TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/31 G305 2190885-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.2020
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Entscheidungsdatum

31.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2190884-1/17E

G305 2190885-1/16E

G305 2190887-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerden der irakischen Staatsangehörigen 1.) des XXXX, geb. XXXX (BF1) 2.) der XXXX, geb. XXXX (BF2) und 3.) des mj. XXXX, geb. XXXX (mj. BF3), der minderjährige Beschwerdeführer vertreten durch die XXXX, geb. XXXX, alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen die jeweils zum XXXX.02.2018 datierten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Kärnten, Zlen. XXXX (BF1), XXXX (BF2) und XXXX (mj. BF3), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.07.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG n i c h t z u l ä s s i g.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Am 25.10.2015 stellten die jeweils zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigten XXXX, geb. XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführer oder kurz: BF1), XXXX, geb. XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführerin oder kurz: BF2) und XXXX, geb. XXXX (in der Folge: minderjähriger Drittbeschwerdeführer oder kurz: mj. BF3), alle irakische Staatsangehörige, vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 26.10.2015 wurden der BF1 und die BF2 im Rahmen einer von Organen der Polizeiinspektion XXXX durchgeführten Erstbefragung niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF1 an, dass er vier Monate vor der Flucht mit dem Umbringen bedroht worden sei. Der Grund hierfür liege in seiner syrischen Abstammung und seiner sunnitischen Glaubensrichtung. Zwei Monate vor der gemeinsamen Flucht sei er, als er mit dem Auto unterwegs war, verfolgt und beschossen worden. Seitdem habe er sich versteckt gehalten und um sein Leben gefürchtet [Erstbefragung des BF1, AS 11].

Die BF2 gab an, dass ihre Familie durch schiitische Milizen bedroht worden wären und sie als Sunniten in einem Schiitischen Viertel gelebt hätten. Auch habe es zwei Briefe gegeben, in welchen die Verschleppung der Tochter angedroht worden sei [Erstbefragung der BF2, AS 11].

Für ihren minderjährigen Sohn, den BF3, gab die BF2 als Mutter und gesetzliche Vertreterin an, dass dieser keine eigenen Fluchtgründe hätte und sich seine Fluchtgründe ausschließlich auf jene der BF2 bzw. des BF1 gründen würden [Erstbefragung der BF2, AS 13].

Zur Reiseroute befragt, gab der BF1 an, dass sie etwa 15 Tage vor dem Aufgriff von XXXX mit dem Flugzeug nach Istanbul geflogen seien und in der Folge schlepperunterstützt mit dem Boot nach Mytilini (Griechenland) übergesetzt hätten und anschließend mit der Fähre nach Athen gefahren wären. Von hier sei es teils mit Bussen, teils mit Zügen bis an die slowenisch-österreichische Grenze weitergegangen. In Österreich angekommen seien sie mit dem Taxi bis nach Hartberg gefahren. Sämtliche Grenzen hätten sie zu Fuß passiert [Erstbefragung des BF1, AS 9]. Die BF2 gab genauere Details zur Reiseroute über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien bis nach Slowenien an und bestätigte dadurch die Reiseroute sowohl für sich, als auch für den minderjährigen BF3 [Erstbefragung der BF2, AS 31].

1.3. Am 01.02.2018 wurden der BF1 ab 09:00 Uhr und die BF2 ab 12:40 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen. Beide bezeichneten sich als gesund und nicht von der Einnahme von Medikamenten beeinflusst, gaben jedoch an, dass der gemeinsame Sohn unter Asthma leide [NS-BFA des BF1, AS 40; NS-BFA der BF2, AS 34].

Der BF1 wiederholte die bei der Erstbefragung vorgebrachten Fluchtgründe und fügte hinzu, dass er nach der Erstarkung von Daesh (Islamischer Staat) vom Mokhtar des Bezirkes in XXXX aufgefordert worden sei, mehrere Sicherheitsbestätigungen vorzulegen. Er habe die verlangten Bestätigungen jedoch nicht erhalten können, da er gebürtiger Syrer und sunnitischer Glaubensrichtung sei. Bereits die Erlangung der irakischen Staatsbürgerschaft sei mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden gewesen. Ihm sei auch vorgeworfen worden, "Saddamist" zu sein, also Anhänger des gestürzten Diktators Saddam Hussein. Hierauf habe er das Elternhaus seiner Ehefrau, in welchem die beschwerdeführenden Parteien (in der Folge: auch so oder kurz: bfP) wohnhaft waren, verlassen und habe bei seinem Schwager im Stadtteil XXXX Unterkunft genommen. Zwei Wochen nach dem Vorfall habe ihn seine Frau über den Fund eines Drohbriefes informiert, dessen genauen Inhalt er jedoch nie gesehen habe. Zusätzlich sei in den Garten des Elternhauses seiner Frau eine Übungsgranate geworfen worden und hätte deren Detonation Schäden am Haus verursacht. Diese mehrfachen Bedrohungen hätten auch dazu geführt, dass die BF2 zusammen mit dem BF3 und der Stieftochter zu ihm gekommen seien. Die Brüder der BF2 seien im Elternhaus verblieben. Bei einem weiteren Vorfall zwei Monate vor der Ausreise sei der BF in seinem Auto sitzend bei einer Ampel beschossen worden. Er wisse jedoch nicht, ob es sich um einen gezielten oder generellen Angriff gehandelt habe [BF1, AS 43].

Anlässlich seiner Einvernahme durch die belangte Behörde, der auch eine Vertrauensperson beiwohnte, legte der BF1 mehrere Ausweisdokumente, Dokumente seiner in der EU befindlichen Familienmitglieder sowie eine Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs und eine Bestätigung für gemeinnützige Arbeit vor [AS 51ff].

