Entscheidungsdatum
07.05.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W239 2186635-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch seine Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.07.2019 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 06.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag (06.04.2016) gab der Beschwerdeführer zu seiner Person an, er sei minderjährig, ledig, stamme aus Mogadishu in Somalia und bekenne sich zum Islam sunnitischer Richtung. Im Mai 2015 habe er seine Heimat verlassen und sei illegal und schlepperunterstützt nach Europa gelangt; zuletzt habe er sich einen Monat in Italien aufgehalten.
Als Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor: "Die islamische Gruppe Al-Shabaab führt in Somalia Zwangsrekrutierungen durch. Ich hatte Angst, eingezogen zu werden. In Somalia herrscht Bürgerkrieg und ich habe keine Zukunft dort. Weiters sind viele Jugendliche drogensüchtig und ich wollte das nicht." Im Falle einer Rückkehr nach Somalia befürchte er, von der Al-Shabaab rekrutiert oder umgebracht zu werden.
2. Am 28.04.2016 wurde zwecks Bestimmung des Alters des Beschwerdeführers nach Vornahme einer Handwurzelröntgenuntersuchung in einem medizinischen (radiologischen) Befund festgestellt, dass sämtliche Epiphysenfugen an den Phalangen und den Metacarpalia geschlossen seien und sich am Radius eine zarte Epiphysennarbe zeige.
In weiterer Folge gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Erstellung eines multifaktoriellen Sachverständigengutachtens zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers in Auftrag. Dem Gutachten vom 26.06.2016 ist zusammenfassend zu entnehmen, dass das höchstmögliche Mindestalter des Beschwerdeführers zum Untersuchungszeitpunkt am 04.06.2016 mit 17,2 Jahren anzunehmen sei. Das daraus errechnete fiktive Geburtsdatum laute XXXX . Es könne damit zum Zeitpunkt der Antragstellung am 06.04.2016 von einem Mindestalter von 17,03 Jahren ausgegangen werden.
Mit Verfahrensanordnung vom 21.11.2016 setzte das BFA den Beschwerdeführer davon in Kenntnis, dass - unter Zugrundlegung des Ergebnisses des multifaktoriellen Altersgutachten vom 26.06.2016 - sein Geburtsdatum mit XXXX festgestellt werde. Als gesetzlicher Vertreter war dem Beschwerdeführer der Verein Menschenrechte Österreich beigegeben.
3. Am 11.10.2017 fand vor dem BFA eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers zum Zwecke der Ermittlung seiner persönlichen Daten statt. Dabei gab der Beschwerdeführer unter anderem an, er sei in Mogadishu geboren, sei ledig und gehöre zur Volksgruppe der Sheekhal (auch: Sheikal). Von Geburt an bis zur Ausreise habe er in Jasiiro in der Provinz Shabeelada Hoose gelebt. Dort habe er von 2008 bis 2015 die Grundschule besucht. Eine Berufsausbildung habe er nicht gemacht. Die letzten fünf Jahre habe er verschiedene Hilfsarbeiten verrichtet; er sei Schuhputzer und Autobegleiter gewesen. Zum Aufenthaltsort seiner Eltern, seiner sechs Brüder und seiner vier Schwestern könne er keine Angaben machen.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Vollmacht der Caritas Burgenland hinsichtlich seiner Vertretung im gegenständlichen Asylverfahren (ohne Zustellvollmacht) sowie diverse Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen und das erreichte Deutschzertifikat (Niveau A1) vom 07.08.2017 vor.
