TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/30 W111 2225199-1

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Veröffentlicht am 30.04.2020
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Entscheidungsdatum

30.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch

W111 2225199-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2019, Zl. 742188302-190304044, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 2, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein damals minderjähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation aus der Teilrepublik Dagestan, reiste zusammen mit seinen Eltern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.10.2004 einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.12.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen wurde; weiters wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erkannt und der Genannte gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat ausgewiesen.

2. Nachdem dieser Bescheid im Berufungsverfahren mit Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 22.11.2006 behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen worden war, sprach die Behörde mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 31.05.2007 aus, dass dem Asylantrag des damals minderjährigen Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben werde, wodurch diesem gemäß § 12 AsylG 1997 die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3. Infolge der Verhängung der Untersuchungshaft über den mittlerweile volljährigen Beschwerdeführer am 26.02.2019 wegen des Verdachts der Begehung eines Delikts nach dem Suchtmittelgesetz leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.03.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein. Am 23.07.2019 wurde der Beschwerdeführer - nachdem sein Strafverfahren zu einer Verurteilung wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG, § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG, § 28a Abs. 1 SMG geführt hatte - niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen einvernommen. Der Beschwerdeführer gab in deutscher Sprache zusammengefasst zu Protokoll, er sei geistig und körperlich gesund, nehme keine Medikamente zu sich und beherrsche die deutsche Sprache besser als seine russische Muttersprache. Der Beschwerdeführer stamme aus Dagestan, sei Kumyke und Moslem. Sein Vater sei vier Jahre zuvor verstorben, seine Mutter und seine Schwester würden in Österreich leben. Der Beschwerdeführer sei alleinstehend, habe keine Kinder und arbeite seit seiner Haftentlassung als Hilfsarbeiter für ein näher bezeichnetes Unternehmen. Zuvor habe er zweieinhalb Jahre lang eine Maurerlehre absolviert. Er habe die Volksschule, Hauptschule, ein Polytechnikum sowie zweieinhalb Jahre eine HTL besucht und sei in einem Fußballverein aktiv gewesen. In Dagestan würden sich unverändert mehrere Cousins und Cousinen sowie die Großeltern des Beschwerdeführers aufhalten. Mit Hilfe seiner Verwandten würde er im Herkunftsstaat vielleicht zu Recht kommen, alleine jedoch nicht, da er die Sprache nicht vollständig beherrschen würde. Zum Zeitpunkt der Asylzuerkennung sei er sechs Jahre alt gewesen, über die dafür ausschlaggebenden Gründe sei er nicht in Kenntnis. Was ihm im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation drohen würde, sei ihm nicht bekannt. Angesprochen auf die vorliegende strafgerichtliche Verurteilung erklärte der Beschwerdeführer, seine Motivation für die Tat habe in der Finanzierung seines eigenen Drogenkonsums gelegen. Er wolle mit seiner Familie in Österreich bleiben und sich eine Zukunft aufbauen.

Der Beschwerdeführer übermittelte in der Folge Schulzeugnisse sowie Nachweise seines aktuellen Einkommens.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Bescheid vom 31.05.2007, Zl. 04 21.883-BAS, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen, in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und in Spruchpunkt VI. ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zudem wurde in Spruchpunkt VII. gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen.

