TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/30 G313 2205481-1

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Veröffentlicht am 30.04.2020
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Entscheidungsdatum

30.04.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs4

Spruch

G313 2205481-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.08.2018, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 06.08.2018 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.) gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 12.09.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

4. Mit Aktenvermerk des BVwG vom 17.09.2018 wurde nach durchgeführter Grobprüfung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina.

1.2. Er hält sich seit 20.01.2005 ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Die Rechtmäßigkeit seines ab diesem Zeitpunkt ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet stützte sich zunächst auf eine Niederlassungsbewilligung und zuletzt auf einen bis 26.04.2019 gültigen Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck "Rot-Weiß-Rot-Karte plus".

1.3. Der BF wurde im Bundesgebiet insgesamt zweimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, und zwar mit

- Urteil von November 2017 wegen des Verbrechens des schweren Raubes in der Begehungsform der Bestimmungstäterschaft zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren, und mit

- Urteil von Februar 2018 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels und des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel, wobei von der Verhängung einer Zusatzstrafe zur mit vorherigem Strafrechtsurteil gegen den BF verhängten Freiheitsstrafe abgesehen wurde.

1.3.1. Der ersten strafrechtlichen Verurteilung des BF von November 2017 lagen strafbare Handlungen vom 14.07.2017 bzw. strafbare Handlungen "in den Tagen vor und am 14.07.2017" zugrunde.

1.4. Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 06.08.2018 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen.

Die belangte Behörde hielt begründend fest, dass sich der BF seit 20.01.2005 durchgehend im Bundesgebiet aufhält, sein durchgehender legaler Aufenthalt aus einem Auszug aus dem Melderegister und dem aufliegenden Fremdenakt entnommen werden könne, und führte in der Rechtlichen Beurteilung Spruchpunkt I. begründend aus:

"§ 52 Abs. 4 Z. 1 FPG liegt in Ihrem Fall vor:

Sie wurden in Österreich zweimal rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Sohin stellt Ihr Verhalten eine gegenwärtige, tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der Punkt I. angeführte Verfahrensgang beruht auf dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Dass sich der BF seit 20.01.2005 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhält, ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt samt einem Zentralmelderegisterauszug, auf welchem ab diesem Zeitpunkt ohne Meldeunterbrechung Hauptwohnsitzmeldungen an verschiedenen Adressen aufscheinen.

2.3. Der festgestellte Aufenthaltsstatus des BF ergab sich aus dem diesbezüglichen Akteninhalt bzw. einem dem Verwaltungsakt einliegenden Fremdenregisterauszug.

2.4. Die festgestellten rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF von November 2017 und Februar 2018 beruhen auf dem diesbezüglichen Akteninhalt bzw. einem dem Verwaltungsakt einliegenden Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

Die im gegenständlichen Fall relevante Feststellung zu den der ersten strafrechtlichen Verurteilung des BF zugrundeliegenden ersten strafbaren Handlungen konnte aufgrund des diesbezüglichen Akteninhalts getroffen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Der mit "Erkenntnisse" betitelte § 28 VwGVG lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(...)."

3.2. Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 06.08.2018 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen.

§ 52 Abs. 4 Z. 1 FPG idgF lautet:

"§ 52. (...)

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre;

(...)."

§ 11 Abs. 2 Z. 1 NAG lautet:

"§ 11. (...)

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

(...)."

§ 11 Abs. 4 Z. 1 NAG lautet:

"§ 11. (...)

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z. 1 ), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würden (...)."

3.3. Im gegenständlichen Fall wurde in der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. ausgeführt:

"§ 52 Abs. 4 Z. 1 FPG liegt in Ihrem Fall vor:

Sie wurden in Österreich zweimal rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Sohin stellt Ihr Verhalten eine gegenwärtige, tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar."

Die belangte Behörde führte demnach nur eine zweimalige rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des BF an, ohne zu diesen beiden zuvor im angefochtenen Bescheid festgestellten rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF von November 2017 und Februar 2018 konkrete Angaben gemacht zu haben.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes "sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde" im § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils an Hand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. ua. VwGH 27.09.2010, 2009/22/0044).

Die belangte Behörde hat nicht, wie vom Verwaltungsgerichtshof gefordert, bei der Prognosebeurteilung das Gesamtverhalten bzw. die seinen beiden rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen von November 2017 und Februar 2018 zugrunde liegenden strafbaren Handlungen berücksichtigt, sondern nur aus der zweimaligen rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des BF auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geschlossen.

