schutzberechtigte im Integrationsprozess untergebracht (RPPC o.D.; vgl. MIPAS 24.11.2017). UM können bis zum 18. Geburtstag in einem eigenen Bereich des Zentrums untergebracht werden (RPPC o.D.a) und erhalten neben Unterbringung auch medizinische, soziale und rechtliche Versorgung, Sprachtraining und Zugang zu Kindergartenbetreuung bzw. Schulbildung in Schulen im Bezirk Jonava. Unbegleitete Minderjährige, egal welchen rechtlichen Status sie haben, erhalten einen temporären Vormund der ihr bestes Interesse zu beachten hat. Das Zentrum arbeitet mit dem Children's Rights Protection Service Jonava und den Schulen in Jonava und Rukla zusammen (RPPC o.D.; vgl. RPPC o.D.c). Es gibt in Rukla auch die Möglichkeit zu psychologischer Versorgung (RPPC o.D.b).

Quellen:

- FAFO - Fafo Research Foundation (2017): Anne Brunovskis (author): Asylum, integration and irregular migration in Lithuania. Policy and practice at the edge of the European Union, https://www.fafo.no/index.php/zoo-publikasjoner/fafo-rapporter/item/

asylum-integration-and-irregular-migration-in-lithuania, Zugriff 2.11.2018

- MIPAS - Platform for Migration Information and Cooperation (24.11.2017): Receipt of Asylum Seekers and Asylum System, http://mipas.lt/en/2017/11/24/receipt-of-asylum-seekers-and-asylum-system/, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.): Arriving foreigners, http://www.rppc.lt/3733/, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.a): General information about centre, http://www.rppc.lt/3221/activity.html, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.b): State support for integration for FGA in Center. Psychological assistance, http://www.rppc.lt/9906/services/state-support-for-integration-for-fga-in-center.html, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.c): Activity with unaccompanied minors, http://www.rppc.lt/9919/services/activity-with-unaccompanied-minors.html, Zugriff 31.10.2018

4.2. Medizinische Versorgung

Asylwerber erhalten im Rahmen der allgemeinen Krankenversorgung notwendige medizinische Versorgung (zum Unterschied von lediglich Notfallversorgung einerseits und vollem Zugang zu medizinischer Versorgung andererseits). Vulnerable Antragsteller haben Zugang zu psychologischer Unterstützung (EASO 2.2016).

Während eines Aufenthalts in einer Unterkunft, die von den Behörden der Republik Litauen zur Verfügung gestellt wird, hat ein Asylbewerber das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung im Zentrum (MIPAS 24.11.2017).

Im Unterbringungszentrum für Flüchtlinge in Rukla (RCR) erhalten Schutzberechtigte und unbegleitete Minderjährige medizinische Versorgung (RPPC o.D.).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Quality Matrix Report: Reception conditions, per E-Mail

- MedCOI - Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

- MIPAS - Platform for Migration Information and Cooperation (24.11.2017): Receipt of Asylum Seekers and Asylum System, http://mipas.lt/en/2017/11/24/receipt-of-asylum-seekers-and-asylum-system/, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.): Arriving foreigners, http://www.rppc.lt/3733/, Zugriff 31.10.2018

5. Schutzberechtigte

Anerkannte Flüchtlinge erhalten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für fünf Jahre, subsidiär Schutzberechtigte eine solche für zwei Jahre (FAFO 2017). Für Schutzberechtigte beginnt im Unterbringungszentrum für Flüchtlinge in Rukla (RCR) die erste Integrationsphase. Diese umfasst medizinische Versorgung, Bildung, soziale und andere Leistungen sowie finanzielle Unterstützung. Mehrere Ministerien und NGOs sind in die Integration Schutzberechtigter involviert (MIPAS 24.11.2017). Während der Integrationsphase erhalten Schutzberechtigte EUR 71,40 im Monat als Handgeld. Die Unterbringungsbedingungen in Rukla liegen über jenen in Pabrade, es gibt dort auch sowohl innen wie auch im Außenbereich ein umfangreiches Freizeitangebot für Erwachsene und Kinder (FAFO 2017).

