TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/6 W161 2154592-2

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Veröffentlicht am 06.04.2020
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Entscheidungsdatum

06.04.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W161 2154592-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE-Rechtsberatung-Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2020, Zl. 1142764502-191169072 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3, 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer stellte am 11.02.2017 in Österreich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 10.04.2017 zurückgewiesen und wurde er gleichzeitig aus Österreich nach Deutschland ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 zur Zahl W233 2154592-1/2E abgewiesen. Dieses Verfahren erwuchs am 17.05.2017 in Rechtskraft.

2.1. Der Beschwerdeführer brachte am 15.11.2020 den vorliegenden (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein.

Eine EURODAC-Abfrage ergab drei Treffer der Kategorie 1 und zwar mit Österreich vom 11.02.2017 und mit Deutschland vom 23.05.201 sowie vom 10.02.2016.

2.2. Bei der Erstbefragung am 15.11.2019 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe nie in seiner Heimat gelebt. Er sei im Iran geboren und aufgewachsen. Er könne sich nicht erinnern, wann er den Iran verlassen habe, er glaube, er sei 15 oder 16 Jahre alt gewesen. Sein Zielland sei Deutschland gewesen, weil manche Familienmitglieder in Deutschland gelebt haben und er zu ihnen gewollt habe. In Österreich würden seine Eltern sowie zwei Brüder leben. Alle seien anerkannte Flüchtlinge. Als Fluchtgrund gab er an, er habe niemanden in Afghanistan. Außerdem habe er keine Religion und Tattoos, was ihn Afghanistan nicht toleriert werde. Er würde aufgrund dessen getötet werden. Über seine Asylgründe betreffend den Iran möchte er keine Angaben machen. Er habe sich drei bis vier Jahre in der Türkei aufgehalten und sei von dort über Griechenland, Mazedonien nach Deutschland gereist (Aufenthalt ca. 1 Jahr und 8 Monate). Anschließend sei er ca. drei Monate in Österreich gewesen, dann wieder ca. ein Jahr in Deutschland, fünf bis sechs Monate in Frankreich. Von dort sei er über Deutschland wieder nach Österreich gelangt, wo er sich seit ca. drei Monaten aufhalte. Von Österreich sei er aufgrund von Dublin-Verfahren nach Deutschland abgeschoben worden. Sein Asylantrag in Deutschland sei negativ entschieden worden und habe er eine Abschiebung bekommen. Er sei die meiste Zeit obdachlos gewesen und auf sich alleine gestellt.

2.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) richtete am 20.11.2019 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Deutschland.

Mit Schreiben vom 25.11.2019 stimmte Deutschland dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-Verordnung ausdrücklich zu.

Aus dem Schreiben der deutschen Dublin-Behörde ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in Deutschland unter fünf verschiedenen Namen sowie unter Angabe von zwei verschiedenen Geburtsdaten aufgetreten ist.

2.4. Bei der Einvernahme durch das BFA am 10.01.2020 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe eine ausführliche Rechtsberatung in Anspruch genommen. Er fühle sich physisch und psychisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren. Er habe bisher im Verfahren die Wahrheit gesagt. Er habe in Deutschland auf der Straße gelebt. Er sei acht Monate auf der Straße in XXXX gewesen. Auf die Frage, wie es ihm gesundheitlich gehe, gab der Beschwerdeführer an, er sei nicht ganz gesund. Er habe psychische Probleme. Er brauche eine OP. Er könne nicht richtig atmen. Der BF legte CT-Bilder vor und gab an, er hätte einen Unfall gehabt und habe drei bis vier Mal die Woche starke Kopfschmerzen. Er könne dann keine Adresse finden oder sich orientieren. Es gehe ihm dann sehr schlecht. Wenn es ihm schlecht gehe, dann schimpfe er jeden, egal wer vor ihm stehe.