4. Am 12.10.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA zu seinen Fluchtgründen einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, ein Lehrer habe ihn und sechs weitere Schüler für die Al-Shabaab angeworben. Er habe sie im Februar 2015 unter dem Vorwand, mit ihnen einen Ausflug zu unternehmen, in die Stadt Marka gebracht, wo er sie an Mitglieder der Al-Shabaab übergeben habe. Zwei Schüler hätten sich sofort der Gruppe angeschlossen und fünf Schüler hätten sich geweigert. Der Beschwerdeführer habe sich der Terrorgruppe nicht anschließen wollen; auch habe er keine so schwere Waffe tragen können. Nachdem er sich geweigert habe, sich ihnen anzuschließen, habe man seine Hände an den Rücken gefesselt und ihn gemeinsam mit den vier anderen Jugendlichen in ein Strohhaus gebracht. Nach einiger Zeit hätten ihnen die Männer der Al-Shabaab gesagt, dass alle, die sich der Gruppe nicht angeschlossen hätten, als Ungläubige gelten würden und ihnen daher die Todesstrafe drohe. Etwa einen Monat lang seien sie in Gefangenschaft gewesen. In dieser Zeit habe man versucht, sie zu manipulieren, indem man ihnen gesagt habe, Al-Shabaab seien die Guten. Sie seien geschlagen worden. Manchmal hätten sie Schüsse gehört, wobei sie nicht gewusst hätten, ob die Al-Shabaab geübt oder Krieg geführt habe. Sie hätten Angst bekommen. Sie hätten Spaghetti mit Tomatensauce zu essen bekommen. Manchmal hätten sie auch kein Essen bekommen. Als sie ungefähr gewusst hätten, zu welchen Zeiten die Männer der Al-Shabaab immer zu ihnen gekommen seien, hätten sie beschlossen, zu fliehen. Nachgefragt, warum ihn die Mitglieder der Al-Shabaab nicht sofort getötet hätten, gab der Beschwerdeführer an, man habe ihn nicht freilassen wollen, bevor er sich der Terrorgruppe anschließe. Letztlich hätten sich der Beschwerdeführer und die anderen vier Jugendlichen nach etwa einmonatiger Gefangenschaft im April 2015 gegenseitig geholfen und von den Fesseln befreit. Gemeinsam seien sie im Dunkeln über eine aus gefällten Bäumen mit Dornen errichtete Absperrung gesprungen. Sie seien geradeaus gelaufen, bis sie auf der Straße ein Auto gesichtet hätten, dessen Lenker sie um Hilfe gebeten hätten. Mit diesem Auto seien sie nach Mogadishu gefahren. Anschließend sei der Beschwerdeführer zu seiner Tante gelaufen, welche in Mogadishu lebe. Sie habe ihm erzählt, sie habe von der Mutter des Beschwerdeführers gehört, dass die Al-Shabaab in Jasiiro nach ihm suche. Aus diesem Grund habe sich der Beschwerdeführer zur Flucht entschlossen. Er habe einen Schlepper in Mogadishu gesucht, mit dem er mit verschiedenen Verkehrsmitteln über XXXX nach Kenia gereist sei. In Ägypten habe er noch einmal seine Tante kontaktiert, welche ihm erzählt habe, dass sein Vater und sein Bruder XXXX von der Al-Shabaab mitgenommen worden seien; seine Mutter und Geschwister seien daraufhin von dort geflohen. Danach hätten sowohl seine Tante als auch er den Kontakt zur Familie verloren. Er wisse nichts über den Verbleib seiner Familie.
5. Mit Bescheid des BFA vom 01.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen werde (Spruchpunkt IV.), sowie, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.), wobei gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für eine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine am 09.02.2018 bevollmächtigte Vertretung, den Verein Menschenrechte Österreich, am 14.02.2018 fristgerecht Beschwerde im vollen Umfang wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Inhaltlich wurde zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer sei somalischer Staatsangehöriger und habe seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen verlassen; im Wesentlichen wurden die bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vom 12.10.2017 vorgebrachten Fluchtgründe wiederholt, auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 12.01.2018 verwiesen und allgemeine Ausführungen betreffend von Al-Shabaab durchgeführten Zwangsrekrutierungen in den Jahren 2016 und 2017 sowie von der Terrormiliz begangenen Verbrechen gemacht.
Gerügt wurde, das BFA habe den Anforderungen des AVG im Hinblick auf die amtswegige Sachverhaltsermittlung sowie der Wahrung des Parteiengehörs nicht genügt und habe eine unrichtige Beweiswürdigung vorgenommen: Aufgrund der im Internet vorhandenen und abrufbaren Medienberichte sowie der in den einschlägigen Länderfeststellungen enthaltenen Informationen hätte das BFA zu dem Schluss kommen müssen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers absolut plausibel sei. Zudem befinde das BFA in seiner Beweiswürdigung den Beschwerdeführer für unglaubwürdig, weil er in seiner Erstbefragung, anders als in seiner niederschriftlichen Einvernahme, keine detaillierten Fluchtgründe vorgebracht habe. Gemäß § 19 Abs. 1 zweiter Satz AsylG 2005 diene die Erstbefragung jedoch insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und habe sich nicht auf nähere Fluchtgründe zu beziehen; der Beschwerdeführer sei dazu angehalten worden, sich kurz zu fassen, weil er in der Einvernahme vor dem BFA die Möglichkeit haben werde, detailliert zu antworten. Somit könne dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden, wenn er im Rahmen der Erstbefragung seine Fluchtgründe nicht im Detail geltend gemacht habe. Bei der Einvernahme vor dem BFA habe er seinen gesamten Fluchtgrund konkret, ausführlich und individuell geschildert. Aufgrund seiner Weigerung, sich der terroristischen Gruppierung anzuschließen und an den Kampfhandlungen teilzunehmen, sei dem Beschwerdeführer eine gegenüber der radikalislamischen Miliz Al-Shabaab negativ eingestellte politische Gesinnung unterstellt worden; es liege eine Verfolgung aus politischen Gründen vor. Bei richtiger Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung wäre vom Vorliegen des Fluchtgrundes der Verfolgung aufgrund politischer Gesinnung, bei Verneinen eines solchen aber jedenfalls von einer realen Gefahr einer Verletzung des Art. 2 bzw. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder einer für den Beschwerdeführer als Zivilperson ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts auszugehen gewesen und hätte ihm das BFA den Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen.
