TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/16 W186 2130018-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2020
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Entscheidungsdatum

16.04.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W186 2130018-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Kroatien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.07.2016, Zahl: 1090122308-160943428, und die Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 70/2015 iVm mit § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und der Schubhaftbescheid für rechtswidrig erklärt.

Gleichzeitig wird die Anhaltung des BF in Schubhaft von 06.07.2016 - 29.07.2016 als rechtwidrig erklärt.

II. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV hat der Bund (Bundesminister für Inneres) der beschwerdeführende Partei Aufwendungen in Höhe von ? 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) wurde am 06.07.20016 in Rahmen einer sicherheitspolizeilichen Kontrolle in Wien (16. Gemeindebezirk) angehalten. Bei einer Personenkontrolle ergab sich, dass gegen den BF ein Aufenthaltsverbot besteht. Es wurde eine Anzeige nach dem FPG erstattet und der BF wurde nach den Bestimmungen des BVA-VG festgenommen und in das PAZ HG eingeliefert.

1.2. Am gleichen Tag erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF.

Im Zuge dieser Einvernahme zur Verhängung der Schubhaft - zur Sicherung der Abschiebung - vor dem BFA führte der BF im Wesentlichen aus, es sei im bewusst, dass er ein großes Problem habe: Es sei "notiert, dass er das Land verlassen" habe und er sei dann nach Kroatien gefahren. Dort habe er sich nicht gemeldet. Dann sei er nach Deutschland gefahren, um dort zu arbeiten. Mittlerweile habe er alle seine Papiere verloren. Er sei jetzt für zwei Tage "hier". Er habe am Nachmittag desselben Tages mit dem Autobus nach Kroatien fahren wollen. Er habe nur kurz seine Familie und seine Freundin gesehen. Man könne ihm gerne ein lebenslanges Aufenthaltsverbot geben. Warum er ein Aufenthaltsverbot erhalten habe, verstehe er nicht. Er sei nur drei Monate im Gefängnis gewesen. Nur wegen eines Fehlers, für den er keine Schuld trage, verliere er ein halbes Leben. Der BF sei vor zwei Tagen mit dem Bus aus Deutschland kommend eingereist. Er habe kein Busticket bei sich. Auf Nachfrage, warum er nach Verhängung des Aufenthaltsverbotes über seine Ausreise nicht die Botschaft - wie ihm "gesagt" worden sie - informiert habe, meinte der BF: "Ich habe das ignoriert und mich mit anderen Sachen beschäftigt." Zuletzt habe er bei seinem Cousin in Wien übernachtet. Auf Nachfrage gab der BF an, keine (Reise-)dokumente bei sich zu haben; er habe nur seine e-card bei sich. Alle anderen Dokumente habe er verloren - ein oder zwei Tage, bevor er nach Kroatien habe ausreisen wollen. Die Dokumente habe er in Deutschland verloren; eine Verlustanzeige habe er nicht gemacht. In Österreich lebten sein Cousin und seine Schwester. Der BF führe derzeit 12 Euro Bargeld mit sich. In Deutschland habe er ohne Erlaubnis gearbeitet, aber es würde "daran gearbeitet". Auf Nachfrage, warum er bei seiner Festnahme zunächst einen falschen Namen angegeben habe, meinte der BF: "Ich hatte Angst, festgenommen zu werden." Er sei sich dessen bewusst gewesen, dass er sich nicht in Österreich habe aufhalten dürfen. Seine Effekten befänden sich bei seinem Cousin, er wolle sie aber nicht mehr. Einen Wohnungsschlüssel besitze er nicht. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Er werde in Kroatien weder strafrechtlich noch politisch verfolgt. Weitere Angehörige befänden sich dort.

1.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Mandatsbescheid wurde über den BF gemäß § 76 Absatz 2 Ziffer 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Die Behörde begründete die Verhängung der Schubhaft damit, dass gegen den BF ein rechtskräftiges und durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestehe. Der BF verfüge über keine Unterkunft und über keine ausreichenden Barmittel, um eine eigenständige Ausreise aus Österreich zu finanzieren. Er verfüge über keine Reisedokumente. Weiters bestünden keine familiären oder sozialen Bindungen. Der BF sei im Bundesgebiet rechtskräftig verurteilt worden. Er sei in Kenntnis über das Aufenthaltsverbot, befände sich jedoch im Bundesgebiet. Das Bundesgebiet habe er nicht "nachweislich" verlassen. Der behauptete Ausreisewille müsse als Schutzbehauptung gewertet werden. Es bestehe die Gefahr, dass der BF untertauche und einen illegalen Aufenthalt im Verborgenen fortsetzten würde.

