TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/8 W261 2205522-1

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Veröffentlicht am 08.04.2020
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Entscheidungsdatum

08.04.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W261 2205522-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 22.08.2018, betreffend die Abweisung der Zusatzeintragungen: "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen", "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin ist seit 22.03.2011 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70 %. Der Behindertenpass enthält die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".

Mit Eingabe vom 25.04.2018 (vollständig einlangend) beantragte die Beschwerdeführerin die Vornahme der weiteren Zusatzeintragungen: "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen", "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson", "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn einer Prothese" in den Behindertenpass und legte eine Reihe von Unterlagen vor.

Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 27.06.2018 erstatteten Gutachten vom 01.07.2018 stellte der medizinische Sachverständige bei der Beschwerdeführerin die Funktionseinschränkung "Amputation im Oberschenkelbereich links bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und/oder der Gelenke" fest. Die Beschwerdeführerin sei beim Zustand der Oberschenkelamputation links mit einer funktionierenden Oberschenkelprothese versorgt, eine Mobilisierung damit unter Zuhilfenahme von Unterarmstützkrücken sei möglich. Das An- und Auskleiden erfolge mit geringer Hilfestellung, ein Umsetzen auf die Untersuchungsliege und die Wendebewegungen würden selbstständig durchgeführt werden. Ein überwiegender Gebrauch des Rollstuhles und der Bedarf einer Begleitperson sei nicht nachvollziehbar.

Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 20.07.2018 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte dieser eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Die Beschwerdeführerin gab keine Stellungnahme ab.

Mit Schreiben vom 26.07.2018, welchem Bescheidcharakter zukommt, übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin einen neuen Behindertenpass, mit folgenden Zusatzeintragungen:

"Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen."

"Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn einer Prothese".

"Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung."

Mit Schreiben vom 25.07.2018 gab die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme ab, wonach sie sehr wohl auf den Rollstuhl und auf eine Begleitperson angewiesen sei. Außerdem leide sie an einer schweren Depression, sie lege die entsprechende fachärztliche Stellungnahme einer Fachärztin für Psychiatrie der Psychosozialen Dienst XXXX vom 13.07.2018 bei.

Die belangte Behörde veranlasste aufgrund dieser Stellungnahme die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des befassten medizinischen Sachverständigen. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 21.08.2018 aus, dass auch die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich der beantragten Zusatzeintragungen bringen würden, weswegen die bereits vorhandene Beurteilung aufrecht bleibe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen", "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Voraussetzungen für diese Zusatzeintragungen nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht vorliegen würden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass sie mit dem Ergebnis des Bescheides nicht einverstanden sei und um nochmalige Überprüfung ersuche. Die Beschwerdeführerin legte der Beschwerde eine fachärztliche Stellungnahme einer Fachärztin für Psychiatrie des Psychosozialen Dienstes XXXX vom 04.09.2018 bei.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 12.09.2018 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W260 einlangte.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W260 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 12.02.2020 einlangte.

Das BVwG führte am 12.02.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist, und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70 % und folgenden Zusatzeintragungen:

"Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen."

"Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn einer Prothese".

"Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung."

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Allgemeinzustand: gut

Größe: 154,00 cm Gewicht: 64,00 kg Blutdruck: 110/70

Klinischer Status - Fachstatus:

Hörvermögen: nicht beeinträchtigt;

Sehvermögen: beeinträchtigt; Gleitsichtbrille;

Zehenballen- und Fersenstand: rechts angedeutet durchführbar;

Einbeinstand: beidseits kurzzeitig durchführbar;

Finger-Boden-Abstand: Kniehöhe

A) CAPUT/COLLUM: unauffällig;

THORAX: unauffällig;

Atemexkursion: 4cm;

ABDOMEN: kein Druckschmerz, klinisch unauffällig;

B) WIRBELSÄULE:

Schulter- und Beckengeradstand;

Druckschmerz: nein; Klopfschmerz: nein; Stauchungsschmerz: nein;