Beantragt wurde abschließend unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; dies erscheine zur ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbingens des Beschwerdeführers unvermeidlich.
7. Die Beschwerdevorlage samt Verwaltungsakt langte am 20.02.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
8. Am 23.11.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers, eingebracht durch die Caritas Burgenland, zur aktuellen Lage in Somalia ein. Inhaltlich wurde im Wesentlichen auf die Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab, das Problem von Kindersoldaten, die sich häufenden Anschläge der Al-Shabaab, die ungeschützte und chronisch gefährliche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht existenzbedrohende Situation von somalischen Rückkehrern, die (unverändert) prekäre Sicherheits- sowie Versorgungslage, die anhaltende Dürresituation und den mit 43% hohen Anteil der in extremer Armut lebenden Bevölkerung eingegangen. Außerdem wurde in Bezug auf eine allfällige innerstaatliche Fluchtalternative ausgeführt, dass eine solche wegen der in Somalia nach wie vor prekären Sicherheitslage und der im Zusammenhang mit der Dürre bzw. mittlerweile mit Überschwemmungen landesweit allgemeinen schlechten Lebensmittelversorgung nicht zugemutet werden könne; zudem habe der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge niemals in Mogadishu, wo die Sicherheits- und Versorgungslage etwas besser seien, gelebt und habe dort auch kein soziales oder familiäres Auffangnetz, das in der Lage wäre, ihn zu unterstützen.
9. Am 12.03.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Anfrage der Volksanwaltschaft hinsichtlich einer Beschwerde über die gegenständliche Verfahrensdauer ein.
10. Am 24.07.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch und eines Mitarbeiters des Vereins Menschenrechte Österreich als gewillkürter Vertreter des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung statt; im Zuge dessen hatte der Beschwerdeführer ausführlich die Gelegenheit, Angaben zu seiner Person und Abstammung, zu seiner derzeitigen Situation in Österreich sowie zu seinen Fluchtgründen und zur Situation im Fall einer etwaigen Rückkehr in den Herkunftsstaat Somalia zu machen.
Im Rahmen der freien Erzählung brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen vor: "Ich war in Jasiiro. Ich war in der Koranschule. Der Lehrer hat uns gesagt, wir gehen zu einer anderen Stadt, wir gehen dort einer Person den Koran vorlesen und gleichzeitig hat er gesagt, dass wir uns auch diese Ortschaft anschauen werden. Wir haben zugesagt und er hat dann ein Auto für uns gemietet. Dann waren wir sieben Burschen und der Lehrer und der Fahrer vom Auto. Wir sind dann mit dem Auto mitgefahren. Es gab Kontrollposten. Der Fahrer war bekannt. Wir durften durchfahren. Wir waren acht Personen, wir und der Lehrer, und dann noch der Fahrer des Autos. Ich kann mich erinnern, dass der Fahrer gesagt hat, für jede Person gibt es einen Sitz und wir haben acht Sitze gemietet. Dann hat er uns zu einem Al-Shabaab-Camp gebracht, dort wo sie die Leute trainieren. Es war in Marka. Der Lehrer sagte uns, wir müssen jetzt aussteigen, wir sind an unserem Ziel angekommen. Der Fahrer durfte dann wegfahren. Wir sind in dieses Camp reingegangen und dann hat der Lehrer uns zu einer Stelle unter einem Baum gebracht und vier vermummte Männer waren dort. Sie haben uns gesagt, dass wir hier willkommen sind. Dann haben wir unseren Lehrer gefragt, es schaut nicht so aus, wie er es uns erzählt hat, wir sind jetzt wo anders. Er hat gesagt, hier musste er uns hinbringen und damit ist sein Auftrag erledigt. Den Rest müssen wir diese Männer fragen. Die Männer sagten, dass sie nicht ausweichen werden, sie werden uns direkt sagen, was Sache ist. Wir sind junge Leute, wir müssen am Jihad teilnehmen und kämpfen. Wir müssen uns anschließen. Zwei von uns wussten was Sache ist, sie waren davon überzeugt. Sie haben sich gleich dazu bereit erklärt, sich anzuschließen. Wir restlichen fünf Burschen haben das abgelehnt. Als wir das verweigert haben, sagten sie uns, wir müssen gleich unser T-Shirt