TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 G311 2218378-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs3
FPG §70 Abs3

Spruch

G311 2218378-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Bundesrepublik Deutschland, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2019, Zahl XXXX, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.03.2019 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer Vorstandsmitglied der Organisation "XXXX" und in dieser Funktion dafür verantwortlich sei, dass Mitglieder dieser islamischen Organisation im Laufe des Jahres 2017 durch öffentliche Auftritte gegen das "Anti-Gesichtsverhüllungsgesetzes", sowie im Internet und Fernsehen veröffentlichte Videos, in welchen im Kontext mit der islamischen Jihad-Lehre zur Ablehnung geltender österreichischer Gesetze durch hier lebende Muslime aufgerufen werde, implizit die Anwendung von Gewalt gegen die verfassungsrechtliche Ordnung rechtfertigen würden. In den Videos, welche einer breiten Öffentlichkeit zugänglich seien, würden auch für Laien erkennbar salafistische und teils offen dschihadistische Botschaften transportiert werden. Dieses Fehlverhalten sei ausschlaggebend für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass der Beschwerdeführer sich bisher jemals in Österreich aufgehalten habe und habe er das von ihm gezeigte Verhalten auch nicht in Österreich gesetzt. Dennoch würde er seine Ideologien und radikalen Ansichten über soziale Medien verbreiten und seien diese damit auch in Österreich zugänglich. Das im Ausland gesetzte Verhalten wirke somit auch in Österreich schädlich und staatsfeindlich. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG sei auch gegen Fremde, die sich niemals im Bundesgebiet aufgehalten haben oder nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten (ohne zeitliche Einschränkung) zulässig. § 67 FPG knüpfe nämlich nicht, wie etwa § 52 Abs. 1 FPG, an einen zumindest ehemaligen Aufenthalt im Bundesgebiet an, sondern nur an eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Der Umstand, dass sich der Fremde nicht (mehr) im Bundesgebiet aufhalte und das Bundesamt eine Behörde mit bundesweiter Zuständigkeit sei, spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle, weil auch in anderen Fällen, in denen sich ein Fremder nicht (mehr) im Bundesgebiet aufhält, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung durch das Bundesamt zulässig sei.

Der gegenständliche Bescheid wurde dem bevollmächtigten Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 28.03.2019 zugestellt.

Gegen den oben angeführten Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 24.04.2019, beim Bundesamt am 26.04.2019 einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den angefochtenen Bescheid und somit das Aufenthaltsverbot beheben und das Verfahren einstellen; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt zurückverweisen. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass das Bundesamt kein bzw. kein ausreichendes Ermittlungsverfahren geführt habe, dem Beschwerdeführer die gegen ihn vorliegenden Beweise vorenthalten worden wären und aus dem, dem konkreten Aufenthaltsverbot zugrunde gelegten, Verhalten des Beschwerdeführers im Ausland keine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit und auch keine Staatsgefährdung abgeleitet werden könnte.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt vorgelegt und langten am 06.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland und somit Unionsbürger. Er lebt in der Schweiz.

Der Beschwerdeführer hat sich bisher noch nie in Österreich aufgehalten. Es liegen daher im Zentralen Melderegister auch keine Wohnsitzmeldungen vor. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Im Schengener Informationssystem scheint keine Vormerkung auf.

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Bereits das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer bisher nicht nachweisbar in Österreich aufgehalten hat und hinsichtlich des Beschwerdeführers keinerlei Eintragungen in nationalen Datenbanken bestehen. Auch das Bundesverwaltungsgericht nahm Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister, das Schengener Informationssystem sowie das Fremdenregister der Republik Österreich. Es liegen keine Hinweise vor, dass sich der Beschwerdeführer seit der Bescheiderlassung in Österreich aufgehalten hätte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 28 Abs. 5 VwGVG).

