TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/3 W155 2230006-1

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Veröffentlicht am 03.04.2020
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Entscheidungsdatum

03.04.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W155 2230006-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch den Verein BARIS, Europäische Menschenrechte-Hilfsorganisation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl: XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von ? 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) reiste im Jahr 2004 mit einem Visum in das österreichische Bundesgebiet ein und verfügte über Aufenthaltstitel als Familienangehöriger, seit 2010 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU".

Der BF wurde bereits 2006 strafrechtlich verurteilt, zuletzt 2012 und 2014.

Das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) erließ mit Bescheid vom 12.07.2016 gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Türkei fest. Außerdem wurde ein für die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.08.2016 die aufschiebende Wirkung zuerkannt, die Beschwerde selbst mit Beschluss vom 29.09.2016 als verspätet zurückgewiesen, die Rückkehrentscheidung ist in Rechtskraft erwachsen.

Die mit Unterstützung des Vereins für Menschenrechte vorbereitete freiwillige Ausreise fand nicht statt, Festnahmeaufträge verliefen erfolglos. Der BF war untergetaucht bzw. unbekannten Aufenthaltes.

Am XXXX wurde der BF von Beamten der Landespolizeidirektion Wien aufgrund eines Verstoßes gegen die Maßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 kontrolliert und im Rahmen einer fremdenrechtlichen Überprüfung festgestellt, dass sich der BF illegal im Bundesgebiet aufhält und über keine behördliche Meldung oder einen Aufenthaltsort verfügt. Der BF wurde in der Folge angezeigt, festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel überstellt.

Am 24.03.2020 wurde dem BF im behördlichen Verfahren der Zweck der Schubhaft und die Möglichkeit zur kurzfristigen freiwilligen Ausreise nach Istanbul mitgeteilt, um die Dauer der Schubhaft zu verkürzen. Der BF gab an, nicht aus Österreich abgeschoben und nicht von seinen Kindern getrennt werden zu wollen.

Mit angefochtenem Bescheid ordnete die belangte Behörde über den BF die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an. Sie führte im Wesentlichen das bisherige Verhalten des BF ins Treffen und dessen Missachtung der österreichischen Rechtsordnung. Sie begründetet die Fluchtgefahr, den Sicherungsbedarf, die Verhältnismäßigkeit und daher Rechtmäßigkeit verhängten Schubhaft.

Gegen diesen Bescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende Beschwerde mit der Begründung, dass auf Grund der unbestimmten Entwicklungen und Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit Covid-19 keine Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Schubhaft vorliege. Zudem laufe der BF Gefahr von Häftlingen angesteckt zu werden. Er pflege zu seiner geschiedenen Frau und seinen Kindern engen Kontakt und müsste die Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK zu seinen Gunsten ausfallen. Beantragt wurde die Enthaftung, der gesetzmäßige Kostenersatz sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor, gab eine Stellungnahme ab und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den BF zum Ersatz näher genannten Kosten zu verpflichten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person:

Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Türkei, stammt aus XXXX und ist Moslem. Er ist nicht österreichischer Staatsbürger, sohin Fremder im Sinne des FPG. Seine Identität steht fest. Er besitzt einen gültigen Reisepass. Er ist in Österreich illegal aufhältig. Der BF hat in der Türkei eine Berufsausbildung zum Installateur mit Werkmeisterprüfung abgeschlossen.

Zur Situation in Österreich, familiär, sozial

Der BF ist seit Oktober 2008 nach einer 4-jährigen Ehe geschieden. Aus dieser Ehe stammen zwei minderjährige Kinder. Das Sorgerecht obliegt der Mutter der Kindesmutter (Großmutter ms). Der BF hat Kontakt zu seinen Familienangehörigen.

Die Eltern des BF leben in der Türkei.

Der BF ist seit September 2016 unbekannten Aufenthaltes, er hat keinen aufrechten Wohnsitz, ist nicht gemeldet und hat auch sonst keinen gesicherten Aufenthaltsort angegeben. Er kann auf Grund des rechtskräftig beendeten Aufenthaltsrechtes keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehen, sein Unterhalt ist nicht gesichert, er verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel.

Der BF ist gesund, arbeitsfähig.

Vor der gegen ihn erlassenen Rückkehrentscheidung war der BF weder sozial noch beruflich verfestigt, er hatte kein länger andauerndes Dienstverhältnis (tlw. nur monatsweise) und bezog über weite Strecken Krankengeld, Notstandshilfe und Überbrückungsgeld. Er wechselte mehrmals seinen Wohnsitz, an seiner zuletzt angegebenen Adresse war er nicht wohnhaft.

