Entscheidungsdatum
07.05.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W234 1240805-2/16E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Georgien, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2018, Zl. XXXX :
A)
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin erhielt am 25.10.2011 den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Karte Plus".
2. Am 25.10.2014 wurde ihr der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" erteilt.
3. In der Zeit zwischen 2005 und 2018 wurde die Beschwerdeführerin sechs Mal wegen versuchter und vollendeter Diebstähle rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Dabei wurde eine bedingte Freiheitsstrafe in Höhe von vier Monate als schärfste Sanktion gegen die Beschwerdeführerin verhängt.
4. Mit Schreiben vom 02.05.2018 erging die Verständigung an die Beschwerdeführerin, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) beabsichtige, gegen sie eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot zu erlassen. Dazu könne sie durch schriftliche Beantwortung einer Reihe von im Schreiben enthaltener Fragen sowie zu unter einem übersendeten Länderberichten Stellung nehmen.
Diese Fragen betrafen im Wesentlichen die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und ob dieser Aufenthalt rechtmäßig war und aufgrund welcher Aufenthaltstitel er erfolgte. Ferner wurde der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und ein etwaiger Bedarf an ärztlicher Behandlung abgefragt. Erfragt wurde auch ihre Schul- und Berufsausbildung sowie welche Familienangehörigen sie in Österreich und in der Europäischen Union habe. Auch wurden Fragen zu ihrer beruflichen und privaten Integration in Österreich gestellt. Ferner wurden Fragen zu Ihren Bindungen zum Herkunftsstaat gestellt. Auch wurde erfragt, ob bei ihr Strafausschließungs- oder Rechtfertigungsgründe vorliegen würden, welche eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausschließen könnten.
5. Mit Schreiben vom 15.05.2018 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme. Sie führte aus, im Verfahren nicht vertreten zu werden und sich seit dem Jahr 2003 im Bundesgebiet aufzuhalten. Derzeit verfüge sie über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU".
In Österreich würden auch die zwei mittlerweile volljährigen Kinder der Beschwerdeführerin, ihre Enkelkinder sowie ihr früherer Lebensgefährte aufgrund von dauerhaften Aufenthaltstiteln legal leben. Die Beschwerdeführerin sei seit sechs Monaten arbeitslos und erhalte derzeit Geld des Arbeitsmarktservice. Wegen psychischer Probleme habe sie in der Vergangenheit nur fallweise gearbeitet. Sie verfüge über eine aufrechte Kranken- und Unfallversicherung. Sie verfüge über einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich. Ferner spreche sie Deutsch und habe die Deutschprüfung A2 erfolgreich abgeschlossen. Ferner habe sie ehrenamtlich, insbesondere bei der Caritas, für das Jugendamt im Burgenland und für den Basketballverein XXXX , gearbeitet. Sie habe auch ehrenamtlich Kinder betreut. In Georgien halte sich nur mehr ihre ältere Schwester auf. Die Beschwerdeführerin verfüge dort über keine Wohnanschrift.
Die Beschwerdeführerin leide unter Kleptomanie, Rheuma und Hepatitis C.
Zu den strafgerichtlichen Verurteilungen wegen Diebstahlsdelikten sei es gekommen, weil die Beschwerdeführerin mutmaßlich an Kleptomanie leide, weswegen sie sich mittlerweile in ärztlicher Behandlung befinde. Sie habe beim Einkaufen trotz ausreichender Geldmittel einzelne Sachen von geringem Wert nicht bezahlt. Stets habe sie nur geringe Vermögensschäden zugefügt. In rechtlicher Hinsicht verwies die Beschwerdeführerin darauf, dass mit Blick auf diese Erkrankung von ihr keine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgehe, wie dies § 52 Abs. 5 FPG 2005 für Rückkehrentscheidungen gegen Fremde voraussetze, welche über einen "Daueraufenthalt - EU" verfügen. Auch verwies die Beschwerdeführerin darauf, dass eine Rückkehrentscheidung ihre verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 MRK verletzen würde und daher gemäß § 9 BFA-VG unzulässig sei.
Unter einem stellte die Beschwerdeführerin in Aussicht, ärztliche Bestätigungen vorzulegen, sobald sie über solche verfüge und ersuchte diesbezüglich im Fristerstreckung.