In der Entscheidungsbegründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zunächst die Identität, Staatsangehörigkeit, das Glaubensbekenntnis sowie die Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers fest und ging weiters davon aus, dass dieser über grundlegende Kenntnisse der russischen Sprache verfüge, an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankungen leide und arbeitsfähig sei. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde erwogen, dass dem Vater des Beschwerdeführers im Jahr 2007 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden wäre, da dieser als selbständiger Fuhrunternehmer in Dagestan im Grenzbereich zu Tschetschenien tätig gewesen wäre und im Zuge eines Auftrages eine Ladung verloren gegangen bzw. schon ursprünglich nicht in der Verpackung vorhanden gewesen wäre, weshalb der Vater des Beschwerdeführers vom Auftraggeber im Jahr 2003 landesweit massiv bedroht worden wäre. Der Vater des Beschwerdeführers - welcher eigentliches Ziel der kriminellen Verfolger gewesen wäre - sei im Jahr 2015 verstorben und es sei keinesfalls anzunehmen, dass der Beschwerdeführer aufgrund der damaligen Probleme seines Vaters mit Verfolgungshandlungen konfrontiert sein würde. Der Beschwerdeführer selbst habe im nunmehrigen Verfahren kein Vorbringen hinsichtlich einer im Herkunftsstaat befürchteten Verfolgung erstattet. Dem Beschwerdeführer sei der Status demnach abzuerkennen gewesen, da ein Schutzbedürfnis nicht länger vorliege und somit der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK genannte Endigungsgrund eingetreten wäre. Da der Beschwerdeführer durch ein österreichisches Strafgericht verurteilt worden wäre, komme die Ablaufhemmung nach § 7 Abs. 3 AsylG 2005 nicht zum Tragen. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer durch die vorliegende strafgerichtliche Verurteilung den Asylausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 verwirklicht, zumal es sich bei Drogenhandel typischerweise um ein besonders schweres Verbrechen handle. Die subjektive besondere Schwere ergebe sich aus dem langen Deliktszeitraum, der großen Menge an Suchtgift und der Vielzahl an (vor allem jungen) Abnehmern. Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit lasse sich aus diesem Verhalten ableiten.

Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr wurde darüber hinaus festgestellt, dass dieser als junger gesunder Mann in der Lage wäre, selbst für seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation zu sorgen. Dieser beherrsche die russische Sprache auf grundlegendem Niveau und habe mehrere Angehörige im Herkunftsstaat, welche ihn im Bedarfsfall unterstützen und ihm - unter Berücksichtigung seines jungen Lebensalters - auch beim Ausbau seiner russischen Sprachkenntnisse behilflich sein könnten. Da er in einem kumykischen Familienverband aufgewachsen wäre, werde von einer ausreichenden Vertrautheit des Beschwerdeführers mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates ausgegangen. Nicht zuletzt könnte sich der Beschwerdeführer am russischen Arbeitsmarkt auch seine Kenntnisse der deutschen Sprache zu Nutze machen und auf Leistungen des russischen Sozialsystems zurückgreifen. Der Beschwerdeführer liefe sohin nicht Gefahr, im Falle einer Rückkehr in eine aussichtslose Lage zu geraten oder einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit zu erleiden. Dieser sei keinen Verfolgungshandlungen durch den russischen Staat oder Dritte ausgesetzt. Es lägen daher keine Gründe für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vor, ebenso wenig hätten sich Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 ergeben.

Der Beschwerdeführer sei seit dem Jahr 2004 in Österreich aufhältig und lebe hier in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter. Zudem halte sich eine Schwester des Beschwerdeführers in Österreich auf. Der Beschwerdeführer sei ledig, habe keine Kinder und ginge seit Juni 2019 einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach; zuvor sei er von Jänner 2017 bis Juli 2018 als Arbeiterlehrling beschäftigt gewesen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich seine gesamte schulische Laufbahn absolviert und beherrsche Deutsch auf hervorragendem Niveau. Aufgrund der vorliegenden strafgerichtlichen Verurteilung hätten dessen familiären und privaten Interessen trotz seiner bereits langen Aufenthaltsdauer gegenüber den Interessen der Öffentlichkeit an einer Aufenthaltsbeendigung zurückzutreten, da insbesondere die Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität aufgrund der außerordentlich negativen Konsequenzen für die Volksgesundheit und den damit einhergehenden Folgekosten ein äußerst gewichtiges Interesse der Allgemeinheit darstelle. Dem Beschwerdeführer stünde es offen, den Kontakt zu seinen Angehörigen künftig mittels Telefon und E-Mail aufrecht zu erhalten. Aufgrund seines Fehlverhaltens stelle der Beschwerdeführer eine erhebliche Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Der Beobachtungszeitraum seit Rechtskraft der näher dargestellten Verurteilung sei keinesfalls als hinreichend lange anzusehen, um auf einen positiven Gesinnungswandel und ein daraus resultierendes Wohlverhalten des Beschwerdeführers schließen zu können, auch zumal es bei Suchtgiftdelikten überdurchschnittlich oft zu Rückfällen komme und der Deliktszeitraum mehrere Monate betragen hätte. Eine besondere Verwerflichkeit der Straftat sei zudem gegeben, da der Beschwerdeführer (teils große Mengen an) Drogen an sehr junge Minderjährige verkauft hätte. Die durchzuführende Gefährdungsprognose und Interessenabwägung hätten daher ergeben, dass sich die Verhängung eines Einreiseverbotes in der ausgesprochenen Dauer als erforderlich und gerechtfertigt erweise.

