TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/4 W237 1437422-4

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Veröffentlicht am 04.05.2020
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Entscheidungsdatum

04.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W237 1437422-4/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2017, Zl. 820977609-150248366:

A)

Das Verfahren wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen die Spruchpunkte III. und IV. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2017, Zl. 820977609-150248366, zu Recht:

A)

1. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Nichterteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

2. Im Übrigen wird der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine den Beschwerdeführer betreffende Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

3. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

4. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 09.03.2015 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, vom russischen MWD (Innenministerium) in Zusammenhang mit unterstellten tschetschenischen Rebellenaktivitäten gesucht zu werden; außerdem habe er wiederholt an Demonstrationen in Österreich gegen das tschetschenische Regime teilgenommen.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 27.04.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.); schließlich hielt die Behörde fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

3. Der Beschwerdeführer erhob über seinen damaligen gewillkürten Rechtsvertreter eine Beschwerde, welche am 14.05.2017 per Fax beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Dieses legte die Beschwerde samt Bezug habendem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2017 vor.

3.1. Am 24.10.2017 gab der vormalige Rechtsvertreter dem Bundesverwaltungsgericht bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis zum Beschwerdeführer aufgelöst sei.

3.2. Am 24.01.2020 legte der Beschwerdeführer die Geburtsurkunde seiner in Österreich am 17.12.2019 geborenen Tochter vor.

3.3. Mit Schreiben vom 27.04.2020 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er seine Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids zurückziehe. Unter einem legte er mehrere Integrationsunterlagen, darunter ein Zeugnis zur Integrationsprüfung des ÖSD, vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste im Juli 2012 unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesasylamt am 05.08.2013 abwies. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 16.04.2014 ab. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erließ dem Beschwerdeführer gegenüber in weiterer Folge am 06.06.2014 eine Rückkehrentscheidung; das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnis vom 28.08.2014 die dagegen erhobene Beschwerde ab. Am 09.03.2015 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, hinsichtlich dessen Verfahrensgang auf die Ausführungen unter Pkt. I. verwiesen wird. Der Beschwerdeführer zog am 27.04.2020 seine Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids zurück.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde in Tschetschenien geboren und wuchs dort mit seinen Eltern und seinen Schwestern auf. Er absolvierte einen Lehrgang für XXXX an der XXXX . Zuletzt wohnte er in Tschetschenien bei seiner Tante und verrichtete Gelegenheitsjobs. Die Eltern, die Schwestern sowie die Tante des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Tschetschenien.

Seit Juli 2012 hält sich der strafgerichtlich unbescholtene Beschwerdeführer durchgehend in Österreich auf. Er erlernte die deutsche Sprache zumindest auf A2-Niveau und besuchte im Oktober 2019 und Februar 2020 Sprachkurse des Niveaus B1; eine entsprechende Sprachprüfung vermochte er aufgrund der COVID-19-pandemiebedingten Einschränkungen zuletzt noch nicht zu absolvieren. Am 27.10.2018 absolvierte der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz des Niveaus A2 und zu Werte- und Orientierungswissen beim ÖSD (Österreichisches Sprachdiplom Deutsch).

Im Zuge seines Aufenthalts in Österreich engagierte sich der Beschwerdeführer freiwillig beim Jugendrotkreuz des Österreichischen Roten Kreuzes, indem er als Migrationsbotschafter ehrenamtlich und unentgeltlich Schulklassen im Bundesland Salzburg besuchte. Im Rahmen von Tandemprojekten übte er mit Studenten die russische Sprache. Infolge dieser Tätigkeiten sprechen sich mehrere Bekannte und Freunde für seinen Verbleib in Österreich aus.

Im August 2018 ehelichte der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsangehörige russischer Herkunft; die gemeinsame Tochter wurde am 17.12.2019 geboren und besitzt ebenso die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Wien im gemeinsamen Haushalt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Einreise sowie seinen asylrechtlichen Verfahren ergeben sich unzweifelhaft aus den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten. Dass er seine Beschwerde vom 14.05.2017 gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheids vom 27.04.2017 zurückzog, ergibt sich zweifelsfrei aus dem von ihm unterschriebenen Schriftsatz vom 27.04.2020, der am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht per Fax einlangte.

