TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/27 W147 2006931-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.04.2020
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Entscheidungsdatum

27.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W147 2006930-2/11E

W147 2006931-2/11E

W147 2006929-2/13E

W147 2006928-2/10E

W147 2006927-2/6E

W147 2207676-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1) XXXX , 2) XXXX , 3) XXXX , 4) XXXX , 5) XXXX und 6) XXXX , alle StA: Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. August 2018, 1) 821803909-1595096, 2) 830733002-1662508, 3) 830733100-1662494, 4) 830733209-1662486, 5) 830733307-1662478 und 6) 1056256001-150326219 beschlossen:

A) Die Verfahren werden in Bezug auf Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, eingestellt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1) XXXX , 2) XXXX , 3) XXXX , 4) XXXX , 5) XXXX und 6) XXXX , alle StA.: Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. August 2018, Zl. 1) 821803909-1595096, 2) 830733002-1662508, 3) 830733100-1662494, 4) 830733209-1662486, 5) 830733307-1662478 und 6) 1056256001-150326219, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2020 zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. und III. werden als unbegründet abgewiesen.

2. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, auf Dauer für unzulässig erklärt.

3. XXXX , und XXXX , geb. XXXX, wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

4. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX wird der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und Moslem, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 10.12.2012 noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin und seine minderjährigen Kinder (Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer) stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 03.06.2013 Anträge auf internationalen Schutz.

Der Erstbeschwerdeführer wurde am 10.12.2012 (Erstbefragung), am 20.06.2013, am 08.08.2013 und am 22.10.2013 niederschriftlich einvernommen.

Im Zuge seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Erstbeschwerdeführer zum Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt an, dass er seit dem Jahr 1996 Invalide aufgrund von Verletzungen sei, die ihm im Zuge der Bombardierungen während des Krieges zugefügt worden seien. Im Jahr 1997 sei in XXXX die Invalidität 2. Grades festgestellt worden und habe er eine Pension zuerkannt bekommen. Bei Pensionskontrollen im Jahr 2005 sei ihm die Invaliditätspension aberkannt worden, da er kein Soldat gewesen sei und deswegen angeblich keinen Anspruch auf eine Pension habe. Er habe vom Innenministerium (Verw. XXXX ) eine Vorladung erhalten und habe an dieser am 15.10.2012 teilgenommen. Er sei dabei bezüglich seiner Invalidität bzw. Verletzungen befragt worden. Am 31.10.2012 in der Früh seien gegen sieben Uhr sechs maskierte Männer zu ihm nachhause gekommen. Diese hätten ihn mitgenommen und ihn bis zum 03.11.2012 in einem Kellerabteil in XXXX festgehalten. Er sei beschuldigt worden, als Kämpfer im Krieg tätig gewesen zu sein, da er andernfalls die von ihm im Jahr 1997 bezogene Pension nicht bekommen hätte können. Es sei gedroht worden, ihn umzubringen, falls er keine Auskunft darüber geben würde, mit wem, wann und wo er früher gekämpft habe. Aus diesem Grund sei er ausgereist, da er um sein Leben gefürchtet habe.

Vorgelegt wurde der russische Führerschein und der russische Inlandspass des Erstbeschwerdeführers.

Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme am 20.06.2013 vor der Erstaufnahmestelle Ost wurde der Erstbeschwerdeführer darüber informiert, dass betreffend seine am 03.06.2013 in das Bundesgebiet eingereisten Familienangehörigen Dublin-Konsultationen mit Polen geplant seien.

Die Diakonie übermittelte mit Faxeingabe vom 05.08.2013 einen Sozialbericht betreffend den Erstbeschwerdeführer, wonach dieser an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer mittelgradigen depressiven Episode, einer nichtorganischen Insomnie sowie Zustand nach Schädel Hirn Trauma leide. Eine intensive psychosoziale Betreuung sei im Fall des Erstbeschwerdeführers dringend zu empfehlen.

Am 08.08.2013 wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesasylamt, XXXX , niederschriftlich befragt. Der Erstbeschwerdeführer erklärte zu seinen Familienangehörigen befragt, dass seine Ehefrau und seine drei minderjährigen Kinder mittlerweile im Bundesgebiet aufhältig seien. Der Vater des Erstbeschwerdeführers habe eine Landwirtschaft gehabt, sei jedoch mittlerweile verstorben. Sein Bruder arbeite auf privaten Baustellen. Seine Mutter beziehe eine Pension. Im Bundesgebiet sei der Erstbeschwerdeführer mit anderen Tschetschenen befreundet. Er halte sich primär in seiner im Rahmen der Grundversorgung bezogenen Unterkunft auf. Seinen Unterhalt in Österreich könne er nicht selbst finanzieren.