5. Mit am 31.10.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Erwägungen des angefochtenen Bescheides zum Vorliegen eines besonders schweren Verbrechens stünde nicht in Einklang mit näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Der Beschwerdeführer sei zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von lediglich zwölf Monaten verurteilt worden und es sei in seinem Fall von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen. Gründe für die Aberkennung des Asylstatus würden demnach nicht vorliegen. Auch die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes erwiesen sich als ungerechtfertigt.

6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 04.09.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 20.12.2019 reichte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen polizeilichen Abschlussbericht vom 18.12.2019 nach, demzufolge der Beschwerdeführer hinsichtlich Diebstahls durch Einbruch sowie unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen verdächtig sei.

Mit Eingabe vom 20.02.2020 übermittelte der Beschwerdeführer eine Arbeitsbestätigung sowie eine Auflistung von Bezügen für den Zeitraum Juni bis August 2019, ZMR-Meldungen zum Beleg dafür, dass der Beschwerdeführer, seine Schwester und deren Mutter an der gleichen Adresse wohnhaft seien, sowie einen Patientenbrief aus Mai 2018, aus welchem sich eine nach wie vor bestehende Pflegebedürftigkeit der Mutter des Beschwerdeführers ergeben würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist ein aus der Teilrepublik Dagestan stammender Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der kumykischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 2004 als Minderjähriger gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte durch seine damalige gesetzliche Vertreterin einen Asylantrag, dem mit rechtskräftigen Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.05.2007, Zl. 04 21.883-BAS, stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl in Österreich gewährt wurde.

Der angeführte Bescheid enthält keine Begründung über die individuell für die Zuerkennung des Asylstatus ausschlaggebenden Gründe. Der Zuerkennung des Asylstatus an den Vater des damals minderjährigen Beschwerdeführers, welcher im Jahr 2015 im Bundesgebiet an den Folgen einer Erkrankung verstorben ist, lag zugrunde, dass dieser glaubhaft vorgebracht hatte, im Jahr 2003 im Grenzbereich Dagestan und Tschetschenien als Fuhrunternehmer tätig gewesen zu sein und aufgrund einer verloren gegangenen Ladung durch den Auftraggeber landesweit massiv bedroht worden zu sein. Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt im Herkunftsstaat keiner Verfolgung aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu seinem Vater ausgesetzt, insbesondere unterliegt er keiner Verfolgung durch kriminelle Privatpersonen in Zusammenhang mit der mehr als 16 Jahre zuvor beendeten Tätigkeit seines Vaters als Fuhrunternehmer.

1.2. Auch darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Dagestan respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Dagestan respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht zumindest grundlegend Russisch und verfügt über zahlreiche Angehörige im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Alter von fünf Jahren verlassen und im Bundesgebiet eine Schulbildung absolviert hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Der Beschwerdeführer findet im Fall einer Rückkehr nach Dagestan Unterstützungsmöglichkeiten durch ein verwandtschaftliches Netz inklusive einer anfänglichen Wohnmöglichkeit vor und es ist ihm zumutbar, seine Russischkenntnisse nach einer Rückkehr mithilfe seiner Angehörigen zu vertiefen bzw. zu perfektionieren, um in der Folge am russischen Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Der Beschwerdeführer könnte sich am Arbeitsmarkt der Russischen Föderation zudem seine Deutsch- und Englischkenntnisse von Nutzen machen, sodass eine Reintegration und Eingliederung auf dem dagestanischen bzw. russischen Arbeitsmarkt an keiner Sprachbarriere scheitern wird.

