TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/28 G310 2218856-1

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Veröffentlicht am 28.04.2020
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Entscheidungsdatum

28.04.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

G310 2218856-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Nordmazedonien, vertreten durch Dr. Benno WAGENEDER, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat:

"Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde zuletzt mit dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.350,00 verurteilt. Gleichzeitig wurde die im Verfahren des Landesgerichts XXXX zu XXXX verhängte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16.04.2018 wurde der BF aufgefordert, zur deshalb beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme Stellung zu nehmen. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme, in der er die Fragen der Behörde beantwortete und sich aufgrund der Beziehung zu seiner minderjährigen Tochter für den Verbleib im Bundesgebiet aussprach.

Mit dem oben angeführtem Bescheid wies das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 13.02.2019 gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG zurück (Spruchpunkt I.) und erließ gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gegen den BF (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nordmazedonien fest (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF ein zweijähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.) und legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.). Der Bescheid wurde im Wesentlichen mit den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF begründet, wobei sich die Tathandlungen gegen seine Ex-Frau und Mutter seines Kindes gerichtet haben.

Dagegen richtet sich Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung und sowohl die Rückkehrentscheidung als auch das Einreiseverbot zu beheben. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er sich seit 2012 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, wo er erwerbstätig sei. Er leiste für seine Tochter und Ex-Frau Unterhaltszahlungen. Die Straftaten seien auf Auseinandersetzungen mit seiner Ex-Frau zurückzuführen und habe er sich bis dahin rechtstreu verhalten. Derartiges komme nicht wieder vor und bemühe er sich um ein entspanntes Verhältnis, dies zum Wohle seiner Tochter. Das Einreiseverbot stehe einer Beziehung zu seiner Tochter entgegen.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 16.05.2019 einlangten.

Feststellungen:

Der BF kam am XXXX in XXXX zur Welt. Er ist Staatsangehöriger von Nordmazedonien, wo seine Mutter, seine Brüder und Freunde des BF leben. Ein Onkel und ein Cousin samt Familien leben in Österreich. Er spricht Albanisch und Deutsch auf der Niveaustufe A2. In seinem Herkunftsstaat hat er eine Ausbildung zum Zahntechniker absolviert und drei Jahre Biochemie studiert, allerdings ohne Abschluss. Es bestehen keine gesundheitlichen Probleme oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit.

Der BF verfügt seit XXXX.2012 über wiederholt verlängerte befristete Aufenthaltstitel. Der ihm zuletzt am 18.09.2017 ausgestellte Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Karte plus" ist bis 17.09.2020 gültig.

Am XXXX.2012 heiratete der BF in Österreich eine österreichische Staatsbürgerin. Der Ehe entstammt eine am XXXX.2015 geborene Tochter. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2017, XXXX, wurde die Ehe einvernehmlich geschieden. Ein gemeinsamer Wohnsitz bestand bis 14.06.2016. Der BF bezahlt monatlich EUR 350,00 an Alimenten und es besteht ein Kontaktrecht zu seiner Tochter. Mittlerweile ist der BF erneut verheiratet, und zwar mit einer kosovarischen Staatsbürgerin.

Am 19.03.2019 wurde der BF nach Nordmazedonien abgeschoben. Davor war er seit 08.10.2012 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Seit 19.07.2019 weist der BF erneut Hauptwohnsitzmeldungen auf.

Er ist seit 05.08.2019 in einem Unternehmen in XXXX als Arbeiter beschäftigt. Davor war er von 07.01.2014 bis 31.01.2019 bei einem Bauunternehmen beschäftigt, wobei ein Unterbrechungszeitraum von 01.09.2016 bis 30.11.2016 vorliegt. In dieser Zeit bezog der BF Arbeitslosengeld, wie auch von 31.12.2013 bis 06.01.2014. Davor war er von 29.01.2013 bis 08.03.2013, von 09.04.2013 bis 19.06.2013 und von 19.08.2013 bis 20.12.2013 als Arbeiter beschäftigt.

Bislang wurde der BF wegen Straftaten gegen seine Ex-Frau zweimal strafgerichtlich verurteilt.

