Entscheidungsdatum
08.04.2020Norm
BBG §40Spruch
W261 2223299-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch ihre Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch Paar & Zwanzger Rechtsanwälte-Partnerschaft (GbR), gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 24.07.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte am 20.09.2018 vertreten durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin und diese vertreten durch ihre Rechtsanwälte einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.
Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Kinder- & Jugendheilkunde ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 28.01.2019 erstatteten Gutachten vom 23.04.2019 stellte der medizinische Sachverständige bei der Beschwerdeführerin folgende Funktionseinschränkungen "Autismus-Spektrum - Störung Asperger Typ, leichte Ausprägung" und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 von Hundert (in der Folge v.H.) fest.
Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 23.04.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte dieser eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
Die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Mutter, diese vertreten durch ihre Rechtsanwälte, gab am 13.05.2019 eine schriftliche Stellungnahme ab, dass das Asperger-syndrom eine psychische Erkrankung darstelle, die fachärztliche Diagnose erfolge regelmäßig anhand spezieller Diagnosekriterien, die von Fachgesellschaften erstellt werden würden. Es erscheine die ergänzende Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie erforderlich. Die bei der Beschwerdeführerin vorliegende Entwicklungsstörung stelle sich als Entwicklungsstörung mittleren Grades mit ernsthafter und durchgehender sozialer Beeinträchtigung gemäß Punkt 03.02.02 der Anlage der Einschätzungsverordnung dar, weswegen die Beschwerdeführerin zumindest einen Grad der Behinderung von 50% aufweise. Verwiesen werde auf eine zitierte Entscheidung des UFS aus dem Jahr 2012, in welcher in einem ähnlich gelagerten Fall der Grad der Behinderung mit 50 vH festgesetzt worden sei. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fach Kinder und Jugendpsychiatrie würde auch im vorliegenden Fall zu einem solchen Ergebnis führen, weswegen der entsprechende Antrag gestellt werde. Die Beschwerdeführerin legte keine neuen Befunde vor.
Die belangte Behörde nahm diese Stellungnahme zum Anlass, um den medizinischen Sachverständigen erneut damit zu befassen. In dessen ergänzender Stellungnahme vom 24.07.2019 führte der medizinische Sachverständige aus, dass laut dem von der Beschwerdeführerin selbst vorgelegten psychologischen Gutachten einer klinischen Psychologin, Kinder- und Jugendpsychologin vom 10.05.2018 ein Asperger Syndrom mit leichtgradiger Ausprägung vorliege, weswegen die Voraussetzung für einen Grad der Behinderung von zumindest 50 % nicht gegeben seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.07.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten in Kopie bei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin, diese bevollmächtigt vertreten durch ihre Rechtsanwälte, fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass die belangte Behörde unzureichende Ermittlungsschritte gesetzt habe. Der Entscheidung liege ein Sachverständigengutachten eines Arztes aus dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendheilkunde zugrunde. Dieses Sachverständigengutachten komme - insoweit unstrittig - zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin an einem Asperger-Syndrom leide, wobei der medizinische Sachverständige dieses als "leicht ausgeprägt" qualifiziert werde. Tatsächlich liege eine zumindest mittelschwere Ausprägung vor, welche ein beizuziehender Sachverständiger aus dem Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie jedenfalls als solche diagnostiziert hätte. Obwohl die Beschwerdeführerin in deren Stellungnahme vom 13.05.2019 einen derartigen Antrag gestellt habe, sei die belangte Behörde diesem nicht gefolgt. Es werde im Sachverständigengutachten vom 23.04.2019 ausgeführt, dass der Sozialkontakt der Beschwerdeführerin eingeschränkt sei, weswegen der medizinische Sachverständige einen Grad der Behinderung von lediglich 30 % feststelle, was nicht nachvollziehbar sei. Es werde neuerlich auf die zitierte Entscheidung des UFS Wien, in welcher bei gleich gelagertem Sachverhalt ein Grad der Behinderung von 50 vH festgesetzt worden sei, verwiesen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie würde auch im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis führen. Richtigerweise würde es sich bei der vorliegenden Entwicklungsstörung der Beschwerdeführerin um eine Entwicklungsstörung mittleren Grades mit ernsthafter und durchgehender sozialer Beeinträchtigung gemäß Punkt 03.02.20 der Anlage der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung im Ausmaß von zumindest 50 % handeln. Es werde beantragt, der Beschwerde Folge zu geben und nach Einholung eines kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachtens den angefochtenen Bescheid zu beheben, anstelle des angefochtenen Bescheides auszusprechen, dass bei der Beschwerdeführerin ein Grad der Behinderung im Ausmaß von zumindest 50 % vorliege, sowie von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses in Abänderung des angefochtenen Bescheides zu bewilligen. Die Beschwerdeführerin legte der Beschwerde keine ärztlichen Befunde bei.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 11.09.2019 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W260 einlangte.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W260 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 12.02.2020 einlangte.