Anlässlich ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde wiederholte die BF2 die von ihr bei der Erstbefragung erwähnten Fluchtgründe und berichtigte das Protokoll dahingehend, als dass der erste Satz falsch sei, da nicht bekannt sei, wer sie bedrohen würde. Auch habe es nicht zwei Briefe, sondern zwei Bedrohungen in Form des Drohbriefes und der Granate gegeben. In diesem Zusammenhang gab sie auch bekannt, dass ihr Sohn unter Asthma leide. Der belangten Behörde teilte sie überdies mit, dass ihre Tochter aus erster Ehe, XXXX, geb. am XXXX, zwei Monate nach der Einreise in Österreich die freiwillige unterstützte Rückkehr in Anspruch genommen habe, da sie in ihrem Heimatstaat einen Geschäftsmann geheiratet habe [NS-BFA der BF2, AS 34 und 39].

1.4. Mit jeweils zum XXXX.02.2018 datierten Bescheiden der belangten Behörde wies das BFA die Anträge der beschwerdeführdenden Parteien (im der Folge auch: Beschwerdeführer oder kurz: bfP) hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom 25.10.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass den bfP im Heimatstaat keine Verfolgung von staatlicher Seite drohe und auch die von den bfP genannten Fluchtgründe in sich widersprüchlich seien.

1.5. Gegen diese Bescheide erhoben der BF1, die BF2 sowie der mj. BF3 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärten sie, dass sie den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe "mangelhafte Beweiswürdigung" und "unrichtige rechtliche Beurteilung" - vollumfänglich anfechten würden und die Beschwerde mit den Anträgen verbinden, dass 1.) die angefochtenen Bescheide zur Gänze behoben und ihnen der Status des/der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkannt werden möge, 2.) in eventu die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen werden mögen (§ 66 Abs. 2 AVG, § 28 Abs. 3 und 4 VwGVG); 3.) für den Fall der Abweisung des obigen Beschwerdeantrages möge gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG festgestellt werden, dass ihnen der Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat zukomme, 4.) in eventu möge festgestellt werden, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen und ihnen daher gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG von Amtswegen erteilt werden möge oder 5.) möge in eventu festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen und ihnen daher eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG von Amts wegen zu erteilen ist; 6.) möge gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt werden. In der Beschwerde wurde vorgebracht, das BFA habe veraltete Länderinformationen verwendet und sich kein umfassendes Bild von der Lage der sunnitischen Bevölkerung in XXXX gemacht habe. Die Bedrohungslage durch schiitische Milizen sei nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt worden. Die belangte Behörde habe es auch unterlassen, auf die Situation des mj. BF3 einzugehen.

1.6 Am 03.04.2018 wurde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem BVwG vorgelegt.

1.7 Anlässlich einer am 03.07.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden der BF1 und die BF2 im Beisein ihres Rechtsvertreters (im Folgenden: RV), eines Behördenvertreters (im Folgenden: BehV) und eines Dolmetschers für die arabische Sprache einvernommen. Für den unmündigen mj. BF3 war dessen Anwesenheit nicht erforderlich.

1.8 Bei der Parteienvernehmung gab die BF2 erstmals an, unter Bluthochdruck sowie an Eisenmangel zu leiden. Bei ihr sei eine Hautkrebserkrankung festgestellt worden, welche jedoch als "geheilt" eingestuft worden sei. Aufgrund dieser Angaben wurde ein medizinischer Amtssachverständiger mit den von der BF2 aufgeworfenen Fragen konfrontiert und langte das medizinische Gutachten dieses Sachverständigen am 16.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein [SV-Gutachten OZ 10].

1.9 Mit Eingabe vom 13.08.2019 übermittelten die bfP im Wege ihrer Rechtsvertretung eine Stellungnahme zu den im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2019 vorgelegten Länderinformationsblättern und ACCORD-Berichten sowie zum Gutachten des dem Verfahren beigezogenen medizinischen Sachverständigen [Stellungnahme der RV, OZ 13].

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF1 führt die im Spruch angegebene Identität XXXX, geb. XXXX, und ist irakischer Staatsangehöriger, welcher in der syrischen Stadt XXXX geboren wurde. 1989 flüchtete er aus seinem Geburtsland in den benachbarten Irak, wo er 1998 die Staatsbürgerschaft erhielt. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an und bekennt sich zur sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft. Seine Muttersprache ist arabisch. [BF1, AS 5; Kopien von Reisepass, Personalausweis des BF1, AS 51ff; PV des BF1 in Verhandlungsniederschrift vom 03.07.2019, S. 7]. Er hat zwei Söhne. Einen Sohn mit seiner ersten Frau und einen weiteren Sohn, nämlich den mj. BF3, mit seiner zweiten Frau, der BF2. Laut Angaben des BF1 war dessen Sohn aus erster Ehe in Ägypten wohnhaft, ob dies derzeit noch der Fall ist, ließ sich nicht feststellen. Die erste Ehegattin des BF1 ist eine irakische Staatsangehörige und Muslima mit schiitischer Glaubensrichtung. Vor der Scheidung lebte der BF1 mit seiner ersten Ehegattin im Bezirk XXXX in XXXX [NS-BFA des BF1, AS 43; PV des BF1 vom 03.07.2019, S. 13f].

Nunmehr ist der BF1 mit der BF2, die die im Spruch angegebene Identität XXXX, geb. XXXX, führt, verheiratet. Sie gehört der Ethnie der Araber an und bekennt sich zur islamischen Religionsgemeinschaft der sunnitischen Glaubensrichtung, ihre Muttersprache ist arabisch [BF2, AS 5; Kopien von Reisepass und Personalausweis der BF2, AS 49ff; PV der BF2 in Verhandlungsniederschrift vom 03.07.2019, S. 7].

Der BF1 und die BF2 heirateten am XXXX.08.2006 vor dem Personenstandsgericht in XXXX [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S.6].

Das Paar hat einen Sohn und zwar den mj. BF3 (XXXX, geb. XXXX). Wie seine Eltern gehört auch der mj. BF3 der Ethnie der Araber an und ist auch dieser Moslem, der sich zur sunnitischen Glaubensrichtung bekennt.