Das RCR Rukla ist zuständig für die Unterbringung und soziale Integration von Schutzberechtigten sowie für die temporäre Unterbringung von unbegleiteten Minderjährigen während ihres Verfahrens (RPPC o.D.a: vgl. UNHCR 9.2014). Integrationsunterstützung in Rukla wird normalerweise für drei Monate gewährt, kann aber unter Umständen auf sechs Monate verlängert werden, besonders bei Vulnerabilität (FAFO 2017). In Rukla erhalten die Schutzberechtigten neben Unterbringung auch medizinische und soziale Versorgung, sowie intensives Sprach- und Jobtraining. Die Mitarbeiter des Zentrums helfen bei der Arbeitssuche und der Integration (RPPC o.D.; vgl. UNHCR 9.2014). Nach dem Verlassen des Zentrums Rukla ist für Schutzberechtigte Integrationsunterstützung in einer Gemeinde für 12 Monate möglich (RPPC o.D.d; vgl. UNHCR 9.2014). Die Integration in den Gemeinden wird vom Litauischen Roten Kreuz betreut. Die teilnehmenden Schutzberechtigten erhalten für die ersten sechs Monate EUR 204,-- und für die folgenden sechs Monate EUR 102,-- an Integrationsunterstützung, was als zu niedrig kritisiert wird. Die meisten Schutzberechtigten verlassen jedoch Litauen bald nachdem sie ein Reisedokument erhalten haben. Es gibt Berichte über Schwierigkeiten bei der Suche nach Wohnung und Arbeit (FAFO 2017).

Quellen:

- FAFO - Fafo Research Foundation (2017): Anne Brunovskis (author): Asylum, integration and irregular migration in Lithuania. Policy and practice at the edge of the European Union, https://www.fafo.no/index.php/zoo-publikasjoner/fafo-rapporter/item/asylum-integration-and-irregular-migration-in-lithuania, Zugriff 2.11.2018

- MIPAS - Platform for Migration Information and Cooperation (24.11.2017): Receipt of Asylum Seekers and Asylum System, http://mipas.lt/en/2017/11/24/receipt-of-asylum-seekers-and-asylum-system/, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.): Arriving foreigners, http://www.rppc.lt/3733/, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.a): General information about centre, http://www.rppc.lt/3221/activity.html, Zugriff 31.10.2018

- RPPC - Homepage des Flüchtlingsaufnahmezentrums Rukla (o.D.d): State support for integration for FGA in municipalities. http://www.rppc.lt/9925/services/state-support-for-integration-for-fga-in-municipalities.html, Zugriff 31.10.2018

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (9.2014): Integration of refugees in Lithuania, Participation and Empowerment, http://www.refworld

.org/pdfid/58a486e34.pdf, Zugriff 3.5.2017

Beweiswürdigend wurde festgehalten, die BF seien Staatsbürger der Russischen Föderation. Die BF würden an keinen Erkrankungen leiden, die ihrer Überstellung nach Litauen im Wege stünden. Abhängigkeiten beziehungsweise eine besonders enge Beziehung zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen oder österreichischen Staatsangehörigen seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, das die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen würde, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sei nicht erschüttert worden und habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben.

Gegen die Bescheide richtet sich die im Namen aller BF fristgerecht eingebrachte Beschwerde, worin zusammengefasst vorgebracht wurde, die Erstbehörde habe es unterlassen, ausführliche Recherchen hinsichtlich des Vorbringens der BF durchzuführen. Die BF1 sei der Meinung, dass sie durch die litauischen Sicherheitsbehörden nicht ausreichend geschützt werden würde. Sollte ihr Mann sie ausfindig machen, werde er ihr die Kinder wegnehmen. Es wäre nicht möglich, diesbezüglich von der Polizei oder den Sicherheitsbehörden im Vorfeld den notwendigen Schutz zu erhalten. Die belangte Behörde habe sich mit der geschilderten Gefahr nicht ausreichend auseinandergesetzt und würden die BF durch die Vornahme der Außerlandesbringung nach Litauen in ihrem Recht nach Art. 3 EMRK verletzt werden. Der angefochtene Bescheid lasse eine nachvollziehbare Begründung für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Überstellung nach Litauen im Hinblick auf Art. 3 EMRK vermissen. Ohne diese Garantie sei eine Abschiebung nach Litauen nicht zumutbar und stelle eine Verletzung nach Art.3 EMRK dar.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF reisten im November 2019 illegal über Weißrussland in das Gebiet der Mitgliedsstaaten in Litauen ein, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz einbrachten. Nach einem Aufenthalt von ca. zwei Monaten reisten sie weiter nach Österreich, wo sie jeweils am 17.01.2020 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stellen.

Das BFA richtete am 22.01.2020 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO gerichtetes Wiederaufnahmeersuchen an Litauen.

Mit Schreiben vom 04.02.2020 stimmten die litauischen Behörden der Wiederaufnahme der BF gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b. Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

Besondere, in der Person der BF gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Litauen sprechen würden, liegen nicht vor.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen der angefochtenen Bescheide zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Litauen an.

