TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/28 G310 2217616-1

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Veröffentlicht am 28.04.2020
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Entscheidungsdatum

28.04.2020

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G310 2217616-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA: Kosovo, vertreten durch Mag. Wolfgang AUNER, Rechtsanwalt, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend den Antrag vom 09.03.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zu Recht:

A) Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" iSd § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Mit der am 09.03.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) persönlich eingebrachten Eingabe beantragte der Beschwerdeführer (BF) die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Abs. 1 AsylG aus Gründen des Art 8 EMRK. Modul 1 der Integrationsvereinbarung sei erfüllt. Er sei seit 2004 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, erziele ein Einkommen von ca. EUR 1.700,00 und halte sich seit 2003 in Österreich auf.

Mit Schreiben vom 22.05.2018 legte der BF aufgrund eines behördlichen Verbesserungsauftrags eine Bestätigung über die absolvierte Deutschprüfung A2 sowie weitere Unterlagen zur Untermauerung seiner privaten, beruflichen und sozialen Integration vor.

Am 24.10.2018 wurde der BF niederschriftlich vor dem BFA einvernommen.

Mit Schriftsatz vom 17.04.2019 erhob der BF eine Säumnisbeschwerde, weil innerhalb der sechsmonatigen Entscheidungsfrist keine Entscheidung über seinen Antrag ergangen sei. Das BFA sei seit 24.10.2018 untätig geblieben.

Mit Schreiben vom 29.04.2019 wurde der BF vom BFA zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Der BF antwortete mit Eingabe vom 14.05.2019 und verwies auf sein bisheriges Vorbringen.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 25.07.2019 einlangten, weil der Bescheid nicht innerhalb von drei Monaten nachgeholt werden konnte.

Mit Stellungnahme vom 25.03.2020 aufgrund einer gerichtlichen Aufforderung legte der BF weiterer integrationsbegründende Unterlagen vor.

Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität und ist kosovarischer Staatsangehöriger. Ihm wurde am XXXX.2013 ein kosovarischer Reisepass mit der Nr. XXXX ausgestellt, gültig bis XXXX.2023. Der BF spricht Albanisch und verfügt über Deutschsprachkenntnisse auf dem Niveau A2.

Der BF ist verheiratet und hat drei Kinder (geboren 1997, 1991 und 2002) aus zweiter Ehe. Zuletzt hat er sich im Jahr 2013 für zwei Wochen im Kosovo aufgehalten. Damals hat er auch seine Kinder, mit welchen er telefonisch Kontakt hält, das letzte Mal gesehen. Für seinen jüngsten Sohn ist der BF unterhaltspflichtig und überweist pro Monat zwischen EUR 200,00 und EUR 300,00. Ein Bruder und eine Schwester sind nach wie vor im Kosovo aufhältig. Im Herkunftsstaat hat er acht Jahre die Grundschule besucht und war in der Landwirtschaft der Familie tätig, welche nun sein Bruder übernommen hat.

In Österreich leben die Geschwister des BF, welche österreichische Staatsbürger sind, den BF finanziell unterstützen könnten und zu denen der BF einen guten Kontakt hat. Seine Eltern sind bereits verstorben.

Der BF hat in Österreich einen Freundes- und Bekanntenkreis. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Seine Ehefrau hat er seit 2007 nicht mehr gesehen, die Ehe ist nach wie vor aufrecht.

Abgesehen vom Zeitraum von 24.11.2010 bis 08.07.2014 ist der BF seit 17.12.2003 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Derzeit bewohnt er alleine eine Mietwohnung.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Nach Abschluss seines Asylverfahrens ging der BF seit 05.01.2004 Beschäftigungen bei diversen Arbeitgebern, meistens Bauunternehmen, nach. Dazwischen bezog er für kurzfristige Zeiträume, zumeist über die für die Baubranche auftragsschwachen Wintermonate, Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe, nämlich von 27.12.2006 bis 14.01.2007, von 19.12.2008 bis 11.01.2009, von 02.10.2014 bis 19.10.2014, von 19.12.2014 bis 03.02.2015 und von 19.12.2016 bis 10.01.2016. Zuletzt war er von 17.08.2017 bis 04.12.2019 als Arbeiter für ein Bauerunternehmen tätig. Der BF hat eine erneute Einstellungszusage seines letzten Arbeitsgebers für eine monatliche Brutto-Entlohnung von ? 2.863,00.