Zu seinem beruflichen Werdegang befragt, erklärte er, acht Jahre die Grundschule besucht zu haben. Er sei Mechaniker und habe nach dem ersten Krieg in einer Reparaturwerkstatt gearbeitet bzw. Fortbildungskurse besucht. Dieser Tätigkeit sei er von 2005 bis Oktober 2012 nachgegangen. Der Erstbeschwerdeführer habe eine eigene Werkstatt mit Geschäft gehabt, wo er seine Ersatzteile verkauft habe. Das Lokal sei angemietet gewesen. Das Geschäft habe er alleine geführt, in der Werkstatt habe er einen Helfer gehabt. Sein Geschäft habe er inoffiziell - ohne behördliche Genehmigung - betrieben. Der Erstbeschwerdeführer sei Invalide der II. Klasse gewesen und habe aus diesem Grund keine Genehmigung seitens der Behörde für eine selbständige Tätigkeit erhalten. Er sei Invalide der II. Klasse, da er verletzt worden sei, als sein Dorf am XXXX .1996 bombardiert worden sei. Er habe zuletzt fast 10.000 Rubel Invaliditätspension erhalten.

Zum Grund für die Antragstellung befragt, erklärte er, in letzter Zeit Probleme mit den Behörden wegen seiner Pension bekommen zu haben. Im Jahr 1997 sei die Invaliditätsklasse festgelegt worden, im Jahr 2001 habe er einen Bescheid erhalten, wonach er die Pension widerrechtlich beziehe. Laut Bescheid hätte er alle bezogenen Gelder zurückzahlen sollen. Damals hätten derartige Pensionen nur Personen erhalten, die aktiv am Krieg teilgenommen hätten. Am 15.10.2012 habe er eine Vorladung zur Behörde für Inneres erhalten, der der Beschwerdeführer Folge geleistet habe. Ab dem Jahr 2005 habe er die Pension neuerlich bezogen, weil er von der Pensionsversicherungsanstalt Recht bekommen habe. Im Jahr 2012 habe eine Überprüfung seiner Pension stattgefunden. Im Herkunftsstaat des Erstbeschwerdeführers arbeite hauptsächlich der FSB. Da alle fünf Jahre neue Mitarbeiter des FSB kommen würden, würden derartige Pensionsprüfungen alle fünf Jahre stattfinden. Bei einer solchen Überprüfung sei der Erstbeschwerdeführer von Leuten des FSB bezüglich der Grundlage seines Pensionsbezuges befragt worden. Danach sei er am 31.10.2012 in der Nacht von seiner Wohnadresse abgeführt worden und drei Tage lang inhaftiert gewesen. Er sei dabei gefoltert worden. Sie hätten wissen wollen, ob er ein Kämpfer sei oder nicht. Da er aber niemals Kämpfer gewesen sei und nie gekämpft habe, habe er entsprechend geantwortet. Am 03.11.2012 sei er in sein Heimatdorf zurückgebracht worden. Er sei auf die Straße geworfen worden. Da er Invalide der II. Klasse sei, würde er derartige Folterungen nicht neuerlich überstehen, weshalb er am 05.11.2012 Tschetschenien verlassen habe und nach XXXX gefahren sei, wo er sich bis zum 06.12.2012 aufgehalten habe, bevor er nach Europa gereist sei.

Im Jahr 2001 habe er sich an den EGMR gewandt.

Auf Nachfrage verneinte der Erstbeschwerdeführer, weitere Fluchtgründe zu haben.

Der Erstbeschwerdeführer wurde gefragt, wie seine angebliche langjährige Invaliditätspension mit seiner behaupteten selbständigen Tätigkeit vereinbar sei. Hiezu meinte er, keine Wahl gehabt zu haben. Er habe arbeiten müssen, um zu überleben. Er habe eine sehr schwere Verletzung gehabt und Rehabilitationsmaßnahmen erhalten. Er habe sich immer Sorgen um seine Gesundheit gemacht.

Er sei in XXXX am XXXX untersucht worden. Dabei sei festgestellt worden, dass er nach wie vor Metallsplitter im Schädel und im Körper habe. Da seine Eltern Pensionisten seien, habe er als ältester Sohn arbeiten müssen. Er habe sich aber auch alljährlich in Tschetschenien in Krankenhäusern behandeln lassen. Er habe auf seine Gesundheit geachtet und die ihm verschriebenen Medikamente eingenommen.

Seit dem 05.11.2012 sei er nicht mehr in Tschetschenien gewesen. Auf Vorhalt, dass ihm am 15.11.2012 ein Führerschein ausgestellt worden sei, meinte er, dass es sich dabei um einen Austausch gehandelt habe. Ein Verwandter habe für ihn den Führerschein ausstellen lassen.

