Entscheidungsdatum
04.05.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W261 2229952-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Verein Chronisch Krank, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 28.02.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer ist seit 12.04.2016 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (in der Folge v.H.) bzw. seit 15.10.2018 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H.
Am 21.06.2019 stellte er beim Sozialministeriumservice (in der Folge "belangte Behörde" genannt) einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.
Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 22.08.2019 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte die medizinische Sachverständige fest, dass der Beschwerdeführer unter einer "schizophrenen Störung mit mittelschwerer Verlaufsform" und einer "chronischen Niereninsuffizienz CKD V" leide, jedoch die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.
Die belangte Behörde übermittelte das genannte Gutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26.08.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.
Der Beschwerdeführerin machte mit einem Schreiben, welches am 05.09.2019 bei der belangten Behörde einlangte, von diesem Recht Gebrauch und legte weitere Befunde vor.
Die belangte Behörde ersuchte die befassten Sachverständige um eine neuerliche Begutachtung des Beschwerdeführers. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 14.11.2019 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte die medizinische Sachverständige fest, dass trotz der Berücksichtigung der neu vorgelegten medizinischen Befunde die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.
Die belangte Behörde übermittelte das genannte Gutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18.11.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.
Der Beschwerdeführerin machte mit einem Schreiben, welches am 02.12.2019 bei der belangten Behörde einlangte, von diesem Recht Gebrauch und legte weitere Befunde vor und führte aus, dass er wegen seiner Paranoia keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen könne.
Die belangte Behörde ersuchte sohin eine medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Psychiatrie um eine Begutachtung des Beschwerdeführers. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 28.01.2020 erstatteten Gutachten vom 26.02.2020 stellte die medizinische Sachverständige fest, dass trotz der Berücksichtigung der neu vorgelegten medizinischen Befunde die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen, weil Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angst vor Kontrollverlust nicht führende Bestandteile des psychischen Leides des Beschwerdeführers darstellen würden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.02.2020 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab. Darüber hinaus führte die belangte Behörde anmerkend aus, dass über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden. Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid das zuletzt eingeholte Sachverständigengutachten in Kopie an.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Chronisch Krank, fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.
Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er zweifelsfrei an einer schweren Gesundheitsschädigung, nämlich an einer schizophrenen Störung und einer dialysepflichtigen chronischen Niereninsuffizienz Stadium 5 leide. Damit würden eine stark erhöhte Infektionsgefahr und erhebliche Einschränkungen psychischer Funktionen verbunden sein, weswegen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sehr wohl vorliegen würden. Es werde beantragt, der Beschwerde Folge zu geben. Der Beschwerdeführer schloss der Beschwerde keine Befunde an.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 27.03.2020 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 27.03.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.
Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: gut
Größe: 180,00 cm Gewicht: 95,80 kg Blutdruck: 140/80
Klinischer Status - Fachstatus:
Haut/farbe: rosig sichtbare Schleimhäute gut durchblutet. Caput: Visus: unauffällig Hörvermögen nicht eingeschränkt. Keine Lippenzyanose, Sensorium: altersentsprechend, HNA frei. Collum: SD: schluckverschieblich, keine Einflusstauung, Lymphknoten: nicht palpabel. Thorax: Symmetrisch, elastisch, Dialysekatheder rechts. Cor: Rhythmisch, rein, normfrequent. Pulmo: Vesikuläratmung, keine Atemnebengeräusche, keine Dyspnoe. Abdomen: Bauchdecke: weich, kein Druckschmerz, keine Resistenzen tastbar. Hepar am Ribo, Lien nicht palp. Nierenlager: Frei. Pulse: Allseits tastbar
Obere Extremität:
Symmetrische Muskelverhältnisse. Nackengriff und Schu¿rzengriff beidseits durchfu¿hrbar, grobe Kraft beidseits nicht vermindert, Faustschluß und Spitzgriff beidseits durchfu¿hrbar. Die u¿brigen Gelenke altersentsprechend frei beweglich. Sensibilität wird unauffällig angegeben.
Untere Extremität:
Zehenspitzen und Fersenstand sowie Einbeinstand beidseits durchfu¿hrbar, beide Beine von der Unterlage abhebbar, grobe Kraft beidseits nicht vermindert, freie Beweglichkeit in Hu¿ftgelenken und Kniegelenken, bandstabil, kein Erguss, symmetrische Muskelverhältnisse, Sensibilität wird unauffällig angegeben keine Varikositas, keine Ödeme beidseits.
Wirbelsäule: Kein Klopfschmerz. Rotation und Seitwärtsneigung im Bereich der HWS frei beweglich, im Bereich der BWS+LWS endlagig schmerzhaft.
Gesamtmobilität - Gangbild: normales Gangbild.
Status Psychicus:
Wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert. Konzentration und Aufmerksamkeit reduziert. Duktus kohärent und zum Ziel führend bei unauffälligem Tempo. Chronische verbal-akustische
Halluzinationen. Keine Ich-Grenzstörung im Sinne von Gedankeneingebung oder Ausbreitung.
