TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/7 G307 2158473-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.05.2020
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Entscheidungsdatum

07.05.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2158473-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA.: Slowakei, vertreten durch Rae EMBACHER & NEUGESCHWENDTNER in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 22.02.2019, Zahl XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (im Folgenden: BFA) vom 27.04.2017, Zahl XXXX, wurde gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von 5 (fünf) Jahren erlassen (Spruchpunkt I.) und diesem gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

2. Der dagegen von der seinerzeitigen Rechtsvertretung (RV) des BF erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 14.12.2017, Zahl G307 2158473-1/3E stattgegeben, der bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

3. Der BF wurde am 08.01.2019 von einem Organ des Bundesamtes zur beabsichtigen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowie seinen persönlichen wie finanziellen Verhältnissen einvernommen.

4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 22.02.2019, der RV des BF zugstellt am 26.02.2019 wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von 5 (fünf) Jahren erlassen (Spruchpunkt I.) und diesem gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

5. Mit Schriftsatz der nunmehrigen RV vom 26.03.2019, beim BFA eingebracht am selben Tag, erhob der BF neuerlich Beschwerde. Darin wurde beantragt, den bekämpften Bescheid zu beheben und das Aufenthaltsverbotsverfahren einzustellen, in eventu den bekämpften Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem BVWG vom BFA am 03.04.2019 vorgelegt und langten dort am selben Tag ein.

7. Mit Schreiben vom 24.04.2019 teilte das Bundesamt dem erkennenden Gericht mit, dass der BF in die Justizanstalt XXXX eingeliefert worden sei.

8. Am 09.05.2019 setze das Bundesamt das BVwG über die seitens der Staatsanwaltschaft XXXX (StA XXXX) gegen den BF am XXXX.2019 wegen schweren Raubes gemäß §§ 142, 143 StGB erhobene Anklage in Kenntnis.

9. Am 02.10.2019 erging seitens der belangten Behörde eine neuerliche Verständigung wegen einer von der StA XXXX gegen den BF am XXXX.2019 wegen Betruges gemäß § 146 StGB erhobenen Anklage.

10. Am 18.12.2019 informierte das BFA das BVwG von der durch das Bezirksgericht XXXX (BG XXXX) zu XXXX am XXXX.2019 wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB ergangenen Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist slowakischer Staatsbürger, ledig, frei von Obsorgepflichten und lebt mit seiner Mutter, XXXX, geb. am XXXX, seiner Großmutter und seinem Bruder XXXX im gemeinsamen Haushalt. Der Vater des BF lebt ebenso in Österreich, zu diesem besteht jedoch kein Kontakt.

1.2. Der BF reiste zusammen mit seinen Eltern im Jahr 2010 nach Österreich ein und hält sich seitdem durchgehend im Bundesgebiet auf. Er ist seit 26.03.2010 hier gemeldet.

1.3. Der BF besuchte im Bundesgebiet die Volks- und anschließend die Kooperative Mittelschule.

1.4. Der BF ist gesund, arbeitsfähig, einkommens- und vermögenslos und wird von seiner Mutter finanziell unterstützt.

1.5. Der BF war vom 03.08.2015 bis 16.10.2015 und 22.02.2016 bis 01.05.2016 als Arbeiterlehrling bei zwei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Darüber hinaus gehenden Erwerbstätigkeiten ging der BF nicht nach, sondern bezog - beginnend mit 27.11.2017 - bis 10.04.2018 immer wieder Arbeitslosengeld.

1.6. Zu den Verurteilungen des BF:

1.6.1. Landesgericht für Strafsachen XXXX (LG XXXX) zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2017, wegen Körperverletzung, Raubes, schweren Raubes und versuchter Nötigung gemäß §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, 142 Abs. 1, 143 Abs. 1, 2. Fall, 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, davon 13 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Der BF wurde darin für schuldig befunden, er habe gemeinsam mit einem weiteren Mittäter im bewussten und gewollten Zusammenwirken

