Entscheidungsdatum
11.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G305 2192101-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX, alias XXXX, geboren am XXXX, StA: Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den zum XXXX.03.2018 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Wien, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.09.2019, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX, alias XXXX, geboren am XXXX, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX, alias XXXX, geboren am XXXX, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Am 16.12.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte irakische Staatsangehörige XXXX, alias XXXX, geboren am XXXX, vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Am 17.12.2015 wurden er von Organen des Stadtpolizeikommando Salzburg niederschriftlich einvernommen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass er am XXXX.11.2015 zu Hause in XXXX von fünf maskierten und bewaffneten Personen bedroht worden sei. Es sei von ihm unter Setzung eines siebentägigen Ultimatums verlangt worden, sich einer militanten Bewegung anzuschließen widrigenfalls ihm etwas geschehen würde. Fünf Tage nach dieser Bedrohung sei der Entschluss zum Verlassen der Heimat erfolgt. Er habe daraufhin am XXXX.11.2015 XXXX mit dem Flugzeug in Richtung Izmir (Türkei) verlassen [Erstbefragung S. 3 und S. 5].
Zur Reiseroute befragt gab der BF an, dass er am XXXX.11.2015 ausgehend von XXXX mit dem Flugzeug, sohin legal, nach Izmir geflogen und in der Folge in einer Gruppe mit dem Taxi an die Küste gefahren sei. Die Einreise in den EU-Raum sei am 17.11.2015 auf der griechischen Insel "Pharmikos" per Boot erfolgt. Von dort sei er mit dem Bus oder zu Fuß weiter über Mazedonien nach Norden und bis Österreich gelangt. Wo er genau gewesen sei, wisse er nicht. Er nehme auch an, bereits in Deutschland gewesen zu sein. Dort sei ihm sein Reisepass abgenommen und eine Bestätigung darüber ausgefolgt worden. Dies sei auch der Grund, weshalb er keinen Reisepass bei sich habe. Da es ihm nach einer etwa 24stündigen Unterbringung in Deutschland gestattet worden sei, sich frei zu bewegen, sei er mit dem Zug zurück nach Österreich gefahren [Erstbefragung S. 4f].
1.3. Am 03.07.2017 wurde der BF ab 08:30 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.
Bei dieser Einvernahme gab er an, ausschließlich im Irak verfolgt worden zu sein und sich an seine Angaben bei der Erstbefragung nicht mehr erinnern zu können, da er zum damaligen Zeitpunkt krank gewesen sei. Er legte amtliche Dokumente aus seinem Heimatstaat, eine Sterbeurkunde und Fotografien seines Cousins sowie die Bestätigung der Reisepassabnahme in Deutschland vor [Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 3]. Er gab an, den Entschluss zur Ausreise am 07.10.2015 gefasst zu haben und am 13.10.2015 den Herkunftsstaat von Bagdad aus mit dem Bus in Richtung Istanbul (Türkei) verlassen zu haben. Kurz darauf korrigierte er aus eigenem heraus seine Angaben zum Fluchtzeitpunkt auf den 03.11.2015 und den Entschluss, das Land zu verlassen auf den 27.10.2015. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er ein Mann sei, der auch Sex mit anderen Männern möge. Er habe diese Männer im XXXX oder in einem Café "XXXX" getroffen. Am 15.01.2015 sei die "Al Mahdi Miliz", die in deren Ortschaft aktiv gewesen sei, in das Café gekommen und habe ihn geschlagen, sodass er in Ohnmacht gefallen sei. Der BF sei in einem Haus gefesselt aufgewacht und dort wieder geschlagen worden. Anschließend sei er "vom oberen in den unteren Stock" geworfen worden und habe das Bewusstsein verloren. Er sei erst wieder in einem Krankenhaus aufgewacht, wo ein Leistenbruch diagnostiziert und operativ behandelt worden sei. Nach einem einwöchigen Aufenthalt habe er das Krankenhaus verlassen können und zu Hause seinem Vater über den Zwischenfall berichtet. Er habe sich jedoch weiterhin mit Freunden getroffen und mit diesen Geschlechtsverkehr gehabt, ohne