Die beschwerdeführenden Parteien haben ihren Hauptwohnsitz seit dem XXXX.10.2015 im Bundesgebiet (seit dem 23.12.2019 an der Anschrift XXXX) [Auszug aus dem Zentralen Melderegister - ZMR].

Der BF1 ist gesund und arbeitsfähig. Die BF2 leidet unter Bluthochdruck und an Eisenmangel. Eine Hautkrebserkrankung der BF2 konnte im Klinikum XXXX erfolgreich behandelt werden und gilt als geheilt. Der mj. BF3 leidet unter Asthma und einer Entzündung der Bronchien welche mittels Inhalator und einem Spray behandelt werden [PV der BF2 vom 03.07.2019, S. 5 unten und S. 6; Medizinische Unterlagen des Klinikum XXXX; SV-Gutachten OZ 10].

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Parteien in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Die bfP lebten zuletzt in XXXX, im Bezirk XXXX, welcher vorwiegend von Schiiten bewohnt wird, in welchem es jedoch auch eine kleine Minderheit von Christen und Sunniten gibt. Mit ihren schiitischen Nachbarn hatten die beschwerdeführenden Parteien bis zu ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat und auch danach keine wie immer gearteten Probleme [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 10].

Die bfP sind am 01.10.2015 bzw. am 02.10.2015, ausgehend von XXXX mit dem Flugzeug nach Istanbul geflogen und im Anschluss über Griechenland und die "Balkanroute" nach Österreich gelangt und zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt ohne Reisepässe und Einreisebewilligung und sohin illegal ins Bundesgebiet eingereist [BF1, AS 9 oben; PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 13].

1.3. Zur individuellen Situation der beschwerdeführenden Parteien im Heimatstaat:

Im Herkunftsstaat besuchte der BF1 6 Jahre die Grundschule und 3 Jahre die Hauptschule in seinem Geburtsort XXXX, Syrien. Er erlernte keinen Beruf. Nach dem Schulabschluss arbeitete er im Herkunftsstaat im Supermarkt seines Vaters. Der BF1 hielt sich seit einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres 1989 im Irak auf und erhielt zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt des Jahres 1998 die irakische Staatsbürgerschaft. Bei seiner letzten Tätigkeit als XXXX erwirtschaftete der BF1 bis zu 3.000 USD monatlich, abhängig von den erhaltenen Aufträgen [PV des BF1 vom 03.07.2019 S. 8f].

Die BF2 hat im Herkunftsstaat nach dem Besuch der Grundschule und der Hauptschule zehn Jahre lang die kranke Mutter gepflegt. Im Anschluss daran verrichtete sie Hilfsarbeiten bei einem Friseur und betrieb einen eigenen Friseursalon. Sie heiratete XXXX ihren ersten Ehemann, welcher XXXX verstarb und der Vater der Tochter der BF2 war. Die Tochter der BF2 und somit Stieftochter des BF1 verließ zwei Monate nach der Ankunft in Österreich das Land und kehrte freiwillig in ihren Heimatstaat zurück um dort einen Geschäftsmann zu heiraten [NS-BFA der BF2, AS 37; PV der BF2 vom 03.07.2019 S. 8f].

Der mj. BF3 war vor der Flucht mit seinen Eltern noch nicht schulpflichtig. [PV der BF2 vom 03.07.2019 S. 28].

Der BF1 hat keinerlei Kernfamilie im Irak. Eine Schwester, XXXX, ist zusammen mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Sohn in Deutschland aufhältig und nach den Angaben des BF1 im Besitz eines Aufenthaltstitels. Ein Bruder des BF1, XXXX, geb. am XXXX, ist mit seiner Familie im Besitz eines Aufenthaltstitels für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland. Beiden Geschwistern ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet. Ein weiterer Bruder, XXXX, befindet sich in der Türkei und dort in einem aufrechten Asylverfahren [Kopien der Dokumente der Geschwister, AS 61-71]. Der Rest der Kernfamilie des BF1, dessen Vater XXXX und Mutter XXXX, der Bruder XXXX sowie drei weitere Schwestern, XXXX und XXXX, lebt nach wie vor in dessen Geburtsland Syrien.

Die Kernfamilie der BF2 lebt unbehelligt im Heimatstaat. Ihr Vater, XXXX, verstarb am XXXX, die Mutter XXXX vor etwa XXXX Jahren. Die BF2 hat sechs Brüder und zwei Schwestern. XXXX, geb. XXXX und XXXX, geb. XXXX, bewohnen seit dem Tod des Vaters das ehemalige Elternhaus in XXXX, in welchem die bfP vor ihrer Flucht lebten. Beide sind verheiratet und deren Kinder gehen im Wohnbezirk in die Schule, die Ehefrauen der beiden Brüder tragen Hijab und sind Hausfrauen. Sie arbeiten freiberuflich als Lieferanten für eine Druckerei. Weitere Brüder sind XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb. XXXX und XXXX, geb. XXXX. Einer der Brüder lebt in den Vereinigten Staaten von Amerika, drei Cousins mit deren Eltern in Großbritannien. Die beiden Schwestern XXXX, geb. XXXX und XXXX, geb. XXXX leben ebenso noch in XXXX. Sämtliche Geschwister sind sunnitischen Glaubens. XXXX ist mit einem Schiiten namens XXXX verheiratet. Zwischen den bfP und der Familie der Schwester bestand ein sehr gutes Einvernehmen [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 18f und 23]

Der BF1 arbeitete bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat als XXXX. Mit dieser Tätigkeit konnte er, abhängig von der Größe der Projekte, bis zu 3.000 USD erwirtschaften und so den Lebensunterhalt der gesamten Familie bestreiten. Die BF2 ging zuletzt keiner Beschäftigung nach, der BF1 sorgte für das Auskommen der Familie und konnte diese von dessen Einkünften mittelmäßig leben [PV der bfP vom 03.07.2019 S. 9].