1. am XXXX.2016 unter Verwendung eines Küchenmessers XXXX ein Mobiltelefon der Marke Samsung Galaxy S7 im Wert von ? 611,58 weggenommen, indem der zweite Täter gemeinsam mit dem BF dem Opfer einen schweren Raub unter Verwendung eines Messers an XXXX vorspielte, wobei der zweite Täter ein Messer aus seinem Pullover gezogen und unter Vorhalt des Messers dem BF die Umhängetasche weggenommen habe, obwohl diese dem zweiten Täter gehört habe, sich danach mit dem Messer sichtbar für XXXX zu diesem gewandt, das Messer in die Bauchtasche seines Pullovers gesteckt und schließlich die Hand des XXXX ergriffen sowie dessen Mobiltelefon weggenommen;

2. am XXXX.2016 unter Verwendung eines Holzstockes, XXXX Schuhe im Wert von ? 940,00, ein Handy der Marke I-Phone-6, Bargeld in der Höhe von ? 120,00 und Fußballschuhe im Wert von ? 90,00 weggenommen, indem der BF zu XXXX gesagt habe, dass, wenn er nicht mitkomme, er ihm die Füße mit dem Stock bräche, er anschließend die Herausgabe all seiner mitgeführten Gegenstände sowie seiner Schuhe gefordert habe, der BF und der zweite Täter sich sodann bedrohlich vor dem Opfer aufgebaut hätten, der BF den Stock demonstrativ in zwei Teile gebrochen und gesagt habe, dass das Opfer noch seine ganze Kraft spüren werde, wenn er nicht gleich seine Sachen herausgäbe, während sich der zweite Täter unterstützend ganz knapp neben das Opfer gestellt habe, sodass dieses den Forderungen nachgekommen und der zweite Täter die Schuhe des XXXX angezogen habe;

II. Des Weiteren habe der BF mit drei weiteren Tätern am XXXX.2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) XXXX und XXXX Bargeld und deren Mobiltelefone weggenommen, in dem sie sich vor den beiden bedrohlich aufgestellt hätten, einer der Mittäter und der BF gesagt hätten, sie stächen sie ab und schlügen sie und einer der Mittäter gesagt habe, er schlage sie sonst tot. Schließlich nahmen der BF und ein Mittäter Mobiltelefone im Wert von ? 300,00 und ? 200,00 sowie Bargeld in der Höhe von ? 5,00 weg.

D. Ferner habe der BF am XXXX.2016 im Anschluss an die oben angeführte Tat versucht,

I. XXXX mit Gewalt und durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich dem Absehen von einer Anzeigeerstattung zu nötigen, indem er zu ihm gesagt habe, dass er ihn finden werde, wenn er die Polizei rufe und diese Drohung durch zwei Faustschläge unterstrichen habe;

II. XXXX am Körper verletzt, indem er ihm eine Ohrfeige versetzt habe, wodurch dieser einen Bluterguss am rechten Auge und über dem rechten Jochbein erlitten habe.

Als erschwerend wurden hiebei das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, als mildernd das teilweise Geständnis, der bislang ordentliche Lebenswandel sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei, gewertet.

1.6.2. Bezirksgericht XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2017 wegen Diebstahls gemäß § 127 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Wochen unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

1.6.3. Bezirksgericht XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2019 wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

Dem BF wurde im Zuge dieser jüngsten Verurteilung angelastet, er habe in der Nacht vom XXXX.2018 auf XXXX.2018 in XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten XXXX Urkunden, über die er nicht allein verfügen durfte, nämlich die behördlichen Kennzeichen XXXX, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der Zulassung zum Straßenverkehr, gebraucht werden, indem diese von dem abgestellten Lkw des Berufsförderungsinstituts abmontiert und auf dem Pkw Vw Golf befestigt worden seien.

Als mildernd wurden das Alter unter 21 Jahren und die geständige Verantwortung, als erschwerend die Delinquenz innerhalb offener Probezeit gewertet.

1.7. Der BF ist der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig, Kenntnisse eines bestimmten Niveaus konnten nicht festgestellt werden.

1.8. Es konnte nicht festgestellt werden, über welche äußerst intensiven privaten Bindungen der BF zum Bundegebiet verfügt. Bindungen zur Slowakei konnten nicht erkannt werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund des vorliegenden Aktes durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Familienstand, Vermögens-, Einkommenslosigkeit, durchgehendem Aufenthalt im Bundesgebiet seit März 2010, Schulbesuch, familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und Gesundheitszustand getroffen wurden, beruhen diese auf den in der Einvernahme vor dem Bundesamt getätigten Angaben, den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen sowie dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister (ZMR). Anhaltspunkte für eine Arbeitsunfähigkeit fanden sich gegenständlich nicht.