Die Art. 1, Art. 2, Art. 3, Art. 27 und Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (Text von Bedeutung für den EWR), kurz "Freizügigkeitsrichtlinie" bzw. Richtlinie 2004/38/EG in der geltenden, konsolidierten Fassung vom 16.06.2011, lauten auszugsweise:

"Artikel 1

Gegenstand

Diese Richtlinie regelt

a) die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebietes der Mitgliedsstaaten genießen;

b) das Recht auf Daueraufenthalt der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten;

c) die Beschränkungen der in den Buchstaben a) und b) genannten Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. "Unionsbürger" jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats besitzt;

[...]

3. "Aufnahmemitgliedstaat" den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.

Artikel 3

Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der besitzt, begibt oder sich dort aufhält, [...].

KAPITEL VI

BESCHRÄNKUNGEN DES EINREISE- UND AUFENTHALTSRECHTS AUS GRÜNDEN DER ÖFFENTLICHEN ORDNUNG, SICHERHEIT ODER GESUNDHEIT

Artikel 27

Allgemeine Grundsätze

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

(3) Um festzustellen, ob der Betroffene eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, kann der Aufnahmemitgliedstaat bei der Ausstellung der Anmeldebescheinigung oder - wenn es kein Anmeldesystem gibt - spätestens drei Monate nach dem Zeitpunkt der Einreise des Betroffenen in das Hoheitsgebiet oder nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet gemäß Artikel 5 Absatz 5 gemeldet hat, oder bei Ausstellung der Aufenthaltskarte den Herkunftsmitgliedstaat und erforderlichenfalls andere Mitgliedstaaten um Auskünfte über das Vorleben des Betroffenen in strafrechtlicher Hinsicht ersuchen, wenn er dies für unerlässlich hält. Diese Anfragen dürfen nicht systematisch erfolgen. Der ersuchte Mitgliedstaat muss seine Antwort binnen zwei Monaten erteilen.

(4) Der Mitgliedstaat, der den Reisepass oder Personalausweis ausgestellt hat, lässt den Inhaber des Dokuments, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit aus einem anderen Mitgliedstaat ausgewiesen wurde, ohne jegliche Formalitäten wieder einreisen, selbst wenn der Personalausweis oder Reisepass ungültig geworden ist oder die Staatsangehörigkeit des Inhabers bestritten wird.

Artikel 28

Schutz vor Ausweisung

(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.

(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet auszugsweise:

"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

[...]

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 05.05.2011, Rs C-434/09, den Begriff des "Berechtigten" iSd Art. 3 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie und damit den Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgelegt. Daraus ergibt sich auszugsweise:

"[...]

Zur Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38

30 Im ersten Teil der vorliegenden, vom Gerichtshof umformulierten Frage geht es darum, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass diese Richtlinie auf einen Bürger in der Lage von Frau McCarthy anwendbar ist, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet.

31 Eine grammatikalische, teleologische und systematische Auslegung dieser Bestimmung führt dazu, diese Frage zu verneinen.

32 Erstens nämlich ist Berechtigter im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 jeder Unionsbürger, der sich in einen "anderen" als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, "begibt" oder sich dort aufhält.

33 Zweitens trifft zwar zu, dass - wie in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist - die Richtlinie 2004/38 die Ausübung des jedem Unionsbürger unmittelbar verliehenen elementaren und persönlichen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern und verstärken soll, doch betrifft ihr Gegenstand - wie aus ihrem Art. 1 Buchst. a hervorgeht - die Bedingungen, unter denen dieses Recht ausgeübt wird.

34 Da - wie in Randnr. 29 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist - der Aufenthalt einer Person, die in dem Mitgliedstaat wohnt, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, keinen Bedingungen unterworfen werden kann, kann die Richtlinie 2004/38, die die Bedingungen für die Ausübung des Rechts betrifft, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht dazu bestimmt sein, auf einen Unionsbürger Anwendung zu finden, der aufgrund der Tatsache, dass er sich in dem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, über ein nicht an Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht verfügt.

35 Drittens geht aus der Richtlinie 2004/38 als Ganzes hervor, dass der Aufenthalt im Sinne der Richtlinie mit der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit in Zusammenhang steht.