Der BF kam 2003 nach Österreich und stellte am 12.12.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.03.2004, Zl. XXXX, gemäß §§ 7 und 8 AsylG 1997 abgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Berufung wurde vom BF zurückgezogen, sodass der Bescheid mit 23.07.2004 in Rechtskraft erwuchs.

Nachdem mit Beschluss des Bezirksgerichts in XXXX, Kosovo, vom XXXX.2004, XXXX, die zweite Ehe des BF einvernehmlich geschieden wurde, heiratete der BF am XXXX.2004 eine österreichische Staatsbürgerin und beantragte am 03.08.2004 die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, welche ihm am 29.12.2004 ausgestellt wurde. Eine Verlängerung wurde von ihm am 14.12.2005 und 07.12.2006 fristgerecht beantragt. Nach dem letzten Verlängerungsantrag wurde ein Verfahren wegen des Verdachts der Scheinehe eingeleitet.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2008, Zl. XXXX wurde gegen den BF ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot wegen des Eingehens einer Scheinehe erlassen. Einer dagegen erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion XXXX vom XXXX.2009, Zl. XXXX, nicht Folge gegeben. Dagegen erhob der BF Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Beschluss vom XXXX.2009, Zl. XXXX, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannte.

Am 10.07.2009 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 44 Abs. 4 NAG, welcher mit Bescheid XXXX, vom XXXX.2009, Zl. XXXX, abgewiesen wurde.

Dem Bericht der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2009, GZ. XXXX, ist zu entnehmen, dass der gegen den BF erlassene Festnahmeauftrag vom XXXX.2009 nicht vollzogen werden konnte und die amtliche Abmeldung des BF an seiner damaligen Wohnsitzadresse veranlasst wurde. Das Abmeldeverfahren wurde laut Mitteilung des Magistrats XXXX, vom 27.05.2010, eingestellt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der BF die Wohnung zumindest fallweise bewohnt. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme des Bruders des BF, welcher ebenfalls an dieser Adresse wohnhaft war, am 01.09.2010 durch die Bundespolizeidirektion XXXX, gab dieser an, die Abmeldung des BF zu veranlassen.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2012, Zl. XXXX, wurde die Dauer des Aufenthaltsverbots von Amts wegen aufgrund der Novellierung des Fremdenpolizeigesetzes auf die Dauer von fünf Jahren abgeändert und bis 04.04.2014 befristet.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom XXXX.2012, Zl. XXXX (bisher: XXXX) wurde die Beschwerde des BF gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion XXXX vom XXXX.2009 als unbegründet abgewiesen.

Aufgrund des Antrags des BF auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots vom 10.07.2013 wurde dieses mit Bescheid der LPD XXXX vom XXXX.2013, Zl. XXXX, aufgehoben.

Am 06.08.2014 beantragte der BF die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger". Dieser wurde mit Bescheid des XXXX, vom XXXX.2015, Zl. XXXX, abgewiesen, da sein Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen beruhen ebenfalls auf den vom BFA vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens, insbesondere auf den vom BF vorgelegten Urkunden und seinen Angaben in den schriftlichen Stellungnahmen und anlässlich der Einvernahme am 24.10.2018, sowie auf dem Gerichtsakt des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Identität des BF geht aus seinem Reisepass, der dem BVwG in Kopie vorliegt, hervor. Aus den vorgelegten Reisepasskopien geht übereinstimmend hervor, dass seine drei seiner Geschwister mittlerweile Österreicherin ist. Die Feststellungen zur Identität und zu den persönlichen und familiären Verhältnissen des BF beruhen auf seinen konsistenten Angaben dazu. Die Kenntnisse der albanischen und serbokroatischen Sprache sind aufgrund seiner Herkunft plausibel. Mit Zertifikat vom 21.06.2017 wird bescheinigt, dass der BF die Deutschprüfung A2 mit Gut bestanden hat.