Der BF legte einen auf seinen Namen ausgestellten slowakischen (Not)Pass vom 03.02.2019 vor an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufkamen.

Die bisher ausgeübten Beschäftigungen als Lehrling und die Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges folgen dem Inhalt des auf den BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges.

Die Verurteilungen samt Entscheidungs- und Strafzumessungsgründen ergeben sich aus dem, Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich vom 24.04.2020 sowie den im Akt einliegenden Kopien der Urteilsausfertigungen des LG XXXX wie des BG XXXX.

Da der BF kein eigenes Einkommen bezieht, ist glaubhaft, dass er von seiner Mutter finanziell unterstützt wird. Wegen der langen Dauer der Abwesenheit von der Slowakei ist von einer dahingehend nicht mehr existenten Bindung auszugehen.

Der BF hat in Österreich die Schule besucht und wurde vor der belangten Behörde in deutscher Sprache einvernommen. Somit besteht an seinen Deutschkenntnissen kein Zweifel. In Ermangelung der Vorlage eines Sprachzertifikats oder eines anderen dahingehenden Bescheinigungsmittels konnten keine Deutschkenntnisse eines bestimmten Niveaus festgestellt werden.

Dass der BF, wie in der Beschwerde behauptet, über äußerst intensive private Bindungen zum Bundesgebiet verfügt, konnte er - in Ermangelung der Nennung von Namen, Anschriften und Bindungsgrad zu diesen Personen - ebenso wenig dartun, wie den Umstand, er bereue sein bisheriges Fehlverhalten, zumal er neuerlich straffällig wurde.

Vorliegend traten auf der Ebene der Beweiswürdigung keine weiteren, sondern solche auf jener der rechtlichen Beurteilung zu klärende Fragen auf.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Die BF als Staatsangehörige der Slowakei ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen."

Der mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

"§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat."

Der mit "" betitelte § 70 FPG lautet:

"§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn

1. nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;

2. die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder

3. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet."

3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

Von Seiten des BF, der aufgrund seiner slowakischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, ist zumindest die Voraussetzung eines durchgehenden 5jährigen rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet erfüllt, wonach der gegenständliche Fall zwar nicht gemäß § 67 Abs. 1., 5. Satz, jedoch nach den Sätzen 1 bis 4 dieser Bestimmung zu beurteilen ist.

Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG sohin nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

"Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042 sowie VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)."

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (vgl. zum Ganzen VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, mwN). (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0118).

Der BF ist seit 26.03.2010 im Bundesgebiet gemeldet. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 26.02.2019 hielt sich der BF somit 8 Jahre und 11 Monate, derzeit insgesamt etwas mehr als 10 Jahre und 1 Monat im Bundesgebiet auf.

Es gilt somit im Lichte des § 67 Abs. 1, 1. bis 4. Satz die Zeitspanne vom 26.03.2010 bis 26.02.2019 im Allgemeinen wie jene bis hin zur Erlassung des gegenständlichen Erkenntnisses zu beurteilen.

Bei der Beurteilung, ob ein 10jähriger Aufenthalt vorliegt oder nicht, ist auch die Judikatur des Verwaltungsgerichthofes und des Europäischen Gerichtshofes zu berücksichtigen:

In einem Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot ist bei der Frage nach dem auf einen Fremden anzuwendenden Gefährdungsmaßstab das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des EuGH vom 16.01.2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen, weil § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser RL - § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a - dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten RL bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich ununterbrochen sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079, mwN; VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Es ist demnach gegenständlich für die Anwendung der Judikatur des EuGH in der Rs C-400/12 nicht relevant, ob gegen den Beschwerdeführer eine "Ausweisung" iSd § 66 FPG oder ein "Aufenthaltsverbot" iSd § 67 FPG erlassen wird. In beiden Fällen handelt es sich um eine von der Freizügigkeitsrichtlinie umfasste, aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen Unionsbürger, zumal das Aufenthaltsverbot auch eine Ausweisung mitumfasst.