Von der Hochzeit bis zur Ausreise lebten die bfP im Elternhaus der BF2 im Bezirk XXXX in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Nachbarschaft. In diesem Haus, welches nach dem Tod des Vaters in das Eigentum der beiden Brüder XXXX, geb. XXXX und XXXX, geb. XXXX überging, konnten die bfP bis zu ihrer Ausreise wohnen, ohne einen Mietzins entrichten zu müssen. Im Zusammenhang mit der Verlassenschaft erhielt die BF2 einen Erbteil in Höhe von ca. 10.000 USD [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 10ff].

Vor ihrer Flucht war es den bfP möglich, Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs durch einen in der Nähe gelegenen Supermarkt zu decken. Wasser konnte aus der Wasserleitung getrunken werden. Gleiches gilt für die in XXXX lebenden Mitglieder der Kernfamilie der BF2. Laut Aussage der erwachsenen bfP hatten bzw. haben die im Irak verbliebenen Angehörigen ihrer Kernfamilie und deren Familienangehörige keine Probleme mit ihren Nachbarn. Im Wohnbezirk der bfP in XXXX gibt es Schulen, jedoch keine Universitäten [PV der BF1 und BF2 in Verhandlungsniederschrift vom 03.07.2019 S. 10ff]. Weiterführende Schulen bis hin zu Hochschulen und Universitäten gibt es in Bagdad.

Der mj. BF3 war zum Zeitpunkt der Ausreise etwa zwei Jahre alt.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Parteien:

Der BF1 war von XXXX bis XXXX Mitglied des irakischen Zweiges der Baath-Partei des 2003 gestürzten irakischen Diktators Saddam Hussein. XXXX schied er aus der Partei aus, weil er sein Leben nicht mit einer Parteimitgliedschaft belasten wollte. Seit diesem Zeitpunkt gehörte er keiner politischen Bewegung mehr an. Die BF2 war nie einer politischen Partei zugehörig. Die bfP hatten weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Keiner von ihnen wurde von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Sunniten oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt. Auch gehört keiner der Beschwerdeführer einer bewaffneten Gruppierung an [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 12f].

Das Fluchtvorbringen der bfP, nach mehrfachen Bedrohungssituationen aus dem Irak ausgereist zu sein, erweist sich als unglaubwürdig [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 16ff].

Weder der BF1 noch die BF2 waren einem gezielten Angriff auf ihre Person, von wem immer, ausgesetzt.

Die beschwerdeführenden Parteien waren im Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch eine (schiitische) Miliz aus religiösen und/oder politischen Gründen ausgesetzt.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten der bfP im Bundesgebiet:

Die BF1 und BF2 gaben bei ihrer vor dem BVwG stattgehabten Einvernahme als Partei an, Deutschkurse zu besuchen und in die Schule zu gehen, Nachweise über die Teilnahme bzw. die Ablegung von Prüfungen wurden nicht vorgelegt [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 15]. Für den BF1 und die BF2 liegen jeweils eine Bestätigung über eine gemeinnützige Beschäftigung bei der Gemeinde XXXX sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs vor [AS 73 und 75 des Aktes des BF1; AS 43 bis 47 des Aktes der BF2]. Die BF2 besucht in XXXX Veranstaltungen des XXXX [Kopie der Bestätigung der Teilnahme in Akt der BF2].

Der mj. BF3 besucht einen Kindergarten und Schwimmkurse [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019 S. 28].

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine, wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Anlassbezogen ist es den bfP nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass sie einer asylrelevanten Bedrohung durch schiitische Milizen oder durch die Polizei des Herkunftsstaates ausgesetzt gewesen wären.

1.6.1. Bei der von den bfP genannten Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) handelt es sich um eine der unter der PMF zusammengefassten schiitischen Milizen. Diese Miliz wurde 2014 von Muqtada as-Sadr gegründet und kann als Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Einige Quellen sprechen von 50.000 bis zu 100.000 Kämpfern. Ihre Schlagkraft ist mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt, was an der gewahrten politischen Distanz zu Teheran und damit einhergehend reduzierten Mitteln von Seiten des Iran liegt. Ihr Haupteinsatzgebiet liegt im vorgeblichen Schutz heiliger schiitischer Stätten. Seitens der Regierung wurde 2016 der Versuch unternommen, Teile der PMF in die staatliche Sicherheitsstruktur einzugliedern und unter die Kontrolle des Premierministers zu stellen - ein Projekt, dessen Ausgang noch immer unklar ist.

Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft durch diese Miliz besteht nicht. Weder der BF1 noch die BF2 behaupteten je mit dieser Miliz oder einer anderen, im Herkunftsstaat aktiven schiitischen oder sunnitischen Miliz etwas zu tun gehabt zu haben. Berührungspunkte zwischen ihnen und einer Miliz existieren nicht. Dass der BF als Verleger von Rigipsplatten in den Fokus konkret dieser Miliz bzw. einer anderen Miliz, gleich welcher konfessionellen und politischen Ausrichtung, geraten sein könnte, kam nicht hervor. Zwar hatte er angegeben, dass er von XXXX bis XXXX Mitglied der Baath-Partei gewesen sei und diese Mitgliedschaft im Jahr XXXX aufgab, um sich nicht mit einer Parteimitgliedschaft zu belasten. Nach XXXX war er politisch nicht mehr aktiv. Auch die BF2 war politisch inaktiv. Weder aus den Länderberichten zum Irak noch notorisch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass politisch vollkommen inaktive Personen, wie der BF1 seit dem Jahr XXXX und die BF2 seit jeher, einer Bedrohung oder Verfolgung aus politischen Gründen ausgesetzt wären. Zudem kommt hinzu, dass weder der BF1 noch die BF2 einer als gefährdet bewerteten Berufsgruppe des Herkunftsstaates angehörten, was diese - bei entsprechender Exposition - allenfalls in den Fokus einer Miliz stellen hätte können. Dabei ist zu beachten, dass sich den Berichten zum Herkunftsstaat der bfP nicht entnehmen lässt, dass staatliche Organe wegen einer korrekten Amtsführung ins Visier einer Miliz, konkret dieser vom BF1 genannten Miliz gelangt wären.