In Österreich seien sein Vater, seine Mutter und seine Brüder. Alle seien anerkannte Flüchtlinge. Er lebe mit den angegebenen Familienangehörigen nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Befragt, ob er mit diesen jemals in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe, gab er an, nein, vor vier Jahren, als sie hergekommen wären, seien sie gemeinsam in einem Heim gewesen, für zwei bis drei Monate, danach sei seine Abschiebung nach Deutschland erfolgt. Befragt nach einem finanziellen oder sonstigen Abhängigkeitsverhältnis gab der Beschwerdeführer an: "Ja, wenn ich Geld brauche um Zigaretten oder einen Fahrschein zu kaufen, geben mir mein Vater oder Bruder Geld. Sie geben mir nicht viel Bargeld. Sie kaufen mir es. Sie unterstützen mich. Sie wollen auch, dass wir gemeinsam leben. Sie wollen mir helfen, dass ich mein Leben wieder aufbauen kann." Über Vorhalt der beabsichtigten Abschiebung nach Deutschland gab der Beschwerdeführer an, warum schicke man ihn dorthin. Er könne dort seine Termine nicht wahrnehmen und seine Medikamente nicht nehmen. Er habe dort Geld bekommen. Innerhalb von drei Tagen habe er es ausgegeben. Den ganzen Monat habe er dann gehungert. Damit meine er, er könne sein Leben nicht allein führen. Er könne nichts machen. Sein Vater und sein Bruder seien nach Deutschland gekommen und hätten dort einen Termin mit seinem Vertreter vereinbart. Er könne nichts machen. Er könne sein Leben nicht allein regeln. Er habe sehr viel Pech in seinem Leben, immer wieder. Er sei in Deutschland nicht in medizinischer Behandlung gewesen. Auf die Frage, warum nicht, gab er an, er könne seine Sachen nicht selber ordnen. Er wisse nicht warum. Er habe hier eine Strafe bekommen, weil er drei Monate in XXXX gelebt habe. Die Strafe habe er verloren. Jetzt müsse er sitzen. Befragt, warum er in Deutschland acht Monate auf der Straße gelebt habe, gab er an, die Polizei sei hinter ihm her gewesen und habe ihn nach Afghanistan abschieben wollen. Er habe sich einige Monate bei seinen Freunden versteckt, aber es sei nicht mehr gegangen. Er habe auch kein Geld gehabt.

2.5. Die Sachverständige Dr. XXXX kommt in ihrer gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren nach Untersuchung des Beschwerdeführers zu dem Ergebnis, dass bei dem Beschwerdeführer aus aktueller Sicht keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, jedoch eine psychische Störung durch psychotrope Substanzen in Form von Heroinabhängigkeit F11.2, sowie der Verdacht auf multiplen Substanzgebrauch F19.0 vorliege.

An therapeutischen bzw. medizinischen Maßnahmen werde angeraten, eine eventuelle Aufnahme in das Drogenersatzprogramm oder eine Entzugsbehandlung, diese sei in jedem europäischen Land möglich. Sofort notwendige Maßnahmen und Behandlungen werden nicht angeführt. Weiters wird ausgeführt, dass eine Verschlechterung bei Überstellung nicht auszuschließen sei. Eine akute Suizidalität finde sich derzeit nicht.

In der Schlussfolgerung führt die Sachverständige an, es finde sich eine eindeutige und vom Asylwerber auch angegebene Drogenkrankheit. Der Asylwerber sei jedoch kognitiv ausreichend in der Lage, seine Interessen ohne Nachteil für sich wahrzunehmen. Eine Substitutions- oder Entzugsbehandlung könne in jedem europäischen Zielland erfolgen.

Eine Operation der Nase scheine derzeit nicht akut angezeigt und könne gegebenenfalls ebenfalls in jedem anderen Land der EU erfolgen.

2.6. In der Stellungnahme vom 18.02.2020 zu diesem Gutachten wird ausgeführt, es könne nicht nachvollzogen werden, wieso die Ärztin zu dem Schluss komme, dass der Antragsteller kognitiv in der Lage sei, seine Interessen ohne Nachteil für sich wahrzunehmen. Dieser finde kaum Schlaf in der Nacht, sei heroinabhängig, unkonzentriert, seine Stimmung sei schwer gedrückt. In Deutschland habe er sich kaum um seine Angelegenheiten kümmern können und sei obdachlos gewesen. In Österreich habe er seine nahen Angehörigen. Er benötige dringend deren Unterstützung. Außerdem befinde sich der Antragsteller unter anderem wegen seiner Drogenabhängigkeit in Behandlung beim XXXX in XXXX . Zudem könne der Antragsteller wegen einer Nasenscheidewandkrümmung derzeit nur durch den Mund atmen. Es sei deswegen ein Operationstermin am 15.06.2020 angesetzt. Eine Überstellung und eine Unterbrechung der medizinischen Behandlung und familiären Fürsorge würde den Gesundheitszustand gravierend verschlechtern und könne sich existenzbedrohend auswirken.