Der EuGH führt zudem in seiner Entscheidung vom aus:

"63 Mit seinen zusammen zu prüfenden ersten drei Fragen möchte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 gestellte Anforderung, den "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" gehabt zu haben, dahin auszulegen ist, dass - und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen - sie von einem Unionsbürger erfüllt werden kann, der in jungem Alter in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16 dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, gekommen ist und dort 20 Jahre lang gelebt hat, bevor er dort zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die zu dem Zeitpunkt, in dem eine Ausweisungsverfügung gegen ihn ergeht, im Vollzug begriffen ist.

64 Insoweit trifft zwar erstens zu, dass die Erwägungsgründe 23 und 24 der Richtlinie 2004/38 einen besonderen Schutz für diejenigen Personen vorsehen, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, insbesondere in Fällen, in denen sie dort geboren sind und dort ihr ganzes Leben lang ihren Aufenthalt gehabt haben, doch ist das entscheidende Kriterium für die Gewährung des durch Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 verbürgten verstärkten Schutzes nichtsdestoweniger, ob sich der Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat über ein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne von Art. 16 und Art. 28 Abs. 2 dieser Richtlinie verfügt, wie von besagtem Art. 28 Abs. 3 gefordert, in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisungsverfügung in diesem Mitgliedstaat aufgehalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 31, und vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 23).

65 Daraus folgt insbesondere, dass der für die Gewährung des verstärkten Schutzes gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 erforderliche Aufenthalt von zehn Jahren vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung der betreffenden Person an zurückzurechnen ist (Urteil vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 24).

66 Zweitens ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieser Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 27).

67 In dieser Hinsicht ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 so zwar den Genuss des darin vorgesehenen verstärkten Schutzes vor Ausweisung von der Anwesenheit des Betroffenen im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung abhängig macht, sich aber daraus nichts zu der Frage ergibt, welche Umstände eine Unterbrechung dieser Aufenthaltsdauer von zehn Jahren bewirken können, die für den Erwerb des Rechts auf verstärkten Ausweisungsschutz erforderlich ist (Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 29).

68 Der Gerichtshof hat so entschieden, dass hinsichtlich der Frage, inwieweit Abwesenheiten vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats in dem in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 genannten Zeitraum den Betroffenen daran hindern, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen ist, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt (Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 32).

69 Dafür haben die mit der Anwendung von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 betrauten nationalen Behörden alle in jedem Einzelfall relevanten Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Dauer jeder einzelnen Abwesenheit des Betroffenen vom Aufnahmemitgliedstaat, die Gesamtdauer und die Häufigkeit der Abwesenheiten sowie die Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, diesen Mitgliedstaat zu verlassen. Zu prüfen ist nämlich, ob die fraglichen Abwesenheiten bedeuten, dass sich der Mittelpunkt der persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen des Betroffenen in einen anderen Staat verlagert hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 33)

70 Was die Frage betrifft, ob gegebenenfalls Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe als solche und unabhängig von Zeiten der Abwesenheit vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats ebenfalls zu einem Abreißen des Bandes zu diesem Staat und zu einer Diskontinuität des Aufenthalts dort führen können, hat der Gerichtshof entschieden, dass zwar solche Zeiträume grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 unterbrechen. Für die Zwecke der Feststellung, ob sie damit zu einem Abreißen des zuvor geknüpften Bandes der Integration zum Aufnahmemitgliedstaat dergestalt geführt haben, dass der Betroffene nicht mehr in den Genuss des durch diese Bestimmung verbürgten verstärkten Schutzes kommen kann, ist aber gleichwohl eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt. Im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung sind die Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe zusammen mit allen anderen Anhaltspunkten zu berücksichtigen, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Gesichtspunkte ausmachen, wozu gegebenenfalls der Umstand zählt, dass der Betroffene in den letzten zehn Jahren vor seiner Inhaftierung seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 33 bis 38).