Auf Nachfrage erklärte der Erstbeschwerdeführer, dass der FSB die Pensionen überprüfe, um herauszufinden, wer von den Invaliden Kämpfer gewesen sei.

Zum jahrelangen unbehelligten Aufenthalt des Erstbeschwerdeführers und seiner Familie in Tschetschenien befragt, meinte der Erstbeschwerdeführer, dass in Tschetschenien derzeit ein Prozess laufe, bei dem herausgefunden werden solle, wer am ersten bzw. zweiten Tschetschenienkrieg aktiv teilgenommen habe. Die Polizei in Tschetschenien arbeite eng mit dem FSB zusammen.

Der Erstbeschwerdeführer legte ein Schreiben von ESRA vom 18.06.2013 vor, wonach er an einer PTSD, einer mittelgradigen depressiven Episode, einer nichtorganischen Insomnie und einem Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma leide.

Weiters brachte er einen russischen Invaliditätspass in Vorlage, wonach er bis zum 30.11.2017 pensionsbezugsberechtigt sei. Dieser Invaliditätspass bestätige die Invalidität II. Klasse aufgrund einer Entscheidung vom 15.06.2010.

Für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat habe er Angst vor neuerlicher Verfolgung. Er habe Angst erneut Folterungen ausgesetzt zu werden. Er sei geschlagen, aber auch mit Strom gefoltert worden.

Zu seiner Ehefrau, der Zweitbeschwerdeführerin, befragt, erklärte er, dass diese keine eigenen Fluchtgründe habe. Diese sei selbst nie verfolgt worden und nur aufgrund des Erstbeschwerdeführers in Österreich.

Das Bundesasylamt befasste XXXX , mit der Erstellung eines Gutachtens.

Laut Psychiatrisch-Neurologischem Gutachten vom 07.09.2013 habe sich beim Erstbeschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht ein im Wesentlichen unauffälliger psychopathologischer Querschnittsbefund ergeben. Auch neurologisch habe sich ein unauffälliger Befund ergeben.

Beim Erstbeschwerdeführer sei keine Indikation für eine medizinische, psychiatrische oder neurologische Behandlung gegeben.

Beim Erstbeschwerdeführer sei keine psychische Störung bzw. psychische Erkrankung fassbar, die eine Beeinträchtigung der Einvernahme- oder der Geschäftsfähigkeit beinhalten würde. Aus psychiatrischer Sicht sei der Erstbeschwerdeführer als einvernahme- und geschäftsfähig anzusehen.

Zuletzt wurde der Erstbeschwerdeführer am 22.10.2013 vor dem Bundesasylamt, XXXX niederschriftlich befragt. Dabei tätigte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen gleichlautende Angaben wie bisher zu seinen Familienangehörigen in Österreich und im Herkunftsstaat.

Der Erstbeschwerdeführer legte seine Heiratsurkunde vor.

Der Erstbeschwerdeführer erklärte, am 05.10.2012 Tschetschenien verlassen zu haben. In der Folge berichtigte der Erstbeschwerdeführer, am 05.11.2012 aus Tschetschenien ausgereist zu sein und am 06.12.2012 das Staatsgebiet der Russischen Föderation verlassen zu haben.

Wann seine Ehefrau den Herkunftsstaat verlassen habe, wisse er nicht genau. Seine Ehefrau habe ihm gesagt, dass sie im Mai 2013 gemeinsam mit den Kindern Tschetschenien verlassen habe. Der Erstbeschwerdeführer sei Automechaniker gewesen. Er habe eine Mechaniker-Werkstatt betrieben. Er habe keine Mitarbeiter gehabt. Er habe aber ein kleines Verkaufsgeschäft gehabt, in dem fallweise ein Bekannter ausgeholfen habe.

Der Erstbeschwerdeführer erklärte auf Nachfrage, einmal in Tschetschenien festgenommen worden zu sein. Diese Festnahme habe im Oktober 2012 stattgefunden. Er sei am 31.10.2012 festgenommen worden und bis zum 03.11.2012 durchgehend in Haft gewesen.

Nach Aufforderung zu dieser Festnahme detaillierte Angaben zu machen, erklärte der Erstbeschwerdeführer, am 31.10.2012 abgeführt worden zu sein. Die Leute seien maskiert gewesen. Er wisse nicht, wohin er hingebracht worden sei. Er sei verhört und insbesondere befragt worden, ob er gekämpft habe. Sie hätten wissen wollen, wie der Erstbeschwerdeführer seine Pension bekommen habe. Er habe dabei alles erzählt.