Er wurde strafrechtlich verurteilt:

01) BG DONAUSTADT 032 U 104/2011m vom 19.01.2012 RK 03.05.2012

§ 125 StGB, § 83 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 03.10.2011

Freiheitsstrafe 8 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre, Vollzugsdatum 03.05.2012

02) LG f. STRAFS.WIEN 042 HV 46/2013k vom 07.03.2014 RK 23.04.2014

§ 83 (1) StGB, § 201 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 07.04.2013

Freiheitsstrafe 24 Monate, davon Freiheitsstrafe 16 Monate, bedingt, Probezeit. Vollzugsdatum 26.06.2014.

Zur Schubhaft, Fluchtgefahr, zum Sicherungsbedarf,

Gegen den BF wurde 2016 eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem 7-jährigen Einreiseverbot erlassen. Die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise hat er nicht wahrgenommen. Der BF ist untergetaucht und hat die gesetzlichen Anordnungen nicht befolgt.

Er hat keine aufrechte Hauptwohnsitzmeldung und hat sich einem behördlich Verfahren durch Untertauchen entzogen. Er hat seinen Aufenthalt im Verborgenen geführt und dadurch über viele Jahre hindurch seine Abschiebung verhindert. Er wurde durch Zufall aufgegriffen.

Der BF ist nicht rückkehrwillig, er ist nicht vertrauenswürdig.

Er ist haftfähig.

Der BF missachtet die österreichische Rechtsordnung (zB Verstoß gegen durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme, Meldewesen, Covid-19 Bestimmungen, Strafbestimmungen, etc.).

2. Beweiswürdigung:

Zur Person

Der Verfahrensgang und die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde und dem Gerichtsakt des BVwG, deren Akteninhalte der BF in keiner Phase des Verfahrens substantiiert entgegengetreten ist.

Situation in Österreich, familiär, sozial

Die Feststellungen zur Familiensituation ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verfahrensaktes der belangten Behörde, den Einvernahmeprotokollen im Verfahren zur Rückkehrentscheidung, sie wurden nicht bestritten. Dass der BF Kontakt zu seinen Kindern und zur Kindesmutter hat, ist glaubwürdig. Er hat aber durch sein rechtswidriges Verhalten sein Familienleben aufs Spiel gesetzt und musste Konsequenzen in Kauf nehmen. Er hat nicht versucht, durch stetige Arbeit und Lebensverhältnisse zu einem Familieneinkommen und geordneten Familienleben beizutragen. Es ist nicht verständlich, warum er seine Chancen in Österreich nicht genutzt hat. Eine sonstige soziale Verankerung hat das Verfahren nicht ergeben.

Der Gesundheitszustand ergibt sich aus der amtsärztlichen Untersuchung, aus der sich keine psychiatrische Krankheit ergibt.

Die Feststellungen zur Wohnsitz- und Beschäftigungssituation ergeben sich aus der zentralen Meldeauskunft und dem Versicherungsdatenauszug. Die strafrechtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem aktuellen Strafregister und dem Verfahrensakt. Auch hier erfolgte kein gegenteiliges Vorbringen.

Zur Schubhaft, Fluchtgefahr, zum Sicherungsbedarf

Das Vorliegen einer rechtskräftigen durchsetzbaren Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot steht außer Zweifel. Die vorbereitete freiwillige Ausreise wurde vom BF durch Untertauchen vereitelt. Dass der BF ca.3 1/2 Jahre im Verborgenen gelebt hat und für die belangte Behörde nicht greifbar war, ergibt sich aus dem Behördenakt und blieb unbestritten. Durch das damalige Untertauchen wurde der Fortgang der Abschiebung verhindert. Für das erkennende Gericht ist ein solches Verhalten nicht vertrauenswürdig. Das zeigt sich auch dadurch, dass der BF bereits zu zwei Haftstrafen verurteilt wurde, die auf derselben schädlichen Neigung beruhten. Der fehlende Rückreisewille lässt sich aus dem Gesamtverhalten und dem Untertauchen klar erkennen und wird durch seine eindeutige Aussage am 24.03.2020, dass er nicht aus Österreich abgeschoben werden möchte und nicht selbständig dazu bereit ist, belegt. Die bestehende Fluchtgefahr wurde nicht bestritten.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A) I

Gemäß § 22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

Gemäß § 22a (1a) BFA-VG gelten für Beschwerden gemäß Abs. 1 die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden

Gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG darf die Schubhaft nur angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Eine Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 2 Z 1 oder 2 FPG liegt gemäß Abs. 3 vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere ua. zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

[..]