71 Insbesondere bei einem Unionsbürger, der früher, noch vor der Begehung einer seine Inhaftierung begründenden Straftat, bereits die Voraussetzung eines ununterbrochenen Aufenthalts von zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat erfüllte, kann nämlich der Umstand, dass er von den Behörden dieses Staates in Haft genommen wurde, nicht als geeignet angesehen werden, ohne Weiteres seine zuvor zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande abreißen zu lassen sowie die Kontinuität seines Aufenthalts in dessen Hoheitsgebiet im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 zu unterbrechen und ihn damit um den verstärkten Ausweisungsschutz zu bringen, der durch diese Bestimmung verbürgt ist. Ein solches Verständnis hätte auch zur Folge, dass dieser Bestimmung weitgehend ihre praktische Wirksamkeit genommen würde, da eine Ausweisung zumeist gerade wegen des Verhaltens des Betroffenen verfügt werden wird, das zu seiner Verurteilung und zum Freiheitsentzug geführt hat.

72 Im Rahmen der oben in Rn. 70 angesprochenen umfassenden Beurteilung, die hier vom vorlegenden Gericht vorzunehmen sein wird, wird dieses, was die Integrationsbande betrifft, die B in der Zeit des Aufenthalts vor seiner Inhaftierung zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpft hat, zu berücksichtigen haben, dass, je fester diese Integrationsbande zu dem besagten Staat insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht sind - in einem Maße beispielsweise, dass sie zu einer echten Verwurzelung in der Gesellschaft dieses Staates geführt haben, wie sie vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren festgestellt worden ist -, umso geringer die Wahrscheinlichkeit sein wird, dass eine Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu einem Abreißen der Integrationsbande und damit zu einer Diskontinuität des Aufenthalts von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 geführt haben kann.

73 Was die anderen für die Zwecke dieser umfassenden Beurteilung relevanten Anhaltspunkte anbelangt, so können sie, wie vom Generalanwalt in den Nrn. 123 bis 125 seiner Schlussanträge ausgeführt, zum einen die Art der die fragliche Haft begründenden Straftat sowie die Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, und zum anderen alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Bezug auf das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs umfassen.

74 Während nämlich die Art der Straftat und die Umstände ihrer Begehung ermessen lassen, in welchem Maß sich der Betroffene gegebenenfalls der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats entfremdet hat, kann sein Verhalten während der Haft wiederum dazu beitragen, dass eine solche Entfremdung verstärkt wird, oder aber im Gegenteil dazu, dass im Hinblick auf die baldige Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats zuvor zu diesem geknüpfte Integrationsbande aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden.

75 In letzterer Hinsicht ist auch zu berücksichtigen, dass, wie vom Gerichtshof bereits festgestellt, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert ist, nicht nur im Interesse dieses Staates, sondern auch im Interesse der Europäischen Union insgesamt liegt (Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 50).

76 Zu den Fragen, die das vorlegende Gericht im Zusammenhang damit aufwirft, dass die Berücksichtigung des Haftzeitraums, um festzustellen, ob die Kontinuität des zehnjährigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat vor der Ausweisung dadurch unterbrochen worden sei, je nach dem Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung zu beliebigen oder der Gleichheit abträglichen Ergebnissen führen könne, sind folgende Klarstellungen geboten.

77 In manchen Mitgliedstaaten kann zwar eine Ausweisung als Strafe oder als Nebenstrafe zu einer Freiheitsstrafe verfügt werden. Diese Möglichkeit ist in Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ausdrücklich vorgesehen. In einem solchen Fall kann die künftige Freiheitsstrafe logischerweise nicht berücksichtigt werden, wenn es um die Beurteilung geht, ob sich der Bürger in den letzten zehn Jahren vor dem Ergehen der Ausweisungsverfügung ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat.

78 Das kann somit z. B. zu dem Ergebnis führen, dass ein Unionsbürger, der zu dem Zeitpunkt, zu dem gegen ihn eine freiheitsentziehende Maßnahme zusammen mit einer Ausweisungsverfügung als Nebenstrafe oder Strafe ergeht, bereits einen ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat vorweisen kann, in den Genuss des verstärkten Ausweisungsschutzes kommt, der in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 vorgesehen ist.

79 Umgekehrt stellt sich in Bezug auf einen Bürger, dessen Ausweisung wie im Ausgangsverfahren nach seiner Inhaftierung verfügt wird, die Frage, ob die Haft bewirkt, dass die Kontinuität seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat unterbrochen wird und er um den Genuss des verstärkten Schutzes gebracht wird.

