TE Bvwg Beschluss 2020/4/21 G314 2230362-1

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Veröffentlicht am 21.04.2020
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Entscheidungsdatum

21.04.2020

Norm

AsylG 2005 §55
FPG §52 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2230362-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der serbischen Staatsangehörigen XXXX (geborene XXXX), geboren am XXXX, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.03.2020, Zl. XXXX, betreffend die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG:

A) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin (BF), eine serbische Staatsangehörige, deren Muttersprache Albanisch ist und die der Volksgruppe der Ashkali angehört, führt seit ihrer Eheschließung mit einem in Österreich daueraufenthaltsberechtigten nigerianischen Staatsangehörigen, der in XXXX wohnt und als Küchenhilfe arbeitet, 2012 den Familiennamen XXXX. Am 11.02.2020 beantragte sie eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs 2 AsylG. Dies wurde zusammengefasst damit begründet, dass sie keine familiären Bindungen zu Serbien habe und nicht einmal Serbisch spreche. Sie habe sich nach ihrer Eheschließung jeweils im Rahmen visumfreier Aufenthalte im Bundesgebiet aufgehalten und sei danach wieder nach Serien zurückgekehrt, wo sie mit Betteln und Müllsammeln für ihre Existenz aufgekommen sei. Ihr Ehemann habe sie nicht dabei unterstützt, einen österreichischen Aufenthaltstitel zu erlangen. Er habe jahrelang physische und psychische Gewalt gegen sie ausgeübt. Seit XXXX.11.2019 lebe sie in XXXX im Frauenhaus, weil er sie aus der gemeinsamen Wohnung geworfen habe. Mittlerweile habe er eine Scheidungsklage eingebracht. Aufgrund ihres schlechten psychischen Gesundheitszustands sei die BF nach dem Ablauf der zulässigen visumfreien Aufenthaltsdauer am XXXX.01.2020 in Österreich verblieben. Sie versuche, Deutsch zu lernen, leide aber an einer eingeschränkten Merkfähigkeit; es bestünde der Verdacht auf eine Demenz. Sie habe eine Einstellungszusage, sodass sie bei Legalisierung ihres Aufenthalts für ihren Lebensunterhalt sorgen könne. Als Angehörige der Ashkali werde sie sowohl in Serbien als auch im Kosovo, von wo sie ursprünglich stamme, angefeindet und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Sie fürchte, in Serbien nach dem Ende der Gültigkeitsdauer ihres Reisepasses im Februar 2021 keinen neuen Pass mehr zu erhalten.

Am 02.03.2020 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zu ihrem Antrag vernommen. In der Niederschrift wurde unter anderem Folgendes festgehalten: "Stellt sich im derzeit laufenden Verfahren heraus, dass ich die Voraussetzungen für die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels erfülle, wird mit die Möglichkeit gegeben werden, meinen Antrag dahingehend abzuändern". Eine Belehrung der BF, dass allenfalls für den beabsichtigten Aufenthaltszweck ein anderer Aufenthaltstitel benötigt wird und Gewaltopfer eine Aufenthaltsberechtigung nach § 57 AsylG beantragen können, erfolgte nicht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG (Spruchpunkt II.), sprach aus, dass ihre Abschiebung nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und legte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.). Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass weder ein Familienleben noch ein schützenswertes Privatleben iSd Art 8 EMRK bestünde. Die BF lebe nicht mehr mit ihrem Ehemann zusammen; ein Scheidungsverfahren sei anhängig. Sie habe sich ab 2012 mit Unterbrechungen im Bundesgebiet aufgehalten; seit 10.01.2020 sei ihr Aufenthalt nicht mehr rechtmäßig. Sie sei weder erwerbstätig noch habe sie private Kontakte (abgesehen von im Frauenhaus geschlossenen Bekanntschaften). Sie habe sich zwar um einen Arbeitsplatz bemüht und einen Deutschkurs besucht, doch sei der Grad ihrer Integration nicht so hoch, dass ein von Art 8 EMRK geschütztes Privatleben vorliege.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, den Bescheid dahingehend abzuändern, dass der BF der beantragte Aufenthaltstitel erteilt werde, eine Rückkehrentscheidung und die Abschiebung der BF nach Serbien für unzulässig zu erklären und eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass sich die BF seit 2012 immer wieder rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Sie sei in der Ehe für die Führung des Haushalts zuständig gewesen. Sie sei unbescholten und habe nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Sie leide an einer mittelgradigen Depression. Nach Serbien bestünden keine sozialen Anknüpfungspunkte; sie könne dort (anders als in Österreich) nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen, beherrsche die Landessprache nicht und werde als Angehörige der Ashkali diskriminiert. Sie werde in Serbien daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine existentielle Notlage geraten. Ihre privaten Interessen am Verbleib in Österreich würden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