Quellen:

- Australian Government, DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT IRAQ, 26.06.2017, http://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-iraq.pdf (Letzter Zugriff am 16.07.2018)

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen 02.02.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424853.html (Letzter Zugriff am 16.07.2018)

- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq's Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-andarabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, (Letzter Zugriff 31.10.2018)

- - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha'bi: Die irakischen "Volksmobilisierungseinheiten" (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewahlten Beitragen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mitbeitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 31.10.2018

- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Letzter Zugriff am 16.07.2018)

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (Letzter Zugriff am 16.07.2018)

- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Letzter Zugriff am 18.07.2018)

- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc (Letzter Zugriff am 18.07.2018)

1.6.2. Kinder

Art. 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur VN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.2.2018). Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern, sowie Pornografie jeglicher Art, einschließlich Kinderpornografie (USDOS 20.4.2018).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im IS-Gebiet geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten (USDOS 20.4.2018).

Die Grundschulbildung ist für Kinder, die die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und kostenfrei. In der kurdischen Autonomieregion besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort ist diese kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten. Der Zugang zu Bildung von Kindern, die aufgrund des Konfliktes intern vertrieben wurden, ist stark einschränkt (USDOS 20.4.2018). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Autonomen Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten fand kein regulärer Schulunterricht statt (AA 12.2.2018).

Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl. UNICEF 31.1.2017). Armut wirkt sich nicht nur negativ auf die Bildung, sondern auch auf die Gesundheit von Kindern aus (UNICEF 31.1.2017). 22,6 Prozent der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.2.2018). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Gesetz begrenzt die Arbeitszeit für Personen unter 18 Jahren auf sieben Stunden pro Tag und verbietet Beschäftigungen, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Personen unter 18 Jahren schaden. Trotzdem gibt es im ganzen Land Fälle von Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen. Es gibt dokumentierte Fälle von durch den Konflikt intern vertriebenen Kindern, die gezwungen wurden Kinderarbeit zu leisten. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos (USDOS 20.4.2018).

Anlassbezogen ist nicht hervorgekommen, dass der minderjährige Beschwerdeführer bei einer Rückkehr der sich aus den Länderberichten unsubstantiiert beschriebenen Lage von Kindern im Herkunftsstaat ausgesetzt sein könnte, zumal die bfP vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat zusammen mit den Familien der Brüder der BF2 deren Elternhaus bewohnten. Ihre Beziehung zu den Nachbarn wurde von den bfP als gut beschrieben und leben die Angehörigen der Kernfamilie der BF2 unbehelligt im Herkunftsstaat. Hinsichtlich des BF1 ist auszuführen, dass er als gebürtiger Syrer die irakische Staatsangehörigkeit erworben hat und die im arabischen Raum lebenden Angehörigen seiner Kernfamilie im Geburtsstaat Syrien leben. In der Nähe des Wohnhauses der Familie befinden sich Schulen und ein Supermarkt. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser ist intakt zumal die bfP Leitungswasser trinken konnten [PV des BF1 und der BF 2 vom 03.07.2019, S. 9-11]. Auch leben zwei Schwestern der BF2 in XXXX, ihre Tochter aus erster Ehe ist Anfang 2016 freiwillig dorthin zurückgekehrt. Die in XXXX lebenden Brüder der BF2 sind freiberuflich als Lieferanten für eine Druckerei tätig [PV der BF2 in Verhandlungsniederschrift, S. 12 oben]. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG haben weder der BF1 noch die BF2 den Eindruck vermittelt, nicht alles zu unternehmen, um den schulpflichtigen mj. BF3 zu fördern.

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-

- stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 5.9.2018

- Al Monitor (2.5.2017): How can Iraq address child abuse, torture?, https://www.al-monitor.com/ pulse/originals/2017/05/child-abuse-iraq-domestic-violence.html. Zugriff 20.9.2018

- UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (16.5.2018): Children and armed conflict, https://www.ecoi.net/en/file/local/1436649/1930_1530169188_n1815109.pdf. Zugriff 18.7.2018

- UN News - United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace - UNICEF, https://news.un.org/en/storv/2018/01/1000811. Zugriff 20.9.2018

- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National

- Poverty Reduction Strategy 2017-202, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq- analysis-child-poverty-trends-and-policy-recommendations-national, Zugriff 20.9.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 5.9.2018

- USDOS - United States Department of State (28.6.2018): Trafficking in Persons Report 2018 - Country Narratives - Iraq, https://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/countries/2018/282675.htm. Zugriff 14.9.2018

1.6.3. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.2.2018).

Jedoch lässt sich den Länderinformationen nicht entnehmen und ist auch sonst nicht hervorgekommen, dass Elektriker, Installateure, Schweißer und/oder XXXX - wie der BF1 - einer besonderen Gefährdung, konkret der Miliz "Saraya as-Salam", ausgesetzt wären.

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 27.9.2018

- IWPR - Institute for War and Peace Reporting (25.11.2009): Fear chokes Nasiriya's Song, https://iwpr.net/global-voices/fear-chokes-nasiriyas-song, Zugriff 2.10.2009

- USDOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394979.html, Zugriff 2.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 21.9.2018

1.6.4. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Anlassbezogen kann aufgrund des medizinischen Gutachtens festgestellt werden, dass weder die Erkrankungen der BF2 noch jene des mj. BF3 eine Schwere aufweisen, welche durch die medizinische Versorgung in XXXX nicht behandelt werden könnten. Die bei der BF2 und beim mj. BF3 festgestellten Krankheitsbilder sind im Irak behandelbar. Die Krankheitsbilder sind nicht als schwer, noch als lebensgefährlich zu qualifizieren [SV-Gutachten OZ 10].

