Entscheidungsdatum
06.04.2020Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W161 2229865-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2020, Zl. 1261112001-200194487 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger stellte am 18.02.2020 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer der Kategorie 1 mit Deutschland vom 28.12.2018.
2. Bei der Erstbefragung am 19.02.2020 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe seinen Herkunftsstaat im Februar 2020 verlassen. Er habe von Dezember 2018 bis Dezember 2019 in Deutschland gelebt und dort im Jahr 2018 einen Asylantrag gestellt. Er könne nicht nach Deutschland zurück kehren, da sich dort ein ganzes Jahr niemand um seine Anliegen gekümmert habe. Ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft habe ihn damit bedroht, dass er Probleme seitens des deutschen Staates bekommen werde. Ihm sei amtlich verboten worden, in ein Krankenhaus zu gehen.
Er habe keine Beschwerden oder Krankheiten, auch habe er keine Familienangehörige in Östereich.
Als Fluchtgrund gab er an, er habe in Georgien Probleme mit dem Staat und mit Kriminellen.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) richtete am 21.02.2020 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Deutschland.
Mit Schreiben vom 27.02.2020 stimmte Deutschland dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-Verordnung ausdrücklich zu.
4.1. Die für 04.03.2020 vorgesehene Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA musste aufgrund gesundheitlicher Probleme des Beschwerdeführers unterbleiben.
4.2. Bei der Einvernahme durch das BFA am 09.03.2020 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe verschiedene Erkrankungen, er habe ein Herzleiden. Er sein genau 1 Jahr in Deutschland aufhältig gewesen. Er werde dort überall als Krimineller eingestuft, weil er ein Georgier sei. Er sei in Deutschland in Gefahr.
Der Beschwerdeführer legte zahlreiche Urkunden, insbesondere in georgischer Sprache vor, welche jedoch keiner Übersetzung zugeführt wurden.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Deutschland zulässig sei.
Dieser Bescheid legt in seiner Begründung insbesondere auch ausführlich dar, dass in Deutschland die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich seien und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen.
Die Identität des Antragstellers stehe fest. Der Antragsteller leide an keiner ernsten, lebensbedrohlichen Erkrankung, die einer Außerlandesbringung entgegenstehen würde.
Der Antragsteller habe am 28.12.2018 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Deutschland habe sich mit Schreiben vom 27.02.2020 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO zur Führung seines Asylverfahrens für zuständig erklärt.
Ein zuständigkeitsbeendendes Sachverhaltsmerkmal könne nicht festgestellt werden bzw. habe sich ein solches im Zuge des Verfahrens nicht ergeben. Der Antragsteller verfüge in Österreich überkeine familiären Anknüpfungspunkte. Eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich bestehe nicht. Auch könne nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller in Deutschland systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte.
Im Übrigen wurde ausgeführt, dass ein vom Beschwerdeführer im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen würden, im Verfahren nicht hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu. Die Ausweisung greife auch nicht auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMKR in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familien- und Privatlebens ein. Eine Anordnung zur Außerlandesbringung habe gemäß § 61 Abs. FPG zu Folge, dass die Abschiebung in den Zielstaat zulässig sei.
6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im wesentlichen vorgebracht wird, der wesentliche Sachverhalt sei vom BFA nicht hinreichend ermittelt worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.
Die Feststellungen zur Lage in Deutschland entsprechen dem Stand April 2018 (!).
Feststellungen zur gegenwärtigen Situation der Corona-Virus-Pandemie und der - sich diesbezüglich rasch verschärfenden - Lage in ganz Europa, die notorisch dergestalt ist, dass die Bundesrepublik Deutschland am 16.3.2020 weitestgehend die Grenzen zu Österreich geschlossen hat und auch landesweit ähnliche Maßnahmen wie Österreich (Schließung von Geschäften mit bestimmten Ausnahmen, Ausgangsperre etc.) getroffen hat und mit einem Anstieg von Erkrankten konfrontiert ist, fehlen in der angefochtenen Entscheidung zur Gänze, dies obwohl die Pandemie zum Zeitpunkt der Bescheid-Erlassung sehr wohl schon in Österreich und Deutschland aktuell war.
Auch wurden vom Beschwerdeführer vorgelegte Urkunden in georgischer Sprache nicht übersetzt. Auch auf die vom Beschwerdeführer angegebenen Erkrankungen wurde nicht näher eingegangen und diesbezüglich keine medizinischen Gutachten eingeholt.
Auch entsteht bei Durchsicht des Aktes in Hinblick auf die Äußerungen des Beschwerdeführers in seiner Einvernahme und sein an den Tag gelegtes aggressives Verhalten und die geäußerten Ängste vor einer Verfolgung durch Beamte der Staatsanwaltschaft doch der dringende Verdacht, dass der Beschwerdeführer auch an einer psychischen Erkrankung oder Stärung leiden könnte. Dies wäre jedenfalls durch Einholung eines entsprechenden Gutachtens abzuklären.
2. Beweiswürdigung:
Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Akt des BFA.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 57/2018, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.
Nach § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG idgFbestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBl I 144/2013).
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:
§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. ...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:
"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Das BFA hat in den angefochtenen Entscheidungen grundsätzlich Feststellungen über die rechtliche und faktische Situation von Dublin-Rückkehrern in Deutschland mit Stand April 2018 getroffen. Angesichts der gegenwärtigen, notorischen Lage im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Pandemie ist es jedoch unumgänglich, diese allgemeinen und generellen Feststellungen zur Versorgung und Unterbringung von Asylwerbern in Deutschland vor dem Hintergrund der verschärften Lage zu beleuchten.
Auch hat Deutschland jüngst seine Staatsgrenzen weitestgehend geschlossen und zuletzt Überstellungen nach der Dublin-Verordnung eingestellt, sodass gegenwärtig nicht klar ist, ob eine Rücküberstellung des BF nach Deutschland von den dortigen Behörden überhaupt akzeptiert werden würde.
Auch sind wie oben dargestellt die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden einer Übersetzung zuzuführen und ist sein physischer und psychischer Zustand durch Einholung entsprechender Gutachten abzuklären.
Der festgestellte Sachverhalt im angefochtenen Bescheid ist daher insoferne mangelhaft iSd § 21 Abs. 3 BFA-VG, als er keine tragfähige Grundlage zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation der BF im Falle ihrer Rücküberstellung darstellt.
Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im vorliegenden Fall liegen die tragenden Elemente der Entscheidung allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, die auf den umfassenden und aktuellen Feststellungen der Behörde über die Lage im Vertragsstaat beruht, sowie in der Bewertung der Intensität des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin und demgemäß in Tatbestandsfragen.
Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W161.2229865.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020