Mit Urteil vom XXXX.2016, XXXX, wurde der BF wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 3 letzter Fall, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB - ausgehend von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe gemäß § 106 Abs. 1 StGB - zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe, die für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde, sowie zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrags von EUR 50,00 an seine damalige Ehefrau verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am XXXX.2015 erstens seine damalige Ehefrau durch Gewalt, nämlich durch Versetzen eines Tritts gegen den Oberschenkel zu einer Handlung, und zwar zum Verlassen der Wohnung genötigt hat, wobei es aufgrund der Weigerung des Opfers beim Versuch geblieben ist. Zweitens hat er durch die sinngemäße Äußerung, er werde ihre Tochter wegnehmen und nach Nordmazedonien zu seiner Familie bringen, falls sie nicht zustimmen werde, werde er die Tochter umbringen, diese werde sicher nicht bei ihr bleiben können, sowie, dass er seine damalige Ehefrau umbringen werde und seine Brüder und auch seine Freunde versuchen würden, sie zu erwischen und umzubringen, mithin durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich der Übergabe bzw. der Zustimmung der Verbringung der Tochter nach Nordmazedonien genötigt, die besonders wichtige Interessen der Genötigten oder einer dritten Person verletzt, wobei es in der Folge der Weigerung des Opfers beim Versuch blieb. Weiters hat der BF im Mai 2016 seine damalige Ehefrau durch Versetzen eines Schlages gegen den Oberarm in Form von Hämatomen vorsätzlich am Körper verletzt. Am XXXX.2016 hat der BF seine damalige Ehefrau durch die in albanischer Sprache sinngemäß getätigte Äußerung: "Wenn du deinen Unterhalt nicht zurückziehst, bekommst du Probleme! Ich und mein Freund sind arbeitslos und beobachten dich 24 Stunden! Wenn ich meine Tochter sehe, im Park oder draußen, wird sie weg sein! Du wirst mich erst kennenlernen, wer ich bin! Warum trennst du dich nicht vom Gesetz! Ich bezahle nur nach islamischen Recht!", mithin durch gefährliche Drohung, zu einem Tun, nämlich der Abgabe eines Unterhaltsverzichtes, genötigt, wobei es beim Versuch geblieben ist. Dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und die bisherige Unbescholtenheit wurden als mildernd gewertet, das Zusammentreffen von Vergehen und Verbrechen sowie die Tatbegehung gegenüber einem nahen Angehörigen hingegen als erschwerend.

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde der BF wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.350,00, im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 75 Tagen verurteilt. Gleichzeitig wurde die zu XXXX verhängte Probezeit auf fünf Jahre verlängert und dem BF auferlegt, seiner Ex-Frau einen Teilschadensersatz in der Höhe von EUR 100,00 zu bezahlen. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er seine EX-Frau am XXXX.2018 am Hals gewürgt hat, wodurch diese Rötungen am und ihm Hals erlitt. Bei der Strafbemessung wurde die geständige Verantwortung als mildernd, die einschlägige Vorstrafe hingegen als erschwerend gewertet.

Aufgrund dieses Vorfalls erließ das Bezirksgericht XXXX am XXXX.2018, XXXX, eine einstweilige Verfügung für die Dauer von einem Jahr. Dem BF ist es verboten, sich der Wohnadresse der Ex-Frau sowie im Umkreis von 100 Meter um das Gebäude auszuhalten, ebenso am einen in der Nähe befindlichen Spielplatz. Ein Zusammentreffen zwischen BF und seiner Ex-Frau ist zu vermeiden. Dem dieser einstweiligen Verfügung zugrundeliegendem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass grundsätzlich ein Kontaktrecht zwischen dem BF und seiner Ex-Frau vereinbart wurde, und zwar sonntags ab 15 Uhr. Im Rahmen der Kontaktrechtsausübung am XXXX.2018 wurde der BF seiner Ex-Frau gegenüber zunächst verbal aggressiv und packte sie sodann mit beiden Händen am Hals und würgte diese, wodurch Hämatome am Hals entstanden, welche in Erstbefund des Klinikum XXXX dokumentiert sind.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde die einstweilige Verfügung um weitere 12 Monate verlängert und zwar bis zum 20.03.2020. Diesem Beschluss lag zugrunde, dass die Ex-Frau mit ihrem Lebensgefährten und der Tochter des BF einen Flohmarkt in XXXX besuchten. Der BF näherte sich diesen und stand plötzlich vor ihnen. Die Tochter versteckte sich hinter ihrer Mutter, welche dem BF mitteilte, dass er weggehen solle. Der BF versuchte, die Tochter an der Hand zu nehmen, diese versteckte sich jedoch hinter den Beinen ihrer Mutter. Die Ex-Frau schrie laut und drohte damit, die Polizei zu rufen, woraufhin der BF wegging. Nach dem Vorfall kontaktierte der BF seine Ex-Frau per SMS-Nachricht und entschuldigte sich für den Vorfall. Auch hat der BF seine Ex-Frau im Vorfeld der Strafverhandlung, welche im Juni 2018 stattgefunden hat, telefonisch kontaktiert und somit gegen die aufrechte einstweilige Verfügung vom 20.03.2018 verstoßen.