80 Insoweit ist jedoch zu betonen, dass bei einem Unionsbürger, der bei Haftantritt bereits einen zehnjährigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat vorweisen kann, der Umstand, dass die Ausweisung während oder am Ende des Haftzeitraums verfügt wird, und die Tatsache, dass der Haftzeitraum so in den Zeitraum der letzten zehn Jahre vor Ergehen der Ausweisungsverfügung fällt, nicht ohne Weiteres eine Diskontinuität dieses Zehnjahreszeitraums zur Folge haben, aufgrund deren dem Betroffenen der verstärkte Schutz des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 verloren ginge.

81 Wie sich nämlich aus den Rn. 66 bis 75 des vorliegenden Urteils ergibt, ändert sich, wenn die Entscheidung über die Ausweisung während oder am Ende des Haftzeitraums ergeht, nichts daran, dass nach Maßgabe der in diesen Randnummern gemachten Ausführungen eine umfassende Beurteilung der Situation des betroffenen Bürgers vorzunehmen ist, um festzustellen, ob er in den Genuss dieses verstärkten Schutzes kommen kann.

82 In den vorstehend in den Rn. 77 bis 81 angesprochenen Fallgestaltungen hängt also die Gewährung oder Nichtgewährung des in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen verstärkten Schutzes weiterhin von der Dauer des Aufenthalts und vom Grad der Integration des betroffenen Bürgers im Aufnahmemitgliedstaat ab.

83 Nach alledem ist auf die ersten drei Fragen in der Rechtssache C-316/16 zu antworten, dass Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass im Fall eines Unionsbürgers, der eine Freiheitsstrafe verbüßt und gegen den eine Ausweisungsverfügung ergeht, die Voraussetzung dieser Bestimmung, den "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" gehabt zu haben, erfüllt sein kann, sofern eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte zu dem Schluss führt, dass die Integrationsbande, die ihn mit dem Aufnahmemitgliedstaat verbinden, trotz der Haft nicht abgerissen sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art der die verhängte Haft begründenden Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs.

Zur vierten Frage in der Rechtssache C-316/16:

84 Mit seiner vierten Frage möchte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Wesentlichen wissen, zu welchem Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob die Voraussetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38, den "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" gehabt zu haben, erfüllt ist.

85 Nach dieser Bestimmung "darf eine Ausweisung nicht verfügt werden" gegen einen Unionsbürger, der seinen Aufenthalt "in den letzten zehn Jahren" im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat, es sei denn, es liegen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit vor.

86 Aus diesem Wortlaut ergibt sich, dass unter "den letzten zehn Jahren" die zehn Jahre vor der Ausweisungsverfügung zu verstehen sind, so dass die Voraussetzung des ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalts zum Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung zu prüfen ist.

87 Wie oben in Rn. 65 in Erinnerung gerufen, hat der Gerichtshof im Übrigen bereits klargestellt, dass der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren, von dem die Gewährung des verstärkten Schutzes gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 abhängt, von dem Zeitpunkt an zurückzurechnen ist, zu dem die Verfügung der Ausweisung der betreffenden Person ergeht.

88 Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Frage, ob eine Person die Voraussetzung erfüllt, ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisungsverfügung im Aufnahmemitgliedstaat gehabt zu haben, und damit in den Genuss des verstärkten Schutzes gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 kommen kann, zu dem Zeitpunkt zu beurteilen ist, zu dem die Ausweisungsverfügung anfangs ergeht.

89 Es ist jedoch klarzustellen, dass diese Auslegung nicht der - anderen - Frage vorgreift, zu welchem Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob tatsächlich "Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Sinne des Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Sinne des Art. 28 Abs. 2 dieser Richtlinie oder "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie gegeben sind, die eine Ausweisung rechtfertigen können.

90 Insoweit obliegt es zwar der Behörde, die die Ausweisungsverfügung anfangs erlässt, diese Beurteilung mit Erlass der Verfügung vorzunehmen, und zwar unter Beachtung der materiell-rechtlichen Vorgaben der Art. 27 und 28 der Richtlinie 2004/38.