2.7. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Deutschland zulässig sei.

Dieser Bescheid legt in seiner Begründung insbesondere auch ausführlich dar, dass in Deutschland die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich seien und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen.

Die Identität des Antragstellers stehe nicht fest. Der Antragsteller leide an einer psychischen Störung durch psychotrope Substanzen, im konkreten Fall Heroinabhängigkeit F11.2, und bestehe der Verdacht auf multiplen Substanzgebrauch F19.0. Des Weiteren leide er an einer Nasenscheidewandverkrümmung. Es könne nicht festgestellt werden, dass sonstige schwere psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten bestünden. Aus medizinischer Sicht spreche nichts gegen eine Rücküberstellung seiner Person nach Deutschland. Er leide weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit, noch an einer psychischen Erkrankung, welche bei einer Überstellung/Abschiebung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde.

Der Antragsteller habe am 10.02.2016 und am 23.05.2017 in Deutschland jeweils einen Asylantrag gestellt. Deutschland habe sich mit Schreiben vom 25.11.2019 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO zur Führung seines Asylverfahrens für zuständig erklärt. Des Weiteren sei der Antragsteller bereits am 19.05.2017 im Rahmen des Dubliner Übereinkommens nach Deutschland abgeschoben worden. Ein zuständigkeitsbeendendes Sachverhaltsmerkmal könne nicht festgestellt werden bzw. habe sich ein solches im Zuge des Verfahrens nicht ergeben. Der Antragsteller verfüge in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seines Vaters, seiner Mutter sowie von zwei Brüdern. Diese würden alle in Österreich leben und seien anerkannte Flüchtlinge. Der Antragsteller lebe mit den angeführten Verwandten nicht im gemeinsamen Haushalt und habe ein besonderes gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis nicht festgestellt werden können. Eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich bestehe nicht. Auch könne nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller in Deutschland systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese dort zu erwarten hätte.

Im Übrigen wurde ausgeführt, dass ein vom Beschwerdeführer im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen würden, im Verfahren nicht hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu. Die Ausweisung greife auch nicht auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMKR in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familien- und Privatlebens ein. Eine Anordnung zur Außerlandesbringung habe gemäß § 61 Abs. FPG zu Folge, dass die Abschiebung in den Zielstaat zulässig sei.

2.8. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher vorgebracht wird, der Beschwerdeführer leide an einer akuten Drogensucht, welche als Krankheit zu qualifizieren zu sein. Er sei von Heroin und anderen Substanzen abhängig und daher auf eine Entzugsbehandlung angewiesen. Die sachverständige Ärztin habe in ihrem Gutachten nicht ausschließen können, dass sich der Gesundheitszustand des BF bei einer Überstellung verschlechtern würde. Auf die Bedeutung der Familie hinsichtlich des Gesundheitszustandes des BF sei im Gutachten nicht eingegangen worden. Bevor der BF wieder mit seiner Familie vereint wurde, habe er aufgrund seiner Drogensucht in Deutschland monatelang auf der Straße gelebt, da er nicht in der Lage gewesen wäre, sein Leben selbständig zu regeln. Außerdem hätte er versucht, sich das Leben zu nehmen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Ärztin zu dem Schluss gekommen sei, dass der BF dennoch kognitiv in der Lage sei, seine Interessen ohne Nachteil für sich wahrzunehmen. Die Eltern und Geschwister des BF seien bereits anerkannte Flüchtlinge in Österreich. Die Überstellung des BF nach Deutschland würde die soeben wieder zusammengeführte Familie auseinanderreißen, darüber hinaus wäre die ohnehin prekäre psychische und physische Gesundheit des BF durch die Überstellung und Trennung seiner Familie und emotionalen Rückhalt erheblich gefährdet. Entsprechend eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens hätte die belangte Behörde Informationen aus Deutschland einholen müssen, ob es besonders vulnerablen AsylwerberInnen eine Substitutionstherapie sowie Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten. Der belangten Behörde sei im gegenständlichen Fall auch die fehlende Einholung einer Einzelfallzusicherung vorzuwerfen, zumal es sich bei dem BF um eine kranke und vulnerable Person handle. Da im gegenständlichen Fall keine derartigen individuellen Garantien seitens der deutschen Behörden für die Unterbringung und Versorgung des vulnerablen BF vorlägen, sei das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK könne mangels entsprechender Informationen nicht ausgeschlossen werden und sei die Überstellung des vulnerablen BF nach Deutschland demnach unzulässig. Hätte die belangte Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, hätte diese zur Erkenntnis kommen müssen, dass die zwingende Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Artikel 17 Dublin-III-VO geboten gewesen wäre und eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen werden könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.

Feststellungen zur gegenwärtigen Situation der Corona-Virus-Pandemie und der - sich diesbezüglich rasch verschärfenden - Lage in ganz Europa, die notorisch dergestalt ist, dass die Bundesrepublik Deutschland am 16.3.2020 weitestgehend die Grenzen zu Österreich geschlossen hat und auch landesweit ähnliche Maßnahmen wie Österreich (Schließung von Geschäften mit bestimmten Ausnahmen, Ausgangsperre etc.) getroffen hat und mit einem Anstieg von Erkrankten konfrontiert ist, fehlen in der angefochtenen Entscheidung.

Der Beschwerdeführer leidet zwar an keinen akut lebensbedrohenden Krankheiten. Er leidet jedoch an einer psychischen Störung durch psychotrope Substanzen in Form einer Heroin-Abhängigkeit und des Verdachtes auf multiplen Substanzgebrauch. Die erstinstanzliche Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner Drogensucht tatsächlich in der Lage ist, seine Angelegenheiten für sich selbst zu regeln.

In Hinblick auf die Drogenabhängigkeit des Beschwerdeführers ist dieser sicher als vulnerabel zu bezeichnen und kann gerade aufgrund der aktuellen Situation in Europa ein Eingriff in seine Rechte nach Art.3 EMRK bei einer Überstellung nach Deutschland nicht ausgeschlossen werden.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus den Akten des BFA, insbesondere den Niederschriften sowie dem von der erstinstanzlichen Behörde eingeholten Gutachtens. Dris. XXXX .

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 57/2018, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.

Nach § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG idgFbestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBl I 144/2013).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. ...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Das BFA hat in den angefochtenen Entscheidungen grundsätzlich Feststellungen über die rechtliche und faktische Situation von Dublin-Rückkehrern in Deutschland getroffen. Angesichts der gegenwärtigen, notorischen Lage im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Pandemie ist es jedoch unumgänglich, diese allgemeinen und generellen Feststellungen zur Versorgung und Unterbringung von Asylwerbern in Deutschland vor dem Hintergrund der verschärften Lage zu beleuchten.

Der BF ist drogenabhängig und damit vulnerabel und wäre im Falle einer Rücküberstellung wohl von Quarantänemaßnahmen betroffen. Zudem hat er seine Kernfamilie in Österreich. Auch hat Deutschland jüngst seine Staatsgrenzen weitestgehend geschlossen und zuletzt Überstellungen naach der Dublin-Verordnung eingestellt, sodass gegenwärtig nicht klar ist, ob eine Rücküberstellung des BF nach Deutschland von den dortigen Behörden überhaupt akzeptiert werden würde.

Der festgestellte Sachverhalt im angefochtenen Bescheid ist daher insoferne mangelhaft iSd § 21 Abs. 3 BFA-VG, als er keine tragfähige Grundlage zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation der BF im Falle ihrer Rücküberstellung darstellt.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im vorliegenden Fall liegen die tragenden Elemente der Entscheidung allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, die auf den umfassenden und aktuellen Feststellungen der Behörde über die Lage im Vertragsstaat beruht, sowie in der Bewertung der Intensität des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin und demgemäß in Tatbestandsfragen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht gesundheitliche Beeinträchtigung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W161.2154592.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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