TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 G310 2229630-1

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Veröffentlicht am 06.05.2020
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Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6

Spruch

G310 2229630-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Albanien vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2020, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Einreiseverbots zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass Spruchpunkt II. und IV. zu lauten haben:

"II. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen."

"IV. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wies sich am XXXX.2020 am XXXXvor einem Flug in das Vereinigte Königreich mit einem gefälschten Dokument aus. Aufgrund dessen wurde ihm die Einreise in das Vereinigte Königreich verweigert und er wurde noch am selben Tag nach Österreich rücküberstellt und festgenommen. Nach seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde ihm mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Albanien zulässig sei (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Am XXXX.2020 reiste der BF nach Albanien aus.

Gegen den Bescheid richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, den gegenständlichen Bescheid zur Gänze zu beheben, in eventu das Einreiseverbot zu beheben bzw. das Einreiseverbot zu verkürzen. Hilfsweise stellt der BF einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass in Bezug auf die Mittellosigkeit unzureichende Erhebungen durchgeführt worden seien. Der BF habe über ungefähr EUR 1.150,00 verfügt. Auch verfüge der BF über einen Aufenthaltstitel in Italien. Er habe nie die Absicht gehabt, sich in Österreich aufzuhalten. Aus seinem Gesamtverhalten könne keine gegenwärtige Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen.

Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 19.03.2020, XXXX, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht zuerkannt.

Feststellungen:

Der BF kam am XXXX im albanischen Ort XXXX zur Welt. Er ist albanischer Staatsangehöriger und spricht Albanisch. In seinem Herkunftsstaat, wo seine Eltern und seine Großeltern nach wie vor leben, besuchte er 11 Jahre lang die Schule. Danach verkaufte er Zigaretten im Geschäft seines Vaters und sein Großvater führte eine Pension.

Ein Bruder von ihm lebt ihn Italien. Bei diesem hat er sich zuvor ungefähr ein Jahr und zwei Monate aufgehalten und ging einer illegalen Beschäftigung nach, ist aber immer wieder nach Albanien zurückgereist.

Laut den Ermittlungsergebnissen des Polizeikooperationszentrums XXXX liegen den italienischen Behörden Daten zu einem albanischen Reisepass und einer italienischen Identitätskarte des BF vor, was aber nicht einen Aufenthaltstitel für Italien beinhaltet.

Der BF hatte einen gültigen albanischen Reisepass, mit welchen er am XXXX.2020 von Italien in das österreichische Bundesgebiet einreiste. Nach einer Übernachtung in einem Hotel in XXXX, ist er am XXXX.2020 unter Verwendung eines gefälschten italienischen Personalausweises bei der Grenzkontrolle am Flughaften XXXX in das Vereinigte Königreich weitergereist. Seinen albanischen Reisepass hat er im Zuge dieser Reisebewegung weggeschmissen. Zum Zeitpunkt seiner Einlieferung in das Polizeianhaltezentrum XXXXhatte der BF noch ungefähr EUR 360,00 bei sich.

Mit der rechtskräftigen Strafverfügung der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2020, XXXX, wurde gegen den BF wegen nicht rechtmäßigen Aufenthalts (§ 120 Abs. 1a FPG iVm § 31 Abs. 1, 1a FPG) eine Geldstrafe von EUR 500,00 verhängt, die eingehobene vorläufige Sicherheitsleistung in der Höher von EUR 500,00 wurde angerechnet.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig, ledig und kinderlos und in strafrechtlicher Hinsicht unbescholten. In Österreich hat er keine familiären oder sonstigen sozialen Bindungen. Er ist hier weder sprachlich noch beruflich noch gesellschaftlich integriert.

Albanien ist seit 2009 NATO-Mitglied und seit 2014 EU-Beitrittskandidat. Die Todesstrafe ist abgeschafft. In Albanien herrschen keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen. Rückgeführte Staatsangehörige werden nicht diskriminiert und haben nicht mit staatlicher Repression zu rechnen. Es sind keine Fälle von Misshandlungen bekannt. Eine Festnahme erfolgt nur, wenn gegen eine Person aufgrund anderer Delikte ermittelt wird. Albanien kommt seinen im Rücknahmeabkommen mit der EU kodifizierten Verpflichtungen nach.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor. Die Angaben des BF bei der Einvernahme vor dem BFA waren grundsätzlich schlüssig und können der Entscheidung daher zugrunde gelegt werden.

