TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 G307 2230646-1

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Veröffentlicht am 06.05.2020
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Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G307 2230646-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD in dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu XXXX von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX, geb. am XXXX, StA.: Marokko, zu Recht erkannt:

A)

Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der betroffene Fremde (im Folgenden: BF) reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich, wurde am XXXX.2020 um 00:45 Uhr von Beamten der Polizeiinspektion XXXX (im Folgenden: PI XXXX) in dem nach Mailand führenden Reisezug XXXX einer Personenkontrolle unterzogen, gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG festgenommen und niederschriftlich befragt.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten (im Folgenden: BFA), vom XXXX.2020, Zahl XXXX, wurde gegen den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und Sicherung der Abschiebung (nach Marokko) verhängt.

3. Mit Bescheid des BFA vom 20.03.2020, Zahl XXXX wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt II.) gemäß § 52 Abs. 5 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Marokko gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.), gegen diesen gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) sowie gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VI.).

Die Rechtsmittelfrist dieser Entscheidung ist wegen der coronabedingten Fristenhemmung noch offen.

4. Am 04.05.2020 erfolgte die erste Aktenvorlage zur Schubhaftprüfung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist marokkanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX.2020 von Beamten der PI XXXX im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle festgenommen. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt über kein gültiges Reisedokument und kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet. Sein Reiseziel war Mailand. Er begab sich unter anderem über Frankreich, Spanien und Deutschland nach Österreich ein.

1.2. Der BF ist gesund, strafrechtlich unbescholten, ging in Österreich bis dato keiner Beschäftigung nach und hatte bisher im Bundesgebiet keinen ordentlichen Wohnsitz. Derzeit wird er im Anhaltezentrum Vordernberg in Schubhaft angehalten.

1.3. Der BF befindet sich seit XXXX.2020 in Schubhaft. Er verfügt in Österreich weder über familiäre, gesellschaftliche, berufliche noch sonstige Bindungen und auch über keine private, gesicherte Unterkunft.

1.4. Gegen den BF besteht eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot, wobei der zugrundeliegende Bescheid vom 20.03.2020 noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist.

1.5. Das am XXXX.2020 mit der marokkanischen Botschaft eingeleitete Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) wird von Seiten des Bundesamtes intensiv betrieben und zuletzt am 15.04.2020 urgiert.

1.6. Der BF ist derzeit im Besitz von ? 324,32, zum Anhaltzeitpunkt idH von ? 124,32 und hat kein Einkommen.

1.7. Derzeit finden zwar keine Flüge nach Marokko statt, einer Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat innerhalb der höchst zulässigen Schubhaftdauer steht aus aktueller Sicht jedoch kein Hindernis entgegen. Der Flugbetrieb der Linie "AUA" ist bis zum 17.05.2020 ausgesetzt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Aufgriff des BF, dessen Staatsangehörigkeit, zu den Barmitteln des BF und deren Höhe, seinem Reiseweg, den geführten fremdenrechtlichen Verfahren, deren Ausgang, seiner Festnahme durch die Polizei und den fehlenden Bindungen zum Bundesgebiet ergeben sich aus dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Fremdenregister (ZFR), dessen Angaben in seiner Niederschrift vor der PI XXXX vom XXXX.2020, Zahl XXXX sowie dem Inhalt der Aktenvorlage. Ferner hat der BF keinerlei Argumente ins Treffen geführt, die eine Bindung zu Österreich nahelegten. Zudem spricht auch die Absicht, nach Italien weiterreisen zu wollen, gegen eine Beziehung zu im Bundesgebiet wohnhaften Menschen.

In den Effekten des BF fand sich eine Zugkarte vom Wiener Hauptbahnhof nach Mailand. Daraus wie aus den Angaben des BF vor der PI XXXX ergibt sich dessen Absicht, ursprünglich nach Italien reisen zu wollen. Der BF hatte zudem am XXXX.2020 ? 124,32 bei sich, weshalb festgestellt wurde, dass der BF in Besitz dieser Summe ist. Dies ist auch mit dem Inhalt der Vollzugsdateninformation in Einklang zu bringen, welche derzeit ? 324,32 ausweist.

Der die Person des BF betreffende Sozialversicherungsdatenauszug weist keine Beschäftigung aus.

Dass der BF bisher über keinen ordentlichen Wohnsitz verfügt hat, ist aus dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Fremdenregister (ZMR) ersichtlich.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit folgt dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Einleitung des HRZ-Verfahrens, dessen Betreibung wie die Urgenz sind aus der Aktenvorlage vom 04.05.2020 ersichtlich und mit dem Inhalt des den BF betreffenden ZFR-Auszuges in Einklang zu bringen.