Die dem BF erteilte Niederlassungsbewilligung und die Verlängerungsanträge ist in den Verwaltungsunterlagen ersichtlich. Die Bescheide vom 12.01.2008, vom 03.04.2009 und vom 19.07.2012 sowie das Erkenntnis des VwGH vom 13.09.2012 über das gegen den BF erlassene Aufenthaltsverbot liegen vor, ebenso der Bescheid vom 16.07.2013 über dessen Aufhebung. Der Antrag vom 06.08.2014 sowie der daraufhin ergangene Bescheid vom 20.01.2015 liegen ebenfalls vor.

Die Feststellung hinsichtlich der Einreise des BF ins Bundesgebiet ergibt sich aus seinen Angaben und dem beschwerdegegenständlichen Bescheid des BFA. Sein Aufenthalt in Österreich seit 2003 ergibt sich aus den Wohnsitzmeldungen im ZMR und den im Versicherungsdatenauszug ersichtlichen Beschäftigungszeiten sowie den Zeiten des Bezugs von Unterstützungsleistungen des Arbeitsmarktservice.

Die Feststellungen hinsichtlich der Wohnsitzmeldungen im Bundesgebiet konnten aufgrund der Angaben des BF in Zusammenschau mit der übereinstimmenden Auskunft aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem vorgelegten Mietvertrag getroffen werden. Diesem lässt sich auch die gemeinsame Haushaltsführung mit seinem Bruder entnehmen.

Aus dem Versicherungsdatenauszug ergeben sich die Beschäftigungsverhältnisse des BF sowie die Zeiten der Selbstversicherung nach § 16 Abs. 1, Abs. 2 ASVG bzw. § 19a ASVG.

Es gibt keine Indizien für gesundheitliche Probleme des BF. Da er seit 2004 erwerbstätig war und auch jetzt eine Vollzeitbeschäftigung anstrebt, wie sich aus der vorgelegten Einstellungszusage ergibt, ist davon auszugehen, dass seine Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, zumal er in einem erwerbsfähigen Alter ist.

Die Dauer seines Aufenthalts und seine Beschäftigungsverhältnisse sprechen dafür, dass er hier mittlerweile soziale Kontakte geknüpft hat.

Aus dem aktuellen Strafregisterauszug ergibt sich, dass der BF strafrechtlich unbescholten ist.

Rechtliche Beurteilung:

Zur Zuständigkeit zur Entscheidung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des BFA:

Gemäß § 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde (Säumnisbeschwerden). Gemäß § 7 Abs. 1 Z 4 BFA-VG entscheidet das BVwG über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des BFA.

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser, entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Geht - infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde nach deren Vorlage oder nach Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG - die Zuständigkeit, über die Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht über, hat es allein in der Verwaltungssache zu entscheiden, ohne dass ein ausdrücklicher Ausspruch über die Stattgebung der Säumnisbeschwerde vorzunehmen ist. Die Gründe, die dazu geführt haben, dass das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit bejaht, sind in der Begründung der Entscheidung offenzulegen (VwGH 27.05.2015, Ra 2015/19/0075).

Hier wurde der verfahrenseinleitende Antrag am 09.03.2018 beim BFA eingebracht. Da keine von § 73 Abs. 1 AVG abweichende Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung des BFA über den Antrag des BF erging und das BFA den Bescheid auch nicht innerhalb der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG nachholte, sondern die Beschwerde unter Anschluss der Verwaltungsakten dem BVwG gemäß § 16 Abs. 2 VwGVG vorlegte, ist die Säumnisbeschwerde des BF zulässig. Dass die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des BFA zurückzuführen wäre, wird nicht behauptet und lässt sich auch den Verwaltungsakten nicht entnehmen.

Zu Spruchpunkt A):

Der BF ist als kosovarischer Staatsangehöriger Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz (IntG) ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG (Z 1) oder einen gleichwertigen Nachweis (Z 2) vorlegt, über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 UG oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz genannten Kunstsparte ausübt (Z 5). Mit der Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG ist festzustellen, ob ein Drittstaatsangehöriger über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt.