Die Identität des BF wird anhand der vorliegenden Kopie aus seinem Reisepass festgestellt. Albanischkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft und der in Albanien absolvierten Ausbildung plausibel. Die Feststellungen zu seiner Ausbildung und seinen familiären Anknüpfungen in Albanien und Italien basieren auf seiner Darstellung vor dem BFA. Auch seine Einreise in das Bundesgebiet, der anschließende Aufenthalt in XXXX und die Weiterreise in das Vereinigte Königreich werden auf dieser Grundlage festgestellt.

In Bezug auf die Verwendung eines gefälschten italienischen Personalausweises für die Weiterreise in das Vereinigte Königreich war der BF geständig. Seine Unbescholtenheit in Österreich geht aus dem Strafregister hervor; Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten bestehen nicht. Die Strafanzeige liegt im Akt auf, ebenso die dem BFA am 08.03.2020 übermittelten Ermittlungsergebnisse des Polizeikooperationszentrums XXXX.

Der BF bezeichnete sich vor dem BFA als gesund; Indizien für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen seiner Erwerbsfähigkeit fehlen. Er erklärte außerdem, ledig und kinderlos zu sein.

Es sind keine Anhaltspunkte für eine Integration des BF in Österreich zutage getreten, zumal er ohnehin nach einem kurzen Aufenthalt in XXXX in das Vereinigte Königreich weiterreisen wollte. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu seinem in Italien lebenden Bruder lässt sich seinen Angaben nicht entnehmen. Da auch der Beschwerde keine weiteren relevanten privaten oder familiären Bindungen des BF in Österreich oder anderen Vertragsstaaten zu entnehmen sind, ist von deren Fehlen auszugehen.

Der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung XXXX.2020 geht hervor, dass sich EUR 360,90 an Bargeld unter den Effekten befanden. Beweisergebnisse für weitere finanzielle Mittel liegen nicht vor. Auch gab der BF anlässlich seiner Einvernahme an, dass keine Möglichkeit bestehe, in Österreich auf legale Art und Weise an Geld zu kommen und sich das mitgeführte Bargeld von Freunden in Italien ausgeborgt zu haben.

Die Feststellungen zur Lage in Albanien beruhen auf den vom BF nicht beanstandeten Länderinformationen, die im angefochtenen Bescheid unter Angabe konkreter Quellen angegeben wurden. Die Behörde hat dabei Berichte verschiedener allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Es wurden im Verfahren keine Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit dieser Informationen Bedenken aufkommen ließen. Auch in der Beschwerde werden weder die Aktualität noch die inhaltliche Richtigkeit dieser Informationen in Zweifel gezogen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Der BF ist als albanischer Staatsangehöriger mit einem biometrischen Reisepass von der Visumpflicht für einen Aufenthalt im Schengengebiet, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, gemäß Art 4 Abs. 1 iVm Anhang II Teil 1 der Verordnung (EU) 2018/1806 (EU-Visum-Verordnung) befreit. Er konnte daher unter den Einreisevoraussetzungen des Art 6 Abs. 1 lit a, c, d und e der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex [SGK]; vgl. § 2 Abs. 4 Z 22a FPG) in das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten einreisen und sich dort gemäß Art 20 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ; vgl. § 2 Abs. 4 Z 6 FPG) unter den Voraussetzungen des Art 5 Abs. 1 lit a, c, d und e SDÜ frei bewegen. Zu diesen Voraussetzungen gehört unter anderem, dass er den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen kann, über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem ihre Zulassung gewährleistet ist, verfügt oder in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben, und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellt.

Gemäß Art 6 Abs. 4 SGK werden die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts nach der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts und unter Zugrundelegung der Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung in dem betreffenden Mitgliedstaat nach Maßgabe eines mittleren Preisniveaus für preisgünstige Unterkünfte bewertet, die um die Zahl der Aufenthaltstage multipliziert werden. Die Feststellung ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts kann anhand von Bargeld, Reiseschecks und Kreditkarten erfolgen, die sich im Besitz des Drittstaatsangehörigen befinden. Sofern in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen, können auch Verpflichtungserklärungen und - im Falle des Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen bei einem Gastgeber - Bürgschaften von Gastgebern im Sinne des nationalen Rechts Nachweise für das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts darstellen.

Ein Fremder hat initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (VwGH 19.12.2018, Ra 2018/20/0309).

Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet widersprach Art 5 Abs. 1 lit e SDÜ, weil er versuchte, mit einem gefälschten Ausweisdokument in das Vereinigte Königreich weiterzureisen und damit eine Straftat (Fälschung besonders geschützter Urkunden, §§ 223 f StGB) beging. Schon die Absicht der Begehung einer Straftat reicht aus, um ein gefährdendes Verhalten iSd Art 6 Abs. 1 lit e SGK und Art 5 Abs. 1 lit e SDÜ anzunehmen.