6. Das Bundesamt holte einen Versicherungsdatenauszug mit Stand vom 02.07.2018 für den Zeitraum ab 21.05.2003 ein. Laut diesem Auszug war die Beschwerdeführerin von 10.05.2016 bis 09.11.2016 und von 15.02.2017 bis 08.11.2017 als Arbeiterin zur Pflichtversicherung angemeldet. In der sonst verzeichneten Zeit war sie laut Auszug als Asylwerberin oder wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld sowie zuletzt seit 02.04.2018 laufend wegen des Bezugs von "Notstandshilfe, Überbrückungshilfe" versichert.
7. Am 02.07.2018 holte das Bundesamt für die Beschwerdeführerin Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Zentralen Fremdenregister ein. Am 03.10.2018 erstellte das Bundesamt Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Zentralen Fremdenregister für die Tochter und den Sohn der Beschwerdeführerin sowie für deren früheren Lebensgefährten. Aus diesen Auszügen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin eine andere Meldeadresse als ihre Angehörigen aufweist, aber alle Genannten in Linz ihren Hauptwohnsitz hat. Ferner verfügen laut diesen Auszügen die Beschwerdeführerin wie ihr Sohn und ihre Tochter über den Aufenthaltstitel "Daueraufenhalt - EU", wobei die Ausweiskarten zur Dokumentation dieses Aufenthaltstitels bis 26.10.2019 gültig sind. Laut den Auszügen verfügt der frühere Lebensgefährte der Beschwerdeführerin über den bis 06.05.2020 gültigen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus".
8. Am 03.07.2018 erließ das Bundesamt den hier angefochtenen Bescheid, mit dem gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I) sowie festgestellt wird, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig ist (Spruchpunkt II). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides (Spruchpunkt III) festgesetzt und unter einem ein Einreiseverbot für die Dauer von sieben Jahren gegen die Beschwerdeführerin erlassen (Spruchpunkt IV).
9. Dagegen wurde fristgerecht die hier zu erledigende Beschwerde erhoben. Diese wurde dem Bundesverwaltungsgericht samt Verwaltungsakt zur Entscheidung vorgelegt.
10. Am 15.10.2019 wurde die Beschwerdeführerin - mittlerweile rechtskräftig - gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall und Abs. 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Die Beschwerdeführerin ist georgische Staatsangehörige. In ihrer schriftlichen Stellungnahme gibt sie an, sich seit 2003 im Bundesgebiet aufzuhalten.
1.2. Der Beschwerdeführerin kommt der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" seit 26.10.2014 zu, wobei die mit dem Aufenthaltstitel verbundene Identitätskarte bis 26.10.2019 gültig war. Unmittelbar davor kam ihr von 25.10.2011 bis 25.10.2014 der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu. Zu Beginn ihres Aufenthaltes in Österreich durchlief die Beschwerdeführerin ein Asylverfahren. Die Beschwerdeführerin weist als Hauptwohnsitz eine Meldeadresse in Linz auf.
1.3. Die Beschwerdeführerin behauptet in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15.05.2018, Deutsch zu beherrschen, einen Freundeskreis in Österreich aufzuweisen und für diverse Einrichtungen ehrenamtlich tätig gewesen zu sein. Ferner gibt sie darin an, dass sich in Georgien nur mehr ihre ältere Schwester aufhalte und sie in Georgien über keine Wohnanschrift verfüge.
1.4. Die Beschwerdeführerin war von 10.05.2016 bis 09.11.2016 und von 15.02.2017 bis 08.11.2017 als Arbeiterin zur Pflichtversicherung angemeldet.
1.5. Den erwachsenen Kindern der Beschwerdeführerin (deren Tochter XXXX , geb. XXXX und deren Sohn XXXX , geb. XXXX ) kommt in Österreich der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" zu. Diese weisen Meldeadressen in Linz auf und leben in Österreich. Deren Kinder, die Enkelkindern der Beschwerdeführerin, leben laut Angaben der schriftlichen Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 15.05.2018 ebenso in Österreich.
1.6. Der frühere Lebensgefährte der Beschwerdeführerin ( XXXX , geb. XXXX ) weist den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" und eine Meldeadresse in Linz auf. Ihn führt die Beschwerdeführerin in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15.05.2018 als in Österreich lebenden Angehörigen an.