Es kann nicht erkannt werden, dass im litauischen Asyl- und Rechtssystem relevante systemische Mängel bestehen würden. Ebenso kann nicht erkannt werden, dass die litauischen Behörden Sonderpositionen gegenüber Antragstellern aus der Russischen Föderation vertreten würden.

Die BF leiden an keinen akuten lebensbedrohlichen Erkrankungen, die eine Überstellung nach Litauen als reale Gefahr iSd Art. 3 EMRK erscheinen lassen könnten. Für den Zweit-BF wurde lediglich angegeben, er habe einen juckenden Ausschlag und könne nicht so gut schlafen. Ärztliche Befunde wurden für keinen der BF vorgelegt.

Die BF haben in Österreich keine besonderen privaten oder familiären Bindungen.

Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 30.03.2020, 9.200 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 86 Todesfälle; in Litauen wurden zu diesem Zeitpunkt 484 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bislang kein diesbezüglicher Todesfall bestätigt wurde.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Reiseweg der BF gründen sich auf die Aktenlage und die Angaben der BF1. Die BF reisten gemeinsam in Österreich ein und stellten zeitgleich Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Feststellungen zur Asylantragstellung in Litauen gründen sich auf die Angaben der BF1 sowie auf die Korrespondenz mit den litauischen Dublin-Behörden, die der Wiederaufnahme der BF ausdrücklich gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b zugestimmt haben.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF beruhen auf der Aktenlage und den Angaben der BF. Diesbezüglich wurde kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren.

Die festgestellten persönlichen Verhältnisse der BF folgen aus den eigenen Angaben und der damit im Einklang stehenden Aktenlage.

Eine die BF konkret betreffende Bedrohungssituation in Litauen wurde nicht ausreichend substantiiert und glaubhaft vorgebracht.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat ergibt sich aus den umfangreichen und durch ausreichend aktuelle Quellen belegte Länderfeststellungen der angefochtenen Bescheide, die auf alle entscheidungswesentlichen Fragen eingehen.

Die unter Pkt. II.1.4.6. getroffenen unstrittigen Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen.

Schließlich ist im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie aufgrund des Corona-Virus festzuhalten, dass die BF1 aktuell 24 Jahre alt ist und an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet, womit er nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt (s. Pkt. II.1.4.6.). Kinder sind bislang von der Erkrankung nicht betroffen. Ein bei einer Überstellung der Beschwerdeführer nach Litauen vorliegendes "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK ist somit auch hierzu nicht erkennbar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 21 Abs. 5 BFA-VG idgF lautet:

§ 21 (5) Wird gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben und hält sich der Fremde zum Zeitpunkt der Erlassung der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet auf, so hat das Bundesverwaltungsgericht festzustellen, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig war. War die aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht rechtmäßig, ist die Wiedereinreise unter einem zu gestatten.

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine

Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 11 Familienverfahren

Stellen mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:

a) zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils von ihnen zuständig ist;

b) andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist.

Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Art. 18 Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird.

In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Art. 20 Einleitung des Verfahrens

(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.

(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.

(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen

Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

Art. 25 Antwort auf ein Wiederaufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

(2) Wird innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von einem Monat von zwei Wochen gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Die Verpflichtung Litauens zur Wiederaufnahme der BF ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO, da die BF in Litauen um internationalen Schutz angesucht haben.

Anhaltspunkte, dass die Zuständigkeit Litauens in der Zwischenzeit untergegangen sein könnte, sind nicht in ausreichend substantiiertem Ausmaß vorhanden.

Auch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO (humanitäre Klausel) ergibt sich keine Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz (siehe hiezu unten).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sofern die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben sollte, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Das BFA hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keinen Gebrauch gemacht. Es ist daher zu prüfen, ob von diesem im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK oder der GRC zwingend Gebrauch zu machen wäre.

Mögliche Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK:

Gemäß Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK darf niemand Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs.

Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung (nunmehr Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung) auszuüben ist, hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, N.S./Vereinigtes Königreich, (zu vergleichbaren Bestimmungen der Dublin II-VO) befasst und, ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Entscheidung vom 02.12.2008, 32733/08, K.R.S./Vereinigtes Königreich, sowie deren Präzisierung mit der Entscheidung des EGMR vom 21.01.2011, 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat, sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten (Rn. 86). An dieser Stelle ist auch auf das damit in Einklang stehende Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 14.11.2013 in der Rechtssache C-4/11, Bundesrepublik Deutschland/Kaveh Puid zu verweisen (Rn. 36, 37).

