Entscheidungsdatum
06.05.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G310 2229418-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Albanien vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2020, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Einreiseverbots zu Recht:
A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat:
"Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen."
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.2020 am XXXX festgenommen, weil er sich vor einem Flug in das Vereinigte Königreich mit gefälschten italienischen Dokumenten ausgewiesen hatte. Nach seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde ihm mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Albanien zulässig sei (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Am 13.02.2020 wurde der BF nach Albanien abgeschoben.
Gegen den Spruchpunkt IV. des Bescheids richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, das Einreiseverbot zu beheben, in eventu, das Einreiseverbot zu verkürzen bzw. den Bescheid im Anfechtungsumfang zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass selbst wenn der Tatbestand der Mittellosigkeit erfüllt sei, sei dies für die Erlassung eines Einreiseverbots nicht ausreichend. Zudem sei der BF unbescholten, habe sich geständig gezeigt und sei sofort bereit gewesen, auszureisen. Aus seinem Gesamtverhalten könne keine gegenwärtige Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen.
Feststellungen:
Der BF kam am XXXX im albanischen Ort XXXX zur Welt. Er ist albanischer Staatsangehöriger und spricht Albanisch. In seinem Herkunftsstaat, wo seine Eltern und seine beiden Schwestern nach wie vor leben, besuchte er zwölf Jahre lang die Schule, besuchte einen Kurs für Thermohydraulik und lebte von der Unterstützung seiner Familie.
Der BF hat einen am XXXX.2019 ausgestellten und bis XXXX.2029 gültigen albanische Reisepass, mit welchen er am XXXX.2020 von Italien in das österreichische Bundesgebiet einreiste. Nach einer Übernachtung in einem Hotel in XXXX, beabsichtigte er am XXXX.2020 unter Verwendung von gefälschten italienischen Dokumenten bei der Grenzkontrolle am XXXX in das Vereinigte Königreich weiterzureisen. Bei seiner Festnahme hatte er noch ungefähr EUR 60,00 in bar bei sich.
Bereits vor zwei Jahren hat sich der BF in Italien aufgehalten, um illegal drei Monate auf einem Tabakfeld zu arbeiten.
Mit der rechtskräftigen Strafverfügung der XXXX vom XXXX.2020, XXXX, wurde gegen den BF wegen nicht rechtmäßigen Aufenthalts (§ 120 Abs. 1a FPG iVm § 31 Abs. 1, 1a FPG) eine Geldstrafe von EUR 500,00 verhängt.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig, ledig und kinderlos und in strafrechtlicher Hinsicht unbescholten. In Österreich hat er keine familiären oder sonstigen sozialen Bindungen. Er ist hier weder sprachlich noch beruflich noch gesellschaftlich integriert. Familiäre oder sonstige private Bindungen in anderen Vertragsstaaten bestehen nicht.
Albanien ist seit 2009 NATO-Mitglied und seit 2014 EU-Beitrittskandidat. Die Todesstrafe ist abgeschafft. In Albanien herrschen keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen. Rückgeführte Staatsangehörige werden nicht diskriminiert und haben nicht mit staatlicher Repression zu rechnen. Es sind keine Fälle von Misshandlungen bekannt. Eine Festnahme erfolgt nur, wenn gegen eine Person aufgrund anderer Delikte ermittelt wird. Albanien kommt seinen im Rücknahmeabkommen mit der EU kodifizierten Verpflichtungen nach.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor. Die Angaben des BF bei der Einvernahme vor dem BFA waren grundsätzlich schlüssig und können der Entscheidung daher zugrunde gelegt werden.
Die Identität des BF wird anhand der vorliegenden Kopie aus seinem Reisepass festgestellt. Albanischkenntnisse sind aufgrund seiner Herkunft und der in Albanien absolvierten Ausbildung plausibel. Die Feststellungen zu seiner Ausbildung und seinen familiären Anknüpfungen in Albanien basieren auf seiner Darstellung vor dem BFA. Auch seine Einreise in das Bundesgebiet, der anschließende Aufenthalt in XXXX und die beabsichtigte Weiterreise in das Vereinigte Königreich werden auf dieser Grundlage festgestellt. Selbiges gilt für seine illegale Beschäftigung vor zwei Jahren in Italien.
In Bezug auf die Verwendung von gefälschten italienischen Dokumenten, nämlich Personalausweis und Versicherungskarte, für die Weiterreise in das Vereinigte Königreich war der BF geständig. Seine Unbescholtenheit in Österreich geht aus dem Strafregister hervor; Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten bestehen nicht.
Der BF bezeichnete sich vor dem BFA als gesund; Indizien für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen seiner Erwerbsfähigkeit fehlen. Er erklärte außerdem, ledig und kinderlos zu sein.
Es sind keine Anhaltspunkte für eine Integration des BF in Österreich zutage getreten, zumal er ohnehin nach einem kurzen Aufenthalt in XXXX in das Vereinigte Königreich weiterreisen wollte. Da auch der Beschwerde keine weiteren relevanten privaten oder familiären Bindungen des BF in Österreich oder anderen Vertragsstaaten zu entnehmen sind, ist von deren Fehlen auszugehen.