36 So definiert zunächst Art. 1 Buchst. a dieser Richtlinie deren Gegenstand unter Bezugnahme auf "das" Recht "auf Freizügigkeit und Aufenthalt" innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten, das Unionsbürger genießen. Eine solche Wechselbeziehung zwischen Aufenthalt und Freizügigkeit ergibt sich zudem sowohl aus dem Titel dieser Richtlinie als auch aus den meisten ihrer Erwägungsgründe, deren zweiter im Übrigen ausschließlich auf die Freizügigkeit Bezug nimmt.

37 Ferner betreffen die Aufenthaltsrechte im Sinne der Richtlinie 2004/38, also sowohl das in deren Art. 6 und 7 vorgesehene Aufenthaltsrecht als auch das Recht auf Daueraufenthalt nach ihrem Art. 16, den Aufenthalt eines Unionsbürgers entweder im Gebiet "eines anderen Mitgliedstaats" oder "im Aufnahmemitgliedstaat" und regeln somit die Rechtsstellung eines Unionsbürgers in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt.

38 Schließlich bezeichnet zwar - wie in Randnr. 32 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist - Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 als "Berechtigten" im Sinne dieser Richtlinie jeden Unionsbürger, der sich in einen Mitgliedstaat begibt oder sich dort aufhält, doch ist ihrem Art. 22 zu entnehmen, dass sich der räumliche Geltungsbereich des Rechts auf Aufenthalt und des Rechts auf Daueraufenthalt im Sinne dieser Richtlinie auf das gesamte Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats erstreckt, der in deren Art. 2 Nr. 3 als der Mitgliedstaat definiert wird, in den sich der Unionsbürger "begibt", um dort "sein" Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten auszuüben.

39 Daher fällt ein Unionsbürger in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens, soweit er noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht unter den Begriff "Berechtigter" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, so dass diese auf ihn nicht anwendbar ist.

40 Auf diese Feststellung kann es keinen Einfluss haben, dass dieser Bürger auch die Staatsangehörigkeit eines anderen als des Mitgliedstaats besitzt, in dem er sich aufhält.

41 Dass ein Bürger die Staatsangehörigkeit mehr als eines Mitgliedstaats besitzt, bedeutet insoweit nämlich nicht, dass er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte.

42 Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass, da ein Unionsbürger wie Frau McCarthy nicht unter den Begriff "Berechtigter" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fällt, auch sein Ehegatte nicht unter diesen Begriff fällt, da die durch diese Richtlinie den Familienangehörigen eines nach ihr Berechtigten verliehenen Rechte keine eigenen Rechte dieser Angehörigen, sondern abgeleitete Rechte sind, die sie als Familienangehörige des Berechtigten erworben haben (vgl. in Bezug auf die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 geltenden Rechtsvorschriften der Union Urteile vom 8. Juli 1992, Taghavi, C-243/91, Slg. 1992, I-4401, Randnr. 7, und Eind, Randnr. 23).

43 Folglich ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar ist."

Im gegenständlichen Fall wurde gegen den Beschwerdeführer, einen deutschen Staatsangehörigen und damit Unionsbürger, vom Bundesamt ein Aufenthaltsverbot erlassen, ohne, dass sich der Beschwerdeführer jemals im Bundesgebiet aufgehalten hätte.

Zum Anwendungsbereich der RL 2004/38/EG führt der EuGH wie oben wiedergegeben in seiner Entscheidung Rs C-434/09 vom 05.05.2011 im Wesentlichen aus, dass aus der Gesamtheit der Richtlinie hervorgeht, dass der Aufenthalt im Sinne der Richtlinie mit der konkreten Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit in Zusammenhang steht (Rz 35) und sich eine Wechselbeziehung zwischen Aufenthalt und Freizügigkeit sowohl aus dem Titel der Richtlinie als auch aus den meisten ihrer Erwägungsgründe ergibt (Rz 36). Ferner betreffen die Aufenthaltsrechte im Sinne der Richtlinie den Aufenthalt eines Unionsbürgers entweder im Gebiet "eines anderen Mitgliedsstaates" oder im "Aufnahmemitgliedsstaat" und regeln somit die Rechtsstellung des Unionsbürgers in einem Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt (Rz 37). Auch der VwGH sieht im Erkenntnis vom 12.12.2012, 2012/18/0160, betreffend ein Aufenthaltsverbot als Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Freizügigkeitsrichtlinie iSd Art. 3 Abs. 1 RL, dass sich der betreffende Unionsbürger in einen anderen Mitgliedsstaat begeben haben muss.

