Entscheidungsdatum
08.05.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G301 2220956-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Deutschland, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 23.05.2019, Zl. XXXX, betreffend Aufenthaltsverbot:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestellt am 03.06.2019, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den BF ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).
Mit dem am 02.07.2019 beim BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, eingebrachten und mit 01.07.2019 datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 08.07.2019 vom BFA vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
Der dargestellte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbedenklichen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2. Rechtliche Beurteilung:
2.1. Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung (Spruchpunkt A.):
Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11). Der VwGH hat festgehalten, dass bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch die Bedeutung und Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen sei und die Einräumung eines Instanzenzuges nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden dürfe. Der Umstand dass es die Vorinstanz ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse zu erarbeiten, rechtfertige nicht, dass sich der Rechtsweg "einem erstinstanzlichen Verfahren (...) nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.
Im gegenständlichen Fall hat sich ergeben, dass die belangte Behörde erforderliche Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts unterlassen bzw. bloß ansatzweise und nur grob mangelhaft ermittelt hat:
Gemäß § 67 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
Wenn der Fremde nach dem Maßstab der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl. § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat (§ 53a NAG und Art. 16 Freizügigkeitsrichtlinie), ist es geboten, auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 FPG den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG heranzuziehen (siehe Art. 28 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie). Demnach darf eine Ausweisung nur "aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" verfügt werden. Dieser Gefährdungsmaßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen des FPG über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG (siehe VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).
Wie sich aus dem gegenständlich angefochtenen Bescheid ergibt, ging die belangte Behörde offenbar davon aus, dass der BF spätestens am 05.08.2013 in Österreich eingereist sei und zu diesem Zeitpunkt einen rechtmäßigen Hauptwohnsitz im österreichischen Bundesgebiet begründet habe.
Vor diesem Hintergrund hat es die belangte Behörde aber zur Gänze verabsäumt, sich mit der tatsächlichen Dauer des Aufenthalts in Österreich und der rechtlichen Qualität des bisherigen Aufenthalts sowie mit dem sich daraus konkret ergebenden Gefährdungsmaßstab bei der Prüfung eines Aufenthaltsverbots auseinanderzusetzen. So wurden von der belangten Behörde keinerlei Ermittlungen dahingehend unternommen, ob der BF zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Aufenthaltsverbotes mit dem am 23.05.2019 genehmigten Bescheides allenfalls bereits das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG und Art. 16 Freizügigkeitsrichtlinie erworben hatte oder nicht. Liegt ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht vor, dann hat die belangte Behörde anhand aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Erlassung eines Aufenthaltsverbots auch nach einem erhöhten Gefährdungsmaßstab - etwa nach § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") - gerechtfertigt wäre.
Aus all dem ergibt sich, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weder eine hinreichende Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes, noch eine Beantwortung aller relevanten Rechtsfragen vorgenommen hat, die auch eine geeignete nachfolgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheides ermöglichen würden (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).
Die Gründe, die zu den im Spruch getroffenen Entscheidungen der belangten Behörde geführt haben, sind in der Bescheidbegründung (§ 60 AVG) klar und umfassend darzulegen. Die im angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde geführten Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen und Erwägungen entsprechen aber jedenfalls nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (§ 60 iVm. § 58 Abs. 2 AVG).
Die belangte Behörde wird daher nach Durchführung ergänzender Ermittlungen zur Klärung der Dauer und der Art (rechtlichen Qualität) des Aufenthalts des BF in Österreich den entscheidungswesentlichen Sachverhalt neuerlich festzustellen und sodann - basierend auf dem festgestellten Sachverhalt und dem konkreten Fehlverhalten des Fremden - eine fallspezifische Gefährdungsprognose aufgrund des jeweils heranzuziehenden (erhöhten) Gefährdungsmaßstabes vorzunehmen haben. Im Rahmen des zu ergänzenden Ermittlungsverfahrens hat sich die belangte Behörde auch unter Bedachtnahme auf das Vorbringen in der Beschwerde mit dem Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Partei in Österreich auseinanderzusetzen.
Es hat sich insgesamt nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.
Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.
Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Im Hinblick darauf kann eine weitere Auseinandersetzung mit den übrigen in der gegenständlichen Beschwerde aufgezeigten Mängeln und den weiteren in der Beschwerde gestellten Anträgen unterbleiben.
2.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.
2.3. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen angesichts der in der rechtlichen Beurteilung angeführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G301.2220956.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020