Im Fall des BF liege ein rechtskräftiges und durchsetzbares Aufenthaltsverbot (erlassen am 29.10.2015) für die Dauer von drei Jahren vor. Der BF sei dessen ungeachtet in das Bundesgebiet eingereist und habe hier im Verborgenen Aufenthalt genommen. Bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachweislich nachgekommen, sodass seine Behauptung ausreisen zu wollen, als Schutzbehauptung zu werten sei.

Im Sinne der notwendigen Vorrausetzungen für die Inschubhaftnahme gemäß § 76 Abs. 3 FPG seien die Tatbestände der Ziffern 1,2,3 und 9 gegeben.

Da dem BF bereits einmal eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt worden sei, er dem Auftrag aber nachgekommen sei, weiters er in Österreich weder sozial noch beruflich verankert sei, er bis zu seiner Festnahme unbekannten Aufenthaltes gewesen sei, er in Kenntnis eines Aufenthaltsverbotes in Österreich aufhältig sei, schließlich nicht im Besitz von ausreichenden Barmitteln und Reisedokumenten sei, bestünde die Gefahr, dass er nach Entlassung aus der Schubhaft untertauche und seinen Aufenthalt im Verborgenen fortsetzen würde. Damit liege "Fluchtgefahr" vor. Diese Entscheidung sei verhältnismäßig, erforderlich und im Sinn einer "ultima-ratio" - Kalkulation auch geboten. Ein gelinderes Mittel sei im Fall des BF nicht zweckdienlich, da er auch seinen bisherigen Aufenthalt im Verborgenen betrieben habe - bzw dem bestehenden Aufenthaltsverbot zuwider in Österreich (wieder) eingereist sei.

1.4. Gegen den gegenständlichen Schubhaftbescheid erhob der BF durch seine Rechtsvertretung rechtzeitig Beschwerde und begründete die Rechtswidrigkeit der Schubhaft im Wesentlichen damit, dass im Gegensatz zur Ansicht der Behörde hier keine erhebliche Fluchtgefahr vorliege. Der BF habe nämlich seine Ausreisewilligkeit (innerhalb von zwei Tagen mit dem Bus nach Kroatien ausreisen zu wollen) dargelegt. Die Behörde habe auch nicht bewiesen, dass der BF nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht ausgereist sei. Weiters hätte die Behörde von der Anwendung des geringeren Mittels Gebrauch machen müssen, etwa iS einer Unterkunftnahme in von der Behörde bestimmten Räumlichkeiten.

In der Beschwerde wird schließlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, und dass der belangten Behörde der Ersatz der Aufwendungen des BF gem VwG-Aufwandersatzverordnung sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen, für die der BF aufzukommen hat, auferlegt werde.

1.5. Das BFA legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Stellungnahme und beantragte unter Hinweis auf die Begründung im angefochtenen Mandatsbescheid die Abweisung der Beschwerde. Ebenso wurde Kostenersatz im gesetzlichen Ausmaß begehrt.

1.6. Mir Erkenntnis vom 21.07.2016, Zl. W186 2130018-1/6E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Schubhaftbeschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm §22a Abs. 3 BFA-VG als unbegründet ab und stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Entscheidungszeitpunkt vorlägen. Der Antrag des BF auf Kostenersatz wurde abgewiesen und dem Bund der Aufwandersatz zugewiesen.

1.7. Einer dagegen erhobenen Revision gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20.10.2016, Ra 2016/21/0243-9, statt und hob das angefochtene Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass BVwG habe sich unzureichend mit dem Beschwerdevorbringen, wonach der BF auf der Durchreise nach Kroatien sei, und bei seinem in Österreich lebenden Cousin nächtigen könne, auseinandergesetzt. Mangels Abhaltung der in der Beschwerdeschrift beantragen mündlichen Verhandlung hätte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden dürfen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zum Verfahrensgang:

Der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Zur Person:

Der BF reiste illegal ins Bundesgebiet ein, ist Staatsangehöriger von Kroatien und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Gegen den BF besteht ein aufrechtes Aufenthaltsverbot, erlassen am 29.10.2015. Dieses Aufenthaltsverbot gilt für drei Jahre; es wurde am Tag der Entlassung des BF aus der Justizanstalt Josefstadt verhängt. Der BF wurde nach seiner Haftentlassung aufgefordert, Österreich zu verlassen. Das Aufenthaltsverbot wurde mit 13.11.2015 rechtskräftig.

