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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Karl S in W, vertreten durch Dr. Walter Kainz, Rechtsanwalt in Wien VII, Gußhausstraße 23, gegen den Bescheid der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichteten Schiedskommission vom 2. Jänner 1996, Zl. OB.114-483335-007, betreffend Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1947 geborene Beschwerdeführer erkrankte im Mai 1966 während der Ableistung seines Präsenzdienstes an Meningo-Encephalitis. Er leidet an einer dadurch bedingten Beeinträchtigung der Gehfähigkeit des linken Beines und einer Blasenstörung mit erheblicher Restharnbildung.
Mit Eingabe vom 6. August 1993 beantragte der Beschwerdeführer auf Grund dieser Spätfolgen die Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz.
Mit Bescheid vom 30. November 1994 erkannt das Bundessozialamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland die geltend gemachten Gesundheitsschädigungen (Schwäche im linken Bein und Blasenentleerungsstörung) gemäß den §§ 1 und 2 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG) als Dienstbeschädigungen an und ihm ab 1. August 1993 eine Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. zu. Die Behörde erster Instanz begründete dies im wesentlichen damit, nach den eingeholten und für schlüssig befundenen neurologischen und urologischen Sachverständigengutachten habe sich folgende Einschätzung nach den Richtsätzen zu § 21 HVG ergeben:
1.
Schwäche im linken Bein 20 % MdE
2.
Blasenentleerungsstörung 40 % MdE
Die Gesamt-MdE betrage 50 %, weil die führende DB (Blasenentleerungsstörung) durch die DB (Schwäche im linken Bein) um eine Stufe erhöht werde. Die Einschätzung der MdE für die angeführten Leiden innerhalb des Rahmensatzes der angegebenen Positionen in den Richtsätzen werde wie folgt begründet:
"zu 1.: Die Einschätzung erfolgte mit dem unteren Rahmensatzwert, da daraus nur mehr eine sehr geringe Gangstörung resultiert.
zu 2.: Die Einschätzung erfolgte mit dem oberen Rahmensatzwert, bedingt durch den Harnverlust."
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, mit der er im wesentlichen die Höhe der Einschätzung der MdE bekämpfte.
Nach Einholung eines orthopädischen, eines neurologischen Sachverständigengutachtens sowie der Ergänzung des letzteren gab die belangte Behörde mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Begründend verwies die belangte Behörde auf das zur Prüfung der medizinischen Vorfrage eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Nervenkrankheiten (Neurologie) Dr. Herles, der zu folgender Beurteilung gekommen sei:
"Am linken Ober- und Unterschenkel bestehen eine Muskelverschmächtigung im geringen Ausmaß und eine leichte Dorsalflexionsschwäche.
Als Dienstbeschädigung sind eine Blasenentleerungsstörung nach durchgemachter Meningoenzephalitis sowie eine Schwäche im linken Bein anzuerkennen. Eine höhere Einschätzung des Gesamtleidenszustandes als 50 v.H. ist nicht gerechtfertigt. Die vom BW angegebenen Blasenstörungen und Potenzstörungen sind bereits in der Einzel-MdE von 40 v.H. inkludiert. Die nur geringen motorischen Ausfälle, insbesonders am linken Bein, lassen keine höhere Einschätzung als 20 v.H. zu."
Die medizinische Einschätzung im Berufungsverfahren stimme - so die Begründung des angefochtenen Bescheides weiter - mit der Einschätzung in erster Instanz überein. Dort sei bereits festgehalten worden, daß es bei der Erfüllung der Berufsaufgaben durch die Dienstbeschädigung nicht zur Beeinträchtigung irgendwelcher Berufsanforderungen komme. Berufliche Sonderverhältnisse für die Annahme einer Minderung der Erwerbstätigkeit gemäß § 22 HVG lägen demnach nicht vor. Auf Grund des vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgelegten neuen Befundberichtes (des Donauspitales, Urologische Abteilung vom 22. Juni 1995) sei eine ergänzende Stellungnahme des neurologischen Sachverständigen Dr. Herles eingeholt worden, aus dem sich ergeben habe, daß danach eine "Detrusorhyperreflexie" bestehe, wobei nur ein grenzwertig erhöhter Detrusor-Druck festgestellt worden sei. Es sei keine Therapieänderung empfohlen worden. Auf Grund dieses Befundberichtes sei in der medizinischen Beurteilung keine Änderung eingetreten. Insgesamt bleibe es daher bei einer MdE von 50 %.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bekämpft die von der belangten Behörde angenommene MdE von 50 v.H. als zu gering, im wesentlichen mit der Begründung, mit der sich aus dem Befund des Donauspitales vom 22. Juni 1995 ergebenden Restharnmenge von 270 ml ergebe sich nach den Bestimmungen der Richtsatzverordnung zu § 7 KOVG zwingend eine Einschätzung nach der Richtsatzposition 263, welche einen Rahmensatz von 50 bis 80 v.H. aufweise. Insofern sei die vorgenommene Einschätzung der belangten Behörde mit Richtsatzposition 262 falsch, weil diese bei geringerem Restharn heranzuziehen sei. Die sich bei ihm auf Grund des Befundes des Donauspitales ergebende Restharnmenge sei aber vollkommen ignoriert und die falsche Einschätzung ohne Angabe von Gründen beibehalten worden. Als Verfahrensverletzung macht der Beschwerdeführer geltend, neben der Beurteilung durch einen Neurologen hätte unbedingt ein ergänzendes urologisches Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, da die Blasenentleerungsstörung in das Fachgebiet der Urologie falle und eine gerechte, fachlich kompetente Beurteilung des Sachverhaltes ihm durch die Nichteinholung eines urologischen Sachverständigengutachtens praktisch verwehrt worden sei.
