Entscheidungsdatum
08.04.2020Norm
BBG §40Spruch
W261 2221949-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Dr. Martin MAHER, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 01.07.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 von Hundert (vH).
Der Beschwerdeführer stellte am 28.01.2019 einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.
Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Augenheilkunde aufgrund der Aktenlage ein, wonach die beidseitige Weitsichtigkeit keinen Grad der Behinderung erreicht. Der als medizinischer Sachverständige beigezogene Facharzt für Neurologie kommt in dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.03.2019 erstatteten Gutachten vom 14.05.2019 zu Ergebnis, dass der Beschwerdeführer an Multipler Sklerose und an einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 50 vH leide. Der medizinische Sachverständige für Neurologie fasste die Ergebnisse beider Sachverständigengutachten in einem Gesamtgutachten vom 28.05.2019 zusammen.
Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer diese Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 03.06.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.07.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte fest, dass der Grad der Behinderung nach wie vor 50 vH betrage. Die belangte Behörde legte dem Bescheid die eingeholten Sachverständigengutachten in Kopie bei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, bevollmächtigt vertreten durch Dr. MAHRER, Rechtsanwalt in Wien, fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass der Beschwerdeführer seit Jahren an multipler Sklerose leide. Das Gehen sei nur noch über wenige Meter sicher möglich. Er müsse sich immer anhalten, Pause machen, wenn er weitere als 50 Meter gehe. Sein Stuhlgang sei mittlerweile unkontrolliert. Es komme vor, dass er gezwungen sei, den Stuhlgang in der Öffentlichkeit zu verrichten bzw. zu urinieren. Das medizinische Sachverständigengutachten sei unrichtig, der Grad der Behinderung hätte viel höher eingeschätzt werden müssen. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde keine ärztlichen Befunde bei.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 01.08.2019 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W260 einlangte.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W260 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 12.02.2020 einlangte.
Das BVwG führte am 12.02.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 28.01.2019 bei der belangten Behörde ein.
Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.
Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers:
Klinischer Status - Fachstatus:
HN: rotatorischer Nystagmus des linken Auges bei Linksblick (unerschöpflich), sonst unauffällig, Visus korrigiert.
Visus: rechts +1,5sph -0,75cyl20° 0,8 , links +1,75sph -0,25cyl139° 0,6.
Obere Extremitäten:
Rechtshänder, MER links betont auslösbar, VdA mit geringen Einstellbewegungen, FNV links dysemetrisch, rechts unauffällig, Feinmotorik links eingeschränkt, Hypodiadochokinese links, grobe Kraft links: durchgehend KG 4-5.
Untere Extremitäten:
MER links betont auslösbar, KHV links gering ataktisch, grobe Kraft links durchgehend KG 4-5, Tonus links vor rechts gering gesteigert, Bab. li angedeutet positiv, Sensibilität: seitengleich. Angaben auf spitz-stumpf.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Gang: gering linksbetont spastisch ataktisches Gangbild ohne Hilfsmittel ausreichend schnell und sicher möglich. Stand: gering unsicher bei Augenschluss und Parallelstand.
Status Psychicus:
Klar, wach, orientiert, Duktus nachvollziehbar, jedoch etwas angetrieben, das Ziel erreichend, keine prod. Symptomatik oder wahnhafte Verarbeitung, von der Stimmung ausgeglichen, beidseits ausreichend affizierbar, Realitätssinn erhalten, Auffassung, Konzentration uneingeschränkt.
Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
- Multiple Sklerose
- Weitsichtigkeit beidseits
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt weiterhin 50 v. H.
Leiden 1 wird durch Leiden 2 nicht erhöht, weil dieses unwesentlich ist.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom BVwG eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 14.04.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.03.2019. Hinsichtlich des Augenleidens, welches jedoch keinen eigenen Grad der Behinderung erreicht, stützen sich Feststellungen auf das Gutachten einer Fachärztin für Augenheilkunde aufgrund der Aktenlage vom 14.02.2019.
Im Gutachten des medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Neurologie wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.
Der Beschwerdeführer leidet seit Jahren an einer sekundär chronisch progredienten multipleren Sklerose, wobei im Vordergrund eine linksbetonte Paraparese, eine Ataxie der linken Unterschenkel und linken Oberschenkel mit entsprechender Gangstörung steht. Diese Halbseitenzeichen links sind nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen geringgradig ausgeprägt, und das Gehen ist dem Beschwerdeführer ohne Hilfsmittel möglich. Es besteht eine neurogene Blasenstörung, weswegen der Beschwerdeführer Einlagen trägt. Die von ihm in seiner Beschwerde ebenfalls angegebene Stuhlinkontinenz ist nicht durch entsprechende Untersuchungsbefunde objektiviert, weswegen diese nicht berücksichtigt werden kann. Der Beschwerdeführer schloss seiner Beschwerde auch keine Befunde an, welche die die Einschätzungen des medizinischen Sachverständigen widerlegen hätten können.
Der Beschwerdeführer ist den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Diese Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft, im Detail wird dazu auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
Seitens des BVwG bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 14.05.2019. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden."
Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:
"Behinderung
§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
..."
Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.
Das Leiden 1 des Beschwerdeführers ist eine multiple Sklerose, welche der medizinische Sachverständige für Neurologie richtig nach Position 04.08.02 der Einschätzungsverordnung als demyelinisierende Erkrankung mit Funktionseinschränkungen mittleren Grades mit einem Grad der Behinderung von 50 % einstufte. Bei dieser Einschätzung treten unter anderem Paraparesen, Rumpf- und Extremitätenataxien sowie fallweise Inkontinenzen auf, wie diese beim Beschwerdeführer vorliegen. Das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers erreicht nicht das Ausmaß, um einen höheren Grad der Behinderung begründen zu können.
Das Leiden 2 ist eine Weitsichtigkeit beidseits bei einer Sehverminderung rechts auf 0,8 und links auf 0,6, welche die medizinische Sachverständige richtig nach Position 11.02.01 Tabelle Kolone 1, Zeile 2 mit einem Grad der Behinderung von 0 % einstufte.
Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).
Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, werden der gegenständlichen Entscheidung die seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und einer Fachärztin für Augenheilkunde zu Grunde gelegt.
Der medizinische Sachverständige für Neurologie stellt in seinem Gesamtgutachten vom 28.05.2019 fest, dass eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung der beiden Leiden des Beschwerdeführers nicht besteht, weil Leiden 2 unwesentlich ist, woraus sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH ergibt.
Die vom Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde vorgebrachten Beschwerdegründe waren nicht geeignet, die durch die beiden medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen, oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes zu belegen.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH sind die Voraussetzungen für die beantragte Neufestsetzung des Grades der Behinderung aktuell nicht erfüllt.
Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf die der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, wobei das neurologische Sachverständigengutachten auf einer persönlichen Untersuchung beruht, welches auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2221949.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020