Der Erstbeschwerdeführer wurde erneut aufgefordert, konkrete Angaben um die behauptete Festnahme zu tätigen. Er führte aus, dass die Festnahme im Wohnhaus seines Vaters stattgefunden habe. Der Erstbeschwerdeführer habe bei seinem Vater gelebt. Sie hätten wissen wollen, ob er gekämpft habe. Jene Personen, die in den Jahren 1996/1997 eine Rente bekommen hätten, hätten diese bekommen, da sie gekämpft hätten. Der Erstbeschwerdeführer sei im Zuge eines Bombenangriffs verletzt worden, habe jedoch auch eine Rente bekommen.

Zu den Leuten die ihn festgenommen hätten befragt, schilderte er, dass diese maskiert gewesen seien. Sie hätten schwarze Uniformen getragen. Sie seien groß gewesen. Einige hätten Tschetschenisch, andere Uniformierte Russisch gesprochen.

Er sei von sechs oder sieben Personen festgenommen worden. Genau könne er es nicht mehr sagen.

Befragt, woran er sich noch erinnern könne, meinte er, dass er geschlagen und mit Strom gefoltert worden sei. Er sei danach sehr schwach gewesen.

Befragt, um welche Uhrzeit/Tageszeit er festgenommen worden sei, erklärte er, dass es in der Nacht gewesen sei. Auf Nachfrage präzisierte er, dass die Uniformierten gegen 21 oder 22 Uhr gekommen seien und ihn festgenommen hätten. Derartige Festnahmen würden meistens in der Nacht stattfinden, um Aufsehen zu vermeiden.

Befragt, woher er wisse, gegen 21 oder 22 Uhr festgenommen worden zu sein, meinte er, zuhause gesessen und ferngesehen zu haben.

Zu einer allfälligen Verfolgung seiner Ehefrau im Herkunftsstaat befragt, meinte er, dass seine Ehefrau zum Erstbeschwerdeführer befragt worden sei. So sei es ihm zumindest von seiner Ehefrau erzählt worden. Sie hätten seiner Ehefrau gesagt, dass sie Probleme bekommen würde. Seine Ehefrau sei insgesamt drei Mal zum Erstbeschwerdeführer befragt worden.

Dazu aufgefordert, detaillierte und konkrete Angaben rund um seine Freilassung anlässlich der behaupteten Festnahme zu machen, schilderte er, dass er am 03.11.2012 von den Uniformierten mit einem Auto in die Nähe seines Heimatdorfes gebracht worden sei. Dort sei er ausgesetzt worden. Er sei dann zum Wohnhaus seines Vaters gegangen und habe in der Folge am 05.11.2012 Tschetschenien verlassen. Er sei nach XXXX gefahren.

Dem Erstbeschwerdeführer wurde vorgehalten, seine Freilassung völlig emotionslos und abstrakt zu schildern. Er wurde neuerlich aufgefordert, Details zu seiner Freilassung zu nennen. Daraufhin erklärte der Erstbeschwerdeführer, dass er natürlich in schlechter Verfassung gewesen sei. Er habe fürchterlich Angst gehabt und habe er die Situation schwer aushalten können.

Dem Erstbeschwerdeführer wurde seine Ausführung im Befund von ESRA vom 18.06.2013 vorgehalten, wonach er vier Monate lang in Haft gewesen sei. Der Beschwerdeführer erklärte, dass diese Ausführung im Befund falsch sei.

Nach Vorhalt und Erörterung des eingeholten Gutachtens von XXXX erklärte der Erstbeschwerdeführer, dass er nicht verstehe, weshalb ESRA einen derartigen Befund geschrieben habe. Er sei dort im Zuge der Befunderstellung lediglich über seine Träume befragt worden. Er sei damals bei ESRA depressiv gewesen, da seine Familie nicht bei ihm gewesen sei. Er habe sich den Befund von ESRA übersetzen lassen und sich auch gedacht, dass es ihm nicht so schlecht gehe. Er sei bei XXXX selbst erleichtert gewesen, dass er nicht so krank sei, wie im Befund von ESRA ausgeführt.

Für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte er um sein Leben, das Leben seiner Kinder und jenes seiner Ehefrau. Er fühle sich in Österreich sicher.

2. Die Zweitbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und Moslem, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern (Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer) am 03.06.2013 noch am selben Tag für sich und als Vertreterin für ihre minderjährigen Kinder Anträge auf internationalen Schutz.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am 03.06.2013 (Erstbefragung) und am 14.11.2013 niederschriftlich einvernommen.