Das BVwG führte am 12.02.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist, und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 20.09.2018 bei der belangten Behörde ein.
Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.
Ausmaß der Funktionseinschränkungen:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: gut
Größe: 145,00 cm Gewicht: 37,00 kg
Klinischer Status - Fachstatus:
10 Jahre altes Mädchen, intern-pädiatrisch unauffällig
Gesamtmobilität - Gangbild: unauffällig
Status Psychicus:
Besucht die 3. Klasse einer Volksschule, eingeschränkte Kommunikation und Interaktion, wenig flexibel im Alltag, mag keine Überraschungen, Wege sollten immer die gleiche sein, geräuschempfindlich. Ängste, schläft in der Nacht bei den Eltern, Angst vor Dunkelheit, teilweise Zwangshandlungen. In den ADL nicht altersentsprechend selbstständig. Stimmungsschwankungen. Sozialkontakt eingeschränkt.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
- Autismus-Spektrum-Störung, Asperger Typ, leichten Grades
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 (dreißig) v. H.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland basieren auf dem vom BVwG eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde vom 23.04.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 28.01.2019.
Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Strittig ist im gegenständlichen Verfahren nicht der Umstand, dass die Beschwerdeführerin an einem Asperger-Syndrom leidet, wie die Beschwerdeführerin in deren Beschwerde richtig ausführte, sondern ausschließlich die Frage, ob es sich um dabei um eine leicht- oder mittelgradige Ausprägung handelt.
Der medizinische Sachverständige stützt sich bei der Beurteilung dieser Frage in seinem Gutachten einerseits auf das Ergebnis der persönlichen Untersuchung vom 28.01.2019 der Beschwerdeführerin und anderseits auf den von der Beschwerdeführerin selbst vorgelegten klinisch-psychologischen Befund einer klinischen Psychologin und Kinder- und Jugendpsychologin vom 10.05.2018, welche klinisch-psychologische Untersuchungen der Beschwerdeführerin am 04.04., am 11.04., am 20.03. und am 18.04.2018 durchführte. Nach Durchführung von diversen Tests und Untersuchungen kommt diese klinische Psychologin zum Ergebnis, das bei der Beschwerdeführerin deutliche Auffälligkeiten der sozialen Responsivität vorliegen, welche die Kriterien eines leichtgradigen Asperger-Syndroms (Autismus-Spektrum) erfüllen. Damit gehen eine Vielzahl von sozialen Schwierigkeiten einher, vor allem in der Interaktion mit Gleichaltrigen sowie Erwachsenen und andererseits Begabungen in speziellen Wissensbereichen. Die sozialen Schwierigkeiten sowie Schwierigkeiten in der Kommunikation mit anderen Menschen führen insbesondere zu Problemsituationen im schulischen Kontext. Die klinische Psychologin erstellte die Diagnose F84.0 (ICD-10, DSM-5): Autismus-Spektrum (Asperger-Syndrom) in leichtgradiger Ausprägung (vgl. Seite 8 des gennannten Befundes).
Im Lichte dessen, dass der von der Beschwerdeführerin selbst vorgelegte klinisch-psychologische Befund ebenfalls von einem Asperger-Syndrom leichten Grades ausgeht, und diese Diagnose nach ICD-10 bzw. DSM5 erstellt wurde, ist nicht nachvollziehbar dass die Beschwerdeführerin in deren Stellungnahme vom 13.05.2019 und in deren Beschwerde vom 06.09.2019 vermeint, dass ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgrund der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Symptomen zu einem anderen Ergebnis kommen würde.