Halswirbelsäule: in allen Ebenen ein Drittel eingeschränkt, Kinn-Jugulum-Abstand 2,0cm, Myogelosen und Hartspan des Trapezius beidseits;

Brustwirbelsäule: Ott 30/32cm, Rippenbuckel: nein;

Lendenwirbelsäule: Schober 10/13cm, Seitneigung ein Drittel eingeschränkt, Lendenwulst nein; Insuffizienz der Rückenmuskulatur;

C) OBERE EXTREMITÄTEN:

Rechtshänderin; Nacken- und Kreuzgriff beidseits nicht eingeschränkt; muskuläre Verhältnisse unauffällig; Durchblutung unauffällig; Faustschluss, Grob- und Spitzgriff beidseits unauffällig;

Schulter: rechts links normal

Ante-Retroflexion 150 0 40 150 0 40 160 0 40

Außen-/Innenrotation 50 0 90 50 0 90 50 0 90

Abduktion/Adduktion 160 0 40 160 0 40 160 0 40

Ellenbogen rechts links normal

Extension/Flexion 10 0 150 10 0 150 10 0 150

Pronation/Suination 90 0 90 90 0 90 90 0 90

Handgelenk rechts links normal

Extension/Flexion 60 0 60 60 0 60 60 0 60

Radial-/Ulnarreduktion 30 0 40 30 0 40 30 0 40

Fingergelenke: beidseits frei und schmerzfrei beweglich.

Neurologie obere Extremitäten: Kraftgrad 5, Sehnenreflexe: beidseits untermittellebhaft, Sensibilität: ungestört; Tinnel-Hoffmann-Zeichen: beidseits negativ;

D) UNTERE EXTREMITÄTEN

Hüftgelenke rechts links normal

Druckschmerz nein nein

Extension 0 0 120 0 10 80 15 0 130

Abduktion/Adduktion 30 0 30 20 0 10 35 0 30

Aussen-/Innenrotation 30 0 30 n.p. 35 0 35

Oberschenkel:

Rechts: unauffällig; links: Zustand nach Amputation am Übergang prox.-mittl. Drittel (kurzer Stumpf), distal quer verlaufende, blande 24cm lange Narbe;

Kniegelenke: rechts links normal

Druckschmerz nein nein

Extension/Flexion 0 0.120 X 5 0 130

Erguss nein

Rötung nein

Hyperthermie nein

Retropatell. Symptomatik nein

Zohlen Zeichen negativ

Bandinstabilität nein

Unterschenkel rechts unauffällig

Oberes Sprunggelenk rechts links normal

Extension/Flexion 20 0 40 X 25 0 45

Bandinstabilität nein

Unteres Sprunggelenk rechts links normal

Eversion/Inversion 10 0 20 X 15 0 30

Erguss nein

Hyperthermie/Rötung nein

Zehengelenke:

Beweglichkeit: kleine Gelenke rechts endlagig eingeschränkt, schmerzfrei; Fußsohlenbeschwielung: normal.

Durchblutung: rechts unauffällig.

Neurologie untere Extremitäten: Lasegue: negativ; Bragard: negativ; Kraftgrad: 4-5; Sehnenreflexe: rechts untermittellebhaft auslösbar; Sensibilität: rechts unauffällig.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Hilfsmittel: 2 UASK, Rollstuhl, OS-Prothese links (Liner, Ice-Ross, Kniegelenk Otto-Bock 3R93, wahrscheinlich Sach-Vorfuß).

Schuhwerk: leichte HS.

Anhalten: erforderlich beim Aufstehen und Stehen.

An-und Auskleiden im Stehen: mit Hilfe durchführbar.

Transfer zur Untersuchungsliege/Wendebewegungen: selbständig.

Hocke: rechts angedeutet durchführbar.

Gangbild: nur einige Schritte prüfbar mit 2 UASK, Schonhinken und Stelzgang links. Schrittlänge: 0,5 Schrittlänge.

