Entscheidungsdatum
07.04.2020Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z3Spruch
W171 2230101-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch RA OG Brehm & Sahinol, 1060 Wien, gegen die Festnahme am 25.03.2020 und die Anhaltung in Schubhaft aufgrund des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.03.2020, Zl: XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Den Beschwerden wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG idgF sowie § 34 Abs. 3 Zi. 1 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 BFA-VG stattgegeben, der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.03.2020, Zl: XXXX aufgehoben, sowie die Festnahme und Anhaltung am 25.03.2020 und die Anhaltung in Schubhaft vom 26.03.2020 bis zum 07.04.2020 für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG idgF wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorliegen.
III. Gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seiner ausgewiesenen Vertreter Aufwendungen in Höhe von ? 737,60 Euro (aus der Beschwerde gegen die Festnahme) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
IV. Gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seiner ausgewiesenen Vertreter Aufwendungen in Höhe von ? 737,60 Euro (aus der Beschwerde gegen Bescheid u. Anhaltung) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
V. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
- Der Beschwerdeführer (in Folge auch BF) ist am 06.12.2004 illegal in das Bundesgebiet eingereist und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.
- Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.04.2005 wurde diesem Antrag gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und ihm Asyl in Österreich gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass dem BF kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der Bescheid erwuchs am 21.04.2005 erstinstanzlich in Rechtskraft.
- Mit Urteil eines Landesgerichts vom 14.03.2016 wurde er wegen § 278b (2) StGB; § 288 (1) 2. Fall StGB; § 278a StGB, § 12 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren, elf Monaten und 15 Tagen verurteilt. Die Rechtskraft trat am 01.09.2017 ein.
- Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (in Folge auch BFA oder Behörde genannt) vom 09.01.2018 wurde dem BF der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG wurde festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.
Weiters wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist für seine freiwillige Ausreise von 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt und gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen.
- Die dagegen erhobene Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 21.01.2019 abgewiesen.
- Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 12.06.2019 wurde die Behandlung einer Beschwerde gegen das BVwG-Erkenntnis abgelehnt und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
- Am 17.03.2020 wurde dem BF durch das BFA eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme übermittelt. Hiezu wurde am 21.03.2020 eine Stellungnahme eingebracht.
- Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2020, zugestellt am 23.03.2020 wurde die seinerzeit eingeräumte Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Absatz 5 FPG in Verbindung mit § 57 Absatz 1 AVG widerrufen.
- Aufgrund fehlender Dokumente musste die Ausstellung eines Heimreisezertifikats für die Russische Föderation beantragt werden. Ein entsprechender Schriftsatz wurde am 26.03.2020 an die Botschaft der Russischen Föderation in Wien übermittelt.
- Der BF befand sich von 28.08.2015 bis 25.03.2020 in verschiedenen Justizanstalten in Haft.
- Mit Verfahrensanordnung wurde ihm ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
- Am 25.03.2020 wurde der BF unmittelbar nach Entlassung aus der Strafhaft festgenommen, in ein Polizeianhaltezentrum verbracht und mit Bescheid vom 25.03.2020, zugestellt am 26.03.2020 über ihn die gegenständliche Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Dabei wurde ausgeführt, dass der BF durch sein Vorverhalten die Tatbestandsmerkmale des § 76 Abs. 3 Zi. 1,3 u. 9 FPG erfüllt habe und sei daher von Fluchtgefahr auszugehen. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit habe ergeben, dass die privaten Interessen der Schonung der persönlichen Freiheit des BF dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen haben. Ein gelinderes Mittel sei nach Sicht der Behörde nicht als ausreichende Sicherung anzusehen, um von einer gesicherten Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat ausgehen zu können, zumal der BF als höchst gefährlich einzustufen sei. Die gegenständliche Schubhaft sei daher notwendig und rechtmäßig.
- Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 01.04.2020. Beantragt wurde, die Festnahme und die Anhaltung für rechtswidrig zu erklären, den Schubhaftbescheid aufzuheben, die beantragten Beweise aufzunehmen und einen Verfahrenskostenersatz zuzusprechen. Nach Schilderung des Sachverhaltes und dem Gang des Verfahrens wurde im Wesentlichen näher ausgeführt, dass der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat der Gefahr von Verfolgung unterliegen würde und er nun für seine sieben Kinder, seine Ehegattin und seine Lebensgefährtin gerade in Zeiten der derzeitigen Coronakrise da sein wolle. Die Trennung von seiner Familie belaste ihn psychisch sehr und werde durch die Haft in seine Rechte gem. Art. 8 EMRK unverhältnismäßig eingegriffen. Aufgrund der Krisensituation werde derzeit kein Heimreisezertifikat für ihn ausgestellt werden und sei die Haftdauer so kurz wie möglich zu halten. Eine Abschiebung sei derzeit ebenso nicht durchführbar. Er könne bei seiner Familie Unterkunft nehmen und sei hier sehr gut integriert. Ein gelinderes Mittel sei nicht ausreichend geprüft worden und habe er sich dem Strafverfahren nicht entzogen. Er habe Angst sich in Haft mit dem Coronavirus anzustecken und sei die Haft nicht notwendig, da er zu kooperieren bereit sei. Er werde sich bei seiner Familie für die Behörde greifbar halten.
- Die Behörde legte dem Gericht den Schubhaftakt am 02.04.2020 vor und erstattete eine Stellungnahme unter Beantragung der Abweisung der Beschwerde sowie des Kostenersatzes für die Aufwendungen. Dabei wurde wie nachstehend ausgeführt:
- Im obzit. Bescheid des BFA (Aberkennung des Asylstatus) wurde auch die Zulässigkeit der Abschiebung mit dem Ergebnis geprüft, dass die Abschiebung in die RF zulässig ist. Seither hat sich der Sachverhalt nicht geändert. Jedenfalls wird vor der Abschiebung eine abermalige Refoulementprüfung erfolgen.
- Im gegenständlichen Fall überwiegt das öffentliche Interesse an der Sicherung der Außerlandesbringung des BF den Interessen des BF am Familienleben, auch wenn die Unterstützung des Bf. im Haushalt und bei der Kindererziehung hilfreich wäre.
- Kernfamilie: Gattin, asylberechtigt in Österreich und Aberkennungsverfahren eingeleitet: Kinder, asylberechtigt in Österreich und Aberkennungsverfahren eingeleitet; Lebensgefährtin, Heirat nach islamischen Recht, asylberechtigt:
- Wenn in der Beschwerde angeführt wird, dass ein Netzwerk an Familie, Verwandtschaft und Freunden vorliegend ist, verstärkt dies die Argumentation des im bekämpften Bescheid angeführten Sicherungsbedarfs, weil dem BF. ein Untertauchen und ein Unterkommen bei den Verwandten und Freunden sehr leicht möglich wäre.
- Die Dauer der Schubhaft wird so kurz wie möglich ausfallen, und sobald sich nach Ausstellung eines HRZ eine Abschiebemöglichkeit (Linienflug oder - ohnedies im Juni 2020 durch Frontex und BFA nach wie vor geplanter - Charterflug,) sich auftut, wird diese sofort genutzt werden. Die im bekämpften Bescheid zeitliche Einschätzung ist nach wie vor aufrecht, und aufgrund der ergangenen Gefährdungseinschätzung des BF in Zusammenschau mit der auch in der Beschwerde geäußerten Unwilligkeit Österreich zu verlassen, jedenfalls auch verhältnismäßig.
- Sollte jedoch durch ein Gericht die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden, wird jedenfalls der BF. nicht abgeschoben, solange dieser Beschluss aufrecht ist. Eine Abschiebung trotz anhängiger Beschwerde beim VwGH ohne Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kann ho. nicht als gesetzes-/verfassungswidrig erkannt werden.
- Ein gelinderes Mittel kam schon deshalb nicht in Betracht, weil der BF. durch sein Verhalten, welches zur erwähnten Verurteilung geführt hat, sich nicht als vertrauenswürdig erwiesen hat.
- Zur Sorge des BF im PAZ eines erhöhten Ansteckungsrisikos mit dem Erreger des Coronavirus ausgesetzt zu sein, wird ausgeführt, dass ein jedes PAZ eine Schlüsselfunktion im Funktionieren des zwangspolizeilichen Vollzuges ist, weshalb seitens der verantwortlichen LPD Vorsorge getroffen wurde- wie etwa aä Untersuchung schon außerhalb des PAZ, einschlägige Hygiene Vorschriften usw - um Fall einer Corona-Virus-Erkrankung zu verhindern. Eine solche Erkrankung in einem PAZ hätte nämlich weitreichende Folgen, und wird deshalb zu verhindern versucht.