Im Zuge ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.06.2013 gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie und ihr Ehemann Ende Oktober 2012 beschlossen hätten, Tschetschenien zu verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei am 22.05.2013 mit dem Zug von XXXX nach Inguschetien und von dort nach XXXX gefahren. Die Ausreise aus dem Herkunftsstaat sei legal mit ihrem vom Passamt XXXX ausgestellten Reisepass erfolgt. Sie sei von XXXX mit dem Zug nach Weißrussland gereist, von wo sie nach Polen weitergefahren sei. Dort habe sie gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern einen Asylantrag gestellt, um nicht abgewiesen oder zurückgeschickt zu werden. Sie sei schließlich schlepperunterstützt nach Österreich weitergereist, da ihr Ehemann hier lebe. Zu diesem erklärte sie, dass sie zwar laufend mit diesem telefoniert habe, jedoch keine Informationen über dessen genauen Aufenthalt gehabt habe. Im Lager in Polen habe sie zufällig erfahren, dass ihr Ehemann in Österreich lebe. Sie könne nicht nach Polen zurückkehren, da ihr Ehemann in Österreich lebe.

Sie habe ihren Herkunftsstaat verlassen, da sie zu ihrem Ehemann reisen habe wollen. Sie habe ihren Ehemann seit dem 05.11.2012 nicht mehr gesehen. Er sei einfach weggefahren und wisse sie bis heute nicht, wo dieser sei. Sie habe schließlich Tschetschenien verlassen, um zu ihrem Ehemann zu fahren. Sie habe erst in Polen über ihre Schwiegermutter erfahren, dass ihr Ehemann in Österreich sei. Sie hätten zwar oft telefoniert, doch habe ihr Ehemann ihr nie erzählt bzw. auch nie einen Brief geschrieben, wo er sich aufhalte.

Ihr Fluchtgrund gelte auch für ihre minderjährigen Kinder, die sich seit deren Geburt bei der Zweitbeschwerdeführerin aufhalten würden.

Für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat habe die Zweitbeschwerdeführerin Angst um ihre Kinder, da Leute zu ihnen gekommen seien, die nach ihrem Ehemann gefragt hätten.

Im Herkunftsstaat würden sich die Eltern, der Bruder und die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin aufhalten.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte ihren russischen Inlandspass und die Geburtsurkunden ihrer minderjährigen Kinder in Vorlage.

Laut gutachterlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren nach Untersuchung am 10.07.2013 leide die Zweitbeschwerdeführerin an keiner belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung. Auch sonst würden keine psychischen Krankheitssymptome vorliegen.

Nach Zulassung des Verfahrens wurde die Zweitbeschwerdeführerin am 14.11.2013 durch das Bundesasylamt, XXXX , niederschriftlich einvernommen.

Nach Schilderungen über ihre Angehörigen im Herkunftsstaat erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, dass sie mit ihrem Ehemann traditionell und standesamtlich verheiratet sei. Die Beschwerdeführerin legte ihre Heiratsurkunde vor. Sie habe einen Mittelschulabschluss. Sie habe elf Jahre lang die Schule besucht. Sie sei nicht berufstätig, sondern als Hausfrau tätig gewesen.

Sie habe am 22.05.2013 Tschetschenien gemeinsam mit ihren Kindern verlassen. Abgesehen von ihrem Ehemann und ihren minderjährigen Kindern halte sich im Bundesgebiet die Schwester ihres Ehemannes auf. Im Bundesgebiet lebe die Zweitbeschwerdeführerin von Sozialhilfe. Sie sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und kümmere sich hier ausschließlich um ihre Kinder.

Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Die Zweitbeschwerdeführerin sei in der Russischen Föderation/Tschetschenien nicht in Haft gewesen. Ihr Ehemann habe ein eigenes Geschäft bzw. eine eigene Autowerkstatt gehabt.

Die Zweitbeschwerdeführerin erklärte schließlich von sich aus, dass sich im Protokoll der Erstbefragung Fehler befinden würden. Tatsächlich habe sie niemals eine gemeinsame Ausreise mit ihrem Ehemann geplant. Sie habe ihren Ehemann bereits seit dem 28.10.2012 nicht mehr gesehen und nicht, wie im Protokoll ausgeführt, am 05.11, da sie am 28.10.2012 ins Krankenhaus gekommen sei

Befragt, was die Zweitbeschwerdeführerin über die Fluchtgründe ihres Ehemannes wisse, meinte sie, dass dieser mehrmals abgeführt worden sei. Er habe mehrere Ladungen bekommen. Mehr wisse sie jedoch nicht. Ihr Ehemann habe wegen seiner Pension/Rente ein Problem gehabt. Ihr Ehemann sei ein paar Mal - zwei oder dreimal - abgeführt worden. Sie könne sich jedoch nicht genau erinnern, wann ihr Ehemann das erste Mal abgeführt worden sei. Zuletzt sei ihr Ehemann am 31.10.2012 abgeführt worden. Ihr Ehemann sei dann am 04.11. freigelassen worden, was die Zweitbeschwerdeführerin von ihrer Schwiegermutter erfahren habe. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Festnahme ihres Ehemannes im Krankenhaus gewesen. Mehr wisse sie nicht über die letzte Festnahme ihres Ehemannes. Er sei konkret in seinem Heimatdorf festgenommen worden, die Zweitbeschwerdeführerin könne hiezu jedoch keine konkreteren Angaben machen.