2.2. Die Herkunft und der Werdegang des Beschwerdeführers in Tschetschenien wurden entsprechend seinen Angaben in den bisherigen Befragungen, zuletzt seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 23.02.2017, festgestellt; bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf im angefochtenen Bescheid gleichlautende Feststellungen.

Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ist für das Bundesverwaltungsgericht aus einer Einschau in das Strafregister ersichtlich. Die Feststellungen zu seinem Leben, seinen Tätigkeiten und Verbindungen in Österreich seit 2012 konnten anhand der zuletzt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten und im Verwaltungsakt aufliegenden Unterlagen getroffen werden. Anhand dieser Unterlagen ist insbesondere zweifelsfrei der festgestellte Besuch von Deutschkursen sowie die Absolvierung der Integrationsprüfung beim ÖSD am 27.10.2018 ersichtlich. Aus den beigebrachten Unterstützungserklärungen ergibt sich weiters der Zuspruch des sozialen Umfelds des Beschwerdeführers für seinen Verbleib in Österreich.

Dass er im August 2018 eine österreichische Staatsangehörige russischer Herkunft ehelichte, ergibt sich aus den Beschwerdeführer sowie seine Frau betreffenden Auszügen aus dem Zentralen Melderegister. Die Identität der Ehefrau ist dem Bundesverwaltungsgericht durch Vorlage ihres Führerscheins im Rahmen einer am 23.08.2018 vorgenommenen Akteneinsicht bekannt. Dass die gemeinsame Tochter am 17.12.2019 in Wien geboren wurde, ergibt sich unzweifelhaft aus der vorgelegten Geburtsurkunde vom 09.01.2020; auf denselben Tag datiert der dem Bundesverwaltungsgericht ebenso vorgelegte Staatsbürgerschaftsnachweis betreffend die Tochter des Beschwerdeführers. Aus dem Zentralen Melderegister ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer mit seiner Frau und seiner Tochter in Wien im gemeinsamen Haushalt lebt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Der angefochtene Bescheid wurde dem damaligen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 02.05.2017 durch persönliche Übernahme zugestellt. Die am 14.05.2017 per Fax an die belangte Behörde übermittelte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

Zu I.A)

§ 7 Abs. 2 VwGVG normiert, dass eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheids ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch die beschwerdeführende Partei ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich. Mit der Zurückziehung ist das Rechtsschutzinteresse der beschwerdeführenden Partei weggefallen, womit einer Sachentscheidung die Grundlage entzogen und die Einstellung des betreffenden Verfahrens - in dem von der Zurückziehung betroffenen Umfang - auszusprechen ist (vgl. Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2015, § 7 VwGVG, Rz 20; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2013, § 7 VwGVG, K 5 ff.).

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. zu Berufungen Hengstschläger/Leeb, AVG, § 63, Rz 75 mit zahlreichen Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Eine solche Erklärung liegt im vorliegenden Fall vor, weil der Beschwerdeführer die Zurückziehung seiner Beschwerde im Umfang der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids im Schriftsatz vom 27.04.2020 klar zum Ausdruck gebracht hat; einer Sachentscheidung durch das Gericht ist damit die Grundlage entzogen.

Das Beschwerdeverfahren ist daher im genannten Umfang mit Beschluss einzustellen (vgl. dazu VwGH 29.04.2015, 2014/20/0047, wonach aus den Bestimmungen des § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG hervorgeht, dass eine bloß formlose Beendigung [etwa durch Einstellung mittels Aktenvermerkes] eines nach dem VwGVG vom Verwaltungsgericht geführten Verfahrens nicht in Betracht kommt).

Zu I.B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dass bei einer Beschwerdezurückziehung keine Sachentscheidung durch das Gericht mehr getroffen werden kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Zu II.A)

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichterteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005:

3.1.1. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch bezüglich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Mit der Zurückziehung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheids vom 27.04.2017 erwuchs die Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Rechtskraft.