- Sonstiges (wie z.B. Krankheit, besondere Bedürfnisse, sonstiges Verfahren): Antrag am 01.04.2020 über die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung gem. § 50 FPG
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person:
1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und reiste vor seinem Antrag auf internationalen Schutz am 06.12.2004 illegal nach Österreich ein. Er ist Fremder i.S.d der Diktion des FPG.
1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.04.2005 wurde festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
1.3. Der BF wurde mit Strafurteil eines Landesgerichtes im Jahr 2016 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren, 11 Monaten und 15 Tagen rechtskräftig verurteilt und befand sich von 28.08.2015 bis 25.03.2020 in Strafhaft.
1.4. Mit Bescheid des BFA vom 09.01.2018 wurde der Asylstatus aberkannt und über den BF eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung sowie ein unbefristetes Einreiseverbot verhängt. Die Abschiebung in die Russische Föderation wurde für zulässig erklärt.
Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:
2.1. Die Rückkehrentscheidung vom 09.01.2018 ist durchsetzbar.
2.2. Ein Heimreisezertifikat wurde beim russischen Innenministerium beantragt.
2.3. Ein konkreter Termin für die Abschiebung in den Herkunftsstaat ist nicht vorhanden.
2.4. Der BF ist gesund und hafttauglich.
Zum Sicherungsbedarf:
3.1. Der BF hat sich im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung kooperativ gezeigt und mitgewirkt.
3.2. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF seine Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert.
3.3. Gegen den BF wurde eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot erlassen.
Zur familiären/sozialen Komponente:
4.1. Die Kernfamilie (Ehegattin, Lebensgefährtin und sieben Kinder) leben als Asylberechtigte in Österreich. Zu ihnen bestand auch während der langen Strafhaft den Umständen entsprechend häufiger Kontakt.
4.2. Der BF hat in Österreich auch etliche Bekannte, die auch während der Strafhaft zum BF regelmäßige Kontakte pflegten.
4.3. Der BF hat bisher in Österreich lediglich über einen Zeitraum von einigen Monaten legal gearbeitet. Eine reelle Aussicht auf eine Anstellung besteht zum Zeitpunkt der Entscheidung schon aufgrund der derzeitigen Situation (CoVid-19) und den damit in Verbindung stehenden Problemen am Arbeitsmarkt nicht.
4.4. Er verfügte zu Beginn der Haft über einen Geldbetrag von ca. ? 1.877,92
4.5. Er hat einen gesicherten Wohnsitz an der Adresse seiner übrigen Familienangehörigen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person:
Der Verfahrensgang und die hiezu getroffenen Feststellungen sowie die Feststellungen zur Person des BF (1.1 bis 1.4), ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts, deren Akteninhalt der BF in keiner Phase des Verfahrens substanziiert entgegengetreten ist.
Die Feststellungen zu 1.3. ergeben sich aus den Angaben im Strafregisterauszug.
2.2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.4.):
Die zu Pkt. 2.1. - 2.4. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt. Aus der letzten Stellungnahme des BFA vom 02.04.2020 (im Akt) ergibt sich weiters, dass derzeit kein konkreter Termin für eine Abschiebung feststeht (2.3.), jedoch die Ausstellung eines Heimreisezertifikates beim russischen Innenministerium beantragt wurde (2.2.). Hinsichtlich der Gesundheit des Beschwerdeführers und der Hafttauglichkeit basieren die Feststellungen auf den Angaben im Akt und der Aussage des BF im Parteiengehör vom 17.03.2020 sowie der Einvernahme am 27.03.2020. Bis zum Entscheidungszeitpunkt sind diesbezüglich keine Änderung bekanntgegeben worden (2.4.).
2.3. Zum Sicherungsbedarf:
Die Feststellungen 3.1 bis 3.3 gründen sich auf die Angaben im Akt des BVwG und auf die des Behördenaktes. Daraus waren keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der BF im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung sich etwa unkooperativ verhalten haben könnte. Im Vorfeld dieser Entscheidung wurde dem BF die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt, von der dieser auch Gebrauch gemacht hat.