Der BF leidet an keiner nennenswerten Krankheit.

Gegen den BF besteht ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot.

Der BF ist trotz aufrechten Aufenthaltsverbotes in Österreich wiedereingereist. Er war auf der Durchreise nach Kroatien.

Der BF verfügt nicht über ausreichende eigene existenzsichernde Mittel. Der BF verfügt über keine Identitätsdokumente.

Der BF verfügt über soziale Bezugspunkte im Bundesgebiet

Der BF geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.

Dem Antrag des BF auf freiwillige Rückkehrhilfe wurde vom Bundesamt stattgegeben.

2. Beweiswürdigung:

Zur Person und zum Verfahrensgang:

Der Verfahrensgang und die dazu getroffenen Feststellungen sowie die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die unzureichenden Mittel zur Eigenversorgung ergeben sich aus den eigenen Angaben des BF in der Einvernahme vor dem BFA. Die Feststellung, dass der BF über soziale Kontakte im Bundesgebiet verfügt ergibt sich aus den eigenen Angaben des BF im Rahmen der Einvernahme am 06.07.2016 vor dem BFA. Die Feststellung wonach der BF auf der Durchreise in Österreich war und bereit ist, freiwillig auszureisen, resultieren aus den Angaben des BF vor dem Bundesamt. Dass der BF freiwillig ausreisen möchte stützt sich auch aus seinem Antrag auf Rückkehrhilfe, dem das Bundesamt stattgegeben hat. Die Angaben waren glaubwürdig und wurden im Verfahren durch den Rechtsvertreter nicht in Frage gestellt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. - Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautete:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§ 56 oder 71 FPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

§ 77 FPG (Gelinderes Mittel) lautet:

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen."

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

3.1.3. Im vorliegenden Fall geht das Gericht nicht vom Vorliegen einer Fluchtgefahr im Sinne von § 76 Abs 2 iVm Abs 3 FPG aus: Zwar war der BF illegal in Österreich aufhältig - trotz eines gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbotes und hat er hat das Bundesgebiet trotz Aufenthaltsverbotes wieder betreten, doch tat er dies nur weil er auf der Durchreise war.

Angesichts des Umstandes, dass der BF bei seiner Einvernahme zur Schubhaftverhängung vor dem Bundesamt angab, Österreich freiwillig verlassen zu wollen, und den Namen und die Wohnanschrift seines Cousins, bei dem er im Bundesgebiet Unterkunft beziehen kann den Behörden von sich aus bekannt gab, konnte daher entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht vom Vorliegen einer Fluchtgefahr ausgegangen werden.

Selbst wenn man der Argumentation der belangten Behörde folgt, und das Vorliegen einer Fluchtgefahr iSd § 76 FPG annimmt (hier ist die belangte Behörde jedoch nicht beizupflichten, wenn sie das Vorliegen von Fluchtgefahr u.a. auf die Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG stützt, zumal der BF über soziale Kontakt und eine Unterkunftsmöglichkeit verfügt), so muss im gegenständlichen Fall das gelinderen Mittels angewendet werden:

Der BF wurde im Bundesgebiet noch nie in Schubhaft angehalten. Er verfügt über soziale Kontakte im Bundesgebiet und kann bei seinem Cousin Unterkunft beziehen. Ebenso gibt er an, freiwillig ausreisen zu wollen. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF die Zeit zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes nicht dazu nützen wird, im Bundesgebiet unterzutauchen. Er kann bei seinem Cousin wohnen und ist im Bundesgebiet daher sozial verankert.

Es hätte somit im vorliegenden Fall ein gelinderes Mittel des § 77 Abs. 6 FPG (periodische Meldeverpflichtung) zur Anwendung kommen müssen und erweise sich die Schubhaftverhängung durch das Bundesamt daher als rechtswidrig.

3.2. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt hinreichend geklärt werden konnte.

Zu Spruchpunkt III. und IV. - Kostenbegehren

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die Verwaltungsbehörde vollständig unterlag, steht dem BF nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Zu Spruchpunkt B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf diesen Spruchpunkt nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage hinsichtlich des Kostenersatzes nach § 35 VwGVG war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Ausreisewilligkeit gelinderes Mittel Rechtswidrigkeit Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W186.2130018.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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