1.3. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG und des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt, von der ein Teil in der Dauer von neun Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum Frühjahr 2018 bis Februar 2019 in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge, und zwar rund 1.140 Gramm Cannabiskraut beinhaltend eine Reinsubstanzmenge von rund 3 Gramm Delta-9-THC und rund 44 Gramm THCA, anderen überlassen hat, indem er dieses mit einem Gewinnaufschlag von rund EUR 5,- je Gramm, mithin mit einem Gesamtgewinn von zumindest rund EUR 5.700,- an mehrere näher angeführte und zum Teil minderjährige Personen verkaufte. Weiters erwarb und besaß der Beschwerdeführer ab Februar 2017 bis Februar 2019 in mehrfachen Angriffen Cannabisblüten und XTC-Tabletten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch. Überdies besaß er am 29.02.2019 unbefugt eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring. Bei der Strafzumessung als mildernd wurden das reumütige Geständnis, der bisher ordentliche Lebenswandel und das Alter des Beschwerdeführers unter 21 Jahren berücksichtigt, erschwerend jedoch das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen sowie die Weitergabe an mehrere Minderjährige.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Gebiet der Mitgliedstaaten würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit im Bereich der Suchtgiftkriminalität zu prognostizieren ist. Ein Wegfall der von seiner Person ausgehenden Gefährdung kann zum Entscheidungszeitpunkt frühestens nach einem Ablauf von fünf Jahren prognostiziert werden.

1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und lebt in einem eigenen Haushalt. Im Bundesgebiet befinden sich die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers, zu welchen dieser jedoch in keinem persönlichen oder finanziellen Abhängigkeitsverhältnis steht. Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache und hat im Bundesgebiet die Volks- und Hauptschule sowie ein Polytechnikum absolviert. Zudem hat er zweieinhalb Jahre eine HTL besucht, er befand sich für rund zweieinhalb Jahre in einem Lehrverhältnis als Maurer und ist seit Juni 2019 als Hilfsarbeiter in einem österreichischen Unternehmen vollzeitbeschäftigt.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

...

SICHERHEITSLAGE

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt. de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019

- BmeiA (3.9.2019): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 3.9.2019

- Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (3.9.2019): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/ russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 3.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017). Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ?Wilajat Kavkaz', eine ?Provinz Kaukasus', als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem ?Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sog. IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti- Terrorismuskomitees dem sog. IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2018). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In den vergangenen Jahren hat sich die Hauptkonfliktzone von Tschetschenien in die Nachbarrepublik Dagestan verlagert, die nunmehr als gewaltreichste Republik im Nordkaukasus gilt, mit der vergleichsweise höchsten Anzahl an extremistischen Kämpfern. Die Art des Aufstands hat sich jedoch geändert: aus großen kampferprobten Gruppierungen wurden kleinere, im Verborgenen agierende Gruppen (ÖB Moskau 12.2018) Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2018).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan im vergangenen Jahr die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz. Im gesamten Nordkaukasus sind von Jänner bis Juni 2019 mindestens 31 Menschen dem Konflikt zum Opfer gefallen. Das ist fast die Hälfte gegenüber dem ersten Halbjahr 2018, als es mindestens 63 Opfer waren. In der ersten Jahreshälfte 2019 umfasste die Zahl der Konfliktopfer 23 Tote und acht Verletzte. Zu den Opfern gehören 22 mutmaßliche Aufständische und eine Exekutivkraft. Verwundet wurden sieben Exekutivkräfte und ein Zivilist. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 lag Kabardino-Balkarien mit der Zahl der erfassten Opfer, neun Tote und ein Verletzter, an der Spitze. Als nächstes folgt Dagestan mit mindestens neun Toten, danach Tschetschenien mit zwei getöteten Personen und vier Verletzten. In Inguschetien wurde eine Person getötet und drei verletzt; im Gebiet Stawropol wurden zwei Personen getötet. Dagestan ist führend in der Anzahl der bewaffneten Vorfälle - mindestens vier bewaffnete Zusammenstöße fanden in dieser Republik in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 statt. Im gleichen Zeitraum wurden in Kabardino-Balkarien drei bewaffnete Vorfälle registriert, zwei in Tschetschenien, einer in Inguschetien und im Gebiet Stawropol. Seit Anfang dieses Jahres gab es in Karatschai-Tscherkessien und in Nordossetien keine Konfliktopfer und bewaffneten Zwischenfälle mehr (Caucasian Knot 30.8.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-standdezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 3.9.2019

- Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasusdropped by 38%, https://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

- DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 3.9.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Dagestan

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden Dagestans Anfang 2017 kämpften etwa 1.200 Männer aus Dagestan in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak. Mittlerweile werden Radikale, die sich terroristischen Organisationen im Ausland anschließen wollen, von den russischen Behörden an der Ausreise gehindert und festgenommen, was die Terrorgefahr in Dagestan erhöht (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Relativ häufig kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Letztere gehörten bis vor einiger Zeit primär zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekundeten jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem sog. IS. Auch operativ ist der sog. IS im Nordkaukasus in Erscheinung getreten. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der sog. IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Inwieweit der IS nach der territorialen Niederlage im Nahen Osten entsprechende Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus weitere terroristische Umtriebe zu entfalten oder die regionale Zweigstelle weiterhin zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen, wird von den russischen Sicherheitskräften genau verfolgt werden (ÖB Moskau 12.2018).

Im Jahr 2018 gab es mindestens 49 Opfer des bewaffneten Konflikts in Dagestan, davon wurden 36 Personen getötet und 13 verletzt. Die meisten getöteten Personen sind, wie 2017, unter den Aufständischen zu finden, nämlich 27. Von den Exekutivkräften wurden drei getötet und elf verletzt. Sechs Zivilisten wurden getötet und zwei verletzt. Im Vergleich zu 2017, als es 55 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl um 10,9%. In Dagestan gab es in der ersten Hälfte des Jahres 2019 neun getötete Personen im Zuge des bewaffneten Konflikts (Caucasian Knot 30.8.2019).

Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 19.6.2019).

Quellen:

- ACCORD (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/laender/russischefoederation/ themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-vonangriffen/#Toc489358424, Zugriff 3.9.2019

- Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

- Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 3.9.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

KORRUPTION

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen, genauso wie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti- Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet, und ein zunehmender Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es Bürokraten, ungestraft Straftaten zu begehen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert (FH 4.2.2019). Obwohl das Gesetz Strafen für behördliche Korruption vorsieht, bestätigt die Regierung, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind (US DOS 13.3.2019, vgl. EASO 3.2017). Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (US DOS 13.3.2019, vgl. EASO 3.2017, BTI 2018). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (US DOS 13.3.2019).

Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. BTI 2018). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECDKonvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 8.2019a). Korruption ist auch in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet, und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Öffentliche Bedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die Zeitung "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2018). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland (SEM 15.7.2016). Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands, bis zu 70% des Budgets stammen aus Subventionen aus Moskau. Auch in Dagestan ist die Gesellschaft in Clans aufgebaut. Nirgendwo sonst in Russland ist der Clan so stark wie in Dagestan, weshalb systemische Korruption in dieser Republik keine Überraschung darstellt (WI 25.2.2018). Das staatliche Justizwesen ist in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt (AA 13.2.2019). Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurden Anfang 2018 der Premierminister Dagestans, seine Stellvertreter und der ehemalige Bildungsminister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe festgenommen und sofort nach Moskau geflogen. Alle vier stehen im Verdacht, Haushaltsmittel aus Sozialprogrammen in großem Umfang veruntreut zu haben (WI 25.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-berichtueber-

- die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-standdezember- 2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 8.8.2019

- BTI - Bertelsmann Transformation Index (2018): BTI 2018 Country Report - Russia, https://www.btiproject.