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 12.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767. Zugriff 20.11.2018

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017),https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl de.pdf:isessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1 cid294?blob=publicationFile. Zugriff 16.10.2018

- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care,

- http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html. Zugriff 16.10.2018

1.7. Aus den Angaben der beschwerdeführenden Parteien lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass sie mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates etwa wegen ihres Religionsbekenntnisses, ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber oder aus politischen Gründen Probleme gehabt hätten. Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass sie oder die Angehörigen ihrer Kernfamilie, die im Herkunftsstaat leben, politisch aktiv und exponiert gewesen wären oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten.

Im Beschwerdeverfahren, welches auch der Ermittlung ihrer Lebensumstände vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat diente, kam hervor, dass die bfP zusammen mit den Brüdern der Zweitbeschwerdeführerin ungestört in deren Elternhaus leben konnten und ausreichend mit Gegenständen des täglichen Bedarfs und Lebensmitteln versorgt waren. Mit ihren Nachbarn kamen sie gut aus [PV des BF1 und der BF2 vom 03.07.2019, S. 10ff]. Das trifft auch heute noch für die im Herkunftsstaat aufhältigen Angehörigen ihrer Kernfamilie zu.

Die beschwerdeführenden Parteien, allen voran der BF1, hatten zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit Angehörigen einer Miliz, namentlich der Miliz "Saraya as-Salam". Auch wurde kein Mitglied der beschwerdeführenden Familie je dazu angeworben, für diese oder eine andere (schiitische) Miliz zu kämpfen. Auch sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die bfP (weitere) Berührungspunkte mit dieser oder einer anderen, im Herkunftsstaat aktiven Miliz gehabt hätten.

Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass auch nur einer der Beschwerdeführer mit Angehörigen derselben Glaubensrichtung oder einer anderen im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtungen Probleme gehabt hätte.

Die von den bfP vorgebrachten Bedrohungspunkte konnten sie weder im Rahmen verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens vor der belangten Behörde, noch in der am 03.04.2019 durchgeführten mündlichen Verhaltung als asylrelevante Bedrohungen glaubhaft machen.

Abschließend konnte nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat aus in ihrer Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort der realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte, oder dass sie als Zivilpersonen einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt wären.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF1 und der BF2 anlässlich ihrer Befragung durch die Organe der belangten Behörde.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität des Erstbeschwerdeführers (XXXX, geb. XXXX), der Zweitbeschwerdeführerin (XXXX, geb. XXXX) sowie des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (XXXX, geb. XXXX), alle irakische Staatsangehörige und muslimisch sunnitischer Glaubensrichtung, Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die auf den Angaben des BF1 und der BF2 vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde beruhen, andererseits auf den Angaben vor den Organen der belangten Behörde sowie auf den im Akt einliegenden Ablichtungen der zur Vorlage gebrachten Reisedokumente.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person der bfP im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die zu ihrer Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Parteien anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten [BF1, AS 9; BF2, AS 9].

Die Konstatierungen zum Gesundheitszustand der bfP sowie zum Grad der gesundheitlichen Beeinträchtigung der BF2 und des mj. BF3 gründen einerseits auf den Angaben der BF2, andererseits auf dem vom BVwG beigeschafften medizinischen Sachverständigengutachten. Aus den darin vom ärztlichen Sachverständigen gezogenen Schlüssen ergibt sich, dass die vorgebrachten Erkrankungen keinerlei Auswirkungen auf eine mögliche Rückkehr haben und die Behandelbarkeit der vorliegenden Leiden im Herkunftsstaat. Die im Sachverständigengutachten gezogenen Schlussfolgerungen sind in sich schlüssig, frei von Widersprüchen und behandeln die an den Sachverständigen herangetragenen Aufträge vollständig, weshalb dieses den hier getroffenen Konstatierungen zu Grunde gelegt werden konnte. Den vom medizinischen Sachverständigen im medizinischen Sachverständigengutachten gezogenen Schlussfolgerungen sind die bfP - sie waren im Beschwerdeverfahren durch die ausgewiesene Rechtsvertretung vertreten -, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten, obwohl sie im Rahmen des ihnen gewährten Parteiengehörs Gelegenheit dazu gehabt hätten.

2.3. Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Das Vorbringen des BF1 und des BF2 zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu ihrer Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf deren Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben sowie ihren Aussagen vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der BF1 am 26.10.2015 zu seinen Fluchtgründen befragt, angegeben, den Herkunftsstaat deshalb verlassen zu haben, weil er Angst hatte. Vier Monate vor der Flucht sei er mit dem Umbringen bedroht worden, da er Syrer und Sunnit sei. Zwei Monate vor der Ausreise sei er im Auto fahrend, von der "Terrormiliz" verfolgt und beschossen worden. Dies deshalb, weil er gebürtiger Syrer und Sunnit sei [BF1; AS 11].

Die BF2 gab anlässlich ihrer Einvernahme durch die Organe der öffentlichen Sicherheitsbehörde zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates für sich und den mj. BF3 an, dass sie den Irak deshalb verlassen habe, weil sie in der letzten Zeit mehrmals von schiitischen Milizen bedroht worden seien und weil sie als Sunniten in einem Schiitischen Viertel leben würden. Auch sei ihnen in zwei Briefen die Verschleppung der Tochter angedroht worden [BF2; AS 11]. Die beiden letzten Fluchtvorbringen korrigierte Sie bei ihrer Vernehmung vor der belangten Behörde dahingehend, als dass der erste Satz falsch gewesen sei, da sie nicht genau gewusst hätten, wer sie bedrohen würde. Im letzten Satz solle es lauten, dass sie zweimal bedroht worden seien, einmal mit einem Drohbrief und einmal mit einer Übungsgranate [BF2; AS 42]. Weitere Fluchtgründe führte sie nicht ins Treffen.