§ 57 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

"'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ?Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ?Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) - (4) [...]"

3.1.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch dieser Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 wurde. Weder behauptete der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Beschwerde finden sich ebenso keine Ausführungen zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids) noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des Bescheids vom 27.04.2017 ist damit abzuweisen.

3.2. Zur Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist:

3.2.1.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

3.2.1.2. § 52 FPG lautet auszugsweise:

"Rückkehrentscheidung

§ 52 (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) - (8) [...]

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) - (11) [...]"

3.2.1.3. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet auszugsweise:

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) - (6) [...]"

3.2.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

3.2.3. Was das Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, ist Folgendes festzuhalten:

3.2.3.1. Vom Prüfungsumfang des Begriffs des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, die miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Nach ständiger Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (EGMR 21.06.1988, Fall Berrehab, Appl. 10.730/84 [Z 21]; 26.05.1994, Fall Keegan, Appl. 16.969/90 [Z 44]); diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.02.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94 [Z 32]). Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (vgl. VfSlg. 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.02.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl. 12.963/87 [Z 72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein - potentielles - Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater s. auch EGMR 15.09.2011, Fall Schneider, Appl. 17.080/07 [Z 81] mwN). Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohls zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen (vgl. VfGH 26.02.2019, E 3079/2018; VfGH 24.09.2018, E 1416/2018, jeweils mit Hinweis auf Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

3.2.3.2. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen, vier Monate alten Tochter, die beide österreichische Staatsangehörige sind, in Wien im gemeinsamen Haushalt. Eine Rückkehrentscheidung würde daher einen schwerwiegenden Eingriff in das in Österreich gelebte Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Frau und dem gemeinsamen Kind bedeuten.

3.2.4. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bedeutete davon abgesehen auch einen schwerwiegenden Eingriff in das in Österreich entfaltete Privatleben des Beschwerdeführers:

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. v. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua v. Norwegen, Appl. 265/07).

3.2.5. Der durch eine Rückkehrentscheidung erfolgende Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich ist in Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände jedenfalls nicht statthaft:

3.2.5.1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit acht Jahren dauerhaft im Bundesgebiet. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sein erstes Asylverfahren mit dem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.04.2014 beendet und ihm gegenüber mit Erkenntnis vom 28.04.2014 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Nur durch die Stellung eines neuen Antrags auf internationalen Schutz am 09.03.2015 konnte er seinen weiteren Aufenthalt in Österreich erwirken. Im Rahmen des Verfahrens zu diesem zweiten Antrag setzte der Beschwerdeführer jedoch keine verfahrensobstruierenden Handlungen, weshalb die über fünfjährige Verfahrensdauer und mittlerweile lange Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers jedenfalls in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist. Allerdings fällt auch ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer am 27.04.2020 seine Beschwerde gegen die Spruchunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids zurückzog und somit sein langer Aufenthalt offenbar nur auf einen nicht begründeten Antrag auf internationalen Schutz gestützt war. Davon abgesehen hat er sich der vorübergehenden Natur seines Aufenthalts stets bewusst sein müssen. Nichts desto weniger muss der bald achtjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers als gravierend für seinen Verbleib im Bundesgebiet sprechend angesehen werden, handelt es sich dabei doch um eine sehr lange Zeitspanne, in der er in den jungen Jahren seines Erwachsenenlebens wesentliche Akzente für seine langfristige Zukunft setzte.

3.2.5.2. Außerdem nutzte er diesen Aufenthalt in Österreich dazu, sich sprachlich und sozial zu integrieren. So erlernte er die deutsche Sprache zumindest auf A2-Niveau und übte gemeinnützige Tätigkeiten in Österreich aus. Diese Tätigkeiten steigern im Sinne eines Beitrags für die Allgemeinheit jedenfalls den Grad seiner Integration und verstärken seine Interessen im Rahmen der durchzuführenden Abwägung nach Art. 8 EMRK. Abgesehen davon sprechen sich mehrere Bekannte und Freunde des Beschwerdeführers in Unterstützungsschreiben für seinen Verbleib in Österreich aus.

