TE Bvwg Beschluss 2020/4/1 W144 2223927-2

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Veröffentlicht am 01.04.2020
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Entscheidungsdatum

01.04.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W144 2223927-2/3E

BESCHLUSS!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb, StA. von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes Für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2020, Zl: XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und das Verfahren zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger von Somalia und hat am 06.08.2019 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet gestellt, der letztlich mit Erkenntnis des BVwG vom 10.10.2019, Zl. XXXX , gem. §§ 4a, 10 Abs. 1 Z 1 und 57 AsylG sowie § 9 BFA-VG und § 61 FPG rechtskräftig zurückgewiesen wurde.

Am 17.02.2020 stellte der BF einen neuerlichen, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte der BF aus, dass er in Italien subsidiär schutzberechtigt sei, dass jedoch seine Familie, konkret seine Ehegattin und seine beiden minderjährigen Kinder, in Österreich asylberechtigt seien und er bei diesen leben wolle.

Italien teilte bereits im Vorverfahren mit Schreiben vom 19.08.2019 mit, dass dem BF in Italien ein Aufenthaltsrecht als subsidiär Schutzberechtigter bis 12.11.2020 gewährt worden sei.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 04.03.2020 gab der BF im Wesentlichen zu Protokoll, dass seine Frau und seine beiden Kinder, 14 und 12 Jahre alt, in Österreich asylberechtigt seien. Er wisse seit Mai 2019, dass sich seine Familienangehörigen in Österreich befinden; seine Kinder würden hier in die Schule gehen. Er selbst koche für die Kinder, hole sie von der Schule ab, bringe ihnen Bücher aus der Bücherei, damit diese lesen könnten. Nachmittags bringe er seinen Sohn zum Fußballspielen. Seiner Frau helfe er beim Einkaufen. Seine Frau bekomme vom Sozialamt Geld, er selbst werde von seinem in Wien aufhältigen Schwager unterstützt. Falls die Behörde Zweifel an seiner Vaterschaft habe, sei er auch bereit, einen DNA Test zu machen. Seine Frau sei nicht zu ihm nach Italien gereist, da diese nicht gewusst habe, wo er sich aufhalte. Er sei froh, dass er seine Familie gefunden habe. Er führe ein Familienleben mit seiner Frau und den beiden minderjährigen Kindern, alle würden in einem Haushalt leben. Der BF sei arbeitsfähig und arbeitswillig und wolle in Österreich bleiben, um hier seine Familie zu ernähren.

Das BFA wies sodann den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 11.03.2020 gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass sich der BF nach Italien zurück zu begeben habe. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG werde die Anordnung der Außerlandesbringung des BF angeordnet und sei demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Italien zulässig.

In der Begründung traf das BFA Feststellungen zur allgemeinen asyl- und menschenrechtlichen Situation in Italien, konkret zu Dublin-Rückkehrern und Schutzberechtigten, zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Asylverfahrens, zur Versorgung, einschließlich der medizinischen Versorgung von Antragstellern, sowie zu deren Unterbringung.

Gegen diesen am 12.03.2020 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde des BF.

Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 30.03.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.

Feststellungen zur gegenwärtigen Situation der Corona-Virus-Pandemie und der - diesbezüglich dramatischen - Lage in Italien, die notorisch dergestalt ist, dass Italien am 10.03.2020 seine Grenzen und am Mittwoch 11.03.2020 auch landesweit alle Lokale/Geschäfte (Ausnahme: Apotheken und Lebensmittelläden) geschlossen hat und mit einer enormen Anzahl - nahezu 100.000 - von Erkrankten sowie mittlerweile 10.779 Toten (30.03., 13 Uhr) konfrontiert ist, hat das BFA in der angefochtenen Entscheidung vom 11.03.2020 keine getroffen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus den Akten des Bundesamtes.

Die Feststellungen zur Anzahl der in Italien mit Covid-19 infizierten Personen und der Anzahl der daran Verstorbenen ist notorisch bzw. ergibt sich aus der täglich aktualisierten Berichterstattung im Internet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG idgF lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

[ ... ]

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

[ ... ]

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

[ ... ]

und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Zu A) Behebung des bekämpften Bescheides:

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Das BFA hat in den angefochtenen Entscheidungen grundsätzlich Feststellungen über die rechtliche und faktische Situation von Antragstellern und Schutzberechtigten in Italien getroffen. Angesichts der gegenwärtigen, notorischen Lage im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Pandemie ist es jedoch unumgänglich, diese allgemeinen und generellen Feststellungen zur Versorgung und Unterbringung von Asylwerbern in Italien vor dem Hintergrund der verschärften Lage zu beleuchten, sodass diesbezüglich über die konkrete Situation des BF im Falle seiner Rückkehr Feststellungen getroffen werden müssen, um eine Verletzung seiner Rechte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Zudem hat Italien notorisch seine Staatsgrenzen geschlossen, sodass gegenwärtig nicht klar ist, ob eine Rücküberstellung des BF nach Italien von den italienischen Behörden überhaupt akzeptiert werden würde.

Der festgestellte Sachverhalt in den angefochtenen Bescheiden ist daher insoferne mangelhaft iSd § 21 Abs. 3 BFA-VG, als er keine tragfähige Grundlage zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation der BF im Falle seiner Rücküberstellung darstellt.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pandemie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W144.2223927.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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