Status Psychicus: zeitlich und örtlich orientiert; kommunikativ; kooperativ, kein Hinweis auf relevante psychische Störung.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1. Amputation im Oberschenkelbereich links bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und/oder der Gelenke

Die Beschwerdeführerin ist nicht querschnittgelähmt. Sie ist nicht an beiden Beinen amputiert. Es liegt bei ihr keine genetische Muskeldystrophie vor, sie leidet nicht an Encephalitis disseminata oder an einer infantilen Cerebralparese. Die Beschwerdeführerin ist nicht stuhl- oder harninkontinent, sie hat keine Blasen- oder Mastdarmlähmung. Bei der Beschwerdeführerin liegt kein deutlicher Ausfall der oberen Extremitäten vor. Die Beschwerdeführerin ist nicht überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen.

Die Beschwerdeführerin ist weder blind oder hochgradig sehbehindert, noch ist sie taubblind. Die Beschwerdeführerin bedarf zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig der Hilfe einer zweiten Person. Bei der Beschwerdeführerin liegen keine kognitiven Einschränkungen vor, die im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung ständiger Hilfe durch eine zweite Person bedingen. Die Beschwerdeführerin bedarf keiner Begleitperson.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland basieren auf dem vom BVwG eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin gründen sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 01.07.2018, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 27.06.2018 samt ergänzender Stellungnahme vom 21.08.2018.

Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Aus dem Fachstatus, welcher auch von der Beschwerdeführerin weitgehend unbestritten blieb, ergibt sich zweifelsfrei, dass diese weder querschnittgelähmt ist, noch an einer beidseitigen Amputation beider Beine leidet, noch an Muskeldystrophie oder an einer Encephalitis disseminata oder eine Cerebralpares leidet. Ebenso wenig liegen Hinweise dafür vor, dass die Beschwerdeführerin stuhl- oder harninkontinent ist, noch, dass sie an einer Blasen- oder Mastdarmlähmung leidet. Auch ein deutlicher Ausfall der oberen Extremitäten liegt nicht vor, weswegen die entsprechenden Feststellungen getroffen wurden. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin nicht überwiegend auf einen Rollstuhl angewiesen ist, beruht auf den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, wonach die Beschwerdeführerin an beiden oberen und der rechten unteren Extremität keine behinderungsrelevanten funktionsbeeinträchtigenden Einschränkungen der Beweglichkeit, Motorik oder Sensibilität aufweist. Sie ist bei dem Zustand nach Oberschenkelamputation links mit einer funktionierenden Oberschenkelprothese versorgt, eine Mobilisierung ist damit und unter Zuhilfenahme von Unterarmstützkrücken. Dies bedeutet, dass die Beschwerdeführerin nicht überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen ist, wiewohl es ihr selbstverständlich freisteht, diesen für sich zu benutzen.

Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin nicht blind oder schwer sehbehindert ist, noch, dass sie taubblind ist, und dass auch keine Bewegungseinschränkungen im öffentlichen Raum und auch keine kognitiven Einschränkungen vorliegen, beruhen ebenfalls auf dem Ergebnis der medizinischen Untersuchung vor dem orthopädischen Sachverständigen. Es ist der Beschwerdeführerin nicht gelungen darzulegen, aus welchen Gründen sie tatsächlich einer Begleitperson bedarf. Daran vermag auch die von ihr mit der Beschwerde vorgelegte fachärztliche Stellungnahme vom 04.09.2018 nichts zu ändern. Dieser Stellungnahme liegt weder eine Anamnese zugrunde, noch ist ein psychiatrischer Fachstatus ableitbar. Daher ist aus dieser Stellungnahme nicht nachzuvollziehen, aufgrund welcher Diagnosen die Fachärztin für Psychiatrie zu dem Ergebnis kommt, dass "ihr Mann sie ständig begleiten müsse, da sie sonst in Panik gerate". Laut dem medizinischen Sachverständigengutachten, welches von der belangten Behörde eingeholt wurde, und welches dieser Entscheidung zugrunde liegt, gibt es keine Hinweise auf eine psychische Störung der Beschwerdeführerin. Zwar brachte diese bei der Anamnese bei den derzeitigen Beschwerden vor, dass sie an Depressionen leide. Sie gab jedoch bei der Untersuchung vor dem medizinischen Sachverständigen nicht an, dass sie ängstlich sei, und sich nicht ohne Begleitung in den öffentlichen Raum wage, weswegen der Beschwerdeführerin in ihre Argumentation nicht gefolgt werden kann.