§ 67 Abs. 1 FPG dient (wie auch die Vorgängerbestimmung des § 86 Abs. 1 FrPolG) insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 der Richtlinie 2004/38/EG und ist eine unionsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Interpretation geboten, da das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinne der Richtlinie beinhaltet (vgl VwGH vom 24.03.2015, Ro 2014/21/0079; vom 12.03.2013, 2012/18/0228).

Da die Freizügigkeitsrichtlinie, welche unter anderem mit den §§ 66 ff FPG in nationales Recht umgesetzt wurde, nur auf Sachverhalte bezieht, die sich bei Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts durch einen Unionsbürger (daher die Einreise und den Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsstaat, als dessen Staatsangehörigkeit der betreffende Unionsbürger besitzt) ergeben, kann ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG nur nach Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts verhängt werden, zumal es sich bei einem Aufenthaltsverbot gerade um eine Einschränkung dieses aus der Freizügigkeitsrichtlinie (bzw. des, durch Richtlinie konkretisierten, sich aus den unionsrechtlichen Verträgen) ergebenden Freizügigkeitsrechts handelt und der betreffende Unionsbürger andernfalls nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie (und damit, implizit im Sinne einer richtlinienkonformen Interpretation, des § 67 FPG) fällt (siehe dazu VwGH 19.09.2019, Ro 2019/21/0011).

Eine Ausweisungsentscheidung gemäß § 66 FPG setzt zwingend einen Inlandsaufenthalt voraus (vgl VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237). In Sinne einer richtlinienkonformen sowie verfassungskonformen Interpretation ist eine Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für ein Aufenthaltsverbot im Vergleich zu einer Ausweisung nicht gerechtfertigt (vgl VwGH 12.03.2013, 2012/18/0228). Daraus ergibt sich im Sinne eines Größenschlusses, dass der von einem Aufenthaltsverbot Betroffene sich zumindest einmal im Bundesgebiet aufgehalten haben muss (auch wenn er sich zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht mehr im Bundesgebiet aufhält).

Für diese Interpretation spricht schließlich auch der Wortlaut § 67 Abs. 4 zweiter Satz FPG, wonach "die Frist des Aufenthaltsverbotes" mit "Ablauf des Tages der Ausreise" beginnt.

§ 67 Abs. 4 zweiter Satz FPG nimmt somit wörtlich Bezug auf eine "Ausreise", die eine vorangehende "Einreise" und/oder einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt.

Auch wenn § 67 FPG - entgegen § 52 FPG - nicht ausdrücklich einen Aufenthalt des Betroffenen im Bundesgebiet als (eine) Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes normiert, so ergibt sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes aus den obigen Ausführungen insgesamt, dass ein solcher Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist.

Nachdem sich der Beschwerdeführer unstrittig bisher nie im Bundesgebiet aufgehalten hat, liegt diese Voraussetzung gegenständlich nicht vor. Es war daher, ohne auf eine allfällige, vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung für die öffentliche Ordnung und/oder Sicherheit einzugehen, schon aus diesen Gründen der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben, da sich der Bescheid als rechtswidrig erweist. Dementsprechend erübrigen sich auch weitere Ausführungen zur Nichtgewährung des Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG und der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG (VwGH 19.09.2019, Ro 2019/21/0011).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Sein Vorbringen wurde der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt. Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch ist diese Rechtsprechung als uneinheitlich zu bewerten. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen liegen nicht vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung individuelle Verhältnisse Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2218378.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten