TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/4 W261 2227495-1

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Veröffentlicht am 04.05.2020
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Entscheidungsdatum

04.05.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W261 2227495-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 22.08.2019 betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 20.03.2019 erstmals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinischen Befunden bei.

Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und eine allgemeinmedizinische Gesamtbeurteilung ein. In dem auf der Aktenlage basierenden HNO-fachärztlichen Sachverständigengutachten vom 03.05.2019 wurde die Funktionseinschränkung "Normalhörigkeit beidseits" mit einem Grad der Behinderung von 0 v.H. eingeschätzt, da die Hörstörung von 2% links klinisch nicht relevant sei. Ein aktuell bestehendes Tinnitusleiden sei nicht belegt und könne somit nicht eingeschätzt werden. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.07.2019 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte die allgemeinmedizinische Sachverständige bei der Beschwerdeführerin die Funktionseinschränkungen "Colitis Ulcerosa" und "ADHS" mit einem Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest. In der Gesamtbeurteilung vom 26.07.2019, der Zusammenfassung der beiden Sachverständigengutachten, wurden die Leiden "Colitis Ulcerosa", "ADHS" und "Normalhörigkeit beidseits" mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. eingestuft.

Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin die Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 29.07.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte ihr eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Mit Schreiben vom 12.08.2019 gab die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ab, in welcher sie um eine Untersuchung durch einen anderen Arzt ersuchte. Dem Schreiben wurden keine medizinischen Unterlagen angeschlossen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.08.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest. Der im Rahmen des Parteiengehörs erhobene Einwand sei nicht geeignet gewesen, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu entkräften, weil er mangels medizinischer Begründung oder Vorlage neuer Beweismittel nicht ausreichend dokumentiert gewesen sei. Die belangte Behörde legte dem Bescheid die eingeholten Sachverständigengutachten in Kopie bei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, sie wünsche sich eine Untersuchung durch einen anderen Arzt. Die im Gutachten genannten Punkte Allgemeinzustand, Ernährungszustand und vor allem Status Psychicus seien nicht richtig interpretiert worden, der Sachverhalt sei ergänzungsbedürftig. Die Beschwerdeführerin legte der Beschwerde ärztliche Befunde bei.

Die belangte Behörde holte in weiterer Folge auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung am 13.01.2020 ein am selben Tag erstattetes medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie ein. Darin stuft die Sachverständige unter Einbeziehung der von der Beschwerdeführerin neu vorgelegten Befunde das Leiden "Anpassungsstörung, ADHS" im Vergleich zum Vorgutachten eine Stufe höher mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H. ein. Hinsichtlich der Leiden 1 und 3 würden sich keine Änderungen ergeben. Der Gesamtgrad der Behinderung betrage nach wie vor 30 v.H.

Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung in der Folge keinen Gebrauch und legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 14.01.2020 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.

Das BVwG brachte den Parteien des Verfahrens das Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben vom 16.01.2020 zur Kenntnis und räumte ihnen eine Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Beide Parteien gaben keine Stellungnahme ab.

Das BVwG führte am 15.01.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 20.03.2019 bei der belangten Behörde ein.

Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Caput: HNAP frei, kein Meningismus, HWS frei beweglich, Sprache unauffällig.

Hirnnerven: Pupillen rund, isocor bds., Lichtreaktion prompt und konsensuell, Lidspalten gleich weit, Bulbusmotilität in allen Ebenen frei und koordiniert, kein pathologischer Nystagmus, keine Doppelbilder, HN VII seitengleich innerviert, basale HN frei.

Obere Extremitäten: Trophik, Tonus und grobe Kraft stgl. unauffällig. VA: kein Absinken, Feinmotilität nicht beeinträchtigt, BSR, TSR, RPR seitengleich auslösbar, Knips bds. negativ, Eudiadochokinese bds., FNV bds. zielsicher, keine unwillkürlichen Bewegungen.

Untere Extremitäten: Trophik, Tonus und grobe Kraft stgl. unauffällig. PV: kein Absinken, PSR und ASR seitengleich auslösbar, Babinski bds. negativ, KHV bds. zielsicher, keine unwillkürlichen Bewegungen. Sensibilität: allseits intakt.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Gangbild unauffällig, Zehen- und Fersengang möglich.