Bei der Einvernahme gab der BF Bargeld in der Höhe von EUR 60,00 an. Aus der Aufenthaltsinformation vom 05.02.2020 des Polizeianhaltezentrums XXXXgeht hervor, dass sich lediglich Bargeld, aber keine Bankomat- oder Kreditkarte unter den Effekten befand. Beweisergebnisse für weitere finanzielle Mittel liegen nicht vor. Auch gab der BF anlässlich seiner Einvernahme an, dass keine Möglichkeit bestehe, in Österreich auf legale Art und Weise an Geld zu kommen.
Die Feststellungen zur Lage in Albanien beruhen auf den vom BF nicht beanstandeten Länderinformationen, die im angefochtenen Bescheid unter Angabe konkreter Quellen angegeben wurden. Die Behörde hat dabei Berichte verschiedener allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Es wurden im Verfahren keine Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit dieser Informationen Bedenken aufkommen ließen. Auch in der Beschwerde werden weder die Aktualität noch die inhaltliche Richtigkeit dieser Informationen in Zweifel gezogen.
Rechtliche Beurteilung:
Der BF ließ die Spruchpunkte I. bis III., V. und VI. des angefochtenen Bescheids ausdrücklich unbekämpft.
Zu Spruchteil A):
Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig von seinem bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs. 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine Gefährdung öffentlicher Interessen indiziert. Dies ist demnach z.B. dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG). In diesem Fall kann ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden.
Ein Einreiseverbot ist dann zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des oder der Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).
Die Einschätzung des BFA, der BF habe das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht nachgewiesen, ist nicht zu beanstanden, zumal er bei der Festnahme nur über finanzielle Mittel von ca. EUR 60,00 verfügte und keine weiteren Mittel nachwies. Da der BF volljährig ist, ist er als selbsterhaltungsfähig anzusehen, sodass kein Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern oder andere Familienangehörige besteht. Er hat daher keinen Rechtsanspruch auf eine finanzielle Unterstützung durch sie. Außerdem hatte er gar nicht vor, nach Albanien zurückzukehren, sondern wollte in das Vereinigte Königreich weiterreisen, sodass EUR 80,00 für die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung während der beabsichtigten Aufenthaltsdauer und für die Rückreise nach Albanien nicht als ausreichend anzusehen sind, zumal er keine Möglichkeit hatte, weitere Unterhaltsmittel auf legalem Weg zu erwerben.
Aus der Mittellosigkeit des BF resultiert die Gefahr der Beschaffung der Unterhaltsmittel aus illegalen Quellen bzw. einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, weshalb im Fall des Fehlens ausreichender Unterhaltsmittel die Annahme einer Gefährdung im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG gerechtfertigt ist (VwGH 19.12.2018, Ra 2018/20/0309). Da dem BF neben dem Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel auch zur Last fällt, dass er gefälschte Dokumente verwendete und versuchte, eine unrichtige Identität als EWR-Bürger vorzutäuschen, um so unbehelligt in das Vereinigte Königreich weiterzureisen, geht von ihm eine signifikante Gefährdung öffentlicher Interessen aus. Auch die Tatsache, dass er bereits vor zwei Jahren in Italien illegal erwerbstätig war, lässt auf eine Gefahr der Bestreitung des Lebensunterhalts durch Ausübung einer unerlaubten Erwerbstätigkeit schließen. Dem BFA ist vor diesem Hintergrund darin beizupflichten, dass für ihn keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden kann und Wiederholungsgefahr besteht.
Private oder familiäre Interessen des BF stehen der Verhängung eines bis zu fünfjährigen Einreiseverbots nicht entgegen. Es bestehen keine signifikanten privaten, sozialen, beruflichen oder gesellschaftlichen Anknüpfungen in Österreich oder anderen Vertragsstaaten. Er hat starke Bindungen zu seinem Heimatstaat Albanien, wo er den Großteil seines Lebens verbrachte, die Schule absolvierte und seine Eltern und Schwestern leben. Als gesundem, alleinstehendem jungem Mann mit einer abgeschlossenen Schulbildung wird es ihm möglich sein, sich nach der Rückkehr nach Albanien dort auch wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF vermag weder sein Interesse an einem Verbleib zu verstärken noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthalts und der Verwendung gefälschter Dokumente sind ihm Verstöße gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs 2 Z 7 BFA-VG anzulasten. Den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerungen liegen nicht vor.
Im Ergebnis sind somit die Voraussetzungen für die Erlassung eines maximal fünfjährigen Einreiseverbots erfüllt. Dessen Dauer ist aber - in teilweiser Stattgebung der Beschwerde - auf zwei Jahre zu reduzieren, was dem Fehlverhalten des (noch) unbescholtenen BF entspricht. Dadurch bleibt auch eine Steigerung der Sanktion bei einem neuerlichen, allenfalls schwerwiegenderen Fehlverhalten möglich.
Zum Entfall einer Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG die beantragte Beschwerdeverhandlung, von der keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.
Zu Spruchteil B):
Die Revision ist nicht zu zulassen, weil das BVwG keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen hatte und sich an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte. Die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorzunehmende Interessenabwägung und die Erstellung einer Gefährdungsprognose können jeweils nur im Einzelfall beurteilt werden (vgl. VwGH 10.07.2019, Ra 2019/19/0186).
Schlagworte
Einreiseverbot Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen UnbescholtenheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2229418.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020