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

Gemäß § 76 Abs. 4 FPG ist die Schubhaft schriftlich mit Bescheid gemäß § 57 AVG zu erlassen. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt gemäß § 76 Abs. 5 FPG die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig"(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, "weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese 'Einstellungsänderung' durch Haftdauer zu erwirken.

Das bedeutet für den vorliegenden Fall:

Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf

Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er verfügt über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - möglich ist. Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft sind das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes hinsichtlich der Durchführung der Abschiebung, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht, wie hier gegeben.

Im vorliegenden Fall beruhte die Anordnung der Schubhaft auf Grund der bisherigen Umgehung bzw. Verhinderung der Ausreise durch Untertauchen. Der BF war in der Vergangenheit weder an seiner zuletzt gemeldeten Wohnadresse aufhältig, noch sonst auf einem sonstigen Aufenthaltsort für die Behörden greifbar. Es ist ihm gelungen, etwa 3 1/2 Jahre illegal nicht in Erscheinung zu treten, also sich im Verborgenen aufzuhalten. Er konnte sich so erfolgreich einer Abschiebung entziehen und hat damit gegen seine durchsetzbare Ausreisepflicht verstoßen. Die Fluchtgefahr ist allein schon durch das Vereiteln der Abschiebung evident. Der BF wurde zufällig aufgegriffen. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF in Freiheit alles unternehmen wird, auch in Zukunft einer Abschiebung zu entgehen oder sie zu verhindern. Es ist daher ein beträchtliches Risiko des Untertauchens gegeben. Seine zunächst geplante freiwillige Ausreise hat der BF abgebrochen und ist unbekannt verschwunden. Auf Grund des gerichtlichen Beweisverfahrens sieht das erkennende Gericht einen Sicherungsbedarf gegeben. Zudem hat sich der BF in der Vergangenheit als "unstet" erwiesen. Er konnte kein länger andauerndes Arbeitsverhältnis eingehen, auch seine ständig wechselnden Wohnsitze sind auffällig, was ebenfalls seine Verlässlichkeit beeinträchtigt.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF vor Anordnung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung hat ergeben, dass mehrere Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprechen. Es war daher eine konkrete Einzelfallbeurteilung vorzunehmen. Eine familiäre Bindung liegt vor bzw. ist nicht auszuschließen und es ist anzunehmen, dass der BF Kontakt zu seinen Kindern, Schwiegereltern und Exfrau hat. Aber wie schon die belangte Behörde zutreffend ausführte, wurde die familiäre Situation in der Rückkehrentscheidung berücksichtigt. Eine Verfestigung kann aber nicht in dem Ausmaß angenommen werden, dass sie ihn von seinem Untertauchen abgehalten hätte. Dem BF musste in diesem Zusammenhang die Folgen seines unrechtmäßigen Aufenthaltes bewusst gewesen sein. Es kann seitens des Gerichtes nicht erkannt werden, weshalb man beim BF davon ausgehen sollte, dass er sich nunmehr den behördlichen Anordnungen zu fügen gewillt wäre und sich für die Behörden bereithalten würde. Der BF ist, wie festgestellt, nicht vertrauenswürdig. Im Rahmen einer gesamthaften Betrachtung ergibt sich für das Gericht, dass der BF in Österreich weder nennenswert sozial, noch beruflich verankert ist und auch über keine Unterkunft oder festen Aufenthaltsort verfügt oder nennen kann. Er hat die bestehenden Rechtsvorschriften missachtet und hat auch die vorzunehmende Verhaltensprognose einen Sicherungsbedarf ergeben, sodass der BF weiterhin als fluchtgefährlich zu qualifizieren war.