Dass derzeit keine Flüge nach Marokko stattfinden, ist amtsbekannt und findet in der Aktenvorlage Niederschlag. Aufgrund der immer stärker zurückgehenden Zahl von Corona-infizierten Personen und der - auch in den Medien seitens des Bundeskanzleramtes und Außenministeriums - in Aussicht gestellten zeitnahen Wiederaufnahme des Flugbetriebes ist von einer zeitlich absehbaren Abschiebung des BF in dessen Herkunftsstaat auszugehen. Die AUA hat ihren Flugbetrieb vorübergehend - zumindest bis zum 17.05.2020 - ausgesetzt (siehe auch https://www.austrianaviation.net/detail/aua-will-kurzarbeit-verlaengern-und-muss-neustart-verschieben).

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A)

3.1. Zuständigkeit:

Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:

"§ 22a. (...)

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(...)."

Seit Vorlage des Verwaltungsaktes beim BVwG am 03.04.2020 gilt die gegenständliche Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen BF als eingebracht. Das BVwG hat nunmehr zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist, und dies gegebenenfalls festzustellen.

3.2. Relevante Rechtsvorschriften und Judikatur:

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),

lautet:

"§ 76. (...).

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. (...),

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

(...).

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes."

Als "Fluchtgefahr" nach Art. 2 lit. n Dublin-VO gilt das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven - vom nationalen Gesetzgeber - gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zur Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Die in diesem Sinne gesetzlich festgelegten Kriterien des Vorliegens von Fluchtgefahr finden sich in § 76 Abs. 3 FPG.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist oder wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO vorliegen (§ 76 Abs. 2 FPG). Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Der mit "Dauer der Schubhaft" betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),

lautet:

"§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(...)

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(...)."

3.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Der BF ist Staatsbürger von Marokko, demnach Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG darf die Schubhaft nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.

Bei der Prüfung, ob Sicherungsbedarf gegeben ist, ist nach § 76 Abs. 2a FPG im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Fest steht, dass der BF nunmehr seit XXXX.2020 durchgehend in Schubhaft angehalten wird.

Am 04.05.2020 erfolgte beim BVwG die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage durch das BFA zwecks Prüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei.

Das Verhalten des BF ist folgenden Tatbeständen des § 76 Abs. 3 zu subsumieren:

- Gegen den BF wurden am 20.03.2020 eine Rückkehrentscheidung wie ein zweijähriges Einreiseverbot erlassen. Er durchreiste vor seiner Anhaltung in Österreich Spanien, Frankreich und Deutschland und zeigte bis dato keine Bereitschaft, freiwillig nach Marokko zurückzureisen. Z 1 ist damit erfüllt.

- Da der BF in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstige Bezugspersonen, keinen ordentlichen Wohnsitz bzw. niemanden hat, bei dem er längerfristig Unterkunft nehmen könnte, er ferner bis dato keiner Beschäftigung nachging und auch nur über ? 324,32 verfügt, ist nicht von der gesicherten Existenz eines Wohnsitzes wie einer Sicherung seines Lebensunterhalts in Österreich auszugehen; nachweislich regelmäßige legale Erwerbseinkünfte zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes bzw. Finanzierung seines illegalen Aufenthaltes in Österreich hat der BF ebenso nicht; in Gesamtbetrachtung ist somit § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG erfüllt.

Vom BF geht somit jedenfalls eine erhebliche Fluchtgefahr iSv § 76 Abs. 3 FPG aus. Daher überwiegt das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des BF.

Die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft wird daher iSd § 76 Abs. 2 FPG für verhältnismäßig gehalten.

An der marokkanischen Staatsbürgerschaft des BF bestehen aktuell keine Zweifel, sodass auch dahingehend mit keinem Hindernis zu rechnen ist.

Das BFA geht, wie mit verfahrensgegenständlicher Aktenvorlage mitgeteilt, davon aus, dass die Überstellung des Fremden nach Marokko innerhalb zumutbarer Frist möglich, die absehbare Dauer der Schubhaft nicht unverhältnismäßig und die Durchführung der Überstellung absehbar und innerhalb der gesetzlichen Fristen möglich sein wird.

Die höchstzulässige Schubhaftdauer - aktuell wird der BF seit knapp 4 Monaten angehalten - wurde noch nicht überschritten.

Folglich wird spruchgemäß festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Fest steht, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Ergebnis führen würde, war doch der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage klar ersichtlich, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.

Ergänzend wird erwähnt, dass wegen der aktuellen Corona-Infektionen von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen wurde.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Pandemie Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2230646.1.01

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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