Feststeht, dass das Krankheitsbild der Beschwerdeführerin primär soziale Probleme aufzeigt, welche ihr Schwierigkeiten im schulischen Umfeld bereiten. Sie ist durchschnittlich intelligent, mit Spezialbegabungen in einigen Wissensbereichen. Die Beschwerdeführerin besuchte zum Zeitpunkt der Untersuchung eine Volksschule mit regulärem Lehrplan. Hinweise darauf, dass die Beschwerdeführerin einer speziellen Unterstützung beim Lernen bedarf, sind im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.
Die Beschwerdeführerin legte im gegenständlichen Verfahren keine Befunde vor, welche ein anderes Ergebnis zulassen würden. Der Verweis auf eine zitierte Entscheidung des UFS aus dem Jahr 2102, welche in einem gleichgelagerten Fall zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ein Grad der Behinderung von 50 % vorliege, vermag die Vorlage von Befunden im gegenständlichen Fall nicht zu ersetzen. Entscheidungswesentlich ist im gegenständlichen Verfahren nicht eine Rechtsfrage, sondern ausschließlich der Umstand, wie stark das Asperger Syndrom bei der Beschwerdeführerin tatsächlich ausgeprägt ist. Nachdem diese Ausprägung naturgemäß immer individuell unterschiedlich von Mensch zu Mensch ist, kann es in diesem speziellen Fall keine "gleichgelagerten Fälle" geben, welche bei der Entscheidung zu berücksichtigen wären.
Der Sachverständige geht in seinem Gutachten vom 23.04.2019 ausführlich auf sämtliche von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde ein. Die Beschwerdeführerin ist damit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des BVwG bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 23.04.2019. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt. Hinsichtlich der Einschätzung dieses Leidens nach der Einschätzungsverordnung wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
Insoweit in der Beschwerde und in der Stellungnahme vom 13.05.2019 beanstandet wird, die Beschwerdeführerin sei nicht einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie untersucht worden, ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.06.1997, 96/08/0114 ausgeführt hat, dass die Behörden im Zusammenhang mit der Einschätzung des Grades der Behinderung verpflichtet sind, zur Klärung medizinischer Fachfragen ärztliche Gutachten einzuholen. Es besteht jedoch kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Nachdem das medizinische Sachverständigengutachten vom 23.04.2019 schlüssig und nachvollziehbar ist, und sich mit den von der Beschwerdeführerin selbst vorgelegten Befunden deckt, besteht keine Veranlassung im Beschwerdeverfahren ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie einzuholen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden."
Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:
"Behinderung
§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
..."
Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung bzw. deren Anlage einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.
Der medizinische Sachverständige stufte das Leiden der Beschwerdeführerin nach Position 03.02. der Einschätzungsverordnung als Entwicklungseinschränkung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ein, wobei Entwicklungseinschränkungen des Sprechens und der Sprache, des Kommunikationsvermögens, schulischer Fertigkeiten, motorische Funktionen sowie kombinierte umschriebene Entwicklungseinschränkungen und typische Begleiterscheinungen wie emotionale Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, AHDS (Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung) unter dieser Position umfasst sind. Position 03.02.01, welche der medizinische Sachverständige wählte, ist eine Entwicklungsstörung leichten Grades, wobei bei einem Grad der Behinderung von 30 % leichte bis mäßige soziale Beeinträchtigungen in ein bis zwei Bereichen, beispielsweise Schulausbildung und alltägliche Tätigkeiten, Freizeitaktivitäten und in Teilbereichen Unterstützungsbedarf beim Lernen gegeben sind.
Für eine Entwicklungsstörung mittleren Grades nach Position 03.02.02 der Einschätzungsverordnung müssten ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigungen in ein bis zwei Bereichen und zudem ein globaler Unterstützungsbedarf beim Lernen oder eine kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung vorliegen. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde finden diese Symptome keine Deckung in dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befund einer klinischen Psychologin vom 10.05.2019 und auch nicht im medizinischen Sachverständigengutachten vom 23.04.2019.
Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde vom 23.04.2019, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 28.01.2019 zu Grunde gelegt.
Die von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde vorgebrachten Beschwerdegründe waren nicht geeignet, die durch den medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen.
Da der Sachverhalt feststeht und die Sache daher entscheidungsreif ist, war dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht Folge zu geben, zumal bereits ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde und der Entscheidung zu Grunde gelegt wird. Lediglich der Vollständigkeit halber wird neuerlich darauf hingewiesen, dass kein Rechtsanspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes besteht.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht erfüllt.
Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste der Beschwerdeführersin in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2223299.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020