Verhältnismäßigkeit

Darüber hinaus ist die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ebenso nicht gegeben. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Betrachtet man die Interessen des BF an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären und sozialen Verhältnisse im Inland zeigt sich, dass der BF über zwar über eine familiäre Bindung in Österreich verfügt, die aber nicht in der Lage war, dem BF einen fundierten Halt zu geben. Weder hat er sich beruflich etabliert und verfestigt, noch sein Verhalten den Gepflogenheiten angepasst. Der BF hat durch seine über Jahre gehende Ignoranz seiner Ausreiseverpflichtung und die begangenen Straftaten gegen geltende Gesetze des Landes verstoßen und damit zum Ausdruck gebracht, dass er ganz klar keine Unterordnung unter das im Inland bestehende Rechtssystem beabsichtigt. Der BF kann keinen Grund nennen, der eine rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich begründet. Die Republik Österreich hat klargestellt, dass ein Verbleib des BF derzeit nicht rechtlich gedeckt ist und sohin ein erhöhtes Interesse an einer Außerlandesbringung kundgetan. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europäischen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen. Bei der Interessenabwägung wurde das private Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintangestellt. Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung. Das Gericht geht daher von einer Verhältnismäßigkeit aus, zumal die belangte Behörde bemüht war, eine baldige Abschiebung durchzuführen (die Flugtickets waren bestellt) und bemüht sein wird, eine Ausreise nach aktueller Verfügbarkeit zu prüfen und entsprechend durchzuführen. Ein Zubringen in der Schubhaft ist dem BF zumutbar. Wie oben angeführt, hat der BF über viele Jahre, ihn treffende Rechtsnormen im Inland ignoriert und wurde auch zum Straftäter. Dieses Verhalten war vom Gericht in die Beurteilung miteinzubeziehen. Das Fehlverhalten des BF kann daher nicht unbeachtet bleiben. Das öffentliche Interesse an einer gesicherten Abschiebung des BF ist daher im vorliegenden Fall durchaus erkennbar und ist es dem BF daher auch aus Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit zumutbar, weiter in Haft zu verbleiben.

Das Gericht schließt nicht aus, dass es aufgrund der derzeitigen Pandemie (CoViD-19) in den kommenden Wochen weiterhin zu Verzögerungen oder Annullierungen von Flügen im internationalen Flugverkehr kommen könnte. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht jedoch aus aktueller Sicht weiterhin. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand mit wenigen Monaten einzustufen. Aus derzeitiger Sicht ist auch damit zu rechnen, dass die gegenwärtigen Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 zumindest noch vor dem Sommer weitgehend gelockert und Abschiebungen durchführbar sind. Das im Rahmen der Beschwerde in den Raum gestellte Problem einer potenziellen (erhöhten) Infektionsgefahr mit Covid-19 in der Schubhaft ist nicht nachvollziehbar begründet und letztlich rein spekulativ.

Gelinderes Mittel

Die Anordnung eines gelinderen Mittels führt nach Ansicht des Gerichts nicht zu einer ausreichenden Sicherung der Durchführbarkeit einer konkreter werdenden Abschiebung. Die Kriterien, die bereits unter dem Punkt "Sicherungsbedarf" erörtert wurden, zeigen eindeutig, dass eine jederzeitige Erreichbarkeit des Beschwerdeführers nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der ein evidentes Interesse daran hat, dass er im Inland verbleiben kann, nicht abermals für die Behörde unerreichbar sein und nicht wieder erfolgreich untertauchen würde. Auch hat die Vergangenheit bereits gezeigt, dass der BF nicht gewillt war, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Es besteht daher für das Gericht kein Grund davon auszugehen, dass ein gelinderes Mittel eine ausreichende Sicherung der Abschiebung des BF bedeuten würde. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Behörde daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Anordnung gelinderer Mittel nicht das Auslangen gefunden werden kann.

Die gegenständlich verhängte Schubhaft erweist sich daher auch als "ultima ratio" und wird die Schubhaft auch bis zur erfolgreichen Abschiebung vorerst weiterzuführen sein. Auf Grund des zuvor Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl Sicherungsbedarf, als auch Verhältnismäßigkeit gegeben sind und die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht als erfolgversprechend zu beurteilen war. In diesem Sinne ist auch das Kriterium der "ultima ratio" im vorliegenden Schubhaftverfahren gegeben.

Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten (Behördenakt und gerichtlicher Vorakt) abschließend ermittelt und beurteilt werden. Gründe für die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung liegen daher nicht vor. Das Gericht weicht nicht von der Beweiswürdigung der Behörde ab und hat sich bereits aus dem vorliegenden Akteninhalt klar ergeben, dass zur Klärung der Rechtmäßigkeit der vorliegenden Schubhaft die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich gewesen ist. Eine Einvernahme des BF zur Abklärung einer behaupteten Kooperationsbereitschaft bedürfte es schon aufgrund der bisherigen Verhaltensweise des BF nicht, da auch in diesem Verfahren keine Gründe behauptet worden, oder hervorgekommen sind, weshalb der BF seine bisherige Vorgehensweise des Untertauchens gerade jetzt ändern und für die Behörde nun greifbar bleiben sollte.

Zu Spruchpunkt A) II.

Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihres Zukunftsbezuges keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernde Umstände erkennen. Es war daher spruchgemäß

Zu Spruchpunkt A) III. und IV

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die Verwaltungsbehörde vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Einreiseverbot Fluchtgefahr öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf strafrechtliche Verurteilung Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W155.2230006.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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