Gelegentliche flüchtige paranoid-wahnhafte Exazerbationen. Sozialer Rückzug. Zukunftsängste. Affekt flach. Negativsymptomatik im Sinne von verminderter Belastbarkeit. Energielosigkeit. Gefühle der Gefühllosigkeit. Psychomotorik unauffällig. Stimmungslage normothym. Affizierbarkeit in beiden Skalenbereichen erhalten. Im Verhalten freundlich und angepasst. Keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung fassbar.
Der Beschwerdeführer hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
- Schizophrene Störung mittelschwere Verlaufsform
- Chronische Niereninsuffizienz CKD V
Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die festgestellten Gesundheitsschädigungen am Stütz- und Bewegungsapparat haben keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge.
Das Zurücklegen von kurzen Wegstrecken von 300 bis 400 Meter ist dem Beschwerdeführer aus eigener Kraft zumutbar. Das Überwinden von Niveauunterschieden ist dem Beschwerdeführer möglich. Das Verwenden von Haltegriffen und Aufstiegshilfen ebenfalls uneingeschränkt möglich. Der Transport in öffentliche Verkehrsmittel ist nicht eingeschränkt, auch die Sitzplatzsuche ist nicht eingeschränkt.
Es liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.
Es liegt keine maßgebende Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor, durch welche eine Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel zu begründen wäre.
Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum sind beim Beschwerdeführer gegeben.
Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angst vor Kontrollverlust sind nicht Bestandteile des psychischen Leidens des Beschwerdeführers.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz des Beschwerdeführers im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:
Die von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 14.11.2019 basierend auf einer Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag und einer Fachärztin für Psychiatrie vom 26.02.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 28.01.2020, sind schlüssig und nachvollziehbar, beide Gutachten weisen keine Widersprüche auf. Es wird auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich aus jeweils fachlicher Sicht eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen und jeweils nachvollziehbar ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer - trotz der vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen - möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Beim Beschwerdeführer bestehen unbestritten keine erheblichen Funktionseinschränkungen der Bewegungsorgane, so dass die entsprechenden Feststellungen getroffen werden. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 Meter ist somit selbständig möglich. Auch das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist dem Beschwerdeführer ohne fremde Hilfe zumutbar. Ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Festhalten an Haltegriffen ist auch gewährleistet.
Der Beschwerdeführer leidet an einer schizophrenen Störung. Laut dem medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 26.02.2020 bestehen beim Beschwerdeführer keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, welche folgende Krankheitsbilder umfassen: Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10. Diese Krankheitsbilder sind nicht Bestandteil des psychischen Leidens des Beschwerdeführers. Ebenso sind beim Beschwerdeführer Orientierung und Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum gegeben.
Trotz des Umstandes, dass der Beschwerdeführer an einer chronischen Niereninsuffizienz CKD 5 leidet, besteht kein Hinweis auf eine Erkrankung des Immunsystems.
Wenn der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde anführt, dass seine Gesundheitsschädigungen mit einer erhöhten Infektionsgefahr einhergehen würden, so ist dem entgegen zu halten, dass diese Behauptung nicht mit medizinischen Befunden objektiviert wird. In keinem der vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunden und auch in keinem der von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Befunden ergibt sich darauf ein Hinweis, so dass diesem Argument des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden kann.
Der Beschwerdeführer ist mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen in der Beschwerde den auf jeweils einer persönlichen Untersuchung basierenden Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und einer Fachärztin für Psychiatrie im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der beiden Sachverständigengutachtens vom 14.11.2019 und vom 26.02.2020 und werden diese beiden Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 28.02.2020, der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 32/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
...
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet - soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
"§ 1 ....
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. .......
2. ......
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)......"
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):
...
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
...
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden..."
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/11/0013).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt - auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde in den beiden eingeholten Sachverständigengutachten vom 14.11.2019 einer Ärztin für Allgemeinmedizin und vom 26.02.2020 einer Fachärztin für Psychiatrie, jeweils beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, nachvollziehbar verneint, dass im Fall des Beschwerdeführers - trotz der bei ihm vorliegenden Gesundheitsschädigungen - die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der beim Beschwerdeführer objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag der Beschwerdeführer noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung aufgrund von erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind im Falle des Beschwerdeführers ebenfalls nicht gegeben. Eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit liegt ebenso wenig vor, wie entscheidungsmaßgebliche Einschränkungen der Sinnesfunktionen. Es kann im vorliegenden Fall außerdem keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, festgestellt werden.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Betracht kommt.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, auf die über Veranlassung der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, welche jeweils auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers beruhen, welche auf alle Einwände und vorgelegten Befunde des Beschwerdeführers in jeweils fachlicher Hinsicht eingehen, und welchen der Beschwerdeführer im Rahmen des ihm eingeräumten Parteiengehörs nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers und damit verbunden die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Der Beschwerdeführer hat keine mündliche Beschwerdeverhandlung beantragt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2229952.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020