Befragt, ob sie wegen ihres Ehemannes im Herkunftsstaat Probleme gehabt habe, meinte sie, dass sie mehrmals von Leuten in Militäruniformen nach ihrem Ehemann befragt worden sei. Für den Fall einer Rückkehr befürchte sie, dass die Verfolger wieder beginnen würden, ihren Ehemann zu belästigen bzw. abzuführen.

Abschließend erklärte sie, dass sie nach Österreich gekommen sei, da ihr Ehemann in Österreich sei.

Ob ihr Ehemann seine Werkstatt mit oder ohne Behördengenehmigung betrieben habe, wisse die Zweitbeschwerdeführerin nicht. Er habe die Werkstatt zuhause gehabt und habe sie sich nicht in seine Sachen eingemischt. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer seien gesund.

Mit Bescheiden vom 21.11.2013 hat das Bundesasylamt die Anträge auf internationalen Schutz der Erst- bis Fünftbeschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und ihnen den Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

2. Infolge der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden diesen mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.05.2014 stattgegeben, die angefochten Bescheide behoben und die Verfahren an die belangte Behörde zurückverwiesen.

3. Am XXXX kam die Sechstbeschwerdeführerin in Österreich auf die Welt. Diese wurde am XXXX operiert, wobei folgende Eingriffe durchgeführt wurden: Operativer Verschluss eines Ventrikelseptumdefektes mit Patch, operativer Verschluss eines Vorhofseptumdefektes, Ligatur eines der existierenden Ductus arteriosus, Resektion einer Aortenisthmusstenose und Anastomose.

Für die Sechstbeschwerdeführerin wurde am 26. 3.2015 ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht, die Geburtsurkunde vorgelegt, medizinische Unterlagen nachgereicht und der Antrag auf Zuerkennung desselben Schutzes wie den Erst und Zweitbeschwerdeführer im Rahmen des Familienverfahrens gestellt.

4. Im Zuge des fortgesetzten Verfahrens wurde der Erstbeschwerdeführer am 22.3.2017 neuerlich niederschriftlich einvernommen und gab zu Beginn der Befragung an, er sei psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Gesundheitlich gehe es ihm gut, aufgrund seiner erlittenen Kopfverletzung sei er etwas eingeschränkt. Er stehe in Österreich in keiner ärztlichen Behandlung, erhalte Schmerzmittel gegen seine Kopfschmerzen.

Zum Nachweis der Identität legte der Erstbeschwerdeführer seinen russischen Inlandsreisepass, den Inlandsreisepass der Zweitbeschwerdeführerin, seinen russischen Invaliditätsausweis, einen russischen Pensionistenausweis, die Geburtsurkunden der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer, die russische Heiratsurkunde sowie diverse Bestätigungen und ärztliche Schreiben vor. Sein Reisepass sei vom Schlepper zerrissen worden, die der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer befänden sich in Polen. Befragt nach Familienangehörigen in der Russischen Föderation führte der Erstbeschwerdeführer aus, sein Vater sei bereits verstorben. Seine Mutter, seine Schwestern sowie sein Bruder würden alle in Tschetschenien leben. Er habe mit seinen Familienangehörigen alle 2 bis 3 Tage Kontakt, es gebe derzeit keine großen Probleme. Seine Familie sei Eigentümer eines Hauses, mit seinen Freunden und Bekannten im Herkunftsstaat habe er ebenfalls manchmal Kontakt. In Österreich aufhältig sei weiters auch seine Schwester.

In seinem Herkunftsstaat habe er ein gut gehendes Geschäft gehabt und Autoersatzteile verkauft. Seit durchschnittlichem Verdienst seien ca. R. 15.000 pro Monat gewesen, womit er seine Familie unterstützen konnte. Auch habe er als Automechaniker gearbeitet. Vor seiner Ausreise aus der Russischen Föderation habe er ca. einen Monat hindurch in XXXX gelebt. In dieser Zeit habe sein Vater Teile seines Besitzes verkauft, um hierdurch seine Reise zu finanzieren.

