Entscheidungsdatum
04.05.2020Norm
BBG §40Spruch
W261 2226960-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 08.11.2019 betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte mehrmals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde), zuletzt am 18.07.2018. Nach Einholung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten, in welchem die Funktionseinschränkungen "Kniegelenksprothese rechts, Abnützungserscheinungen des linken Kniegelenks", "Degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates" und "Bluthochdruck" mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. eingestuft wurden, wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 30.10.2018 ab.
Am 02.09.2019 stellte die Beschwerdeführerin erneut einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde und legte ein Konvolut an medizinischen Befunden bei.
Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 09.10.2019 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte die Sachverständige bei der Beschwerdeführerin die Funktionseinschränkungen "Knietotalendoprothese beidseits", "Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule", "chronisch venöse Insuffizienz links", "degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates" und "Bluthochdruck mit einem Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest.
Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 11.10.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte ihr eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
Die Beschwerdeführerin gab keine Stellungnahme ab.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.11.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest. Der Beschwerdeführerin sei Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten in Kopie bei.
Gegen diesen Bescheid erhob die durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland (in der Folge auch KOBV) vertretene Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass aufgrund der bestehenden massiven Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen der Grad der Behinderung mit zumindest 50 v.H. hätte festgesetzt werden müsste. Insbesondere die Einstufungen der Knie- und Wirbelsäulenleiden würden nicht dem tatsächlichen Schweregrad entsprechen und seien die diesbezüglichen Ausführungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar. Es würden multiple Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule mit Einengung bzw. Tangierung der Nervenwurzeln bestehen, welche einen dringenden Bedarf nach chirurgischer Intervention sowie nach strenger Schonung begründen würden. Aufgrund der Schwere der Veränderungen sei davon auszugehen, dass auch nach der geplanten Operation gravierende funktionelle Einschränkungen dauerhaft verbleiben würden. Außerdem würden trotz der Knietotalendoprothesen weiterhin starke Beeinträchtigungen der Beweglichkeit sowie Schmerzen bestehen, sodass die Beschwerdeführerin nur eingeschränkt und unter Zuhilfenahme von Unterarmstützkrücken gehfähig sei. Die Heilungsdauer werde jedenfalls länger als sechs Monate betragen, eine vollständige Wiederherstellung sei auch hier nicht zu erwarten. Die Beschwerdeführerin legte der Beschwerde einen MRT- sowie einen CT-Befund der Halswirbelsäule vom 10.12.2019 bzw. 11.12.2019 bei. Weiters beantragte sie die Einholung weiterer Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen der Orthopädie (wobei um eine andere Sachverständige als die bereits befasste ersucht wurde) und Neurologie sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 27.12.2019 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W260 einlangte.
Mit Schreiben vom 20.01.2020 legte die durch den KOBV vertretene Beschwerdeführerin einen Entlassungsbrief der Privatklinik Döbling vom 18.12.2019 vor.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W260 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 12.02.2020 einlangte.
Das BVwG führte am 12.02.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 02.09.2019 bei der belangten Behörde ein.
Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.
Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin:
Allgemeinzustand: gut. Ernährungszustand: adipös.
Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen. Thorax: symmetrisch, elastisch. Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch. Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz. Integrument: unauffällig.
Schultergürtel und beide obere Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden. Schultergelenke beidseits: äußerlich unauffällig, nicht verkürzt, soweit bei Adipositas feststellbar gut bemuskelt, endlagige Bewegungsschmerzen. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig. Aktive Beweglichkeit: Schultern endlagig eingeschränkt, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig. Die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig. Nacken- und Schürzengriff sind endlagig eingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:
Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits mit Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist mit Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist zu einem Drittel möglich. Die Beinachse ist im Lot. Annähernd symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, Unterschenkelödem links, Varikositas, trophische Störung mit Rötung und glasiger Haut, retikuläre Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich. Kniegelenk beidseits: Narbe nach Knietotalendoprothese, beidseits geringgradige Umfangsvermehrung, links geringgradige Überwärmung, links Bewegungsschmerzen und Berührungsschmerzen, Patella beidseits zentriert, beidseits stabile Gelenke. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig. Aktive Beweglichkeit: Hüften S0/90 (konstitutionsbedingt), Rotation nicht eingeschränkt, Knie rechts 0/0/120, links 0/5/95, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich. Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Deutlich Hartspann im Bereich der Schulter- und Nackenmuskulatur und paralumbal. Klopfschmerz über der gesamten LWS, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei. Aktive Beweglichkeit: HWS: Rotation und Seitneigen 1/3 eingeschränkt, Kinn/Jugulum Abstand 4/12. BWS/LWS: FBA: 10cm, in allen Ebenen endlagig eingeschränkt beweglich. Lasegue bds. Negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen mit 2 Unterarmstützkrücken, das Gangbild barfuß ist - teilweise mit Anhalten- geringgradig links hinkend, etwas verlangsamt, Spur geringgradig verbreitert, insgesamt raumgewinnend, Richtungswechsel sicher möglich. Ausziehen wird im Stehen durchgeführt, einschließlich Bücken bis zu den Füßen und Ausziehen des Pullovers mit freier Beweglichkeit im Bereich beider Schultergelenke. Socken ausziehen im Stehen.