dass seine Eltern davon gewusst hätten. Am 27.10.2015 sei die "Jaish al Mahdi" zu ihnen nach Hause gekommen und hätte vom Vater verlangt, dass der BF keinen Geschlechtsverkehr mit Männern haben solle und das sie ihn in sieben Tagen mitnehmen würden. Auf Rückfrage durch den Vater habe der BF diesen ob seiner sexuellen Orientierung angelogen und sei daraufhin in das Haus seines Onkels gegangen. Sein Vater habe ihm dazu und in der Folge zum Verlassen des Herkunftsstaates geraten, da er sonst der "Al Mahdi" beitreten müsse, da sie ihn sonst töten würden. Am 03.11.2015 habe er daraufhin Bagdad mit dem Bus verlassen, nachdem ihm von seinem Cousin sein Reisepass ausgehändigt worden sei. Im September 2016 sei sein Cousin bei seiner Familie zu Besuch gewesen und bei einem Einkauf am Markt entführt und drei Tage später tot aufgefunden worden. Auch sein Bruder sei entführt worden, worauf seine Familie den Wohnort gewechselt habe. Seine Familie habe ihn daraufhin verstoßen, da sie nun erfahren habe, dass er homosexuell sei und dass er ob der äußerlichen Ähnlichkeit und des gleichen Geburtsjahres mit seinem Cousin verwechselt worden sei [Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 7; Kopien von Sterbeurkunde; Fotografien des Cousins und dessen Grabes].
1.4. Am 10.07.2017 wurde der BF ab 09:45 Uhr ein weiteres Mal durch Organe des BFA einvernommen. Bei dieser Einvernahme gab der BF Auskünfte zu seinen ersten homoerotischen Erlebnissen mit etwa zwölf Jahren. Er habe seine Homosexualität im Verein, bei sich zu Hause oder seinen Freunden oder im Café ausleben können. Er nannte einige Namen von Lokalen, welche er in Österreich besuche, ohne jedoch deren genaue Adresse zu wissen [Niederschrift-BFA vom 10.07.2017].
1.5. Mit dem zum XXXX.03.2018 datierten Bescheid der belangten Behörde, wies das BFA den Antrag der beschwerdeführenden Partei (im der Folge auch: Beschwerdeführer oder kurz: bfP) hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom 16.12.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Die belangte Behörde begründete dies im Kern damit, dass der BF lediglich abstrakte und unkonkrete Behauptungen aufgestellt habe. Es sei ihm nicht gelungen, konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft zu machen. Er habe widersprüchliche Angaben zum Fluchtzeitpunkt gemacht und lediglich einen Rekrutierungsversuch angegeben, ohne genauer darauf eingegangen zu sein.
1.6. Gegen den zum 08.03.2018 datierten Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, dass er den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe "inhaltliche Rechtswidrigkeit" und "Verletzung von Verfahrensvorschriften" - vollumfänglich anfechte und die Beschwerde mit den Anträgen verbinde, dass 1.) der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverwiesen werden möge, 2) eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt werden möge, 3.) der angefochtene Bescheid behoben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden möge, 4.) für den Fall der Abweisung des obigen Beschwerdeantrages möge gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG festgestellt werden, dass ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat zukomme, 5.) in eventu möge der Bescheid bezüglich des Spruchpunktes IV aufgehoben und festgestellt werden, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK erteilt werde. In der Beschwerde wurde vorgebracht, das BFA habe die vom BF gelebten Beziehungen zu Männern nicht ausreichend berücksichtigt und dass er insgeheim eine Beziehung zu einem Mann gehabt hätte. Der BF führe zwar eine Beziehung zu einer Frau, möchte auch Kinder haben und heiraten, wolle aber seine sexuelle Orientierung weiterhin ausleben, was in seinem Heimatstaat nicht gefahrlos möglich sei. Das BFA habe dem BF auch nahegelegt, seine sexuelle Orientierung durch ein Video zu dokumentieren. Die Behörde habe bei der Befragung vom 03.07.2017 durch die Frage nach den sexuellen Praktiken des BF zusätzlich gegen Art 8 EMRK und Art 7 GRC verstoßen.