Der BF hat keine über die Feststellungen hinausgehenden familiären, sozialen oder gesellschaftlichen Bindungen im Inland oder in einem anderen Staat, für den das Einreiseverbot gilt.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben in den Stellungnahmen und auf den in Kopie im Akt einliegenden Reisepasses. Albanischkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft plausibel. Ein Prüfungszeugnis über den bestandenen Deutschtest der Niveaustufe A2 liegt vor.

Seine Wohnsitzmeldungen und die ihm erteilten Aufenthaltstitel sind im Zentralen Melderegister (ZMR) bzw. im Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert. Seine Abschiebung nach Nordmazedonien ist ebenfalls dem IZR zu entnehmen.

Die Eheschließung und die einvernehmliche Scheidung gehen aus der Heiratsurkunde und dem Scheidungsbeschluss hervor. Die einstweilige Verfügung und der Verlängerungsbeschluss liegen ebenfalls im Akt auf.

Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF beruhen auf seiner Stellungnahme sowie darauf, dass er aktuell erwerbstätig ist. Seine Beschäftigungszeiten sind im Versicherungsdatenauszug angeführt. Es sind keine Hinweise auf weitere gesundheitliche Einschränkungen oder Probleme hervorgekommen.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, den Verurteilungen, den verhängten Sanktionen und den jeweiligen Strafzumessungsgründen basieren auf den entsprechenden Strafurteilen. Im Strafregister scheinen keine weiteren Verurteilungen des BF in Österreich auf. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten, zumal sein zuvor ordentlicher Lebenswandel bei der ersten Verurteilung als Milderungsgrund berücksichtigt wurde.

Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich. Es lassen sich aus den Akten auch keine weiteren Integrationsbemühungen nachvollziehen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein Verschulden an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Aufgrund eines Zustellfehlers kam es zunächst zu keiner Erlassung des Bescheids des BFA und somit auch zu keiner Versäumung einer Beschwerdefrist, weswegen das BFA zurecht den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen hat.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF setzt aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts gemäß § 52 Abs. 4 FPG voraus, dass nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, entgegengestanden wäre (Z 1) oder dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht (Z 4). Fallbezogen kommt hier gemäß § 11 Abs .2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG in Betracht, dass der (weitere) Aufenthalt des BF die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solche Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine sein Gesamtverhalten berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde gestützt auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftaten eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Außerdem ist unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann von Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger und Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (VwGH 27.04.2017, Ra 2016/22/0094).

Der weitere Aufenthalt des BF gefährdet die öffentliche Ordnung und Sicherheit, weil er zwei Mal wegen Offizialdelikten strafgerichtlich verurteilt wurde und wegen des Rückfalls und der völligen Wirkungslosigkeit sämtlicher straf- und zivilrechtlicher Sanktionen eine erhebliche Wiederholungsgefahr besteht. Trotz erfolgter Trennung ist er erneut gegenüber seiner Ex-Frau gewalttätig geworden und hat sich in weiterer Folge auch nicht von einer einstweiligen Verfügung davon abhalten lassen, seine Ex-Frau zu kontaktieren, was schlussendlich zu einer Verlängerung der einstweiligen Verfügung geführt hat. Zwar liegen die Straftaten zwei Jahre zurück, jedoch endete die einstweilige Verfügung erst am 20.03.2020. Der BF wird einen nachhaltigen Gesinnungswandel hin zu einem rechtstreuen Verhalten erst durch einen längeren Wohlverhaltenszeitraum unter Beweis stellen müssen.

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG zu berücksichtigen, dass sich der BF seit vielen Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Es besteht aufgrund der Kontakte zu seiner minderjährigen Tochter auch ein gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 BFA-VG zu berücksichtigendes Familienleben in Österreich, wobei der BF seiner Unterhaltspflicht auch vom Ausland aus nachkommen kann. Aus der Beziehung zu seinem Onkel und seinem Cousin resultiert zwar mangels eines gemeinsamen Haushalts kein Familien- aber ein gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 BFA-VG geschütztes Privatleben. Der BF kann die Kontakte zu seinen in Österreich lebenden Angehörigen auch über Telefon und andere Kommunikationsmittel sowie bei Besuchen in Nordmazedonien oder in anderen Staaten, für die das Einreiseverbot nicht gilt, pflegen. Auch seine 2015 geborene Tochter ist bereits in einem Alter, in dem der Kontakt auch über diverse Kommunikationsmittel (Telefon, E-Mail, Internet, soziale Netzwerke) aufrecht erhalten werden kann. Dem Interesse des BF an einer Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens steht das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen und von häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder gegenüber.