91 Dies schließt jedoch nicht aus, dass es sich, wenn sich der konkrete Vollzug dieser Verfügung für eine gewisse Zeit verzögert, als notwendig erweisen kann, erneut und nach dem aktuellen Stand zu beurteilen, ob weiterhin, je nachdem, worum es geht, "Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit", "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" oder "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" gegeben sind.

92 Es ist nämlich insbesondere darauf hinzuweisen, dass Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38 für jede Ausweisungsverfügung allgemein die Voraussetzung aufstellt, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Mai 2012, I, C-348/09, EU:C:2012:300, Rn. 30, und vom 13. Juli 2017, E, C-193/16, EU:C:2017:542, Rn. 23).

93 Ferner müssen die Mitgliedstaaten, wenn eine Ausweisungsverfügung als Strafe oder als Nebenstrafe zu einer Freiheitsstrafe ergeht, aber mehr als zwei Jahre nach ihrem Erlass vollzogen wird, nach Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ausdrücklich überprüfen, ob von dem Betroffenen eine gegenwärtige und tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht, und beurteilen, ob seit dem Erlass der Ausweisungsverfügung eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist (Urteil vom 22. Mai 2012, I, C-348/09, EU:C:2012:300, Rn. 31).

94 Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs allgemeiner, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen haben, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung bedeuten können, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen soll. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein längerer Zeitraum zwischen dem Erlass der Ausweisungsverfügung und der Beurteilung dieser Verfügung durch das zuständige Gericht liegt (vgl. entsprechend Urteile vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri, C-482/01 und C-493/01, EU:C:2004:262, Rn. 82, und vom 8. Dezember 2011, Ziebell, C-371/08, EU:C:2011:809, Rn. 84).

95 Nach alledem ist auf die vierte Frage in der Rechtssache C-316/16 zu antworten, dass Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass die Frage, ob eine Person die Voraussetzung dieser Bestimmung, den "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" gehabt zu haben, erfüllt, zu dem Zeitpunkt zu beurteilen ist, zu dem die ursprüngliche Ausweisungsverfügung ergeht."

Dazu ist auszuführen, dass sich entsprechend der zitierten Rechtsprechung des EuGH der für den Erwerb eines Daueraufenthalts nötige ununterbrochene, rechtmäßige Aufenthalt von fünf Jahren zwar ab dem Zeitpunkt der Einreise bzw. Aufenthaltsnahme berechnet, hingegen für den - zur möglichen Anwendung des Gefährdungsmaßstabes des Art. 28 Abs. 3 lit. a Freizügigkeitsrichtlinie führenden - ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet der Zeitpunkt der Erlassung der ursprünglichen "Ausweisungsentscheidung" maßgeblich ist. Von diesem Zeitpunkt sind zehn Jahre zurückzurechnen.

Wie der EuGH in Rn 72 der genannten Entscheidung unterstreicht, wird, was die Integrationsbande betrifft, die in der Zeit des Aufenthalts vor seiner Inhaftierung zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpft wurde, zu berücksichtigen sein, dass, je fester diese Integrationsbande insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht sind, umso geringer die Wahrscheinlichkeit sein wird, dass eine Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu einem Abreißen der Integrationsbande und damit zu einer Diskontinuität des Aufenthalts von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 geführt haben kann.

Es ist umfassende Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, um zu klären, ob Haftzeiten die zuvor geknüpften Integrationsbande zum Aufnahmemitgliedstaat haben abreißen lassen. Deshalb lasse die Inhaftierung des Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat nicht ohne weiteres seine zu diesem Staat geknüpften Integrationsbande abreißen und bringe ihn daher auch nicht ohne weiteres um den verstärkten Ausweisungsschutz. Bei der umfassenden Beurteilung der Situation des Betroffenen seien die Stärke der vor seiner Inhaftierung zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande sowie die Art der Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs zu berücksichtigen. Die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert sei, liege nicht nur im Interesse dieses Staates, sondern auch im Interesse der Union.

3.1.4. Ausgehend von dieser Rechtsprechung hält sich der BF zum jetzigen Zeitpunkt zusammengerechnet seit mehr als 10 Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der BF wurde insgesamt 3 Mal (2 Mal 2017, 1 Mal 2019) unter anderem wegen Raubes, schweren Raubes, versuchter Nötigung, Urkundenunterdrückung, Körperverletzung und Diebstahls zu Freiheitsstrafen von 16 Monaten (1; davon 13 Monate bedingt), 6 Wochen bedingt (2) und 4 Monate bedingt (3) verurteilt.