ausziehen. Sie haben uns die Augen verbunden. Sie haben uns unsere Hände nach hinten gefesselt. Dann haben sie uns geführt. Sie haben uns aufgefordert, dass jeder den Arm auf die Schulter des Vorderen legt, damit wir in einer Reihe folgen können. Sie haben uns dann geführt. Dann haben sie uns zu einer Hütte gebracht. Es war eine Art Strohhütte, es war kein richtig gebautes Haus und kein richtiges Gefängnis. Es war kein gebautes Gefängnis, so wie die Regierungsgefängnisse. Es gab viele Al-Shabaab dort. Sie haben dort trainiert. Es war kein festbebautes Lager. Sie konnten flüchten, wenn man sie angreift. Das Lager war groß, das Gebiet war eingezäunt wie ein Hof. In dem Gebiet waren diese Hütten drinnen. Sie haben uns zweimal am Tag etwas zum Essen gegeben. Jedes Mal haben sie uns Spaghetti und Tomatensauce gegeben. Es war kein gutes Essen. Sie haben uns für das Beten aufgeweckt. Wir waren gezwungen, zu beten, es war nicht freiwillig. Das schlimmste war in der Früh, sie sind zu uns um 5:00 Uhr in der Früh gekommen und haben uns mit Peitschenschlägen aufgeweckt. Danach haben sie uns immer gezwungen, das zu tun, was sie gerade machten. Zu Gebetszeiten haben sie uns die Augenbinde entfernt. Sie haben uns in den Hof gebracht und uns dort trainiert. Dort gab es auch ein Auto, damit sie die Leute trainieren, wie sie schießen können während der Autofahrt, und damit sie ihnen auch das Autofahren beibringen. Sie haben eine Art Holzpuppe dort gehabt, damit man das Schießen üben kann. Wir haben nur zugeschaut, man bekommt keine Waffe, bis man sich richtig anschließt und Bereitschaft zeigt, mitzumachen. Sie haben versucht, uns für sich zu gewinnen. Sie wollten, dass wir diese Taten mögen. Nach diesen Übungen ist ein Al-Shabaab-Scheich dort gestanden und hat gepredigt über den Jihad. Danach ist dieser Al-Shabaab-Scheich gegangen und dann haben sie uns gefragt: "Der Scheich hat jetzt gepredigt und hat erklärt, wie der Jihad ist. Wer ist jetzt bereit, sich anzuschließen?" Als man Entschuldigungen erzählt hat, haben sie begonnen, die Leute zu schlagen. Man konnte nicht direkt sagen, dass es falsch ist, was sie machen. Man konnte nicht sagen. "Ich möchte nicht mitmachen." Man musste irgendwie eine Rechtfertigung für seine Verweigerung finden. Sie haben dann befohlen, dass wir in einer Reihe stehen und für jeden wurde eine bestimmte Strafe, wurden bestimmte Schläge, vorgesehen. Sie haben uns dann geschlagen, die Augen verbunden, die Hände gefesselt und zurück in die Hütte gebracht. Dann sind sie zum Mittagsgebet wieder gekommen. Sie haben dann jedes Mal das Gleiche wiederholt. Zur Gebetszeit haben sie uns geholt und zum Hof gebracht, wo eine Art Moschee war. Es waren Holzsäulen mit einem Dach. Der Bereich war klein und eingezäunt. Man hat gebetet und dann gab es wieder eine Predigt. Sie wollten uns manipulieren, damit wir zustimmen. Jeden Tag haben sie das wiederholt. Sie haben uns nicht jedes Mal wieder in dieselbe Hütte zurückgebracht. Sie haben uns in unterschiedliche Hütten gebracht. Wir durften uns nicht richtig hinlegen und schlafen. Wir haben uns hingesetzt. Wir sind Rücken an Rücken gesessen, immer zu zweit. Es wurden die eigenen Hände am Rücken gefesselt und diese wurden dann mit den Händen des anderen noch einmal zusammengebunden. Dabei waren die Augen auch verbunden. Manchmal hat man auch eine dritte Person dazu gebunden. Manchmal in der Nacht sind wir auf die Seite gefallen und konnten uns dann nicht mehr richtig aufrichten. Sie haben uns auch manchmal die Augenbinde entfernt und wir haben gesehen, wie dieses Lager aussieht. Wenn die Gebetszeit war, haben alle gebetet, auch die Al-Shabaab. Einige der Al-Shabaab sind nach dem Gebet geblieben und andere sind mit einem Auto wieder weggefahren. Bis zum letzten Abend ist es so gelaufen. Dort ist es mir schwer gegangen. Wir konnten nicht ordentlich schlafen. Wir haben darunter gelitten. Ich hatte das Gefühl, einen Buckel zu bekommen. Mein Körper hat geschmerzt. Wir konnten fast nie schlafen in den ganzen Monaten. Manchmal haben wir mitten in der Nacht Schüsse gehört. Ich hatte das Gefühl, dass die Al-Shabaab gegenseitig geschossen haben, vielleicht wollten sie sich mit den Schüssen Zeichen geben. Ich weiß es aber nicht. Fast jeden Abend haben sie Schüsse abgegeben. Am letzten Abend haben sie uns zu zweit, wie immer, zusammengebunden. Der fünfte Bursche war alleine gefesselt. Er hat mit seinen Fesseln gekämpft und es ist ihm gelungen, sich zu befreien. Dann hat er uns auch befreit. Wir haben entschieden, zu flüchten. Wir haben gedacht, wir versuchen es, egal was das Ergebnis ist. Wir wollten das Risiko eingehen, entweder schaffen wir es oder wir werden erwischt. Sie haben uns schon gesagt, wenn man bei der Flucht erwischt wird, wird man getötet. Das waren die Regeln dort, sie haben uns das von Anfang an so erklärt. Wir hatten Angst, einige wollten flüchten, die anderen hatten Angst. Am Ende haben wir entschieden, es zu probieren. Die Hütte war verriegelt, aber es war kein modernes Schloss, es war ein einfacher Ast, der die Tür zusammengehalten hat. Man konnte die Tür mit den Füßen treten und sie ging auf. Wir haben fest gegen die Tür gedrückt. Wir wollten keinen Lärm machen. Wir haben es geschafft, dass die Tür aufging. Es gab mehrere Hütten nebeneinander und es gab auch Bäume. Dieses Lager hatte zwei Eingänge, einen für die Menschen und einen für die Autos. Es gab Wachen vor diesen Eingängen und es gab andere, die einen Kontrollgang gemacht haben, jede Stunde. Unsere Hütte war hinten. Wir sind nicht zu den Eingängen gegangen. Wir konnten durch die Zäune flüchten. Den Zaun konnte man einfach entfernen. Dieser Zaun hat aus Ästen mit Dornen bestanden. Man konnte die Äste auseinanderschieben. Dann, nachdem wir das Lager verlassen haben, sind wir einfach gelaufen. Dann sind wir an eine asphaltierte Straße gekommen. Autos sind vorbeigefahren. Wir hatten Angst, ein Auto anzuhalten, weil die Al-Shabaab hatte die Kontrolle dort. Dann ist ein Landcruiser vorbeigekommen. Wir haben dem Fahrer die Hand gezeigt, um für uns anzuhalten. Ein älterer Mann ist gefahren. Er hat uns gefragt, was wir hier um diese Zeit machen. Wir hatten Angst vor ihm und haben ihm nicht gleich die Wahrheit gesagt. Wir haben nur gesagt, dass wir nach Mogadishu wollen. Während der Fahrt haben wir erst die Geschichte erzählt. Wir konnten ihm nicht gleich vertrauen, weil er auch ein Al-Shabaab sein hätte können. Dann sagte er, dass wir einsteigen dürfen, und wir durften mitfahren. Er hat uns während der Fahrt gesagt, er weiß schon, was mit uns passiert ist, er kann es einschätzen. Er hat aber nicht gedacht, dass wir dort Häftlinge von den Al-Shabaab waren, sondern er dachte, dass wir Al-Shabaab-Mitglieder waren, und, dass wir uns für die Flucht entschieden haben. Als wir außerhalb von Marka waren, haben wir ihm die Wahrheit erzählt. Er ist mit uns nach Mogadishu gefahren. Der Mann hat gesagt, dass er von uns nichts verlangt, wir sollen nur für ihn beten. Er hat in Mogadishu angehalten. Jeder ist in eine andere Richtung gegangen. Seine Haltestelle war weit entfernt von der Wohnadresse meiner Tante. Ich musste lange zu Fuß gehen. Ich habe meiner Tante alles erzählt, was mit uns passiert ist. Die Tante sagte, dass sie den Koranlehrer seit dem Tag nicht mehr gesehen hat. Dann hat meine Tante mich beruhigt, sie sagte, dass ich schlafen soll. Am nächsten Tag in der Früh hat sie mir erzählt, dass die Männer uns in Jasiiro suchen. In Mogadishu gibt es auch viele Al-Shabaab, sie sind dort nicht offiziell an der Macht, aber sie sind unter dem Volk. Sie töten die Leute und verüben Anschläge. Meine Tante hat gesagt, dass ich hier auch nicht sicher bin und es keinen Platz hier für mich gibt. Ich solle weiterflüchten. Dann hat sie mich zu einer Straße in Mogadishu gebracht, die heißt XXXX . Sie hat mich zu einem Schlepper gebracht. Der Mann hat gesagt, dass er mich mitnehmen kann. Meine Tante hat gesagt, dass wir keine Zeit haben und ich schnell flüchten muss. Meine Tante hat dem Mann ungefähr USD 200 gegeben und mir hat sie USD 500 gegeben. Sie sagte mir, dass meine Mutter für mich Goldstücke verkauft hat. Ich solle irgendwo hingehen, wo Gott mich schützt. Der Mann hat mich gleich am nächsten Tag mit einem Auto von Mogadishu weggebracht."