Für den gegenständlichen Beschwerdegegenstand von Relevanz gab der Erstbeschwerdeführer befragt zu seinen Rückkehrbefürchtungen an, er hätte sicher Probleme mit der Polizei, ob mit anderen könne er nicht sagen. Befragt ob es ihm nicht möglich wäre, sich in einen anderen Landesteil der Russischen Föderation niederzulassen, antwortete der Erstbeschwerdeführer lediglich, er fühle sich hier in Österreich jetzt sicher und wohl. In XXXX sei er nicht gemeldet gewesen.

Im Zuge einer weiteren Einvernahme am 8.3.2018 gab der Erstbeschwerdeführer für nunmehr gegenständliches Beschwerdeverfahren von Relevanz an, es gehe ihm allgemein gesundheitlich gut, er habe mittlerweile einen Deutschkurs A1 erfolgreich absolviert, besuche derzeit einen Kurs für A2 und lege eine Einstellungszusage vor. Derzeit saniere er alte Wohnungen einer Hilfsorganisation, er verlege Fliesen und Böden. Dies mache er derzeit ehrenamtlich. Falls er in Österreich bleiben könne, könnte er seine Tätigkeit als Automechaniker hier ausüben, wobei er bereit wäre, auch allfällige Kurse nachzuholen. In Österreich lebe er mit den restlichen Beschwerdeführern gemeinsam in einem Haushalt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 22.3.2017 an, sie sei gesund, sei jedoch etwas in Stress. In ihrem Herkunftsstaat sei sie von 2007 bis 2008 als Kassiererin tätig gewesen und habe ca R. 8 000 verdient.

Weder sie selbst noch ihre Kinder hätten eigene Fluchtgründe. Im Falle einer Rückkehr habe die Zweitbeschwerdeführerin Angst, dass die Banditen ihren Gatten umbringen.

Sie sei nunmehr seit dem 3.6.2013 in Österreich, lebe von der Grundversorgung und in einer Unterkunft einer Hilfsorganisation. Sie habe bereits Deutschkurse besucht, jedoch noch kein A2 Zertifikat. Hauptsächlich beschäftige sie sich mit ihren Kindern, den Dritt- bis Sechstbeschwerdeführern.

Bei einer weiteren Einvernahme am 8.3.2018 führt die Beschwerdeführerin von nunmehriger Relevanz aus, sie habe nunmehr einen Integrationskurs besucht und lege sie Schulbesuchsbestätigungen vor.

3. Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF., bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG idgF. gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/200 idgF., erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer eine sie im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Gefährdung nicht glaubhaft machten.

4. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG vom selben Tag wurde den Beschwerdeführern für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der "Verein Menschenrechte" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

5. Mit Schriftsatz vom 10. September 2018 erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerden gegen die im Spruch genannten Bescheiden und fechten diese wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften im vollem Umfang an.

6. Am 18. Februar 2020 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher die Erst- bis Viertbeschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen, ihren Gesundheitszustand, ihren Leben im Heimatland sowie ihren Privat- und Familienleben in Österreich befragt wurden.

7. Mit Schriftsatz vom 18.3.2020 wurden die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. (Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) zurückgezogen.

Weiters wurde hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers bekannt gegeben, dass dieser nunmehr in einer festen Beziehung zu einer namentlich genannten Frau lebe, die von diesem schwanger sei. Er habe weiters das Deutschzertifikat B1 abgelegt.

Der Viertbeschwerdeführer besuche derzeit einen Deutschkurs B1, der aufgrund der Sars2 Situation ausgesetzt sei.

Vorgelegt wurden neben Empfehlungsschreiben, Schulzeugnissen und Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten der Dritt- und Viertbeschwerdeführerin, insbesondere eine Bestätigung der pädiatrischen Kardiologie der XXXX , wonach die Sechstbeschwerdeführerin seit ihrer Geburt laufend in kardiologischer Betreuung an dieser Klinik ist. Nach der durchgeführten Operation sei diese in sehr engmaschiger Verlaufskontrolle gewesen, die Kontrolltermine seien auch nunmehr erforderlich. Die Sechstbeschwerdeführerin sei psychisch sehr eng an das Zentrum gebunden und benötige die Sicherheit, jederzeit in das vertraute Zentrum kommen zu können, wenn kardiologische Auffälligkeiten auftreten sollten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Verwaltungsakte der belangten Behörde und den Ergebnissen der Beschwerdeverhandlung wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die unbescholtenen Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig, muslimischen Glaubens und stellten verfahrensgegenständlich jeweils ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz. Die Identität der Beschwerdeführer steht fest.