- org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Russia.pdf, Zugriff 8.8.2019

- EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussia- state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 8.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 8.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichtestaat/# c17836, Zugriff 5.9.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 8.8.2019

- SEM - Staatssekretariat für Migration (15.7.2016): Focus Russland. Korruption im Alltag, insbesondere in Tschetschenien, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/europagus/rus/RUS-korruption-d.pdf, Zugriff 8.8.2019

- US DOS - United States Department of State (13.3.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004290.html, Zugriff 8.8.2019

- WI - Warsaw Institute (25.2.2019): Federal clean-up in Dagestan, https://warsawinstitute.org/federal-clean-dagestan/, Zugriff 8.8.2019

ALLGEMEINE MENSCHENRECHTSLAGE

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 8.2019a). Die Verfassung postuliert die Russischen Föderation als Rechtsstaat . Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland ist an folgende UN-Übereinkommen gebunden:

- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

- Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

- Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

- Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

- Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

- Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.9.2012) (AA 13.2.2019).

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 317 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat dabei fast alle Empfehlungen akzeptiert und nur wenige nicht berücksichtigt. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der EMRK. Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des EGMR um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 13.2.2019).

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie der unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Leute für wohltätige Projekte engagieren und freiwillige Arbeit leisten. Regionale zivile Kammern wurden zu einer wichtigen Plattform im Dialog zwischen der Zivilbevölkerung und dem Staat in Russlands Regionen (ÖB Moskau 12.2018). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AI 22.2.2018, FH 4.2.2019). Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 13.2.2019). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur führen zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wird weiter erschwert. Im Nordkaukasus kommt es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018). Derzeit stehen insbesondere die LGBTICommunity in Tschetschenien sowie die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Russland unter Druck (ÖB Moskau 12.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt bleibt, werden konkrete Projekte zum Menschenrechtsschutz weiterhin im Kontext des Europäischen Instruments für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) gefördert. Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert (ÖB Moskau 12.2018)

Der aktuelle Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Im Auftrag ihrer Einrichtung hat die Public Opinion Foundation (FOM) eine Studie über die Meinung der Bürger Russlands über die Einhaltung von Menschenrechten in der Russischen Föderation durchgeführt. Dabei konnte eine positive Entwicklung im Vergleich zu 2016 festgestellt werden: 41% der Befragten (2016: 39%) meinten, dass Menschenrechte in Russland geschützt werden, 39% (2016: 46%) waren gegenteiliger Meinung. Die Mehrheit der Teilnehmer ist allerdings der Auffassung, dass sich die Menschenrechtslage in Russland nicht geändert habe. Im Zuge der Berichterstattung der Menschenrechtsbeauftragten an den russischen Präsidenten vom August 2018 zeigte sich, dass die meisten Beschwerden im Jahr 2017 arbeits-und wohnrechtliche Themen, das Gesundheits- und Schulwesen sowie Straf- und Verfahrensrechte betrafen, allgemein habe sich aber die Meinung der russischen Bevölkerung über den Menschenrechtsschutz verbessert. Unter Druck steht auch die

Freiheit der Kunst, wie etwa die Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2018).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend "Aufständische" und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet (ÖB Moskau 12.2018), und es werden von dort schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-berichtueber- die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-standdezember- 2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 22.8.2019

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 22.2.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 22.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichtestaat/# c17836, Zugriff 22.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 22.8.2019

Dagestan

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. Mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds gehen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und Verschwindenlassen. Vom Vorgehen der Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Extremismus sind nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch NGOs im sozialen/humanitären Bereich betroffen. Die Menschenrechtslage gilt in Dagestan jedoch grundsätzlich als besser als im benachbarten Tschetschenien. Im Gegensatz zu Tschetschenien können NGOs in Dagestan tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO "Komitee zur Verhinderung von Folter" arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan in Sachen Strafvollzug zusammen (AA 13.2.2019).