1.7. Das Strafregister der Republik Österreich weist zur Beschwerdeführerin Folgendes aus:
"01) BG XXXX vom 03.08.2005 RK 09.08.2005
PAR 127 StGB
Geldstrafe von 40 Tags zu je 2,00 EUR (80,00 EUR) im NEF 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 09.08.2005
zu BG XXXX RK 09.08.2005
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
BG XXXX vom 05.12.2006
zu BG XXXX RK 09.08.2005
(Teil der) Geldstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 09.08.2005
BG XXXX vom 22.11.2010
02) BG XXXX vom 05.12.2006 RK 12.12.2006
PAR 15 127 StGB
Geldstrafe von 50 Tags zu je 2,00 EUR (100,00 EUR) im NEF 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 12.12.2006
zu BG XXXX RK 12.12.2006
(Teil der) Geldstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 12.12.2006
BG XXXX vom 28.01.2010
03) LG XXXX vom 22.06.2011 RK 28.06.2011
PAR 127 PAR 15 127 StGB
Datum der (letzten) Tat 03.11.2010
Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
zu LG XXXX RK 28.06.2011
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
BG XXXX vom 19.09.2013
04) BG XXXX vom 19.09.2013 RK 23.09.2013
Datum der (letzten) Tat 13.06.2013
Freiheitsstrafe 2 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 23.09.2013
zu BG XXXX RK 23.09.2013
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 23.09.2013
BG XXXX vom 13.04.2017
05) BG XXXX vom 18.10.2017 RK 24.10.2017
Datum der (letzten) Tat 12.08.2017
Geldstrafe von 120 Tags zu je 4,00 EUR (480,00 EUR) im NEF 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
Vollzugsdatum 24.09.2018
06) LG XXXX vom 05.04.2018 RK 10.04.2018
Datum der (letzten) Tat 02.02.2018
Geldstrafe von 300 Tags zu je 4,00 EUR (1.200,00 EUR) im NEF 150 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
Vollzugsdatum 25.10.2019
07) BG XXXX vom 15.10.2019 RK 19.10.2019
§§ 27 (1) Z 1 1.2. Fall, 27 (2) SMG
Datum der (letzten) Tat 08.05.2019
Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre"
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und ihrer Staatsangehörigkeit und ihren Aufenthaltstiteln ergeben zweifelsfrei sich aus dem Verwaltungsakt sowie aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister vom 04.05.2020. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin als Hauptwohnsitz eine Meldeadresse in Linz aufweist, folgt einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 05.05.2020.
2.2. Die Feststellungen zu den Angaben der Beschwerdeführerin in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15.05.2018 ergeben sich aus derselben.
2.3. Die Feststellungen zu den Zeiten der Anmeldung der Beschwerdeführerin zur Pflichtversicherung folgen dem von der belangten Behörde eingeholten Versicherungsdatenauszug vom 02.07.2018.
2.4. Die Feststellungen zu den Aufenthaltstiteln und Meldeadressen der Kinder sowie des früheren Lebensgefährten der Beschwerdeführerin ergeben sich aus Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister vom 05.05.2020. Die Feststellungen zu deren Meldeadressen folgen Auszügen aus dem Zentralen Melderegister vom 05.05.2020.
2.5. Die Feststellungen zum Stand des Strafregisters betreffend die Beschwerdeführerin folgen einem Auszug aus demselben vom 04.05.2020.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder dieser durch das Verwaltungsgericht selbst festgestellt werden kann, sofern dies im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß Abs. 3 zweiter Satz kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. In diesem Fall ist die Behörde an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
3.1.2. Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 28 VwGVG, Anm. 11).
3.1.3. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
3.1.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungs-gericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungs-behördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3.1.5. Solche gravierenden Ermittlungslücken sind dem Bundesamt hier unterlaufen:
Zunächst ist dazu festzuhalten, dass sich das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes im Wesentlichen auf die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme der Beschwerdeführerin und die Sichtung der sie betreffenden Strafurteile und diverser Registerauszüge beschränkte. Eine mündliche Einvernahme der Beschwerdeführerin durch das Bundesamt unterblieb.
Auszugehen ist davon, dass die Beschwerdeführerin über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt. Damit kommt ihr nach § 20 Abs. 3 NAG in Österreich - unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokumentes - ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024 sowie 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).
Für Fremde mit dem Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" ist in § 52 Abs. 5 FPG eine Sonderbestimmung vorgesehen (vgl. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067), der zufolge vom Fremden eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 3 FPG ausgehen muss, um überhaupt eine Rückkehrentscheidung erlassen zu dürfen. Bei der Prüfung dieser Gefahr reicht es nicht aus, auf die bloße Tatsache der Verurteilung abzustellen. Vielmehr muss eine "das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung" (vgl. VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101) vorgenommen werden. Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289 und 21.06.2018, Ra 2016/22/0101). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.08.2017, Ra 2017/21/0120; 21.06.2018, Ra 2016/22/0101). Dabei kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die Gefährdungsprognose besondere Bedeutung zu (VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101). Einen solchen - für eine fundierte Prognoseentscheidung, ob ihr weiterer Aufenthalt iSd § 52 Abs. 5 FPG 2005 eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde - unbedingt notwendigen persönlichen Eindruck hätte das Bundesamt vor Erlassung der Rückkehrentscheidung durch die Einvernahme der Beschwerdeführerin gewinnen müssen. Ohne die Beschwerdeführerin einzuvernehmen, darf nicht schon wegen der Anzahl ihrer strafgerichtlichen Verurteilungen eo ipso auf eine von ihr ausgehende "gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit" iSd § 52 Abs. 5 FPG 2005 geschlossen werden. Eine mündliche Einvernahme der Beschwerdeführerin wäre hier für die Gefährdungsprognose sogar besonders angezeigt gewesen, weil die strafgerichtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführerin - trotz ihrer Anzahl - nur gelinde Sanktionen (nämlich nur bedingte Haft und Geldstrafen) vorsehen, sie stets Vergehen und keine Verbrechen iSd § 17 StGB beging und die Beschwerdeführerin die Begehung der Straftaten dem Bundesamt gegenüber schon in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15.05.2018 mit einer Kleptomanieerkrankung begründete, derentwegen sie in ärztlicher Behandlung stehe. Trotz dieser Gegebenheiten und Angaben der Beschwerdeführerin unterließ es das Bundesamt, sie zu ihren Straftaten, deren Hintergründen und möglicher Ursache in einer psychischen Erkrankung einzuvernehmen, obwohl dies zur Prognose der Gefährlichkeit der Beschwerdeführerin und damit zur Beurteilung unabdingbar war, ob gegen sie trotz der Voraussetzungen gemäß § 52 Abs. 5 FPG überhaupt eine Rückkehrentscheidung erlassen werden darf.
Ferner wäre die Einvernahme der Beschwerdeführerin zu den genannten Hintergründen ihrer Strafbarkeit auch erforderlich gewesen, um jene Gefährdungsprognose treffen zu können, auf die das Bundesamt das unter einem gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 gegen die Beschwerdeführerin verhängte Einreiseverbot von sieben Jahren stützt. Denn bei der Bemessen eines Einreiseverbots ist darauf abzustellen, wie lange die von der Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Auch für diese Prognose kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zu (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039). Daher wäre die Beschwerdeführerin auch zur Bemessung des Einreiseverbots zu den Umständen ihrer Delinquenz einzuvernehmen gewesen.
Besonders gravierend erscheint es dem Bundesverwaltungsgericht, dass die Beschwerdeführerin trotz ihres langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet zu ihrer Integration in Österreich nicht einvernommen wurde, könnte ihr Privat- und Familienleben in Österreich doch dazu führen, dass Art 8 EMRK und § 9 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin trotz ihrer strafgerichtlichen Verurteilungen nicht zulassen. Denn die Beschwerdeführerin hält sich laut eigenen Angaben seit 2003 in Österreich auf und weist - wie festgestellt - lange Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf. Mit Blick auf diesen langen Aufenthalt hätte im Einzelnen - insb durch Befragung der Beschwerdeführerin - ermittelt werden müssen, welche sonstigen Zeiten ihres Aufenthalts in Österreich rechtmäßig waren, um das Gewicht eines etwaigen Eingriffes in ihre Rechte gemäß Art. 8 EMRK durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung beurteilen zu können. Zudem sind die mittlerweile volljährigen Kinder der Beschwerdeführerin mit dem Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" im Bundesgebiet niedergelassen und weisen wie die Beschwerdeführerin Meldeadressen in Linz auf; laut Angaben der Beschwerdeführerin leben dort auch ihre Enkelkinder. Ferner weist auch der ehemalige Lebensgefährte der Beschwerdeführerin eine Meldeadresse in Linz und einen Aufenthaltstitel in Österreich auf. Laut Angaben der Beschwerdeführerin hält sich in