Entscheidungsdatum
07.04.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
G306 2223659-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dietmar MAURER über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2018, Zahl: XXXX, betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin (BF) stellte am 15.07.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 Abs 1 AsylG, konkret einer "Aufenthaltsberechtigung plus", weil sie Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt habe. Am 20.08.2019 fand ihre niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA statt.
Mit dem oben angeführten Bescheid wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG abgewiesen und gegen die BF gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I., II.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).
Dagegen erhob die vertretene BF eine Beschwerde, zu der sie am 11.10.2019 eine ergänzende Unterlage vorlegte. Sie beantragte in Stattgebung der Beschwerde den bekämpften Bescheid zu beheben, in der Sache selbst zu entscheiden und ihr den Aufenthaltstitel aus besonderen berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen; in eventu den Bescheid zu beheben und an die belangte Behörde, zur Neuerlassung, zurückzuverweisen. Außerdem beantragt sie die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung.
Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 23.09.2019 einlangten und der Gerichtsabteilung G314 zugewiesen wurde.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 18.12.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung G314 abgenommen und der erkennenden Gerichtsabteilung am 07.01.2020 zur Erledigung zugewiesen.
Feststellungen:
Die BF wurde am XXXX in XXXX im heutigen Bosnien und Herzegowina geboren und ist bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige. Gemeinsam mit ihren Eltern lebte die BF in einer Mietwohnung. Die Eltern sind laut Angaben der BF bereits verstorben. Im Heimatland leben Tanten und Onkels väterlich- als auch mütterlicher Seits. Des Weiteren leben im Heimatstaat Großeltern. Seit Oktober 2013 hält sich die BF kontinuierlich im Bundesgebiet auf. Sie war an verschiedenen Adressen in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sie studierte zunächst in XXXX und verfügte von Oktober 2013 bis April 2019 über Aufenthaltstitel als Studierende bzw. Aufenthaltserlaubnis wegen Schulbesuchs. Ab April 2019 konnte die BF ihren Studienerfolg nicht mehr erbringen. Die BF verfügte auf Grund dessen seit dem 02.04.2019 über keinen Aufenthaltstitel mehr für das Bundesgebiet. Aufgrund eines Zweckänderungsantrags - 18.03.2016 - besaß sie ab diesem Zeitpunkt eine Aufenthaltsbewilligung als Schülerin. Die BF hält sich spätestens seit dem 01.07.2019 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Die BF war im Bundesgebiet in den Jahren 2014, 2015, 2016 sowie 2017 - 2019 immer wieder als geringfügig Beschäftigte Arbeiterin erwerbstätig. Seit der Beendigung ihrer Erwerbstätigkeit - 31.03.2019 - lebt sie von Unterstützungen ihres Bruders und einer Freundin. Seit dem 26.07.2019 ist die BF nach dem ASVG bei der Gebietskrankenkasse XXXX selbstversichert. Die BF brachte einen Arbeitsvorvertrag (05.09.2019) der Firma XXXX, in Vorlage. Die BF brachte eine Vereinbarung - Freiwilliges Engagement der XXXX, in Vorlage.
Die BF ist ledig und kinderlos. Sie besitzt einen am 28.01.2015 ausgestellten und bis 28.01.2025 gültigen bosnisch-herzegowinischen Reisepass. Die BF hielt sich immer wieder für Besuche in ihrem Herkunftsstaat auf. Im Jahr 2019 hielt sich die BF von April bis Juni in ihrem Heimatstaat auf (Abmeldung im ZMR von 28.04.2019 - 25.06.2019). Der Bruder der BF lebt in XXXX.
Die BF verfügt über fachkundige Kenntnisse der deutschen Sprache und hat eine Deutschprüfung für das Sprachniveau C1 - Vorstudienlehrgang der XXXX Universitäten und Hochschulen - positiv abgelegt. Ihre Muttersprache ist Bosnisch. Sie ist gesund und arbeitsfähig und in strafrechtlicher Hinsicht unbescholten. Sie hat in Österreich einen leben Bruder sowie Freundes- und Bekanntenkreis.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und der Gerichtsakten des BVwG.
Die Feststellungen beruhen vorwiegend auf den Angaben der BF in ihrem ursprünglichen Antrag, bei ihrer Einvernahme vor dem BFA und in der Beschwerde sowie auf den von ihr vorgelegten Unterlagen.