Somit ist zum einen unionsrechtlich (im Hinblick auf die Urteile des EuGH vom 10.12.2013, C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich, sowie jeweils vom 07.06.2016, C-63/15, Gezelbash, und C-155/15, Karim) zu prüfen, ob im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorherrschen, und zum anderen, ob die BF im Falle der Zurückweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz und ihrer Außerlandesbringung nach Litauen gemäß den §§ 5 AsylG 2005 und 61 FPG - unter Bezugnahme auf deren persönliche Situation - in ihren Rechten gemäß Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt würden, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

Der angefochtene Bescheid enthält - wie oben dargestellt - ausführliche Feststellungen zum litauischen Asylwesen. Diese Länderberichte basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA, zu den einzelnen Passagen sind jeweils detaillierte Quellenangaben angeführt. Soweit ältere Quellen herangezogen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass diesbezüglich keine Änderungen eingetreten sind.

Schon vor dem Hintergrund der jüngsten Lagebeurteilung durch UNHCR und der erstinstanzlichen Erwägungen kann nicht erkannt werden, dass im Hinblick auf Asylwerber, die von Österreich im Rahmen der Dublin III-VO nach Litauen überstellt werden, aufgrund der dortigen Rechtslage und/oder Vollzugspraxis systematische Verletzungen von Rechten gemäß der EMRK erfolgen würden oder dass diesbezüglich eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines "real risk" für den Einzelnen bestehen würde.

Eine wie in der Entscheidung des EGMR vom 21.01.2011 in der Rechtssache M.S.S./Belgien und Griechenland in Bezug auf Griechenland beschriebene Situation systematischer Mängel im Asylverfahren in Verbindung mit schweren Mängeln bei der Aufnahme von Asylwerbern kann in Litauen im Hinblick auf die erstinstanzlichen Länderfeststellungen nicht erkannt werden. Des Weiteren vermögen einzelne Grundrechtsverletzungen, respektive Verstöße gegen Asylrichtlinien, die Anwendung der Dublin II-VO (und nunmehr der Dublin III-VO) demgegenüber unionsrechtlich nicht zu hindern und bedingen keinen zwingenden, von der Beschwerdeinstanz wahrzunehmenden, Selbsteintritt (EuGH C-411/10 und C-493/10).

Als Dublin-Rückkehrer haben die BF nach den Länderfeststellungen Zugang zum Asylverfahren, zu kostenloser Gesundheitsversorgung, Unterbringung und Verpflegung.

Dass Litauen hinsichtlich bestimmter Personengruppen Sonderrechtspositionen vertreten würde, kann hinsichtlich des Mitgliedstaates der Europäischen Union nicht angenommen werden. Litauen beachtet das Non-Refoulment-Gebot, es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit und ist (medizinische) Versorgung gegeben. Nachdem kein substantiierter Hinweis auf eine Verletzung der EMRK oder der GRC ersichtlich ist, war dem Beweisantrag in der Beschwerde nicht näherzutreten.

Die BF1 machte letztlich als Fluchtgrund und als Grund, weswegen sie nicht länger in Litauen bleiben könne, Schwierigkeiten mit ihrem Ehemann und Angst vor diesem geltend. Hiebei handelt es sich um Angst vor Verfolgung Privater. Den BF ist es im Verfahren nicht gelungen, darzutun, dass das litauische Asylsystem an systemimmanenten Mängeln leiden würde und Litauen nicht in der Lage wäre, im konkreten Anlassfall den BF Schutz gewähren. Die BF haben die Möglichkeit, sich bei tatsächlichen Angriffen in Litauen an die zuständigen Behörden zu wenden und entsprechende Anzeigen zu erstatten.

Es ist jedoch anzuführen, dass die asylrechtlichen Bestimmungen in der Regel nicht dazu dienen, Schwierigkeiten zwischen Ehegatten zu regeln. Auch in der Russischen Föderation hat die BF1 sicher die Möglichkeit sich von ihrem Ehegatten scheiden zu lassen. Im Übrigen konnte sie weder Beweise noch Bescheinigungsmittel für ihre Behauptungen im Bezug auf ihren Ehegatten vorlegen. Selbst bei Wahrunterstellung ist das von ihr erstattete Vorbringen im Hinblick auf Litauen nicht geeignet, darzulegen, aus welchen Gründen Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen sollte und aus welchen Gründen es nicht möglich wäre, das Asylverfahren im zuständigen Dublin-Staat Litauen durchzuführen.

Medizinische Krankheitszustände, Behandlung in Litauen:

Bezüglich des Gesundheitszustandes der BF ist unbestritten, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Litauen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohen würde. In einem solchen Fall wäre das Selbsteintrittsrecht gemäß Dublin-VO zwingend auszuüben.

Im Hinblick auf gesundheitliche Beeinträchtigungen von Antragstellern ist auf ein diesbezügliches Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova &a

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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