Anlässlich seiner am 01.02.2018 vor der belangten Behörde stattgehabten mündlichen Einvernahme konkretisierte der Erstbeschwerdeführer sein Fluchtvorbringen dahingehend, als dass vier Monate vor ihrer Ausreise der Mokhtar des Bezirkes aufgrund der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen nach der steigenden Aktivitäten von Daesh (Islamischer Staat) gesehen habe, dass er Syrer sei und von ihm Sicherheitsbestätigungen verlangt habe, die er nicht habe besorgen können. Nach dieser Situation habe er das Wohnhaus (Elternhaus der BF2) verlassen und sei zu deren Bruder nach XXXX gezogen. Dort habe er erstmals von einem Drohbrief erfahren. Dessen genauen Inhalt kenne er jedoch nicht, da die Brüder der BF2 diesen nur seiner Frau vorgelesen hätten. In derselben Nacht sei eine Übungsgranate in den Garten des Elternhauses geworfen worden. Zwei Monat vor der Flucht seien sie (in der Niederschrift findet sich jeweils die Bezeichnung wir, die auf die bfP hindeutet), als sie auf der Suche nach jemandem der die Familie ins Ausland bringen könne, mit den Pkw nach Al Mansour unterwegs gewesen. An einer Ampel sei es notwendig gewesen, den Wagen anzuhalten. Hierbei sei auf alle haltenden Autos geschossen worden, der BF1 vermochte jedoch nicht anzugeben, ob es sich dabei um einen gezielten oder eher um einen generellen Angriff gehandelt hätte [BF1; AS 41f].

Davon abgesehen gebe es keine weiteren Fluchtgründe [BF1; AS 47 Mitte].

Anlässlich ihrer niederschriftlich dokumentierten Einvernahme durch die belangte Behörde hatte die BF2 zu ihren Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates die Fluchtgründe ihres Ehemannes bestätigt, jedoch erst auf Nachfragen des Leiters der Amtshandlung die Schussattacke an der Ampel vorgebracht. In diesem Zusammenhang gab auch die BF2 bekannt, den genauen Inhalt des Drohbriefes nicht zu kennen, sondern diesen lediglich von ihrem Bruder vorgelesen bekommen zu haben. Gründe für die Bedrohung seien die syrische Abstammung ihres Ehemannes, dessen sunnitische Glaubensausrichtung und der Vorwurf gewesen, "Saddamist" zu sein [BF2; AS 39].

Während die Fluchtroute und der Ablauf vom BF1 und der BF2 glaubhaft geschildert wurden kam es zu Widersprüchen und Ungereimtheiten in den Aussagen vor den Behörden und dem Bundesverwaltungsgericht. Während die Abläufe bezüglich des Drohbriefes, der Besuch des Mokhtar und die Bedrohung durch eine Übungsgranate noch gleichbleibend geschildert wurden, wies speziell die Erzählung über den Schussvorfall an der Ampel erhebliche Abweichungen und Ungereimtheiten auf. Während der BF1 im Rahmen der Erstbefragung noch den Singular verwendete, wechselte er vor der belangten Behörde und auch dem Bundesverwaltungsgericht in den Plural und erklärte sich damit, dass er mit "wir" nicht seine Familie, sondern die anderen betroffenen Autofahrer gemeint habe [PV des BF1 vom 03.07.2019, S. 27]. Bei der hg. Vernehmung steigerte der BF1 sein Vorbringen dahingehend, dass die Täter zuerst in seinem Auto gewesen sein sollen und um sich geschossen hätten, kurz darauf meinte er, die Täter hätten aus einer Entfernung von etwa 15m auf ihn und die anderen Fahrzeuge geschossen und ihm sei durch die Beifahrertüre die Flucht gelungen:

"BF1: Abgesehen von diesem Drohbrief hatte ich auch ein anderes Problem. Als ich ausreisen wollte, hielt ein Wagen vor mir. Zwei männliche Personen stiegen aus und kamen zu mir in meinen Wagen. Sie fingen an herumzuschießen und in Richtung meines Wagens. Zwei meiner Insassen im Nebenfahrzeug wurden getötet. Dann haben sie auf meinen Wagen geschossen, aber erwischt haben sie mich nicht. Ich war schneller und ergriff die Flucht. Ich konnte über den Beifahrersitz aus dem Fahrzeug flüchten und davon laufen. Sie liefen mir nach.

VR: Wo befanden sich die beiden Männer, als sie zu schießen begannen?

BF1: Das war eine große Kreuzung mit vielen Ampeln. Das Fahrzeug der Täter war auf der anderen Seite der Kreuzung. Es musste stehen bleiben, da die Ampel auf Rot war. Zwischen meinem Fahrzeug und dem Fahrzeug der männlichen Personen lagen ca. 20 m. Sie stiegen aus und kamen zu Fuß auf mein Auto zu. Der Fahrer von ihnen blieb im Fahrzeug.

VR: Wo waren die beiden Männer, als sie das Feuer eröffneten?

BF1: Die Kreuzung war ca. 30 m lang. Ca. 15 m kamen sie näher und fingen an zu schießen.

VR: Wann haben Sie die Flucht ergriffen?

BF1: Wie gesagt bin ich über die Beifahrerseite meines Fahrzeuge ausgestiegen und gelaufen.

VR: Wie sahen die Männer aus?

BF1: Sie trugen Zivilkleidung. Schon beim Aussteigen trugen Sie Kaputzen über ihren Köpfen und dann begannen sie zu schießen.

VR: Mit was haben sie geschossen?

BF1: Ich glaube, dass es sich dabei um automatische Schusswaffen handelte.

VR: Haben die Männer, bevor sie das Feuer eröffneten, Sie angesprochen?