Dem BF ist es - trotz in Aussichtstellung in der Beschwerde - nicht gelungen, von seinem strafbaren Verhalten Abstand zu nehmen und wurde nach Erhebung des Rechtsmittels neuerlich straffällig. Ferner konnte er beruflich nicht Fuß fassen und ist seit nunmehr mehr als 4 Jahren nicht mehr erwerbstätig. Seine Lehren brach er nach jeweils nur wenigen Monaten ab. Somit ist er nicht selbsterhaltungsfähig.

Das vom BF gezeigte Verhalten stellt jedenfalls eine Gefährdung öffentlicher Interessen dar und kann keinesfalls gebilligt werden (vgl. auch VwGH 22.02.2011, 2010/18/0417: hinsichtlich der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen durch Gewalt- und Eigentumsdelikte). Es ist jedoch vorliegend in Anschlag zu bringen, dass der unbedingte Teil aller verhängten Freiheitsstrafen zusammengenommen, "nur" 3 Monate betrug und die letzten beiden Deliktsbegehungen Freiheitsstrafen von 6 Wochen und 4 Monaten zur Folge hatten. Die letzte strafbare Handlung liegt nahezu 2 Jahre zurück. Abgehen davon beinhalteten die ersten beiden Verurteilungen Jugendstraftaten, die jüngste beging der BF als "Junger Erwachsener".

Was die im Lichte des § 9 BFA-VG gebotene Abwägung der privaten und familiären Interessen der BF mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen betrifft, ist zumindest von einem schützenswerten Familienleben auszugehen, das sich - wie bereits erwähnt - in der Loslösung der Bande zur Slowakei und der gemeinsamen Haushaltsführung des BF mit seinem Bruder, der Großmutter, seiner Mutter, wie der finanziellen Abhängigkeit von dieser äußert.

Wenn der belangten Behörde letztlich insofern Recht zu geben ist, als das vom BF gezeigte Verhalten an sich eine inakzeptable Missachtung gültiger Rechtsnormen darstellt und er damit einhergehend eine Gefährdung öffentlicher Interessen bewirkt hat, ist dieser jedoch vorzuhalten, sich unzureichend mit der langen Aufenthaltsdauer des BF im Bundesgebiet befasst und diese in den vorliegenden Sachverhalt miteinbezogen zu haben.

Legt man die aus den beiden obzitierten Entscheidungen des EuGH vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 31, und vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 23 gezogenen Schlüsse auf den gegenständlichen Fall um, so ist zu erkennen, dass der BF bereits im Alter von knapp 10 Jahren nach Österreich gekommen ist. Zur Slowakei bestehen keine Bindungen mehr. Zu beachten ist ferner, dass sich der BF zum Zeitpunkt seiner ersten Verurteilung etwa 7 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat. Auch wenn der BF augenscheinlich nicht an seiner Selbsterhaltungsfähigkeit arbeitet, kann die enge familiäre Bindung (finanzielle Unterstützung durch die Mutter, gemeinsamer Haushalt) nicht ausgeblendet werden. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, somit zugleich der Ausweisungsentscheidung, verbrachte der BF nahezu 9 Jahre in Österreich und kommt somit der (auch in § 67 Abs. 1, 5. Satz) normierten 10-Jahres-Grenze sehr nahe. Je näher diese liegt, umso gewichtigere Straftaten muss der EU-Bürger - gemessen an der mehrfach zitierten Judikatur von VwGH und EuGH - begangen haben, um die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen zu können.

In Anbetracht der begangenen Straftaten, mögen sie losgelöst vom vorliegenden Fall (schwerer Raub, Körperverletzung, versuchte Nötigung, Diebstahl) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen, der hiefür nahezu ausschließlich bedingt verhängten Freiheitsstrafen und der lange in Österreich verbrachten Zeit (gegenständlich mehr als die Hälfte des Lebens des BF) lässt sich das vorliegende Aufenthaltsverbot nicht aufrechterhalten und war der angefochtene Bescheid daher zu beheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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