Die Einschätzung des BFA, der BF habe das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht nachgewiesen, ist nicht zu beanstanden, zumal er bei der Festnahme nur über finanzielle Mittel von ca. EUR 360,00 verfügte und keine weiteren Mittel nachwies. Da der BF volljährig ist und in seinem Herkunftsstaat bereits einer Erwerbstätigkeit nachging, ist er als selbsterhaltungsfähig anzusehen sodass kein Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern oder andere Familienangehörige besteht. Er hat daher keinen Rechtsanspruch auf eine finanzielle Unterstützung durch sie. Außerdem hatte er gar nicht vor, nach Albanien zurückzukehren, sondern wollte nach London weiterreisen und dort arbeiten, sodass EUR 360,00 für die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung während der beabsichtigten Aufenthaltsdauer und für die Rückreise nach Albanien nicht als ausreichend anzusehen sind, zumal er keine Möglichkeit hatte, weitere Unterhaltsmittel auf legalem Weg zu erwerben.

Der BF hielt somit die Bedingungen und Befristungen für den visumfreien Aufenthalt nicht ein und konnte auch keinen (erlaubten) Zweck ihres Aufenthalts iSd Art 6 Abs. 1 lit c SGK und Art 5 Abs. 1 lit e SDÜ belegen, zumal sie damit die Weiterreise nach London ohne die dafür notwendigen Voraussetzungen bezweckte. Das BFA ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass sein Aufenthalt nicht rechtmäßig iSd § 31 Abs. 1a FPG war. Es lag keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG für einen rechtmäßigen Aufenthalt vor.

Es liegen auch keine Gründe für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG ("Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz") an den BF vor, weil sein Aufenthalt nie geduldet iSd § 46a FPG war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er Zeuge oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt wurde. Die in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG erfolgte daher zu Recht.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 52 Abs. 1 FPG hat das BFA eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn sich ein Drittstaatsangehöriger oder eine Drittstaatsangehörige nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z 2).

Eine Rückkehrentscheidung, die in das Privat- oder Familienleben eingreift, ist zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (siehe z.B. VwGH 25.04.2019, Ra 2019/19/0114).

Hier ist mit der Rückkehrentscheidung kein Eingriff in das Familienleben des volljährigen, alleinstehenden BF iSd § 9 Abs 2 Z 2 BFA-VG verbunden. Es bestehen keine signifikanten privaten, sozialen, beruflichen oder gesellschaftlichen Anknüpfungen in Österreich oder anderen Vertragsstaaten. Der BF hat gemäß § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG maßgebliche starke Bindungen zu seinem Heimatstaat Albanien, wo er einen großen Teil seines Lebens, insbesondere die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend, verbrachte, eine Ausbildung absolvierte, einer Erwerbstätigkeit nachging und familiäre Anknüpfungen hat. Da er ein erwachsener, gesunder junger Mann mit einer mehrjährigen Schulbildung und Berufserfahrung ist, wird es ihm möglich sein, sich nach der Rückkehr nach Albanien dort auch wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen. Der BF kann den Kontakt zu seinem in Italien lebenden Bruder über diverse Kommunikationsmittel (Telefon, E-Mail, Internet, soziale Netzwerke) und bei Besuchen in Albanien (oder in anderen Staaten außerhalb des Schengen-Gebiets) pflegen.

Die gemäß § 9 Abs. 2 Z 6 BFA-VG zu berücksichtigende strafrechtliche Unbescholtenheit des BF vermag weder sein Interesse an einem Verbleib zu verstärken noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung entscheidend abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Aufgrund der Verwendung gefälschter Dokumente ist ihm zumindest ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs. 2 Z 7 BFA-VG anzulasten. Den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerungen iSd § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG liegen nicht vor.

In einer Gesamtbetrachtung ergibt sich bei der nach § 9 BFA-VG iVm Art 8 Abs 2 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF schwerer wiegt als persönliche Interessen am Verbleib, zumal der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt. Das BFA ging somit im Ergebnis zu Recht davon aus, dass Art 8 EMRK durch die Rückkehrentscheidung nicht verletzt wird.

Gegen den BF ist daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, die aufgrund der zwischenzeitig erfolgten Ausreise nicht mehr auf § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gestützt wird, sondern die weitere Rechtsgrundlage in § 52 Abs. 1 Z 2 FPG findet (siehe (VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234). Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist mit dieser Maßgabe zu bestätigen.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:

Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs. 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs. 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs. 3).