Der BF befand sich von 28.08.2015 - 25.03.2020 in Strafhaft. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass er eine Abschiebung daher auch bisher weder umgangen, noch behindert haben kann. Anderes war dem Behördenakt nicht zu entnehmen.
2.4. Familiäre/soziale Komponente:
Basierend auf den behördlichen Feststellungen zur Familie des BF (BS 4) konnten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens durch einfachste Ermittlungsergänzung (Abfrage der Besucherliste der vorangegangenen Strafhaft) die intensiven familiären Beziehungen des BF in Erfahrung gebracht werden. Aus der Auflistung der Haftbesuche der letzten Monate geht hervor, dass der BF von verschiedenen Familienangehörigen, aber auch Bekannten verhältnismäßig oft besucht wurde. Dies, obwohl der BF nicht am Wohnort der Kernfamilie in Haft befindlich war, sondern durch die Verwandten und Bekannten eine nicht unwesentliche Wegstrecke zur Haftanstalt in Kauf genommen werden musste (4.1. u. 4.2.). Der BF wurde beispielsweise im Monat Dezember 2019 insgesamt 14 Mal und in der Zeit von 01.01.2020 bis 11.03.2020 18 Mal von verschiedenen Familienangehörigen oder Bekannten in der Strafhaft besucht. Das Gericht geht daher davon aus, dass der BF trotz der langen Haft dennoch über eine den Umständen entsprechend starke Bindung zu seinem in Österreich bestehenden sozialen Netz verfügte und regelmäßig Kontakte pflegen konnte.
Die Feststellung zu 4.3. ergibt sich aus den behördlichen Ermittlungen, die ergaben, dass der BF bisher lediglich über geringe Perioden legal erwerbstätig gewesen ist. Die Prognose hinsichtlich der Berufschancen ergibt sich aus einer Zusammensicht der beruflichen Qualifikation des BF mit der zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden Arbeitsmarktlage.
Aus der Anhaltedatei ergibt sich, dass der BF zum 02.04.2020 in Haft über einen Betrag von ? 1.877,92 verfügte (4.4.).
Der mögliche Wohnsitz ergibt sich aus den glaubwürdigen Angaben des BF in der Beschwerdeschrift (4.5.).
Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife der Rechtssache nicht mehr aufzunehmen. Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage und der lediglich sehr geringen notwendigen weiteren Ermittlungen des Gerichts Abstand genommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. - Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft
3.1.1. Gesetzliche Grundlagen:
Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.
Festnahme (BFA-VG)
§ 40. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen,
1. gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 34) besteht,
2. wenn dieser Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt oder
3. der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
[...]
Festnahmeauftrag (BFA-VG)
§ 34. (1) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Fremden anordnen (Festnahmeauftrag), wenn dieser
1. Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt, oder
2. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Fremden auch ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides anordnen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorliegen und
1. der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, nicht Folge geleistet hat oder
2. der Aufenthalt des Fremden nicht festgestellt werden konnte.
(3) Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,
1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt;
2. wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 8 und 70 Abs. 1 FPG) nicht nachgekommen ist;
3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder
4. wenn eine aufgrund eines Bescheides gemäß § 46 Abs. 2b FPG erlassene Vollstreckungsverfügung nicht vollzogen werden konnte oder der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung gemäß § 46 Abs. 2b FPG, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, zur Befragung zur Klärung seiner Identität und Herkunft, insbesondere zum Zweck der Einholung einer Bewilligung gemäß § 46 Abs. 2a FPG bei der zuständigen ausländischen Behörde durch die Behörde, nicht Folge geleistet hat.
[...]
Zur Judikatur:
3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig"(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, "weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese 'Einstellungsänderung' durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken)." (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).
3.1.3. Im vorliegenden Fall ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts kein ausreichender Sicherungsbedarf gegeben. Es ist zwar so, dass über den BF bereits eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (§ 76 Abs. 3 Zi. 3 FPG) verhängt wurde, jedoch die im Bescheid unterstellte Verwirklichung des Tatbestandes des § 76 Abs. 3 Zi. 1 FPG gerichtlich nicht festgestellt werden konnte. Wie bereits in der Beweiswürdigung näher ausgeführt liegen keine Anhaltspunkte für unkooperatives Verhalten des BF im Rahmen des Rückkehrentscheidungsverfahrens vor und hat der BF eine Abschiebung seiner Person auch nicht behindert, oder umgangen. Die Behörde trifft auch im Bescheid diesbezüglich keine Feststellungen, die in die Richtung einer Erfüllung des Tatbestandes der Ziffer 1 leg. cit. weisen. Das bisherige Verhalten des BF kann daher auch nicht unter Ziffer 1 leg. cit. subsumiert werden.
Die Ziffer 9 leg.cit. ist lediglich zu einem kleinen Teil erfüllt. Das Verfahren hat ergeben, dass der BF wohl aus legaler Arbeit in nächster Zeit nicht zur Selbsterhaltungsfähigkeit finden wird können. Demgegenüber verfügt er aktuell über einen höheren Bargeldbetrag, sodass für eine gewisse Zeit diesbezüglich von einem Auskommen ausgegangen werden durfte.
Das Beweisverfahren des Gerichts hat aber auch ergeben, dass der BF eine große Familie und viele Bekannte in Österreich hat. Es ließ sich auch durch einfachste ergänzende Ermittlung klar erkennen, dass diese sozialen Kontakte auch nach wie vor intakt sind und sich der BF auf dieses soziale Netz stützen wird können. Der BF, der bei seiner Familie unterkommen kann, kann sich daher in eine ihn festigende soziale Umgebung zurückbegeben, die ihm durchaus Halt bieten könnte. Er konnte daher gesamt betrachtet für sich ein gefestigtes soziales Netz, einen gesicherten Wohnsitz und eine zumindest anfängliche Selbsterhaltungsfähigkeit mit dem vorhandenen hohen Geldbetrag ins Treffen führen. Demgegenüber tritt die nicht langfristig gesicherte Selbsterhaltungsfähigkeit durch eine aktuell nicht zu erwartende Erwerbstätigkeit in den Hintergrund. Im Ergebnis geht das erkennende Gericht im vorliegenden Fall daher nicht vom Vorliegen eines ausreichenden Sicherungsbedarfs aus und war daher die Schubhaft für rechtswidrig zu erklären.
Eine Prüfung weiterer Voraussetzungen, insbesondere der hier wohl umfangreich zu erörternden Verhältnismäßigkeit einer Schubhaftverhängung, konnte sohin unterbleiben.
4. Zur Festnahme des Beschwerdeführers:
Die in den vorliegenden Beschwerden ebenso bekämpfte Festnahme wurde auf § 40 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 3 Zi. 1 BFA-VG begründet. Voraussetzung für die rechtmäßige Festnahme nach diesen Bestimmungen ist, dass auch die Voraussetzungen zur Verhängung einer Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen. Wie das Beschwerdeverfahren gezeigt hat, konnte aber auch im Zeitpunkt der Festnahme nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die rechtmäßige Verhängung der Schubhaft ausgegangen werden. Die Festnahme am 25.03.2020 war daher als rechtswidrig festzustellen.
Zu Spruchpunkt II. - Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft
Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihren Zukunftsbezug keine die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernden Umstände erkennen. Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung auch die Voraussetzungen für eine anschließende Schubhaft nicht vorliegen.
Zu Spruchpunkt III. und V. - Kostenbegehren:
Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der BF sowohl mit der Beschwerde über die Festnahme, als auch mit der Beschwerde gegen den Bescheid und die Anhaltung erfolgreich war und obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen in beiden Verfahren zu (VwGH 31.08.2017, Ro 2016/21/0014). Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen. Für allfälliges Mehrbegehren besteht keine Rechtsgrundlage.
Informativ wird festgehalten, dass es sich gegenständlich um die Entscheidung über zwei getrennt zu behandelnde Beschwerden im Rahmen eines kombinierten gerichtlichen Verfahrens handelt. Die bisher erbrachte Eingabengebühr von ? 30,-- wird daher jedenfalls um weitere ? 30,-- zu ergänzen sein.
Zu Spruchpunkt B. - Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.
Schlagworte
Festnahme Kooperation Kostenersatz Rechtswidrigkeit Schubhaft Selbsterhaltungsfähigkeit Sicherungsbedarf soziale SituationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2230101.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020