Der medizinische Sachverständige geht in seinem Gutachten vom 01.07.2018 samt ergänzender Stellungnahme vom 21.08.2018 ausführlich auf sämtliche Einwendungen und Befunde der Beschwerdeführerin ein. Die Beschwerdeführerin ist den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des BVwG bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 01.07.2018 samt ergänzender Stellungnahme vom 21.0.8.2018. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen, BGBl. II. Nr. 495/2013 idgF BGBl. II Nr. 263/216 lauten:

"§ 1 Abs. 4 Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. die Art der Behinderung, etwa, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a) überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist;

diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 1 bis 3 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993 vorliegen. Bei Kindern und Jugendlichen gelten jedoch dieselben Voraussetzungen ab dem vollendeten 36. Lebensmonat.

b) blind oder hochgradig sehbehindert ist;

...

d) taubblind ist;

...

2. die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a) einer Begleitperson bedarf;

diese Eintragung ist vorzunehmen bei

- Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z.1 lit. a verfügen;

- Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d verfügen;

- bewegungseingeschränkten Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr, die zur Fortbewegung im öffentlichen Raum ständig der Hilfe einer zweiten Person bedürfen;

- Kindern ab dem vollendeten 6. Lebensjahr und Jugendlichen mit deutlicher Entwicklungsverzögerung und/oder ausgeprägten Verhaltensveränderungen;

- Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr mit kognitiven Einschränkungen, die im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung ständiger Hilfe einer zweiten Person bedürfen, und

- schwerst behinderten Kindern ab Geburt bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, die dauernd überwacht werden müssen (z. B. Aspirationsgefahr).

..."

Die maßgebliche Bestimmung des § 4a Abs. 1 bis 3 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) lautet samt Überschrift wie folgt:

"Mindesteinstufungen

(1) Bei Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und auf Grund einer Querschnittlähmung, einer beidseitigen Beinamputation, einer genetischen Muskeldystrophie, einer Encephalitis disseminata oder einer infantilen Cerebralparese zur eigenständigen Lebensführung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles oder eines technisch adaptierten Rollstuhles angewiesen sind, ist mindestens ein Pflegebedarf entsprechend der Stufe 3 anzunehmen.

(2) Liegt bei Personen gemäß Abs. 1 eine Stuhl- oder Harninkontinenz bzw. eine Blasen- oder Mastdarmlähmung vor, ist mindestens ein Pflegebedarf entsprechend der Stufe 4 anzunehmen.

(3) Liegt bei Personen gemäß Abs. 1 ein deutlicher Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten vor, ist mindestens ein Pflegebedarf entsprechend der Stufe 5 anzunehmen.

..."

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 01.07.2018 beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 27.06.2018 samt ergänzender Stellungnahme vom 21.08.2018 zu Grunde gelegt.

Aus Feststellungen ergibt sich, dass bei der Beschwerdeführerin keine einzige der oben genannten Voraussetzungen für die Vornahme der beiden beantragten Zusatzeintragungen vorliegt.

Auch die von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde und in ihrer Stellungnahme vorgelegten Befunde waren nicht geeignet, die durch den medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen. Auch wenn die Beschwerdeführerin unter einer ängstlich-depressiven Stimmungslage leiden sollte, wie dies in der von ihr vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme vom 04.09.2018 festgehalten wird, so ist daraus keine kognitive Einschränkung, welche der Beschwerdeführerin eine Orientierung im öffentlichen Raum verunmöglichen würde, ableitbar.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf dem von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste der Beschwerdeführersin in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin, welche die Vornahme der beantragten Zusatzeintragungen rechtfertigen, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Begleitperson Behindertenpass Sachverständigengutachten Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2205522.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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