Status Psychicus:
Allseits orientiert, Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1. Knietotalendoprothese beidseits
2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
3. Chronisch venöse Insuffizienz links
4. Degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates
5. Bluthochdruck
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 v. H.
Leiden 1 wird durch die weiteren Leiden nicht erhöht, da kein ungünstiges Zusammenwirken vorliegt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland basieren auf dem vom BVwG eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie vom 09.10.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag.
Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die medizinische Gutachterin setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden, sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Die Sachverständige beurteilte das führende Leiden, die beidseitige Knietotalendoprothese, entgegen den Ausführungen in der Beschwerde ebenfalls korrekt und entsprechend dem Ausmaß der Funktionseinschränkung. Dabei wurden die leichte Umfangsvermehrung und die Bewegungs- und Berührungsschmerzen ebenso berücksichtigt wie die Einschränkung des Bewegungsumfanges. Letzterer zeigte sich bei stabilen Gelenken rechts bei 0/0/120 und links bei 0/5/95, was der gewählten Position entspricht. In der persönlichen Untersuchung zeigte sich ein links geringgradig hinkendes, etwas verlangsamtes Gangbild. Die Gutachterin führte jedoch aus, dass das Erfordernis der Verwendung von zwei Unterarmstützkrücken zum Zurücklegen kurzer Wegstrecken nicht ausreichend begründbar ist.
Insoweit die Beschwerdeführerin in der Beschwerde vorbringt, dass das Wirbelsäulenleiden zu niedrig eingestuft sei, ist festzuhalten, dass die orthopädische Sachverständige bei ihrer Beurteilung durchaus die rezidivierenden Beschwerden und Schmerzen, vor allem in der Hals- und Lendenwirbelsäule berücksichtigte. Es zeigten sich in der Statuserhebung auch Bewegungseinschränkungen, diese erreichen jedoch kein Ausmaß, welches eine höhere Einstufung des Leidens rechtfertigen würde. Die beiden im Rahmen der Beschwerde vorgelegten CT- und MRT-Befunde der Halswirbelsäule beinhalten keine Informationen, welche noch nicht im Gutachten berücksichtigt wurden und sind daher nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung mit einem höheren Grad der Behinderung herbeizuführen bzw. eine zwischenzeitig eingetretene Verschlechterung des Leidenszustandes zu belegen und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen. Die geplante Operation der Halswirbelsäule führt ebenfalls nicht zu einer höheren Einstufung, da bei der Beurteilung des zur Einschätzung des Grades der Behinderung zu Grunde zu legenden Leidens nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Sachlage maßgebend (vgl. etwa VwGH 26.11.2002, 2001/11/0404 und 20.11.2012, Zl. 2011/11/0118) ist. Hierbei ist es daher rechtlich unerheblich, dass künftig eine mögliche Verschlechterung des Leidenszustandes drohen könnte, weil es auf eine aktuelle Beurteilung zum Entscheidungszeitpunkt ankommt und keine Prognose zu treffen ist, wie und unter welchen Voraussetzungen sich Funktionseinschränkungen entwickeln könnten. Darüber hinaus hat die geplante Operation das Ziel, zu einer Besserung des Zustandes zu führen.