Die Identität der BF wird durch ihren (dem BVwG in Kopie vorliegenden) unbedenklichen bosnisch-herzegowinischen Reisepass belegt.
Die Aufenthalte der BF in Österreich und ihrem Heimatstaat ergeben sich schlüssig und gut nachvollziehbar aus ihren Angaben gegenüber dem BFA. Der Studien- und Schulbesuch in Österreich geht aus Unterlagen welche sich im Akt befinden hervor. Ebenso geht aus diesen hervor, dass die BF weder das Studium noch die Schule positiv abgeschlossen hat. Die festgestellten Deutschkenntnisse gehen auch aus dem Zeugnis des Vorstudienlehrganges der XXXX Universitäten und Hochschulen für das "Zertifikat C1" vom XXXX2015 hervor.
Der Inlandsaufenthalt der BF ergibt sich aus ihren Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR). Ihre Aufenthaltsbewilligungen werden anhand ihrer Angaben festgestellt und sind im Fremdenregister dokumentiert. Dass die BF über keine Aufenthaltsbewilligung mehr verfügt geht aus dem Akt sowie ihren Angaben und aus einem aktuellen Fremdenregisterauszug hervor. Aus diesem ist ersichtlich, dass die BF letztmalig einen Verlängerungsantrag am 15.03.2018 stellte und dieser eine Gültigkeit bis zum 01.04.2019 aufweist. Ein abermaliger Verlängerungsantrag wurde von der BF - aufgrund Aussichtslosigkeit - nicht mehr gestellt.
Die Erwerbstätigkeit der BF ergibt sich aus dem Versicherungsdatenauszug. Der Arbeitsvorvertrag mit einem XXXX wurde ebenfalls vorgelegt.
Die Feststellungen zu den Familienverhältnissen der BF beruhen auf ihren Angaben gegenüber dem BFA. Ihr Freundeskreis in Österreich ist aufgrund ihres mehrjährigen Aufenthalts, des Studiums bzw. Schulbesuchs und der Erwerbstätigkeit plausibel und wird durch die vorgelegten Empfehlungsschreiben belegt. Die Ehrenamtliche Tätigkeit bei der XXXX - Vereinbarung - Freiwillige Engagement, wurde ebenfalls in Vorlage gebracht.
Die Feststellungen zu dem in Österreich lebenden Bruder der BF werden anhand der Angaben der BF vor dem BFA sowie ihrer Beschwerdeeingabe getroffen. Die BF und ihr Bruder leben nicht im selben Haushalt.
Die Feststellungen zur Familie der BF in Bosnien und Herzegowina sowie dass die Eltern bereits verstorben sind, ergeben sich aus den plausiblen und schlüssigen Angaben der BF vor dem BFA sowie in der Beschwerde.
Bosnisch Kenntnisse der BF sind aufgrund ihrer Herkunft, der in Bosnien verbrachten Jahre ihrer Kindheit und der dort verbrachten Schulzeit plausibel. Ihre Unbescholtenheit ergibt sich aus dem Strafregisterauszug. Im Verfahren sind keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme der BF oder Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit hervorgekommen.
Anhaltspunkte für über die getroffenen Feststellungen hinausgehende Integrationsmomente oder Anbindungen der BF in Österreich sind nicht aktenkundig, sodass von deren Fehlen auszugehen ist.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
Die BF ist als Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG.
Gemäß § 55 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.
§ 58 AsylG regelt das Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 ff AsylG. Gemäß § 58 Abs 5 AsylG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG persönlich beim BFA zu stellen. Gemäß § 58 Abs 8 AsylG hat das BFA im verfahrensabschließenden Bescheid über die Zurück- oder Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG abzusprechen. Gemäß § 10 Abs 3 AsylG und § 52 Abs 3 FPG ist die Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG grundsätzlich mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das BFA gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, durch die in das Privat- oder Familienleben eines oder einer Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.
