Entscheidungsdatum
06.04.2020Norm
BFA-VG §21 Abs7Spruch
I403 2229981-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Slowakei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2020, Zl. 1186695101/191282120 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben, und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Slowakei, reiste im Jahr 2004 in das Bundesgebiet ein und meldete erstmalig mit 02.07.2004 in Österreich einen Wohnsitz an.
Am 06.04.2018 stellte die Beschwerdeführerin beim Amt der XXXX Landesregierung einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes gemäß § 53a NAG. Mit Schreiben des Amtes der XXXX Landesregierung vom 16.12.2019 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) zur Kenntnis gebracht, dass im Fall der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des § 51 NAG nicht erfüllt seien und diese somit nicht zum Daueraufenthalt in Österreich berechtigt sei.
Mit Schriftsatz der belangten Behörde vom 18.12.2019 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde der Beschwerdeführerin Parteiengehör hinsichtlich der beabsichtigten Erlassung einer gegen sie gerichteten Ausweisung gewährt und ihr ein Fragenkatalog hinsichtlich ihrer persönlichen und familiären Verhältnisse in Österreich übermittelt, wobei ihr eine Frist von 14 Tagen ab Zustellung eingeräumt wurde, um diesbezüglich eine Stellungnahme bei der belangten Behörde einzubringen. Die Beschwerdeführerin machte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch und ließ die Frist zur Einbringung einer Stellungnahme ungenützt verstreichen.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des BFA vom 19.02.2020 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihr ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Inhaltlich wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe es mangels ihrer Mitwirkung am Verfahren unterlassen, Nachweise über ein aufrechtes Dienstverhältnis, eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung, ausreichende Existenzmittel sowie einen umfassenden Versicherungsschutz vorzulegen. Auch seien keine familiären oder privaten Bindungen an Österreich festgestellt worden.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 17.03.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Es wurde vorgebracht, die Beschwerdeführerin sei seit dem Jahr 2004 durchgehend in Österreich aufhältig und habe mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten sieben Kinder in Österreich. Sechs der Kinder würden nach wie vor mit der Beschwerdeführerin in einem gemeinsamen Haushalt leben. Ein Sohn sei überdies pflegebedürftig (Pflegestufe 3). Die Beschwerdeführerin bestreite den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder über Unterhaltsleistungen vom Kindesvater sowie über Familienbeihilfe und Pflegegeld. Zur Slowakei habe sie - abgesehen von ihrer dort lebenden Mutter - keinerlei Bindungen mehr und sei sie seit dem Jahr 2005 nicht mehr dort gewesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Slowakei, somit EWR-Bürgerin, und seit dem 02.07.2004 durchgehend in Österreich aufrecht gemeldet. Ihre Identität steht fest.
Sie hat mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten, einem nigerianischen Staatsangehörigen, welcher sich auf Grundlage eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt EU" in Österreich aufhält, sieben gemeinsame, in Österreich lebende Kinder, im Alter von 8 bis 20 Jahren. Alle sieben Kinder sind slowakische Staatsangehörige, die jüngsten vier Kinder wurden bereits in Österreich geboren.
Sechs der Kinder leben mit der Beschwerdeführerin in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX. Die älteste Tochter (20 Jahre) ist bereits ausgezogen, besucht eine Handelsschule und arbeitet zudem geringfügig in einem Callcenter. Die zweitälteste Tochter (18 Jahre) absolviert eine Lehre und befindet sich im 2. Lehrjahr. Die übrigen fünf Kinder (8 bis 16 Jahre) gehen nach wie vor zur Schule und stehen unter der Obsorge der Beschwerdeführerin. Ein im Jahr 2009 geborener Sohn ist aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung pflegebedürftig (Pflegestufe 3). Seit dem 05.12.2013 besteht kein gemeinsamer Wohnsitz mehr zwischen der Beschwerdeführerin und dem Kindesvater.
Die Mutter der Beschwerdeführerin hält sich nach wie vor in der Slowakei auf.
Der Kindesvater geht einer laufenden Beschäftigung als Arbeiter nach und leistet Unterhalt für die fünf jüngsten Kinder, welche nach wie vor die Schule besuchen. Auch sind diese über die Angehörigeneigenschaft zu ihrem Vater krankenversichert. Darüber hinaus bezieht die Beschwerdeführerin für ihren pflegebedürftigen Sohn Pflegegeld in Höhe von ? 391,80 sowie für sechs ihrer Kinder Familienbeihilfe.
Die Beschwerdeführerin ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer aktiven Erwerbstätigkeit nach und verfügt selbst über keinen aufrechten Krankenversicherungsschutz.
Von 15.04.2005 bis 09.02.2009, von 01.06.2010 bis 30.11.2011 sowie von 10.09.2013 bis 30.07.2014 bezog die Beschwerdeführerin Kinderbetreuungsgeld.