Befragt nach der zeitlichen Abfolge der Ereignisse, schilderte der Beschwerdeführer: "Anfang des Jahres 2015, ich meine damit den ersten oder zweiten Monat, hat der Lehrer uns zu diesem "Ausflug" mitgenommen. Am selben Tag hat er uns zum Camp gebracht. Dort waren wir ca. einen Monat oder eineinhalb Monate eingesperrt. Die Augen wurden uns verbunden, deswegen habe ich das Zeitgefühl etwas verloren. Im vierten oder fünften Monat 2015 habe ich Mogadishu verlassen."
Er sei zwei Tage in Mogadishu gewesen. Als er bei seiner Tante in Mogadishu angekommen sei, habe die Tante seine Familie kontaktiert und sie beruhigt, dass er sich bei ihr befinde. Die Al-Shabaab seien am nächsten Tag in der Früh nach der Flucht zu seiner Familie gegangen und hätten in Jasiiro nach ihm gesucht. Bei der Al-Shabaab sei es üblich gewesen, dass das Gebet um 5:00 Uhr in der Früh stattfinde und zu dem Zeitpunkt hätten sie festgestellt, dass die Jugendlichen nicht da gewesen seien. Sie hätten sie nicht gefunden und seien dann nach Jasiiro gefahren. Nach der Flucht des Beschwerdeführers seien der Vater und der Bruder des Beschwerdeführers von der Al-Shabaab mitgenommen worden, weil die Al-Shabaab geglaubt habe, dass sie ihn versteckt hätten. Die Al-Shabaab habe die konkrete Forderung gestellt, dass die Familie den Beschwerdeführer zurückbringe. Die Al-Shabaab habe auch gedroht, dass die ganze Familie vernichtet werde, wenn der Beschwerdeführer verrate, wo das Al-Shabaab-Lager sei und die Al-Shabaab dann angegriffen werde. Im Falle einer Rückkehr nach Somalia befürchte der Beschwerdeführer, getötet zu werden.
Als der Beschwerdeführer nach Ägypten gekommen sei, habe er die Tante noch einmal angerufen. Danach sei das Gepäck des Beschwerdeführers und damit auch die Telefonnummer der Tante auf der Weiterreise über das Mittelmeer in Verlust geraten.
Im Zuge der Verhandlung wurde eine Teilnahmebestätigung der Burgenländischen Volkshochschulen vom 28.09.2018 (Basisbildung, Deutsch-Mathematik-Politische Bildung-Englisch) vorgelegt.
11. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2019 wurden dem Beschwerdeführer folgende Berichte zur aktuellen Lage in Somalia zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit gegeben, dazu schriftlich Stellung zu nehmen:
- LIB Somalia (Gesamtaktualisierung: 17.09.2019)
- Food Security & Nutrition Analysis Unit (FSNAU) - Somalia, Quarterly Brief, 29.04.2019
- FSNAU - Somalia, Food Security Outlook, June 2019 to January 2020
- United Nations Office For The Coordination Of Humanitarian Affairs (OCHA), Humanitarian Bulletin, Somalia, 01.08.2019 bis 31.08.2019
12. Mit schriftlichen Stellungnahme vom 20.12.2019 wurde zusammengefasst Folgendes vorgebracht: Zahlreiche auch im Internet abrufbare Medienberichte würden die sich auf die Sicherheitslage in Somalia beziehenden Angaben des Beschwerdeführers vollinhaltlich bestätigen. Insbesondere der Abschnitt zur Zwangsrekrutierung von Kindern bestätige, dass die Angst des Beschwerdeführers vor neuerlicher Rekrutierung durch die Al-Shabaab begründet sei. In Gesamtschau mit den in den Länderfeststellungen enthaltenen Informationen komme man zum Schluss, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers absolut plausibel sei, was in weiterer Folge zur rechtlichen Beurteilung führen müsse, dass seine Fluchtgründe glaubwürdig und von allerhöchster Asylrelevanz seien. Würde der Beschwerdeführer nach Somalia zurückgeschickt, wäre sein Leben in Gefahr und er wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiterer Verfolgung ausgesetzt. Die Situation in seiner Heimatprovinz habe sich zwischenzeitlich nicht verbessert und die Gefährdungslage sei weiterhin hoch; existenzielle Grundbedürfnisse wie der Zugang zu Wasser, Nahrung oder Wohnraum seien nicht mehr gesichert. Dem Beschwerdeführer drohe im Falle einer Rückkehr eine Verletzung seines Rechts auf Leben.
Der Beschwerdeführer besuche seit 07.10.2019 den Pflichtschulabschlusslehrgang an der Burgenländischen Volkshochschule, welcher bis voraussichtlich Dezember 2020 dauern werde; es werde um Berücksichtigung der aufgezeigten Tatsachen bei der Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Asylantrags gebeten.
Vorgelegt wurden eine Bestätigung der Burgenländischen Volkshochschule vom 16.10.2019 über den Besuch des dort stattfindenden Pflichtschulabschlusslehrganges und eine Kurzübersicht über sicherheitsrelevante Konfliktvorfälle in Somalia, zusammengestellt von ACCORD.
13. Am 24.02.2020 langten beim Bundesverwaltungsgericht eine Teilnahmebestätigung an einer individuellen Bildungs-/Berufsberatung sowie ein damit in Zusammenhang stehendes Empfehlungsschreiben der zuständigen Bildungsberaterin, beides vom 13.02.2020, ein. Am 26.02.2020 wurde eine Teilnahmebestätigung am Kurs "Schreibwerkstatt: Wir lernen Journalismus" der Integrationswerkstatt vom 20.02.2020 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer, ein mittlerweile volljähriger Staatsangehöriger Somalias, reiste als damals unbegleiteter Minderjähriger illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte hier am 06.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist ledig, hat keine Kinder, gehört zum Clan der Sheekhal (auch: Sheikal) und bekennt sich zum Islam sunnitischer Richtung. Er stammt aus dem nahe der somalischen Hauptstadt Mogadishu an der Küste gelegenen Dorf Jasiiro (auch: Jazeera), wo er - abgesehen von kurzen, wenige Tage umfassenden Zeiträumen, die er bei seiner Tante mütterlicherseits in Mogadishu verbrachte - von Geburt an bis Anfang des Jahres 2015 gemeinsam mit seinen Eltern und den (unverheirateten) Geschwistern lebte. Er hat insgesamt vier Schwestern und sechs Brüder.
Der Beschwerdeführer besuchte in Jasiiro sieben Jahre lang (von etwa 2008 bis Anfang des Jahres 2015) die Koranschule und vier Jahre lang (parallel dazu) eine Privatschule, in welcher er hauptsächlich alphabetisiert wurde. Über eine Berufsausbildung verfügt er nicht. Seinen Lebensunterhalt bestritt er durch Verrichtung von Gelegenheitsarbeiten. Sein Vater war Fischer, seine Mutter war Hausfrau.