3.2.5.3. Ob seine Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht schon deshalb die - stark zu gewichtenden - öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers überwiegen, kann insoweit dahingestellt bleiben, als dies jedenfalls in Ansehung seines Familienlebens mit seiner Ehefrau und insbesondere seiner vier Monate alten Tochter der Fall ist. Den Beschwerdeführer durch eine Rückkehrentscheidung mit einer Ausreiseverpflichtung zu belegen und damit die Trennung von seinem Kleinkind zu verfügen, bedeutete im vorliegenden Fall zweifellos eine Verletzung seines Rechts auf Achtung seines Familienlebens iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK, zumal die Ehefrau und das Kind des Beschwerdeführers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und von der Möglichkeit der Fortführung des Familienlebens gemeinsam in der Russischen Föderation nicht ausgegangen werden kann. Eine allfällige Fortführung des Familienlebens bloß im Wege elektronischer Medien kommt bei einem Elternteil in Bezug auf sein/ihr Kleinkind nicht in Betracht (vgl. VfGH 03.10.2019, E 3247/2019; VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108 mwN).

Eine den Beschwerdeführer betreffende Rückkehrentscheidung würde auch dem - im vorliegenden Verfahren ebenso zu berücksichtigenden - Kindeswohl seiner Tochter in maßgeblicher Weise widersprechen, weil ein Kind grundsätzlich Anspruch auf "verlässliche Kontakte" zu beiden Elternteilen hat (vgl. § 138 Z 9 ABGB), während es im gegenständlichen Fall ohne Vater aufwachsen müsste (vgl. dazu VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0119, Rn. 14, mit dem Hinweis auf VfGH 19.06.2015, E 426/2015; siehe darauf Bezug nehmend auch VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108, Rn. 11). Eine solche Konsequenz bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die im vorliegenden Fall nicht gegeben ist (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 20).

An dieser Beurteilung ändert auch nichts, dass der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und Schwestern nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte in Tschetschenien hat.

3.2.6. Im Sinne dieser zugunsten der Beschwerdeführerin ausfallenden Interessenabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG ist gemäß Abs. 3 leg.cit. festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

3.3. Zur Erteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus":

3.3.1. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird, weil dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

3.3.1.1. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

3.3.1.2. Das Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017 idF BGBl. I Nr. 41/2019 (im Folgenden: IntG), lautet auszugsweise:

"Modul 1 der Integrationsvereinbarung

§ 9. (1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 2 angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

[2. entfallen durch BGBl. I Nr. 41/2019]

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

(5) Ausgenommen von der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 sind Drittstaatsangehörige,

1. die zum Ende des Zeitraums der Erfüllungspflicht (Abs. 2) unmündig sein werden;

2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen;

3. wenn sie schriftlich erklären, dass ihr Aufenthalt die Dauer von 24 Monaten innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten soll; diese Erklärung enthält den unwiderruflichen Verzicht auf die Stellung eines weiteren Verlängerungsantrags im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 11 NAG nach dem ersten Verlängerungsantrag.

(6) Die Behörde kann von Amts wegen mit Bescheid feststellen, dass der Drittstaatsangehörige trotz Vorliegen eines Nachweises gemäß Abs. 4 Z 1 oder 2 das Modul 1 der Integrationsvereinbarung mangels erforderlicher Kenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 nicht erfüllt hat.

(7) Der Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 gemäß Abs. 4 Z 1 bzw. 2 oder Abs. 4 iVm. § 10 Abs. 2 Z 1 bzw. 2 darf zum Zeitpunkt der Vorlage im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens (§ 24 NAG) nicht älter als zwei Jahre sein.

§ 10. [...]

Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1

§ 11. (1) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 wird bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab vom Österreichischen Integrationsfonds durchgeführt.

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

(3) Der Prüfungsinhalt, die Modalitäten der Durchführung, die Qualifikationen der Prüfer sowie die Prüfungsordnung zur Erfüllung des Moduls 1 werden durch Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres festgelegt.