Bei der Beurteilung, ob die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der BF geboten ist, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit ihren gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Dabei muss ein Ausgleich zwischen dem Interesse der BF auf Fortsetzung ihres Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden werden. In die gebotene Gesamtbeurteilung sind alle gemäß Art 8 EMRK relevanten Umstände seit ihrer Einreise einzubeziehen.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt zeigt, dass sich die BF seit etwas mehr als sechs Jahren kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält, wobei einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren nach der Rechtsprechung des VwGH für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (siehe zuletzt etwa VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191). Der Inlandsaufenthalt der BF war zunächst gut fünf Jahre lang rechtmäßig, wobei ihr Aufenthaltsbewilligungen für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck des Studiums bzw. des Schulbesuchs iSd § 8 Abs 1 Z 12 NAG erteilt wurden und der Aufenthalt daher gemäß § 2 Abs 3 NAG nicht als Niederlassung gilt. Die BF brach bereits im Sommersemester 2018 ihre Schule ab und war ihr bereits zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass sie keinen diesbezüglichen Aufenthaltstitel mehr bekommen wird, weshalb die BF auch keinen weiteren Verlängerungsantrag stellte. Sie konnte somit nicht von einer Zulässigkeit des dauerhaften Verbleibs im Bundesgebiet ausgehen. Spätestens mit Juli 2019 ist ihr Aufenthalt nicht mehr rechtmäßig, weil sie nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres Aufenthaltstitels und nach Ablauf des sichtvermerkfreien Aufenthaltes im Inland verblieb, obwohl ihr keine weitere Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde. Weder Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG noch die Beschwerde gegen die Entscheidung darüber begründen ein Aufenthalts- oder Bleiberecht (vgl §§ 58 Abs 13 AsylG, 16 Abs 5 BFA-VG).
Im Inland besteht kein Familienleben der BF. Der Bruder der BF befindet sich zwar in Österreich und hat die BF zu ihm auch Kontakt und wird von ihm finanziell unterstützt, jedoch konnte ein Familienleben jedoch nicht festgestellt werden. Es liegt kein gemeinsamer Wohnsitz vor und führt die BF als auch ihr Bruder ein getrenntes eigenständiges Leben.
Unter Privatleben iSd Art 8 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR das Netzwerk persönlicher, sozialer und ökonomischer Beziehungen zu verstehen, die das Privatleben eines jeden Menschen ausmachen. Der Grad der Integration manifestiert sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schul- und Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen. Zugunsten der volljährigen BF sind dabei ihre guten Deutschkenntnisse, die Sozialkontakte, die sie während ihres Aufenthalts im Inland geknüpft hat, insbesondere ihre Freundschaften mit in Österreich lebenden Personen, die Anknüpfungen aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit und ihres Engagements in einem Verein sowie die hier begonnenen, aber nicht abgeschlossenen Ausbildungen zu berücksichtigen. Diese Umstände werden jedoch dadurch relativiert, dass die BF sie in Kenntnis ihres unsicheren Aufenthaltsstatus begründete, zumal sie angesichts der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen (siehe oben) nicht von einer Erlaubnis zu einem nicht bloß vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet ausgehen durfte. Die BF kann den Kontakt zu ihren im Bundesgebiet lebenden Bezugspersonen auch ohne die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels durch wechselseitige Besuche in Österreich (insbesondere im Rahmen zulässiger visumfreier Aufenthalte), in Bosnien und Herzegowina oder in anderen Staaten sowie über diverse Kommunikationsmittel (Telefon, E-Mail, Internet) aufrecht halten. Auch die finanzielle Unterstützung seitens ihres in Österreich aufhältigen Bruders, ist auch in Bosnien möglich.
Der Umstand, dass die BF nach dem vorgelegten Arbeitsvorvertrag einen Arbeitsplatz in Aussicht hat, ist zwar ein Anhaltspunkt für ihre Integrationsbemühungen (vgl VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005), belegt aber ihre künftige Selbsterhaltungsfähigkeit nicht, zumal sie nun schon seit längerem keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht und ihr vorrangiges Ziel ist für Französisch und Spanisch ein Diplom zu machen, hier in Österreich zu verbleiben. In der Vergangenheit war es der BF in Österreich nicht möglich, neben ihrer Erwerbstätigkeit auch eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen.
Die BF hat ausreichende Bindungen zu ihrem Heimatstaat, wo sie einen erheblichen Teil ihres Lebens verbrachte und sprachkundig ist, zumal unzählige Verwandte dort leben. Sie hat in Bosnien und Herzegowina die Schule besucht und hat dort bis zu ihre Ausreise 2013 gelebt, sodass davon auszugehen ist, dass sie mit den dortigen Verhältnissen und Gepflogenheiten vertraut ist.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/01/0253). Abgesehen von ihrem unrechtmäßigen Aufenthalt sind keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung aktenkundig. Entscheidungswesentliche, den Behörden zuzurechnende überlange Verfahrensverzögerungen liegen nicht vor.
