TE Bvwg Beschluss 2020/4/30 G303 2170794-1

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Veröffentlicht am 30.04.2020
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Entscheidungsdatum

30.04.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G303 2170794-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Polen, vertreten durch Dr. Elmar KRESBACH LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2017, Zahl XXXX, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid zur Gänze aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Mit Schreiben vom 07.07.2017 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, (i m Folgenden: belangte Behörde) über das Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt. Darin wurde angeführt, dass geplant sei, gegen den BF ein Aufenthaltsverbot zu verhängen, da dieser am XXXX.2017 rechtkräftig wegen des Verbrechens/Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten unbedingt verurteilt wurde. Zur Abgabe einer Stellungnahme wurde eine Frist von 10 Tagen ab Zustellung eingeräumt.

1.1. Mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 04.08.2017 wurde dazu eine Stellungnahme abgegeben und mehrere - teils schlecht lesbare - Kopien von Dokumenten in Vorlage gebracht.

1.2. Mit Schreiben vom 04.08.2017 wurde seitens der belangten Behörde ein Verbesserungsauftrag hinsichtlich der vorgelegten, schlecht lesbaren Kopien erteilt. Diesem wurde seitens des BF nach der vorliegenden Aktenlage nicht entsprochen.

2. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid vom 04.09.2017 wurde über den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde dem BF ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde von der belangten Behörde zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes ausgeführt, dass der BF vom Landesgericht XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten unbedingt rechtskräftig verurteilt worden sei. Der BF habe vier einschlägige Vorstrafen vorzuweisen. Das persönliche Verhalten des BF stelle eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft dar.

3. Dagegen wurde mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 14.09.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Der Bescheid wurde zur Gänze, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellungen und unrichtiger rechtlichen Beurteilung angefochten. Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die belangte Behörde nicht auf das Familienleben und die berufliche Situation des BF in Österreich eingegangen sei. Der BF halte sich seit mehr als 13 Jahren im Bundesgebiet auf, habe hier den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gefunden. Er sei sozial und familiär integriert und gehe einer regelmäßigen Beschäftigung nach. Zudem besitze der BF die "EU-Staatsbürgerschaft".

4. Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden seitens der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, wo sie am 15.09.2017 eingelangt sind.

II. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens, des Gerichtsakts des BVwG sowie der Beschwerde. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

III. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014,

Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.

Der mit "Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen" betitelte Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie auch Unionsbürgerrichtlinie) lautet:

"(1) Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

(3) Die Kontinuität des Aufenthalts wird weder durch vorübergehende Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, noch durch längere Abwesenheiten wegen der Erfüllung militärischer Pflichten, noch durch eine einzige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Niederkunft, schwere Krankheit, Studium oder Berufsausbildung oder berufliche Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat berührt.

(4) Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust."

Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie lautet:

"Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen."

§ 53a NAG lautet:

"(1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat."

§ 66 Abs. 1 und 2 FPG lauten:

"(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen."

§ 67 Abs. 1 FPG lautet:

"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

§ 67 Abs. 1 FPG idF FrÄG 2011 enthält zwar nur zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG idF FrÄG 2011 vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als für bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus "schwerwiegenden" Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FPG insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 idF FrÄG 2011 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181).

Der Absatz 1 des mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelten § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das erkennende Gericht nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht die Prozessökonomie fördern. Es liegen vielmehr erhebliche Ermittlungslücken vor, die Erhebungen notwendig machen, die die belangte Behörde als Spezialbehörde rascher und effizienter nachholen kann.

Wie in der Beschwerde zutreffend bemängelt wird, hat die belangte Behörde es verabsäumt, sich mit dem Familienleben und der beruflichen Situation des BF näher auseinander zu setzen.

Die belangte Behörde hat zum Privat- und Familienleben des BF lediglich festgestellt, dass der BF in Österreich weder rechtshemmende soziale, berufliche noch familiäre Ankerpunkte habe und dass aufgrund der Gestalt seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet auch keine Integration vorliege. Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass die seitens des BF gemachten Angaben betreffend seine Kernfamilie im Bundesgebiet wenig glaubwürdig erscheinen. Die Behörde gehe davon aus, dass aufgrund des Suchtverhaltens kein tatsächliches Familienleben möglich sei und daher auch nicht existent sei, zumal seine kriminelle Karriere auch immer schneller voran schreite und der BF auch hierzu in Zukunft noch länger andauernde Haftstrafen zu erwarten habe.

Die belangte Behörde übermittelte dem BF zwar eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, jedoch unterlies sie es in weiterer Folge sich mit dem Vorbringen des BF in der Stellungnahme zu seinem Privat- und Familienleben näher auseinanderzusetzen, insbesondere wurden die Angaben des BF, wonach sich dieser seit 13 Jahren im Bundesgebiet aufhalte, in Österreich einen Teil seiner Schulausbildung absolviert habe, er bei seiner Kernfamilie wohne, fließend Deutsch spreche sowie ein Unternehmen betreibe, keiner ausführlichen Würdigung unterzogen, sondern lediglich als "wenig glaubwürdig" bezeichnet. Dieses Vorgehen entspricht nicht einer hinreichenden Begründung einer Behördenentscheidung.

Nach Durchsicht des Verwaltungsaktes lassen sich weder die Familien- bzw. Privatverhältnisse des BF im Bundesgebiet, noch dessen aktueller Integrationsstatus sowie die berufliche und finanzielle Situation zweifelsfrei feststellen.

Feststellungen fehlen auch zur rechtmäßigen Aufenthaltsdauer. Obwohl bekannt ist, dass der BF seit 2003 meldebehördlich im Bundesgebiet erfasst ist, wurden diesbezüglich keine weiteren Ermittlungsschritte getätigt.

Insbesondere, da EWR-Bürger denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52 NAG), gemäß § 53a Abs.1 NAG unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt erwerben.

Demzufolge hätte die belangte Behörde konkrete Ermittlungsschritte im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit und Dauer des Aufenthaltes des BF anstrengen und den Aufenthaltsstatus des BF festzustellen gehabt.

Des Weiteren stützt sich die belangte Behörde bei der Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF auf die "andauernde Suchterkrankung" des BF sowie die "Aufenthalte in der Untersuchungs- und Strafhaft sowie in behördlicher Anhaltung", ohne dazu entsprechende Feststellungen getroffen zu haben. Weder wurde festgestellt, dass der BF an einer Suchterkrankung leidet noch in welchen Zeiträumen er sich in Anhaltung bzw. Haft befand.

Unter den dargestellten Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Unterlassung der Ermittlung der konkreten rechtmäßigen Aufenthaltsdauer, des Privat- und Familienlebens des BF und zu einer allfälligen Suchterkrankung. Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt.

Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren alle zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen, insbesondere zur rechtmäßigen Aufenthaltsdauer, Suchterkrankung des BF, Integrationsstatus, Privat- und Familienleben und beruflichen Tätigkeit, vorzunehmen und - je nach Ausgang des Ermittlungsverfahrens - einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung in klarer und übersichtlicher Weise dargelegt wird, auf Grund welchen für sie als erwiesen anzunehmenden Sachverhalts sie zu der im Spruch wiedergegebenen rechtlichen Beurteilung gekommen ist.

Es hat sich insgesamt nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Aus den dargelegten Gründen war daher der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2170794.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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