Es liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass die Beschwerdeführer konkret Gefahr liefen, im Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Der Erstbeschwerdeführer leidet infolge einer durch Bombardierung erlittenen Verletzung an Kopfschmerzen und hat nach wie vor Splitter in seinem Kopf. Er wurde bereits in seinem Herkunftsstaat behandelt und nimmt derzeit gelegentlich Schmerzmittel gegen seine Kopfschmerzen ein. Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer sind gesund. Die Sechstbeschwerdeführerin wurde kurz nach ihrer Geburt am Herzen operiert. Die Operation verlief erfolgreich und besteht derzeit die Notwendigkeit von Verlaufskontrollen, die auch im Herkunftsstaat möglich sind. Insgesamt leiden die Beschwerdeführer somit an keinen akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankungen, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würden.

Die Beschwerdeführer befinden sich seit sieben Jahren (die Sechstbeschwerdeführerin seit ihrer Geburt) durchgehend im Bundesgebiet. Die lange Verfahrensdauer wurde nicht durch die Beschwerdeführer verursacht. Diese wirkten stets an der Ermittlung der notwendigen Sachverhalte mit und standen für die Einvernahmen stets zur Verfügung.

Die Beschwerdeführer leben in einem gemeinsamen Haushalt. Zur Schwester des Erstbeschwerdeführers besteht kein Abhängigkeitsverhältnis jeglicher Art.

Der Erstbeschwerdeführer zeigte sich stets bemüht, sich zu integrieren, ist ehrenamtlich tätig und verfügt über eine Einstellungszusage.

Der Dritt- und Viertbeschwerdeführer waren ebenfalls ehrenamtlich tätig und befinden sich nicht mehr in einem anpassungsfähigen Alter. Der Drittbeschwerdeführer lebt in einer Beziehung, seine Lebenspartnerin ist schwanger.

Zwar kann insgesamt eine ausgeprägte und verfestige Integration der Beschwerdeführer in Österreich zum Entscheidungszeitpunkt nicht festgestellt werden, Integrationsbemühungen sind vorhanden.

Die Sechstbeschwerdeführerin, ein minderjähriges Kind, wurde kurz nach ihrer Geburt am Herzen operiert. Seitdem ist sie laufend in kardiologischer Betreuung. Die Sechstbeschwerdeführerin hat ein zu berücksichtigendes persönliches Interesse an einem Aufenthalt in Österreich, da sie psychisch sehr eng an jenes Zentrum gebunden ist, in welchem sie operiert und laufend vorstellig wird. Sie benötigt die Sicherheit, jederzeit in das vertraute Zentrum kommen zu können, wenn kardiologische Auffälligkeiten auftreten.

1.2. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation wird zunächst prinzipiell auf die im Akt einliegenden und der Beschwerdeführerin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen.

Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:

0. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178

Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel.

Wichtige Parteien sind: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern , die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 5.2019a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 14.2.2019b). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die Nicht-Systemopposition unterstützt zwar die parlamentarische Demokratie als Organisationsform der Politik, nimmt aber nicht an Wahlen teil, da ihnen die Teilnahme wegen der restriktiven Regeln oder vermeintlicher Formalfehler versagt wird (Dekoder 24.5.2016).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 8.2019a).

Bei den Regionalwahlen am 8.9.2019 in Russland hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu Protesten geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten alles wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall. Umfragen hatten der Partei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik, https:// www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/ russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019

- CIA - Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/ publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 6.8.2019

- EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff

5.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019

- Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-beiKundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019

- ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-201955603/, Zugriff 30.9.2019

- OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577? download=true, Zugriff 6.8.2019

- Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019

- Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

- Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019

- Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

0.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2019 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS

24.1.2019), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert , teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2018). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen zu sein (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.2.2019, vgl. AA 13.2.2019).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute "föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

- GKS - Staatliches Statistikamt (24.1.2019): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2019, https://www.ppn2018.ru/novosti/naselenie-rossii-sokratilos-vpervye-za-10-let.html, Zugriff 6.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

- Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 6.8.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https:// www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 6.8.2019

0.2. Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 19.6.2019, vgl. IOM 6.2014). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat (AA 13.2.2019). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2018).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Er gilt als Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende NordkaukasusRepublik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

- ACCORD (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-indagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 6.8.2019

- Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nichtsystem-opposition, Zugriff 23.9.2019

- IOM - International Organisation of Migration (6.2014): Länderinformationsblatt Russische Föderation NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-aufld.1356351, Zugriff 6.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

- Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublikdagestan-festgenommen, Zugriff 6.8.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 6.8.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (11.2018): Erfolg der russischen Systemopposition bei den Regionalwahlen, https://www.swp-berlin.org/publikation/russland-wahlerfolg-dersystemopposition/, Zugriff 23.9.2019

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Pla

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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