Eine "Aufenthaltsberechtigung plus" berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Eine "Aufenthaltsberechtigung" berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist.

§ 58 AsylG regelt das Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 ff AsylG. Gemäß § 58 Abs. 8 AsylG hat das BFA im verfahrensabschließenden Bescheid über die Zurück- oder Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG abzusprechen. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG und § 52 Abs. 3 FPG ist die Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG grundsätzlich mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.01.2006, 2002/20/0423, vom 08.06.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, durch die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ist allerdings nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2018/19/0289).

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078; 15.3.2016, Ra 2016/19/0031; jeweils mwN). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig anzusehen (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF lebt seit Dezember 2003, also seit 16 Jahren, durchgehend in Österreich. Der BF ist nach Abschluss seines Asylverfahrens und trotz Aufenthaltsverbots weiterhin im Bundesgebiet verblieben und hält sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Gemäß § 58 Abs. 13 erster Satz AsylG vermittelt eine Antragstellung gemäß § 55 AsylG kein Bleiberecht und vermag gegenständlich eine solche seitens des BF sohin nichts an seinem aktuellen Aufenthaltsstatus zu ändern.

Das Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich wird zwar dadurch gemindert, dass sein Privatleben im Bundesgebiet zu einem Zeitpunkt entstand, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war. Dies hat aber vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während seines Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung führen kann (vgl VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN).

Dem BF sind auch Verstöße gegen die öffentliche Ordnung anzulasten, weil er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt, eine Scheinehe eingegangen ist und unerlaubt erwerbstätig war. Jedoch zeigen der Erwerb von Deutschkenntnissen (Niveau A2), die Beschäftigungszeiten, seine Geschwister und Freunde im Bundesgebiet, die Möglichkeit einer künftigen legalen Berufstätigkeit sowie das Vorhandensein einer gesicherten Unterkunft, dass er die in Österreich verbrachte Zeit zur sozialen und beruflichen Integration genutzt hat.

Wenngleich noch starke Bindungen zum Herkunftsstaat des BF bestehen, weil er dort aufgewachsen ist, die Schule besucht hat, eine übliche Sprache spricht und seine Kinder wie auch zwei Geschwister nach wie vor dort leben, werden diese dadurch relativiert, dass er sich zuletzt 2013 in seinem Herkunftsstaat aufgehalten hat.

Der, wenn auch zuletzt jahrelang unrechtmäßige, Aufenthalt des BF in der Dauer von 16 Jahren fällt vor dem Hintergrund seiner bisherigen Integrationsbemühungen nicht so schwer ins Gewicht, dass er die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigt. In strafrechtlicher Hinsicht hat sich der BF nichts zuschulden kommen lassen. Im Ergebnis überwiegt somit das Interesse des BF an einem Verbleib in Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist in diesem konkreten Einzelfall in einer Gesamtschau und in einer gewichteten Abwägung aller Umstände das Interesse an der Fortführung des Privatlebens des BF in Österreich höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Angesichts des korrekten Beleges von Sprachkenntnissen des Niveaus "A2" und der damit einhergehenden Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 81 Abs. 36 NAG iVm. §§ 14 und 14a NAG idF. BGBl. I Nr. 38/2011 iVm. § 7 Abs. 1 IV-V idF BGBl. II Nr. 205/2011, war der Beschwerde stattzugeben und dem BF ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG zu erteilen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Eine Beschwerdeverhandlung, von der keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist, entfällt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde einwandfrei festgestellt werde konnte und das Gericht von den im Verwaltungsverfahren hervorgekommenen und in der Niederschrift und den Stellungnahmen behaupteten privaten Anknüpfungen der BF im Bundesgebiet ausgeht.

Zu Spruchteil B):

Die Revision nach Art 133 Abs. 4 B-VG war nicht zuzulassen, weil es sich bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK um eine typische Einzelfallbeurteilung handelt. Es waren keine erheblichen, über den Einzelfall hinausreichenden Rechtsfragen zu lösen.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2217616.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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