Das BFA legte die Beschwerde unter Anschluss der Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der oben angeführte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

Aus der von der BF vorgelegten Heiratsurkunde geht hervor, dass sie seit der Eheschließung nicht mehr den im Reisepass und in der Geburtsurkunde angeführten Familiennamen XXXX führt, sondern den Familiennamen ihres Ehemanns, XXXX, annahm.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Vorauszuschicken ist, dass die Nichterteilung der beantragten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs 2 AsylG grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, weil das Ergebnis der vom BFA durchgeführten Interessenabwägung, wonach das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen das private Interesse der BF an einem Verbleib in Österreich überwiegt, auch bei Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden ist. Im Inland besteht nach der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft der BF und ihres Ehemanns kein Familienleben mehr; es bestehen nur wenige private Anknüpfungen. Die BF hielt sich vor ihrem nunmehrigen Aufenthalt, der noch nicht einmal ein Jahr lang dauert, nie für längere Zeit kontinuierlich im Inland auf und kehrte zuvor regelmäßig nach Serbien zurück, sodass sehr wohl Bindungen zu ihrem Heimatstaat iSd § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG bestehen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ihre gesundheitlichen Probleme dort nicht behandelt werden können. Zur Sicherung ihres Lebensunterhalts kann sie auf den Unterhaltsanspruch gegen ihren in Österreich erwerbstätigen Ehemann zurückgreifen, zumal sie nach ihrem Vorbringen den gemeinsamen Haushalt bis zum Umzug ins Frauenhaus geführt hat.

Das BFA hat es jedoch unterlassen, die BF auf die Möglichkeit hinzuweisen, einen begründeten Antrag auf Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG zu stellen.

Gemäß § 57 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wie der BF unter anderem zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang damit (Z 2) oder dann, wenn ein im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und er glaubhaft macht, dass die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3), eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen.

Zwar ist im Verfahren nach § 55 AsylG ist eine amtswegige Prüfung gemäß § 57 AsylG nicht vorgesehen (vgl. VwGH 27.07.2017, Ra 2017/22/0007). § 58 Abs 6 zweiter Satz AsylG schreibt aber vor, dass der Drittstaatsangehörige, wenn sich auf Grund des Antrags oder im Ermittlungsverfahren ergibt, dass er für den beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, über diesen Umstand zu belehren ist. Eine solche Belehrung hat das BFA hier unterlassen, obwohl die BF schon in ihrem Antrag auf die von ihrem Ehemann gegen sie ausgeübte Gewalt hinweist, und eine Bestätigung des Vereins Frauenhäuser XXXX vom 06.02.2020 vorlegte, wonach sie sich seit 04.11.2019 aufgrund von Partnergewalt im Frauenhaus XXXX aufhalte. Diese Anhaltspunkte hätten dazu führen müssen, die BF auf die Möglichkeit eines auf § 57 Abs 1 Z 2 oder 3 AsylG gestützten Antrags hinzuweisen.

Das BFA wird dies im fortgesetzten Verfahren nachholen müssen und dann (bei einer entsprechenden Modifikation des Antrags der BF) allenfalls erheben müssen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 57 AsylG vorliegen. Bei einem entsprechenden Vorbringen der BF wird in der Folge auch die in § 57 Abs 2 AsylG vorgesehene begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen sein.

Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich, weil offen ist, ob die BF bei einer entsprechenden Belehrung einen auf § 57 AsylG gestützten Antrag gestellt hätte, wie sie diesen begründet hätte und ob die Voraussetzungen dafür erfüllt wären.

Da zu tragenden Sachverhaltselementen noch keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt, zumal mangels einer entsprechenden Ergänzung des Antrags der BF noch kein Ermittlungsverfahren im Hinblick auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG durchgeführt wurde.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Belehrung der BF gemäß § 58 Abs 6 AsylG über die Möglichkeit einer Antragstellung gemäß § 57 AsylG, zur allfälligen Durchführung eines Ermittlungsverfahrens darüber sowie zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2230362.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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