Georgien nur noch ihre Schwester auf. Mit Blick darauf, dass die bisherigen Ermittlungsergebnisse darauf hindeuten, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat nur noch eine Schwester, an ihrem Wohnort im Bundesgebiet jedoch ihre gesamten sonstigen Angehörigen, vor allem ihre Kinder und Enkelkinder, aufweist, wäre es erforderlich gewesen, die Beschwerdeführerin zu ihrem Verhältnis zu ihren Kindern, Enkelkindern und ihrem früheren Lebensgefährten, insb zu der Intensität und Regelmäßigkeit des Kontakts sowie etwaiger wechselseitiger Abhängigkeiten und Unterstützung, einzuvernehmen, um das Gewicht dieses Privat- und oder Familienlebens zu ermitteln. Ohne diese Ermittlungen durch Einvernahme der Beschwerdeführerin erscheint eine Beurteilung des Gewichts dieses Privat- und Familienlebens nicht möglich. Ferner gab die Beschwerdeführerin in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15.05.2018 an, Deutsch zu beherrschen, einen Freundeskreis in Österreich aufzuweisen und für diverse Einrichtungen ehrenamtlich tätig gewesen zu sein. Die Einvernahme der Beschwerdeführerin wäre auch deshalb erforderlich gewesen, um ihre Deutschkenntnisse zu erheben, liegt es angesichts ihres langjährigen Aufenthalts doch nahe, dass diese über dem bei ihr bislang nachgewiesenen Niveau A2 liegen. Angesichts dieses langen Aufenthalts, der dazu führen kann, dass mit einer Rückkehrentscheidung ein gravierender Eingriff in die Rechte der Beschwerdeführerin gemäß Art. 8 EMRK verbunden sind, wären auch nähere Ermittlungen zu den freundschaftlichen Beziehungen der Beschwerdeführerin durch ihre Befragung notwendig gewesen. Im Ergebnis hat das Bundesamt auch wegen der Maßgeblichkeit des Privat- und Familienlebens für die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor dem Hintergrund von Art. 8 EMRK und § 9 BFA-VG einen gravierenden Ermittlungsmangel begangen, indem es die Beschwerdeführerin nicht zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich einvernommen hat.
3.1.6. Dass das Bundesamt es unterließ, die Beschwerdeführerin zu ihren Straftaten, deren Hintergründen und deren möglicher Ursache in einer psychischen Erkrankung und zu ihrem Privat- und Familienleben einzuvernehmen, stellt einen im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung besonders gravierenden Ermittlungsmangel dar, der die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit zum Bundesamt gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG rechtfertigt.
Denn mit Blick auf den skizzierten Hergang des Ermittlungsverfahrens geht das Bundes-verwaltungsgericht davon aus, dass das Bundesamt den Sachverhalt, welchen es für die Erlassung sämtlicher Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids als maßgeblich feststellte, im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt hat. Trotz nur ansatzweise vorliegender Beweisergebnisse sah das Bundesamt nämlich davon ab, die Beschwerdeführerin mündlich einzuvernehmen, um so den Sachverhalt zu klären.
Dafür, den angefochtenen Bescheid zu beheben und die und die Angelegenheit an das Bundesamt gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zurückzuverweisen, damit dieses die Ermittlungen ergänze und die Einvernahme der Beschwerdeführerin durchführe, sprechen auch die wegen der derzeitigen COVID-19-Pandemie herrschenden Einschränkungen, die mit einer Zusammenkunft mehrerer Personen zur Befragung der Beschwerdeführerin im Zuge einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht verbunden gewesen wären. Denn im Falle einer Befragung der Beschwerdeführerin in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hätte zunächst die bauliche Adaptierung der Verhandlungssäle des Bundesverwaltungsgerichts (insb der Einbau von Glasscheiben zur Trennung der Beteiligten) abgewartet werden müssen. Zudem hätte es sich vor dem Bundesverwaltungsgericht um ein Mehrparteienverfahren gehandelt, sodass wegen der Beiziehung der Beschwerdeführerin wie des Bundesamtes und deren Vertretern zur mündlichen Verhandlung die Zusammenkunft und Anreise einer größeren Anzahl an Personen als bei Befragung durch das Bundesamt erforderlich gewesen wäre. Die Abwicklung der Befragung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wäre daher mit längerer Vorlaufzeit, geringerer Einfachheit und größerem Risiko für alle Beteiligten als die Befragung der Beschwerdeführerin durch das Bundesamt verbunden gewesen.
3.1.7. Der angefochtene Bescheid ist sohin gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Rechtssache wird zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt zurückverwiesen.
3.2. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige (insbesondere VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung PandemieEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W234.1240805.2.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020