BF1: Nein. Sie waren weit weg von mir.

VR: Können Sie angeben, in welcher Entfernung sich die beiden Männer waren, als sie das Feuer auf Ihr Auto eröffneten?

BF1: Genau kann man das nicht sagen. Aber sie haben die Schüsse eröffnet als sie ca. 10 m von ihrem Auto entfernt waren." [Auszug aus der PV des BF1 vom 02.07.2019, S. 19ff].

Auch wenn die Einschätzung der Distanz im Zeitpunkt einer vermeintlichen Stresssituation hier nicht von Bedeutung ist, so ist es doch nicht unwesentlich, ob sich die Schützen im Fahrzeug des BF1 oder außerhalb desselben, in einer Entfernung von 10 m oder 15 m befanden.

Bei Wahrunterstellung des behaupteten Angriffes, dem der BF1 ausgesetzt gewesen sein soll, erscheint die Angaben der BF2 dem erkennenden Gericht weder plausibel noch glaubwürdig, dass sie erst in Österreich von diesem Vorfall erfahren haben soll. Die mangelnde Glaubwürdigkeit dieser Schilderung wird dadurch gestützt, dass der Erstbeschwerdeführer angegeben hatte, dass er seinen Pkw von anderen Leuten holen ließ; auch hätte das Fahrzeug des BF1 nach dem behaupteten Schussattentat zumindest Einschussspuren aufweise müssen, was der BF1 weder behauptete, noch belegte. Am Wahrheitsgehalt der Behauptungen des BF1, dass er von Angehörigen der oben näher bezeichneten Miliz beschossen worden sei, sind gegründete Zweifel schon durch seine Aussage vor der belangten Behörde entstanden, sich nicht sicher gewesen zu sein, ob er direkt das Ziel des Attentats war oder es sich um eine generelle Attacke gehandelt hätte. In der PV vor dem BVwG gab er dagegen an, dass er das Ziel der Schüsse gewesen sei. Bei Wahrunterstellung dieser Angabe, mit der er sich mit seinen vor dem BFA gemachten Angaben in einen eklatanten Widerspruch setzte, verschließt sich dem Gericht, wie er bei der behaupteten geringen Entfernung, aus der die Schüsse abgegeben worden sein sollen (einerseits sollen sie von den im Auto befindlichen Schützen abgegeben worden sein; an anderer Stelle sollen die Schützen ca. 10 m oder 15 m vom Fahrzeug des BF1 entfernt gewesen sein, was auch noch nahe ist), lebend davon kommen konnte bzw. ohne (im Krankenhaus oder von einem Arzt behandelte) schwere Verletzungen davon kam. Bei der vom BF1 angegebenen geringen Entfernung verfehlen Schüsse, wenn sie von mehreren Schützen gezielt auf ein Opfer abgegeben werden, ihr Ziel nicht. Zweifel an einem gezielten Angriff auf den BF1 entstehen weiter dadurch, dass dieser angab, dass auch andere Verkehrsteilnehmer betroffen waren und nicht zuletzt dadurch, dass er sich vor der belangten Behörde nicht sicher war, ob die Schüsse direkt auf ihn abgegeben worden seien oder nicht.

Es scheint auch wenig glaubhaft, dass die bfP ihre Heimat verlassen haben, ohne den genauen Inhalt des angeblichen Drohbriefes zu kennen. Weder der BF1 noch die BF2 haben diesen jemals zu Gesicht bekommen. Lediglich die Zweitbeschwerdeführerin hat den Inhalt von ihrem Bruder vorgelesen bekommen. Es ist zudem auffällig, dass die BF2 sowohl vor der belangten Behörde also auch vor dem Bundeverwaltungsgericht nur den Erhalt des Drohbriefes ad hoc erwähnte, den Vorfall mit der Übgungsgranate und die Schussattacke an der Ampel jedoch immer erst auf Nachfragen oder nach längeren Überlegungspausen. Es scheint wenig realistisch, dass die Erinnerung an solch einschneidende und fluchtauslösende Ereignisse erst mit der Unterstützung der vernehmenden Beamten bzw. durch den vorsitzenden Richter hervorkommt.

Auch die Angabe der bfP, dass der BF1 als ehemaliges Mitglied der Baath-Partei gefährdet worden sei, konnte diese nicht glaubhaft machen. Der BF1 war im Zeitraum von XXXX bis XXXX als Parteimitglied eingetragen und ab dem Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der Partei nicht mehr aktiv, sohin bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 gesamt 22 Jahre. Es erscheint daher, auch eingedenk der Tatsache, dass der Erstbeschwerdeführer als Parteimitglied keine exponierte Stellung innehatte und seit dem Jahr XXXX politisch inaktiv ist, eine Bedrohung aus politischen Gründen im Jahr 2015 völlig unglaubwürdig; dies erfährt zusätzlich Nahrung dadurch, dass die bfP seit dem Zeitpunkt des Sturzes Saddam Husseins im Jahr 2003 fast 12 Jahre unbehelligt einem mehrheitlich schiitischen Wohnumfeld leben konnten.

Bei Wahrunterstellung der behaupteten Bedrohung und der behaupteten geplanten Vertreibung aus ihrer Wohngegend ist es zusätzlich unlogisch, dass die ebenfalls sunnitischen Brüder der BF2 weiterhin unbehelligt in dieser Gegend leben, zumal sie als gebürtige Iraker dem syrischen Schwager ein Wohnrecht eingeräumt hatten. Ein weiterer Hinweis auf eine nicht vorhandene Bedrohung gegen die bfP findet sich auch darin, dass die Tochter der BF2 bereits nach zwei Monaten wieder freiwillig in ihren Heimatstaat zurückgekehrt ist.

In Anbetracht der angeführten Widersprüche und Inkonsistenzen erscheinen die Angaben des BF1 und der BF2, die sie als Grund für ihre Ausreise aus dem Herkunftsstaat nannten, als

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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