Der nachgereichte Entlassungsbrief vom 18.12.2019 ist ebenfalls nicht geeignet, eine Änderung der Beurteilung zu bewirken. Die Beschwerdeführerin wurde wegen akuter Zervikalbeschwerden sowie Schmerzen im Bereich der linken Knieprothese stationär aufgenommen. Es erfolgte eine Infusionstherapie und Abklärung, in welcher die beiden MRT- und CT-Untersuchungen der Halswirbelsäule durchgeführt wurden, deren Ergebnis die Beschwerdeführerin bereits der Beschwerde anschloss und die keine Informationen beinhalten, welche noch nicht im Sachverständigengutachten berücksichtigt wurden. Das ebenfalls im Rahmen des stationären Aufenthaltes durchgeführte CT des linken Knies gab keinen Hinweis für eine Prothesenlockerung.
Zum Antrag in der Beschwerde auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Orthopädie sowie aus dem Bereich Neurologie ist auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung zu verweisen.
Die Beschwerdeführerin ist damit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des BVwG bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 09.10.2019. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:
Behinderung
§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.
Leiden 1 der Beschwerdeführerin, Knietotalendoprothese beidseits, hat die medizinische Sachverständige richtig nach Position Nr. 02.05.19 der Einschätzungsverordnung mit dem oberen Rahmensatz und einem Grad der Behinderung von 30 % eingestuft. Dabei berücksichtigt die medizinische Sachverständige die geringgradige Einschränkung des Bewegungsumfanges links bei stabilen Gelenken.
Leiden 2, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, stufte die medizinische Sachverständige richtig nach Position 02.01.01 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 20 % ein. Die Gutachterin schätzte das Leiden mit dem oberen Rahmensatz ein, da bei der Beschwerdeführerin rezidivierende Beschwerden vor allem im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule mit jedoch geringen funktionellen Einschränkungen bestehen.
Bei Leiden 3 handelt es sich um eine chronisch venöse Insuffizienz links, welche richtig nach der Position 05.08.01 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 20 % eine Stufe über dem unteren Rahmensatz eingestuft ist, da ein Ödem ohne wesentliche Beeinträchtigung der Beweglichkeit der angrenzenden Gelenke vorliegt.
Leiden 4, degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates, ist von der Gutachterin korrekt mit dem unteren Rahmensatz der Positionsnummer 02.02.01 und einem Grad der Behinderung von 10 % eingestuft, da die Beschwerdeführerin unter rezidivierenden Beschwerden vor allem im Bereich beider Schultergelenke mit geringen funktionellen Einschränkungen leidet.
Leiden 5, Bluthochdruck, ist schließlich mit der Positionsnummer 05.01.01 und dem fixen Richtsatz von 10 % eingestuft.
Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).
Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie vom 09.10.2020 beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag zu Grunde gelegt.
Die medizinische Sachverständige stufte den Gesamtgrad der Behinderung richtig mit 30 % ein, weil das Leiden 1 durch die weiteren Leiden mangels ungünstigem Zusammenwirken nicht erhöht wird.
Wie bereits oben ausgeführt, ist die Beschwerdeführerin dem eingeholten Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.
Was schließlich das in der Beschwerde gestellten Ersuchen um Einholung weiterer Gutachten durch eine Fachärztin bzw. einen Facharzt für Orthopädie sowie Neurologie betrifft, so hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem (wenngleich zum Behinderteneinstellungsgesetz ergangenen) Erkenntnis vom 24.06.1997, 96/08/0114, ausgeführt, dass die Behörden im Zusammenhang mit der Einschätzung des Grades der Behinderung nach dem BEinstG verpflichtet sind, zur Klärung medizinischer Fachfragen ärztliche Gutachten einzuholen. Das Gesetz enthält aber keine Regelung, aus der erschlossen werden kann, dass ein Anspruch auf die Beiziehung von Fachärzten bestimmter Richtung bestünde. Es besteht demnach kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie ist schlüssig und geht auf sämtliche Einwendungen und vorgelegten Befunde ein. Die Leiden der Beschwerdeführerin sind entsprechend der Einschätzungsverordnung korrekt eingestuft. Da der Sachverhalt feststeht und die Sache daher entscheidungsreif ist, war dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Einholung weiterer Sachverständigengutachtens nicht Folge zu geben, zumal bereits ein orthopädisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde und der Entscheidung zu Grunde gelegt wird. Es finden sich auch keinerlei Hinweise auf weitere nichtberücksichtigte orthopädische oder neurologische Leiden der Beschwerdeführerin und wurden diese auch von ihr nicht vorgebracht.
Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle beschriebenen Leidenszustände der Beschwerdeführerin in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung - trotz des in der Beschwerde gestellten Antrages auf eine mündliche Verhandlung - ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2226960.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020