[...]

Inkrafttreten

§ 27. (1) - (6) [...]

(7) § 4 in der Fassung BGBl. I Nr. 41/2019 tritt mit 1. Jänner 2020 in Kraft. Die §§ 5 Abs. 1 und Abs. 1a, 6 Abs. 2 samt Überschrift und Eintrag im Inhaltsverzeichnis, 7 Abs. 3, 8, 9 Abs. 6 und Abs. 7, 10 Abs. 4, 11 Abs. 1 und Abs. 3, 12 Abs. 1 und Abs. 3, 13 Abs. 1 samt Überschrift und Eintrag im Inhaltsverzeichnis, 14 Abs. 3, 15, 16 Abs. 5, 16a bis 16d jeweils samt Überschrift und Eintrag im Inhaltsverzeichnis, 17 Abs. 2 und Abs. 3, 19 Abs. 2 und Abs. 4, 21 Abs. 2 Z 4 und Z 10, 21 Abs. 4, 23 Abs. 1 bis Abs. 4 samt Überschrift und Eintrag im Inhaltsverzeichnis, 24 Abs. 1 und Abs. 3, 25, 27 Abs. 2, 28 Abs. 3 bis Abs. 7 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 41/2019 treten mit 1. Juni 2019 in Kraft. Die §§ 4 Abs. 2 lit. b, 6 Abs. 2, 9 Abs. 4 Z 2, 10 Abs. 2 Z 2, 11 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 6, 12 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 6, 13 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 sowie § 27 Abs. 3 dieses Bundesgesetzes jeweils in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 41/2019 treten mit Ablauf des 31. Mai 2019 außer Kraft.

Übergangsbestimmungen

§ 28. [...]

(5) Nachweise gemäß § 9 Abs. 4 Z 2 und § 10 Abs. 2 Z 2 dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor BGBl. I Nr. 41/2019 zur Erfüllung des Moduls 1 oder des Moduls 2, die während des im Bescheid gemäß den §§ 11 Abs. 4 bzw. 12 Abs. 4 dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor BGBl. I Nr. 41/2019 vorgesehenen Zeitraums ausgestellt wurden, behalten ihre Gültigkeit zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung gemäß den §§ 9 und 10 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 41/2019. § 9 Abs. 7 gilt.

(6) - (7) [...]"

3.3.2. Der Beschwerdeführer absolvierte am 27.10.2018 die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz des Niveaus A2 und zu Werte- und Orientierungswissen beim ÖSD (Österreichisches Sprachdiplom Deutsch). Beim vorgelegten Zeugnis des ÖSD handelt es sich zwar um keinen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds, wie er in § 9 Abs. 4 Z 1 IntG gefordert ist, allerdings um "einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung" gemäß § 9 Abs. 4 Z 2 IntG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 41/2019. Damit erfüllt der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung im Wege der Übergangsbestimmung des § 28 Abs. 5 IntG, weshalb ihm gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 erster Fall AsylG 2005 eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen ist.

3.4. Zur Aufhebung des Spruchpunkts IV. des angefochtenen Bescheids:

Angesichts des erteilten Aufenthaltstitels kann der durch die belangte Behörde getroffene Abspruch über die Frist zur freiwilligen Ausreise keinen Bestand haben. Spruchunkt IV. des Bescheids vom 27.04.2017 ist daher ersatzlos zu beheben.

4. Eine mündliche Verhandlung konnte angesichts der klaren Sachverhaltslage hinsichtlich des Familienlebens des Beschwerdeführers mit seiner Tochter und seiner Ehefrau, des Vorliegens der Voraussetzung nach § 55 Abs. 1 Z 2 erster Fall AsylG 2005 sowie des Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach § 57 Abs. 1 AsylG 2005 unterbleiben.

Zu II.B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen - vor allem betreffend die durch eine Rückkehrentscheidung erfolgende Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens nach Art. 8 EMRK - auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (und des Verfassungsgerichtshofes) bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Verfahrenseinstellung Zurückziehung der Beschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W237.1437422.4.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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