Der BF ist am österreichischen Arbeitsmarkt integriert, selbsterhaltungsfähig und spricht Deutsch, sodass ein hoher Grad der Integration iSd § 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG vorliegt. Der BF hat die Bindung zu seinem Heimatstaat trotz der langen Abwesenheit nicht gänzlich verloren, zumal er dort die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend verbrachte, eine Ausbildung absolvierte, eine übliche Sprache spricht und in seiner Mutter eine Bezugsperson hat. Es wird ihm aufgrund seines guten Gesundheitszustands und der Berufserfahrung möglich sein, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation auch dort für seinen Lebensunterhalt aufzukommen und sich ohne größere Probleme wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren.

Aufgrund der Delinquenz des BF ist die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ihn trotz seines langen rechtmäßigen Aufenthalts, der sozialen und beruflichen Integration in Österreich und der Beziehung zu seiner minderjährigen Tochter zulässig. Sein wiederholtes Fehlverhalten bewirkt eine so erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, dass sogar seine ausgeprägten privaten und familiären Interessen zurücktreten müssen. Die Rückkehrentscheidung ist angesichts der Schwere der Verstöße des BF gegen österreichische Rechtsnormen zur Verwirklichung der in Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, namentlich der Verhinderung strafbarer Handlungen, des Schutzes der öffentlichen Ordnung sowie der Rechte und Freiheiten anderer, dringend geboten.

Durch die Rückkehrentscheidung wird Art 8 EMRK somit im Ergebnis nicht verletzt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine Rückkehrentscheidung (vorübergehend oder auf Dauer) unzulässig erscheinen lassen. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher nicht zu beanstanden.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:

Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs. 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs. 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs. 3).

Da keine dieser Voraussetzungen hier zutrifft, ist die Abschiebung des BF nach Nordmazedonien, wo er über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, zulässig. Es liegen unter Berücksichtigung der stabilen Situation dort und der Lebensumstände des gesunden und arbeitsfähigen BF keine konkreten Gründe vor, die eine Abschiebung unzulässig machen würden. Daher ist Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids nicht korrekturbedürftig.

Zu Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 53 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands) sowie Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, verbunden werden, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig vom bisherigen Verhalten des Drittstaatsangehörigen. Geht von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder ein anderes in Art 8 Abs. 2 EMRK genanntes öffentliches Interesse aus, kann gemäß § 53 Abs. 3 FPG ein Einreiseverbot für bis zu zehn Jahre verhängt werden. Dies ist (soweit hier relevant) insbesondere dann der Fall, wenn der Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 53 Abs. 3 Z 1 FPG).

Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu verbinden. Es ist dann zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen sei eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer schwerwiegenden Gefährdung öffentlicher Interessen gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung und Bestrafung des Betroffenen abzustellen, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt. Es ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen des Betroffenen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Hier hat das BFA zu Recht die Erfüllung des Tatbestands des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG bejaht. Aufgrund der Verurteilung des BF zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten kann ein maximal zehnjähriges Einreiseverbot gegen ihn erlassen werden.

Dem BFA ist dahin beizupflichten, dass der Aufenthalt des BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, die ein Einreiseverbot erforderlich macht, zumal der BF erneut straffällig wurde und auch die einstweilige Verfügung missachtet hat.

Da sich der BF keine Schwerkriminalität zuschulden kommen ließ, seit der letzten Verurteilung keine physische Gewalt mehr ausübte und erhebliche familiäre, berufliche sowie private Interessen an einem Aufenthalt in Österreich hat, ist die Dauer des Einreiseverbots auf 18 Monate zu reduzieren. Auch das Strafgericht blieb bei der ersten Verurteilung im unteren Bereich des Strafrahmens und fand mit einer gänzlich bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe das Auslangen, deren Dauer die Grenze des § 53 Abs. 3 Z 1 zweiter Fall FPG knapp überschreitet. Trotz des einschlägigen Rückfalls wurde auch bei der zweiten Verurteilung der Strafrahmen nicht einmal zu einem Drittel ausgeschöpft. Ein achtzehnmonatiges Einreiseverbot ist dem konkreten Unrechtsgehalt der vom BF begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe und seinen persönlichen Lebensumständen angemessen. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern.

Zu Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids:

Zugleich mit einer Rückkehrentscheidung wird gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids beträgt, wenn nicht der Betroffene besondere Umstände nachweist, die eine längere Frist erforderlich machen.

Da keine besonderen Umstände nachgewiesen wurden, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, beträgt diese gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage und ist Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids daher nicht zu beanstanden

Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und die mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt, zumal das Gericht ohnehin von der Richtigkeit der vom BF aufgestellten Behauptungen zu seinem Privat- und Familienleben ausgeht.

Zu Spruchteil B):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots (VwGH 29.05.2018, Ra 2018/20/0259). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Einreiseverbot geringfügiges Verschulden Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe Privat- und Familienleben Unrechtsgehalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2218856.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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