Eine hinreichend begründete Gefährdungsprognose fehlt somit.

Unabhängig davon wäre jedoch zunächst zu prüfen gewesen, ob gegen den sich bereits seit 20.01.2005 in Österreich durchgehend legal aufhaltenden BF überhaupt eine Rückkehrentscheidung erlassen werden hätte dürfen, besagt doch die Bestimmung des § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 144/2013, am 01.01.2014 in Kraft getreten und am 19.07.2015 außer Kraft getreten, Folgendes:

"§ 9. (...)

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 iVm § 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, (...)."

Die Bestimmung des § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, am 20.07.2015 in Kraft getreten und am 31.08.2018 außer Kraft getreten, lautet:

"§ 9. (...)

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z. 6, 7 oder 8 FPG liegt vor (...)."

Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, dass die Bestimmung des § 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015, am 31.08.2018 außer Kraft getreten ist, vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes mit den der ersten strafrechtlichen Verurteilung des BF von November 2017 zugrundeliegenden ersten strafbaren Handlungen "in den Tagen vor und am 14.07.2017" jedoch noch in Kraft war.

Der BF hielt sich bereits mit 20.01.2015 zehn Jahre lang durchgehend rechtmäßig legal im österreichischen Bundesgebiet auf, stets gestützt auf eine Niederlassungsbewilligung und zuletzt auf eine vom 26.04.2016 bis 26.04.2019 gültige Rot-Weiß-Rot Karte plus.

Der mit "Verleihung" betitelte § 10 StbG, BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 136/2013, in Kraft getreten am 01.01.2014, lautet in seinem Absatz 1 wie folgt:

"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

1. er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft die internationalen Beziehungen der Republik Österreich nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7. sein Lebensunterhalt gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde."

Der BF wies mit 20.01.2015 bereits eine durchgehende rechtmäßige, zehnjährige Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet auf und war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt.

Dem BF hätte wegen Erfüllung aller Tatbestandsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 StbG, BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 136/2013, bereits ab 20.01.2015, dem Zeitpunkt der Erreichung einer ununterbrochenen rechtmäßigen zehnjährigen Aufenthaltsdauer die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden können, weshalb bereits ab diesem Zeitpunkt nach § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 144/2013, keine Rückkehrentscheidung mehr gegen den BF erlassen werden durfte.

Der rechtmäßige Aufenthalt des BF im Bundesgebiet setzte sich weiter fort, zum Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes mit den der ersten strafrechtlichen Verurteilung des BF von November 2017 zugrundeliegenden ersten strafbaren Handlungen "in den Tagen vor und am 14.07.2017" war der BF 27 Jahre alt.

Vor dem Zeitpunkt des maßgeblichen Sachverhaltes "in den Tagen vor und am 14.07.2017" galt die bereits vorhin angeführte Bestimmung des § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl Str. I Nr. 70/2015, welche lautet:

"§ 9. (...)

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z. 6, 7 oder 8 FPG liegt vor (...)."

Der in dieser Bestimmung angeführte § 53 Abs. 3 Z. 6, 7 und 8 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der vom 01.01.2014 bis 31.10.2017 gültigen Fassung des BGBl. I Nr. 68/2013 lautet:

"Einreiseverbot

§ 53. (...)

(3) Ein Einreiseverbot gem. Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z. 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. (...);

(...);

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt."

Da im gegenständlichen Fall keiner der in § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl Str. I Nr. 70/2015, angeführten Einreiseverbotstatbestände nach § 53 Abs. 3 Z. 6, 7 und 8 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, idF BGBl. I Nr. 68/2013, erfüllt ist, hätte gegen den BF auch bei einer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes späteren Erfüllung der mindestens zehnjährigen rechtmäßigen ununterbrochenen Aufenthaltsdauer iSv § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG, BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 136/2013 als mit 20.01.2015 nach § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl Str. I Nr. 70/2015, keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen.

Es waren daher Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit welchem gegen den BF gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, und die daran anschließenden bzw. auf Spruchpunkt I. aufbauenden Spruchpunkte II. bis V., somit der gesamte angefochtene Bescheid vom 06.08.2018 ersatzlos zu beheben.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da im gegenständlichen Fall bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2205481.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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