Zu seinen Angehörigen hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt mehr; der Aufenthalt der Mutter sowie der vier Schwestern und fünf der Brüder des Beschwerdeführers ist unbekannt. Der Vater sowie ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers wurden von der Al-Shabaab mitgenommen; deren Verbleib ist unbekannt. In Mogadishu lebte nach letztem Kenntnisstand seine Tante mütterlicherseits mit ihren beiden minderjährigen Kindern. Weitere Angehörige gibt es nicht.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er verfügt über Deutschkenntnisse zumindest auf dem Niveau A1, kann sich im Alltag unter Verwendung der deutschen Sprache zurechtfinden und besucht derzeit einen Pflichtschulabschlusslehrgang an der Burgenländischen Volkshochschule.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend den Versuch der Al-Shabaab, ihn zu rekrutieren, betreffend die Gefangenschaft in einem Camp der Al-Shabaab und betreffend die dort erfahrenen Misshandlungen ist glaubhaft; hierzu wird folgender Sachverhalt festgestellt:
Anfang des Jahres 2015 wurde der Beschwerdeführer zusammen mit sechs weiteren Schülern von seinem Koranlehrer unter dem Vorwand, es werde ein Ausflug nach Marka gemacht, in ein dort errichtetes Camp der Terrormiliz Al-Shabaab gebracht und den Mitgliedern der Al-Shabaab übergeben. Die Männer der Al-Shabaab teilten den Schülern mit, dass es ihre Pflicht sei, sich der Terrormiliz anzuschließen und für diese in den Kampf zu ziehen, woraufhin zwei der Schüler zustimmten und sich sofort der Al-Shabaab anschlossen, wohingegen die restlichen fünf, darunter der Beschwerdeführer, dies ablehnten. Sie wurden daraufhin gefangen genommen, ihre Hände wurden gefesselt, ihre Augen wurden verbunden und sie wurden in eine separate Hütte gebracht.
Die Augenbinden bzw. Fesseln wurden ihnen jeweils zeitweise, so etwa im Rahmen der islamischen Gebetsrituale und der Jihad-Predigten bzw. im Rahmen von Übungen, bei denen das Schießen und das Lenken eines Kraftfahrzeugs demonstriert wurden, abgenommen. Regelmäßig, etwa morgens vor dem Morgengebet bzw. wenn sie sich weiterhin weigerten, sich der Terrorgruppe anzuschließen, wurden sie geschlagen. Zudem wurden sie morgens beim Aufwecken mit Peitschenhieben misshandelt. Während ihrer Gefangenschaft verbrachten sie die Nächte gefesselt und mit verbundenen Augen zusammen in unterschiedlichen Hütten; sie hatten ferner nicht die Möglichkeit, sich während des Schlafes hinzulegen, sondern waren gezwungen, sitzend zu schlafen und bekamen zwar relativ regelmäßig Essen, dieses war jedoch nährstoffarm und schlecht. Unter diesen Umständen litt der Beschwerdeführer unter Schlafmangel und Schmerzen.
Nach etwa einem Monat bis eineinhalb Monaten in Gefangenschaft gelang den fünf Jugendlichen die nächtliche Flucht. Sie konnten sich gemeinsam aus den Fesseln befreien und es gelang ihnen, das Lager unbemerkt zu verlassen. Als sie eine asphaltierte Straße erreichten, hielten sie einen Geländewagen an; ein älterer Mann nahm sie nach Mogadishu mit.
Dort angekommen versteckte sich der Beschwerdeführer für zwei Tage bei seiner Tante, die ihm bei der Organisation eines Schleppers behilflich war. Von ihr erfuhr er auch, dass in Jasiiro nach ihm und den anderen geflohenen Jugendlichen gesucht werde, und, dass die Al-Shabaab seinen Vater und seinen Bruder mitgenommen hätten.
Die Ausreise des Beschwerdeführers aus Somalia erfolgte etwa im April/Mai 2015; spätestens am 06.04.2016 (Datum der Antragstellung) reiste er ins österreichische Bundesgebiet ein.
Der Beschwerdeführer verfügt in Somalia über kein leistungsfähiges, soziales Netzwerk und wäre sohin im Fall einer Rückkehr auf sich alleine gestellt.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage in Somalia stützen sich (auszugsweise) auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung: 17.09.2019):
"(...)
2. Politische Lage
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).
Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).
Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen "indirekten Staat", in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).
Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).
Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).
Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).
Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).
Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).
Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).
Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).
Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).
Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).
Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) - und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).
Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).
Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).
Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed "Lafta Gareen" ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat - der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow - war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans - v.a. in Middle Shabelle - haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle "Haaf" wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed "Haaf" weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).
Quellen:
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- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019
- AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019
- AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
- AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
- AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (26.8.2019): Briefing Notes 26. August 2019
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019
- FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019
- ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland: The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019
- ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019
- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation
- Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019
- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019
- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
- UNSC - UN Security Council (27.12.2018): January 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019
- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019
- UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (24.10.2017): Mohamed Abdi Waare inaugurated as the second President of HirShabelle state, URL, Zugriff 4.9.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
- VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (20.12.2018): Somalia's Parliament Drops Impeachment of President, URL, Zugriff 22.1.2019
2.1. Puntland
(...)
3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).
Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und - in noch stärkerem Ausmaß - in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019
- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019
- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
3.1. Süd-/Zentralsomalia
Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).
Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze - z.B. Restaurants und Hotels - durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).
Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).
Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet - die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).
Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).
Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bako