TE Bvwg Beschluss 2020/4/21 G314 2230255-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.04.2020
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Entscheidungsdatum

21.04.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2230255-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des polnischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Andreas STROBL, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.03.2020, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots:

A) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF), ein XXXX-jähriger polnischer Staatsangehöriger, wurde im Bundesgebiet bislang sechs Mal strafgerichtlich verurteilt. Nach fünf Verurteilungen in den Jahren 2000 bis 2005 wegen Vermögens- und Suchtgiftdelikten wurde er zuletzt im November 2019 wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer zehnmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und legte gemäß § 70 Abs 3 FPG einen einmonatigen Durchsetzungsaufschub fest (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wird im Wesentlichen damit begründet, dass gegen den BF aufgrund der Verurteilungen zwischen 2000 und 2005 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Er habe das Bundesgebiet nach dem Vollzug der gegen ihn ausgesprochenen Freiheitstrafen 2008 verlassen und bis zur Aufhebung des Aufenthaltsverbots 2014 in Polen gelebt. Danach sei er nach Österreich zurückgekehrt, wo er bei seiner Mutter lebe und sich 2017 und 2018 Therapien wegen Suchtmittelproblemen unterzogen habe. In Österreich lebe sein siebenjähriger Sohn, mit dem kein gemeinsamer Haushalt bestehe und für den er keinen Unterhalt leiste. Der BF sei nach seiner Rückkehr in das Bundesgebiet 2014 23 Monate lang geringfügig beschäftigt gewesen, zuletzt im April 2018. Die neuerliche Verurteilung wegen eines Suchtgiftdelikts zeige, dass es ihm nicht gelungen sei, sein Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Der Rückfall nach mehreren Therapien zeige eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit.

Das BFA traf in der Bescheidbegründung keine Feststellungen zu einer allfälligen aktuellen medizinischen Behandlung des BF in Österreich oder zu Kontakten zu seinem Sohn. Das Fehlen von Unterhaltsleistungen schloss es allein daraus, dass er nicht erwerbstätig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und den Bescheid zu beheben, in eventu, die Dauer des Aufenthaltsverbots zu reduzieren. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass der BF zuletzt lediglich geringe Mengen Cannabiskraut besessen und einem anderen überlassen habe. Aufgrund der zur Gänze bedingt nachgesehenen Strafe könne eine positive Zukunftsprognose getroffen werden. Die Straftat sei auf einen einmaligen Rückfall aufgrund der Suchtmittelabhängigkeit des BF zurückzuführen. Er habe vor, diese durch eine Therapie bei einer spezialisierten Einrichtung zu überwinden. Er lebe abwechselnd bei seiner Mutter und bei seinem Sohn und dessen Mutter, mit der er liiert sei. Eine erfolgreiche Therapie sei nur mit deren Unterstützung möglich. Der BF beantragt, ihn und seine Mutter zu seinem Vorbringen zu vernehmen.

Das BFA legte die Beschwerde unter Anschluss diverser Bestandteile der Verwaltungsakten dem BVwG mit dem Antrag, sie abzuweisen, vor. Dem BVwG wurden - neben den BF betreffenden Auskünften aus der Personeninformation, dem kriminalpolizeilichen Aktenindex und der erkennungsdienstlichen Evidenz des Innenministeriums, dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger - die Stellungnahme des BF vom 10.11.2019, der Versicherungsdatenauszug per 18.11.2019, Aufenthaltsbestätigungen des XXXX vom 31.07.2017 (samt Patientenbrief) und vom 29.10.2018 (samt Entlassungsbericht), eine Bestätigung über eine Substitutionsbehandlung vom 14.02.2019 und eine Bestätigung über eine 2010 in Polen absolvierte Therapie vorgelegt, ebenso ZMR-Auszüge betreffend XXXX und XXXX sowie XXXX. Weitere Aktenbestandteile wurden dem BVwG nicht übermittelt. So fehlen insbesondere folgende, im angefochtenen Bescheid erwähnte Unterlagen: Schreiben vom 25.10.2019 (Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme), Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX, Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 14.12.2005 (Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots), Nachweise, dass der BF das Bundesgebiet 2008 verließ und sich bis 2014 in Polen aufhielt sowie Bescheid des BFA vom 18.12.2014 (Aufhebung des Aufenthaltsverbots). Nachweise für die Vaterschaft des BF zu XXXX (z.B. die Geburtsurkunde) sind ebensowenig aktenkundig wie Informationen zu allfälligen Kontakten zwischen Vater und Sohn.

Wenn das BFA im angefochtenen Bescheid davon ausgeht, dass sich der BF zwischen 2008 und 2014 in Polen aufgehalten habe, widerspricht dies dem vom BFA herangezogenen ZMR-Auszug (ZMR-Zahl XXXX), wonach von 25.06. bis 02.07.2010 und von 18.03. bis 21.03.2012 Hauptwohnsitzmeldungen in XXXX bestanden sowie von 31.05 bis 28.06.2012 eine Nebenwohnsitzmeldung. Mit dieser Diskrepanz setzt sich das BFA nicht auseinander, obwohl für die Gefährdungsprognose entscheidungswesentlich ist, ob der BF schon vor 2014 entgegen dem damals noch bestehenden Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet zurückkehrte.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im ZMR zu Namen und Geburtsdatum des BF ein weiterer Datensatz gespeichert ist (ZMR-Zahl XXXX), bei dem als Geburtsort "XXXX" aufscheint (was dem Geburtsort der im IZR dokumentierten Aliasidentität des BF, XXXX, entspricht). Es ist unklar, ob beide Datensätze dem BF zuzuordnen sind.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der oben angeführte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Aktenbestandteile sowie aus den vom BVwG durchgeführten Abfragen im IZR, ZMR und Strafregister. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Dem BVwG liegen die für eine Sachentscheidung notwendigen Ermittlungsergebnisse nicht vollständig vor. Ohne nähere Informationen zu den Fragen, ob der BF schon vor 2014 in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist, zu den Gründen für die Aufhebung des Aufenthaltsverbots, zu den von ihm danach begangenen Straftaten und den Strafzumessungsgründen, zu in Österreich bestehenden privaten und familiären Bindungen (insbesondere zu seinem Sohn und dessen Mutter) sowie zu seinem Gesundheitszustand und allenfalls aktuell durchgeführten Therapien (Substitutionsbehandlung) kann nicht beurteilt werden, ob die Erlassung eines weiteren fünfjährigen Aufenthaltsverbots notwendig ist und den privaten und familiären Verhältnissen des BF entspricht.

Die Behörde wird im fortgesetzten Verfahren ergänzende Erhebungen zu diesen Umständen und anschließend anhand entsprechender konkreter Feststellungen eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose (unter Angabe des anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs) und eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des BF, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, vornehmen müssen. Dabei ist zu beachten, dass die Überlegungen des BFA zum fehlenden Kontakt des BF mit seinem Sohn nur auf Meldeauszügen beruhen und diesen insoweit fälschlich eine über deren bloßen Indizcharakter hinausgehende Bedeutung beimessen (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0010 und 30.08.2018, Ra 2018/21/0129).

Da das BFA somit noch keine geeigneten Schritte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts gesetzt hat, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF wieder ein Aufenthaltsverbot verhängt werden muss und wenn ja, für wie lange. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Da zu tragenden Sachverhaltselementen noch keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt, zumal das BFA dem BVwG die Verwaltungsakten nicht vollständig vorlegte. Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit insoweit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2230255.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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