Hier trifft keine dieser Voraussetzungen zu. Konkrete Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung gehen weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vorbringen des BF hervor. Unter Berücksichtigung der stabilen Situation in Albanien sowie der Lebensumstände des gesunden und erwerbsfähigen BF ist die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung, die hier in erster Linie die Funktion hat, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen (vgl. VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044), nicht korrekturbedürftig.

Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig von seinem bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs. 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine Gefährdung öffentlicher Interessen indiziert. Dies ist demnach z.B. dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG). In diesem Fall kann ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden.

Ein Einreiseverbot ist dann zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des oder der Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Die Einschätzung des BFA, der BF habe das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht nachgewiesen, ist nicht zu beanstanden, zumal er bei der Festnahme nur über finanzielle Mittel von ca. EUR 360,00 verfügte und keine weiteren Mittel nachwies. Da der BF volljährig ist, ist er als selbsterhaltungsfähig anzusehen, sodass kein Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern oder andere Familienangehörige besteht. Er hat daher keinen Rechtsanspruch auf eine finanzielle Unterstützung durch sie. Außerdem hatte er gar nicht vor, nach Albanien zurückzukehren, sondern wollte in das Vereinigte Königreich weiterreisen, sodass EUR 360,00 für die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung während der beabsichtigten Aufenthaltsdauer und für die Rückreise nach Albanien nicht als ausreichend anzusehen sind, zumal er keine Möglichkeit hatte, weitere Unterhaltsmittel auf legalem Weg zu erwerben.

Aus der Mittellosigkeit des BF resultiert die Gefahr der Beschaffung der Unterhaltsmittel aus illegalen Quellen bzw. einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, weshalb im Fall des Fehlens ausreichender Unterhaltsmittel die Annahme einer Gefährdung im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG gerechtfertigt ist (VwGH 19.12.2018, Ra 2018/20/0309). Da dem BF neben dem Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel auch zur Last fällt, dass er gefälschte Dokumente verwendete und versuchte, eine unrichtige Identität als EWR-Bürger vorzutäuschen, um so unbehelligt in das Vereinigte Königreich weiterzureisen, geht von ihm eine signifikante Gefährdung öffentlicher Interessen aus. Dem BFA ist vor diesem Hintergrund darin beizupflichten, dass für ihn keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden kann und Wiederholungsgefahr besteht.

Private oder familiäre Interessen des BF stehen der Verhängung eines bis zu fünfjährigen Einreiseverbots nicht entgegen. Es bestehen keine signifikanten privaten, sozialen, beruflichen oder gesellschaftlichen Anknüpfungen in Österreich oder anderen Vertragsstaaten. Er hat starke Bindungen zu seinem Heimatstaat Albanien, wo er den Großteil seines Lebens verbrachte, die Schule absolvierte und seine Eltern und Schwestern leben. Als gesundem, alleinstehendem jungem Mann mit einer abgeschlossenen Schulbildung wird es ihm möglich sein, sich nach der Rückkehr nach Albanien dort auch wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF vermag weder sein Interesse an einem Verbleib zu verstärken noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthalts und der Verwendung gefälschter Dokumente sind ihm Verstöße gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs. 2 Z 7 BFA-VG anzulasten. Den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerungen liegen nicht vor.

Im Ergebnis sind somit die Voraussetzungen für die Erlassung eines maximal fünfjährigen Einreiseverbots erfüllt. Dessen Dauer ist aber - in teilweiser Stattgebung der Beschwerde - auf zwei Jahre zu reduzieren, was dem Fehlverhalten des (noch) unbescholtenen BF entspricht. Dadurch bleibt auch eine Steigerung der Sanktion bei einem neuerlichen, allenfalls schwerwiegenderen Fehlverhalten möglich.

Zu Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheids:

Da keine Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG vorlagen, ist daran anknüpfend gemäß § 55 Abs. 4 FPG von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen; dies gilt unabhängig von einem allenfalls später geplanten Antrag auf Aufhebung oder Verkürzung des Einreiseverbots.

Zum Entfall einer Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG die beantragte Beschwerdeverhandlung, von der keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil B):

Die Revision ist nicht zu zulassen, weil das BVwG keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen hatte und sich an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte. Die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorzunehmende Interessenabwägung und die Erstellung einer Gefährdungsprognose können jeweils nur im Einzelfall beurteilt werden (vgl. VwGH 10.07.2019, Ra 2019/19/0186).

Schlagworte

Einreiseverbot Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen Resozialisierung Rückkehrentscheidung Unbescholtenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2229630.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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