Von 31.07.2014 bis 31.07.2017 bezog die Beschwerdeführerin Bedarfsorientierte Mindestsicherung.
Von 07.05.2018 bis 10.05.2018, am 29.04.2016, von 15.07.2019 bis 04.08.2019, von 13.08.2019 bis 21.08.2019 sowie von 23.08.2019 bis 27.08.2019 bezog die Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld.
Sie ist strafrechtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres in Kopie im Akt einliegenden, slowakischen Reisepasses Nr. XXXX fest.
Der Umstand, dass sich die Mutter der Beschwerdeführerin nach wie vor in der Slowakei aufhält, ergibt sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben im Beschwerdeschriftsatz.
Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin mit sechs ihrer Kinder in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX lebt, ergibt sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister der Republik Österreich vom 06.04.2020, ebenso wie die slowakische Staatsangehörigkeit aller Kinder, der Geburtsort der Kinder sowie der Umstand, dass mit dem Kindesvater seit dem 05.12.2013 kein gemeinsamer Wohnsitz mehr besteht.
Die Feststellungen zu den Schulbesuchen der Kinder ergeben sich aus diesbezüglich dem Beschwerdeschriftsatz beigelegten Schulbesuchsbestätigungen. Der Umstand, dass die zweitälteste Tochter der Beschwerdeführerin eine Lehre absolviert, ergibt sich aus einem dem Beschwerdeschriftsatz angeschlossenen Bestätigungsschreiben des Unternehmens.
Der Umstand, dass die älteste Tochter der Beschwerdeführerin einer geringfügigen Beschäftigung in einem Callcenter nachgeht, ergibt sich aus einer Abfrage im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 06.04.2020, ebenso wie die laufende Beschäftigung des Kindesvaters als Arbeiter sowie die krankenversicherungsrechtliche Angehörigeneigenschaft der Kinder zu diesem. Ebenso ergeben sich die Feststellungen zum Bezug von Kinderbetreuungsgeld, Bedarfsorientierter Mindestsicherung und Arbeitslosengeld der Beschwerdeführerin aus einer Abfrage im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 06.04.2020, als auch der Umstand, dass diese in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer aktiven Erwerbstätigkeit nachging und gegenwärtig über keine aufrechte Krankenversicherung verfügt.
Die Feststellung, dass ein im Jahr 2009 geborener Sohn der Beschwerdeführerin aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung pflegebedürftig ist, ergibt sich aufgrund eines dem Beschwerdeschriftsatz angeschlossenen, klinisch-psychologischen Befundes des Dachverbandes der österreichischen Autistenhilfe vom 26.04.2018. Der Umstand, dass im Hinblick auf diesen Sohn der Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 3 anerkannt wurde, wodurch die Beschwerdeführerin ein monatliches Pflegegeld in Höhe von ? 391,80 bezieht, ergibt sich aufgrund eines dem Beschwerdeschriftsatz beigelegten Bescheides der Pensionsversicherungsanstalt vom 16.05.2019.
Der Umstand, dass der Kindesvater für jene fünf Kinder der Beschwerdeführerin, welche nach wie vor (ausschließlich) die Schule besuchen, Unterhalt leistet, ergibt sich aus dem Beschwerdeschriftsatz angeschlossenen Beschlüssen des BG XXXX jeweils vom 17.04.2019 zu den Zl. XXXX.
Die Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin für sechs ihrer Kinder (aktuell bis September 2020) Familienbeihilfe bezieht, ergibt sich aus einer dem Beschwerdeschriftsatz angeschlossenen "Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe" des Finanzamtes XXXX XXXX an die Beschwerdeführerin vom 16.08.2018.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 06.04.2020.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Rechtsgrundlagen der Ausweisung:
§ 66 Fremdenpolizeigesetz (FPG) regelt die Ausweisung:
(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
Gemäß § 70 Abs. 1 FPG werden die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
3.2. Zum Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin:
§ 51 NAG regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten.
Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG lautet:
(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.
Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38 ("Freizügigkeitsrichtlinie) lauten:
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
c) - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und
- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder
d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.
(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.
Der mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" überschriebene § 53a Abs. 1 NAG lautet:
(1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
3.2.1. Zum Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG:
Da die Beschwerdeführerin in Österreich allseits unbestritten keiner selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht (wodurch sie auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt wäre), ist gegenständlich zu prüfen, ob sie den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 bzw. 3 NAG erfüllt. Im Rahmen dieser Prüfung ist zu beurteilen, ob sie über ausreichende Existenzmittel für sich und ihre Familienangehörigen sowie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen muss.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt im gegenständlichen Fall nicht aus, dass die Beschwerdeführerin für sich und ihre Kinder durch den Bezug von Pflegegeld, Kinderbeihilfe sowie Unterhaltsleistungen ihres ehemaligen Lebensgefährten über ausreichende Existenzmittel verfügt, doch ist sie nicht krankenversichert und hat zudem bereits über 3 Jahre ihres Aufenthaltes, vom 31.07.2014 bis zum 31.07.2017, durchgehend Sozialhilfeleistungen in Form der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen. Ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 NAG kommt für sie somit gegenständlich nicht in Betracht.
Auch wurde ihr die Bescheinigung des Daueraufenthaltes in Österreich gemäß § 53a NAG mit dem Hinweis verweigert, dass sie im entsprechenden Verfahren nicht dargelegt hat, für eine Dauer von 5 Jahren ununterbrochen die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 NAG erfüllt zu haben. Sofern die Beschwerdeführerin im Beschwerdeschriftsatz behauptet, sie habe das Recht zum Daueraufenthalt erworben, da sie sich 5 Jahre rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich aufgehalten habe, während ihr früherer Lebensgefährte ihren Unterhalt und jenen der Kinder gesichert habe, so ist dem entgegenzuhalten, dass einem Speicherauszug aus dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ihres früheren Lebensgefährten zu keinem Zeitpunkt eine über 5 Jahre durchgehendes Beschäftigung entnommen werden kann und auch dieser während aufrechter Beziehung mit der Beschwerdeführerin (insbesondere in den Jahren 2009 bis 2012) wiederholt Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe bezog.
3.2.2. Zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung:
Gemäß § 66 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt, wenn ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden soll, insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Gegenständlich hält sich die Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2004 in Österreich auf und ist seit 02.07.2004 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Sie hat insgesamt sieben Kinder im Alter von 8 bis 20 Jahren in Österreich - alle slowakische Staatsangehörige - und kommt ihr die Obsorge für ihre fünf minderjährigen Kinder zu, welche - gemeinsam mit einer weiteren volljährigen Tochter - alle gemeinsam mit ihr in einem Haushalt leben. Alle Kinder der Beschwerdeführerin sind in Österreich aufgewachsen und wurden hier hauptsozialisiert, ihre vier jüngsten Kinder (im Alter 8 bis 15 Jahren) wurden bereits in Österreich geboren.
Mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Österreich haben die Bindungen der Beschwerdeführerin zur Slowakei abgenommen, laut ihren Angaben hat sie abgesehen von ihrer Mutter keinerlei nennenswerte Bindungen mehr zu ihrem Herkunftsstaat und war zuletzt im Jahr 2005 dort.
Die Kinder der Beschwerdeführerin gehen alle in Österreich zur Schule bzw. absolviert ihre zweitälteste Tochter eine Lehre und sind auch die fünf jüngsten Kinder aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu ihrem Vater in Österreich krankenversichert, sodass ihnen ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 3 zukommt.
Hinzu kommt, dass ein im Jahr 2009 geborener Sohn der Beschwerdeführerin aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung pflegebedürftig ist (Pflegestufe 3).
Wenngleich seitens der Beschwerdeführerin keine nennenswerten Anstrengungen ersichtlich sind, sich auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zu integrieren, so überwiegen im vorliegenden Fall ihre Bindungen zu Österreich deutlich und treten ihre nur noch schwachen Bindungen zur Slowakei in den Hintergrund. Ihre Ausweisung kann gegenständlich insbesondere aufgrund der fünf minderjährigen, unter ihrer Obsorge stehenden Kinder, welche allesamt in Österreich hauptsozialisiert wurden und hier bestens integriert sind, nicht als verhältnismäßig angesehen werden, und ist es auch den Kindern - welche sich in keinem anpassungsfähigen Alter mehr befinden - angesichts der Umstände nicht zumutbar, ihre Mutter in die Slowakei zu begleiten.
Nicht zuletzt ergibt sich schon aus dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des § 66 Abs. 3 FPG, dass die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, nur dann zulässig ist, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch ihren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Auch unter diesem Gesichtspunkt ergeben sich für das Bundesverwaltungsgericht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Annahme im Falle der strafgerichtlich unbescholtenen Beschwerdeführerin, welche sich zudem seit annähernd 16 Jahren in Österreich aufhält, gerechtfertigt wäre.
Die Ausweisung der Beschwerdeführerin seitens der belangten Behörde erfolgte somit nicht zu Recht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben war.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Gemäß § 24 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben. Gegenständlich ist die Aktenlage klar, ergibt sich diese in erster Linie doch aus verschiedenen Abfragen (Melderegister, Sozialversicherungsträger). Der Bescheid war bereits auf Grundlage der Aktenlage aufzuheben, so dass eine Verhandlung entfallen konnte.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
aufenthaltsbeendende Maßnahme Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung Interessenabwägung Kassation Krankenversicherung Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen SelbsterhaltungsfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2229981.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020