Dem persönlichen Interesse der BF an einer Fortsetzung ihres Privatlebens in Österreich steht das große öffentliche Interesse am geordneten Vollzug fremdenrechtlicher Vorschriften gegenüber. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt dabei im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu.
Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt - insbesondere aufgrund der aufrechten Bindungen der BF zu ihrem Herkunftsstaat, ihres fünf Jahre wenig überschreitenden Inlandsaufenthalts und des Verbleibs im Bundesgebiet nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres letzten Aufenthaltstitels - das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das BFA daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens der BF geboten ist. Da sie vor ihrem Aufenthalt in Österreich 23 Jahre lang in Bosnien und Herzegowina lebte, über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, gesund und arbeitsfähig ist, ist davon auszugehen, dass ihr keine großen Hindernisse bei der Wiedereingliederung begegnen werden.
In einem Verfahren nach § 55 AsylG ist eine amtswegige Prüfung gemäß § 57 AsylG nicht vorgesehen (VwGH 27.07.2017, Ra 2017/02/0007), sodass die Behörde zu Recht keine solche Prüfung vornahm.
Die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Aufenthaltsberechtigung liegen nicht vor, sodass gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 52 Abs 3 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist. Die Gründe, warum diese nicht auf Dauer unzulässig ist, decken sich mit den Überlegungen zur Abweisung des Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG.
Die BF kann auch für einen neuerlichen, über den visumfreien Aufenthalt hinausgehenden Aufenthalt in Österreich, z.B. zu Ausbildungszwecken (etwa zur beabsichtigten Wiederaufnahme des Studiums oder Schule), von Bosnien und Herzegowina aus einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG zu stellen. Es ist ihr zumutbar, einen allfälligen neuerlichen Aufenthalt im Bundesgebiet nach den gesetzlichen Vorgaben des NAG von ihrem Herkunftsstaat aus zu legalisieren, zumal sie zum Studium bzw. Schule in Österreich noch gar nicht zugelassen ist. Der Umstand, dass eine solche Antragstellung allenfalls nachweis-, gebühren- und quotenpflichtig ist, vermag daran nichts zu ändern. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheids ist somit als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder die Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK verletzt würden oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Abschiebung der BF nach Bosnien und Herzegowina zulässig; konkrete Anhaltspunkte für deren Unzulässigkeit liegen nicht vor. Die BF ist gesund und arbeitsfähig und wird daher in der Lage sein, in ihrer Heimat, wo sie auch Zugang zu den vorhandenen (wenn auch allenfalls bescheidenen) öffentlichen Leistungen und zur Gesundheitsversorgung hat, wieder für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, ohne in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten, unter Umständen auch mit Hilfe ihrer dort verbliebenen Angehörigen. Des Weiteren ist eine weitere Unterstützung durch ihren Bruder von Österreich aus nicht ausgeschlossen. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen könnte, liegt aktuell in Bosnien und Herzegowina - auch bei Berücksichtigung der schwierigen wirtschaftlichen Lage dort - jedenfalls nicht vor. Auch wenn die BF angibt, als 10-jährige von ihrem Onkel vergewaltigt worden zu sein, so ist auszuführen, dass es sich dabei um ein strafrechtliches Delikt handelt, welches, allenfalls, von den Strafbehörden zu verfolgen wäre. Mit einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, hat dies nichts zu tun. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids ist daher ebenfalls nicht korrekturbedürftig.
Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 55 FPG wird zugleich mit einer Rückkehrentscheidung eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Diese beträgt - abgesehen von Fällen, in denen besondere Umstände vorliegen, die hier aber nicht behauptet wurden - 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht zu beanstanden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Nach § 21 Abs 7 BFA-VG kann bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen - trotz Vorliegens eines Antrags - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann allerdings im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des oder der Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm oder ihr einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. zuletzt VwGH 16.10.2019, Ra 2018/18/0272).
Da hier ein eindeutiger Fall vorliegt, der Sachverhalt anhand der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck von der BF bei einer mündlichen Verhandlung keine andere Entscheidung denkbar ist, kann die beantragte Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal ohnehin von der Richtigkeit der von der BF aufgestellten, glaubhaften Behauptungen zu ihren privaten und familiären Lebensumständen ausgegangen wird.
Zu Spruchteil B):
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zu lösen waren. Bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK, die das Schwergewicht der Beschwerde bildet, handelt es sich um eine typische Einzelfallbeurteilung.
Schlagworte
freiwillige Ausreise Interessenabwägung öffentliche Interessen Resozialisierung RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2223659.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020