Status Psychicus:

Wach, zur Person, örtlich, zeitlich orientiert, Konzentration, Aufmerksamkeit im Gespräch unauffällig (lt. Testung reduziert), Mnestik altersentsprechend unauffällig, Antrieb unauffällig, Stimmung belastet, Befindlichkeit weinerlich, Affizierbarkeit in beiden Skalenbereichen gegeben, Ductus kohärent und zielführend, keine produktive Symptomatik, Durchschlafstörung.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1. Colitis ulcerosa

2. Anpassungsstörung ADHS

3. Normalhörigkeit beidseits Tabelle Zeile 1/Spalte 1

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 v. H.

Leiden 2 erhöht den Grad der Behinderung nicht, da keine maßgebliche, ungünstige, wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

Leiden 3 erhöht den Grad der Behinderung nicht, da es klinisch nicht relevant ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland basieren auf dem vom BVwG eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 13.01.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag.

Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die medizinische Gutachterin setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden, sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Betreffend die unter den laufenden Nummern 1 und 3 eingestuften Leiden sowie den Gesamtgrad der Behinderung entspricht dieses Gutachten damit auch dem dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Vorgutachten vom 26.07.2019. Das im allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 25.07.2019 und in der Gesamtbeurteilung vom 26.07.2019 mit der Positionsnummer 03.04.01 und einem Grad der Behinderung eingestuften "ADHS" ist von der psychiatrischen Sachverständigen nunmehr jedoch als "Anpassungsstörung, ADHS" unter der Positionsnummer 03.05.01 und einem Grad der Behinderung von 20 v.H. eingeschätzt. Die psychiatrische Gutachterin begründet die Änderung schlüssig mit der inzwischen eingetretenen Verschlechterung des Leidens, welche durch die nachgereichten Befunde belegt werden konnte. Bei der Beschwerdeführerin liegt eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Schlafstörungen vor. Sie fühlt sich im täglichen Leben beeinträchtigt, und es besteht die Tendenz zum sozialen Rückzug. Die Therapieoptionen sind jedoch noch nicht ausgeschöpft.

Die Erhöhung der Einstufung des psychischen Leidens ist nicht geeignet, eine Änderung des Gesamtgrades der Behinderung zu bewirken, da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung mit dem führenden Leiden, der Colitis ulcerosa, besteht.

Die Beschwerdeführerin gab zum psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 13.01.2020 keine Stellungnahme ab.

Sie ist damit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des BVwG bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 13.01.2020. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden."

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

..."

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Leiden 1 der Beschwerdeführerin, Colitis ulcerosa, hat die medizinische Sachverständige richtig nach Position Nr. 07.04.05 der Einschätzungsverordnung mit dem unteren Rahmensatz und einem Grad der Behinderung von 30 % eingestuft. Dabei berücksichtigt die medizinische Sachverständige, dass bei der Beschwerdeführerin eine rezidivierende Beschwerdesymptomatik mit häufigen Durchfällen und Gelenksschmerzen bestehen, der Allgemein- und Ernährungszustand jedoch unauffällig ist.

Leiden 2, eine Anpassungsstörung und ADHS, stufte die medizinische Sachverständige richtig nach Position 03.05.01 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 20 % ein. Die Gutachterin schätzte das Leiden eine Stufe über dem unteren Rahmensatz ein, da die Beschwerdeführerin an einer depressiven Reaktion und Schlafstörungen, sowie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen leidet, die Therapieoptionen aber noch nicht ausgeschöpft sind.

Bei Leiden 3 handelt es sich um Normalhörigkeit beidseits, welche richtig nach der Position 12.02.01 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 0 % eingestuft ist, da die Hörstörung von 2% links klinisch nicht relevant ist.

Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 13.01.2020 beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin selben Tag zu Grunde gelegt.

Die medizinische Sachverständige stufte den Gesamtgrad der Behinderung richtig mit 30 % ein, weil die Leiden 2 und 3 das führende Leiden nicht erhöhen. Leiden 2 erhöht nicht, da keine maßgebliche ungünstige, wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt, Leiden 3 erhöht mangels fehlender klinischer Relevanz nicht.

Aufgrund der von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Befunde wurde das Leiden 2 im Vergleich zum Vorgutachten, welches dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt wurde, um eine Stufe erhöht. Betreffend die übrigen Leiden und den Gesamtgrad der Behinderung waren die Befunde aber nicht geeignet, die getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes zu belegen. Damit liegen die Voraussetzung für eine höheren Gesamtgrad der Behinderung bei der Beschwerdeführerin nicht vor.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle beschriebenen Leidenszustände der Beschwerdeführerin in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2227495.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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