Den russischen Sicherheitskräften werden auch in Dagestan schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung von Anti-Terror-Operationen vorgeworfen. In Dagestan stehen insbesondere salafistische Strömungen im Visier der Behörden, da sie im Verdacht stehen, allfällige militante Umtriebe zu unterstützen. Die dagestanische Volksversammlung verabschiedete 1999 ein Gesetz zum "Verbot wahhabitischer oder anderer extremistischer Tätigkeiten auf dem Gebiet der Republik Dagestan", allerdings ohne eine genaue Definition von Wahhabismus und Extremismus vorzunehmen. Der Kampf gegen den Terrorismus förderte daher mitunter die Drangsalierung von Anhängern des Wahhabismus. Die Situation für mutmaßliche Unterstützer ist eine ähnliche wie in Tschetschenien. Entführungen und Fälle plötzlichen Verschwindenlassens

von Personen, Folter und außergerichtliche Tötungen kommen in Dagestan ebenso vor. Bei der Vorgehensweise bei Verhaftungen von Verdächtigen im Zuge der Terrorbekämpfung sind mitunter auch Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Auf Verwandte und Sympathisanten der Rebellen werden auch Entführungen, Misshandlungen und die Zerstörung ihrer Häuser als Druckmittel angewendet. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 12.2018). So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Die Strafverfolgungsbehörden in Dagestan verstärkten im Jahr 2013 die Kontrolle der salafistischen Gemeinschaften. Sie begannen damit, Salafisten festzunehmen, sie zu befragen, zu fotografieren, von ihnen Fingerabdrücke zu nehmen und sie auf Beobachtungslisten für extremistische Täter zu setzen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. ICG 5.7.2019). Während der Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2016 von Human Rights Watch in Bezug auf Salafisten festhielt, dass die Polizei Salafisten auf spezielle Beobachtungslisten setzte, sie wiederholt einsperrte und sie ohne speziellen Grund befragte (HRW 12.1.2017), wird im Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2017 erwähnt, dass die Behörden verlautbart haben, dass keine Salafisten mehr auf polizeiliche Beobachtungslisten gesetzt werden. Die Verfolgung von salafistischen Muslimen, einschließlich willkürlicher Verhaftungen und Einschüchterungen, dauern jedoch an (HRW 18.1.2018). Das Einstellen der polizeilichen Beobachtungslisten im Jahr 2017 wird auch von der NGO International Crisis Group bestätigt. Sie führt aber auch an, dass es Vermutungen gibt, dass Beamte immer noch Bürger auflisten, jedoch in einem geheimen Register (ICG 5.7.2018). Der Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 von Human Rights Watch erwähnt weder Salafisten noch Wahhabiten und gibt somit keinen neueren Hinweis mehr auf die Praxis der Registrierung von Salafisten (HRW 17.1.2019).

Die Behörden wenden zur Terrorismusbekämpfung unterschiedliche Methoden an, darunter Installierungen von Videokameras in Moscheen, Massenverhaftungen von Gläubigen beim Verlassen der Moscheen und langfristige Registrierung ihrer Daten (ÖB Moskau 12.2018, vgl. ICG 5.7.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-standdezember- 2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 23.8.2019

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html, Zugriff 23.8.201

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 23.8.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html, Zugriff 23.8.2019

- ICG - International Crisis Group (5.7.2018): Dagestan's Abandoned Counter-insurgency Experiment, https://www.crisisgroup.org/europe-central-asia/caucasus/russianorthcaucasus/ counter-insurgency-north-caucasus-i-dagestans-abandoned-experiment, Zugriff 23.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 23.8.2019

BEWEGUNGSFREIHEIT

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 13.3.2019). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit ins Ausland reisen, aber vier bis fünf Millionen Mitarbeiter, die mit dem Militär- und Sicherheitsdienst verbunden sind, wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (US DOS 13.3.2019, vgl. FH 4.2.2019). Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.], das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 13.2.2019).

Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 4.2.2019) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen; 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben.

Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 13.2.2019, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen

Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 13.2.2019). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen kaufen wollen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 4.2.2019, AA13.2.2019). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 4.2.2019). Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 13.2.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-standdezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 27.8.2019

- ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and FightAgainst "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf, Zugriff 27.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 27.8.2019

- US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 27.8.2019

- US DOS - United States Department of State (13.3.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004290.html, Zugriff 27.8.2019

GRUNDVERSORGUNG

2018 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73,6 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 55%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 4,7% (WKO 7.2019), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region. Russische StaatsbürgerInnen haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2018). Das BIP lag 2018 bei ca. 1.630 Milliarden US-Dollar (WKO 7.2019, vgl. GIZ 8.2019b).

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staats

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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