Beide Einwendungen sind zutreffend.
Gemäß § 1 Abs. 1 HVG ist eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des ordentlichen oder außerordentlichen Präsenzdienstes einschließlich einer beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung zu entschädigen (§ 2). Gemäß § 2 Abs. 1 HVG ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinn des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.
Gemäß § 21 Abs. 1 HVG hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung über 3 Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung (§ 2) hinaus um mindestens 25 v.H. vermindert ist; die Beschädigtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v.H. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen. Nach Abs. 2 leg. cit. ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Abs. 1 nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Diese Richtsätze sind durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernahmen mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates (§ 8 bis 13 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990) durch Verordnung aufzustellen.
Im Sinne dieses gesetzlichen Auftrages wurde in der Folge die Verordnung vom 9. Juni 1965 über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des KOVG 1957, BGBl. Nr. 150/1965, erlassen. Nach § 4 dieser Verordnung gelten die Richtsätze der Anlage zu dieser Verordnung auch für die Heeresversorgung.
Nach Abschnitt II lit. b Position 262 ist mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 bis 40 v.H.
einzuschätzen: Blaseninsuffizienz mit geringem Restharn (100 bis 200 cm3 oder Inkontinenz leichten Grades).
Nach Richtsatzposition 263 ist mit einer MdE von 50 bis 80 v.H. einzuschätzen: Blaseninsuffizienz mit höherem Restharn oder Inkontinenz, höhergradig bis völlig ohne oder mit Hautreizerscheinungen.
Das in erster Instanz eingeholte Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Urologie enthält folgenden Befund:
"Harn: klar, Albumen-, Sach-, Sang-, Nitr-, Leuko-Sed: o.B.
URICULT: Keimzahl weniger als 10000
NP: bds o.B.
ÄG: o.B.
Rektal: o.B.
Sonographie: Niere rechts: o.B.
links: o.B.
Blase: o.B., deutlich Restharn mehr als 200 cc
Prostata:
Oberbauch:
ivU: (22.7.1993) Kein sicherer Steinschatten, normaler oberer Harntrakt, Blasenboden gering angehoben, reichl. Restharn.
Auch die Behörde erster Instanz war in ihrem Bescheid vom 30. November 1994 - in diesem Punkte unbestritten - und in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Antrages des Beschwerdeführers - davon ausgegangen, daß mit der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Blasenstörung auch eine Restharnbildung von 250 ccm einherging. Nach dem Inhalt des Arztbriefes der urologischen Abteilung des Sozialmedizinischen Zentrums Ost-Donauspital vom 22. Juni 1995 ergab sich sogar eine Restharnmenge von 270 ml. Ganz davon abgesehen, daß es nicht einsichtig ist, daß es lediglich dem neurologischen Sachverständigen überlassen bleiben soll, die Minderung der Erwerbsfähigkeit einer ins Fachgebiet der Urologie fallenden Dienstbeschädigung einzuschätzen, fehlt auch jegliche Begründung für die Anwendung der Richtsatzposition II/b/262 und nicht jener, die dem vom Beschwerdeführer behaupteten und von der Behörde erster Instanz auch angenommenen Leidenszustand entspricht. Da die belangte Behörde diesen schon im Bescheid der Behörde erster Instanz ersichtlichen Begründungsfehler nicht aufgriff und auch im angefochtenen Bescheid nicht näher darauf eingegangen wird, warum "auf Grund dieses Befundberichtes" (Anmerkung: gemeint der des Donauspitals vom 22. Juni 1995) "in der medizinischen Beurteilung keine Änderung" eingetreten sei, hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Begründungsmängeln belastet, die zu seiner Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG führen mußte. Der bloße Hinweis auf die Schlüssigkeit eines SVGA ohne inhaltliche Auseinandersetzung damit genügt den Erfordernissen einer gesetzmäßigen Begründung nicht.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996090063.X00Im RIS seit
20.11.2000