1.7 Am 11.04.2018 wurde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem BVwG vorgelegt.
1.8. Am 12.04.2019 stellte der BF einen Antrag auf Unterstützung für die freiwillige Heimkehr, welcher am 15.04.2019 zurückgezogen wurde [OZ 6 und OZ 7].
1.9. Am 19.06.2019 langte beim BVwG eine Verständigung über eine Amtshandlung gegen den BF wegen §§ 83 und 125 StGB ein [OZ 7].
1.10. Anlässlich einer am 02.09.2019 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF im Beisein seiner Rechtsvertreterin (im Folgenden: RV) und eines Dolmetschers für die arabische Sprache einvernommen.
1.11. Am 17.10.2019 langte eine Meldung über eine Amtshandlung gegen den BF wegen § 83 StGB beim BVwG ein [OZ 10 und OZ 11].
1.12. Am 08.04.2020 langte eine Meldung beim BVwG ein, wonach der BF im Zuge einer Wohnungsparty aus einem Fenster gestürzt sei und dabei Verletzungen unbestimmten Grades erlitten haben soll [OZ 14].
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Identitätsfeststellungen
Der BF führt die im Spruch angegebene Identität XXXX, geboren am XXXX, und ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an und bekennt sich zur schiitisch-islamischen Religionsgemeinschaft. Seine Muttersprache ist arabisch. Er ist ledig und kinderlos [Erstbefragung S.1; Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 3f; Kopien von Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis des BF; Laufzettelkopie zu Reisepassabnahme].
Er hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX.12.2015 im Bundesgebiet (seit dem 04.11.2019 an der Anschrift XXXX) [Auszug aus dem Zentralen Melderegister-ZMR].
1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Parteien in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:
Der BF lebte zuletzt in XXXX, einem mehrheitlich von Schiiten bewohnten Stadtteil (Stand November 2019 https://de.wikipedia.org/wiki/XXXX Zugriff am: 20.05.2020) [Erstbefragung S. 3; Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 4; PV des BF vom 02.09.2019 S. 9].
Er ist zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Ende Oktober oder Anfang November 2015 ausgehend von XXXX in die Türkei ausgereist und im Anschluss über Griechenland und die "Balkanroute" nach Deutschland gelangt, wo ihm am 15.12.2015 der Reisepass abgenommen wurde. Am 16.12.2015 reiste er im Besitz eines Personalausweises und einer Kopie der Abnahmebestätigung des Reisepasses, jedoch ohne Einreisebewilligung, sohin illegal ins Bundesgebiet ein [Erstbefragung des BF S. 4; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 02.09.2019 S. 5f; Laufzettelkopie zu Reisepassabnahme].
1.3. Zur individuellen Situation der beschwerdeführenden Parteien im Heimatstaat:
Im Herkunftsstaat besuchte der BF sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Hauptschule in XXXX. Weitere Ausbildungen belegte der BF nicht. [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 02.09.2019 S. 6].
Die Kernfamilie des BF lebte zuletzt in XXXX, im Bezirk XXXX. Diese besteht aus dessen Vater, XXXX, geb. XXXX, der Mutter XXXX, geboren XXXX sowie fünf Geschwistern. Die zwei Brüder, XXXX und XXXX sind etwa XXXX und XXXX Jahre alt, die drei Schwestern, XXXX, XXXX und XXXX sind etwa XXXX, XXXX und XXXX Jahre alt [Erstbefragung S. 3; Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 4].
Der BF wurde bis zu seiner Flucht vom Vater unterstützt und XXXX in mehreren XXXX. Gelegentlich arbeitete er als Hilfskraft in Restaurants. [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 02.09.2019 S. 6f].
1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Parteien:
Der BF hatte weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde zu keinem Zeitpunkt von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Schiiten bzw. zur (Mehrheits-)ethnie der Araber oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt [Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 4; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 02.09.2019 S. 7].
Das Fluchtvorbringen des BF, nach der Bedrohung durch die "Jaish-al Mahdi Miliz" ob seiner sexuellen Ausrichtung ausgereist zu sein, erweist sich als nicht glaubwürdig [Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 7].
Festgestellt wird, dass der BF aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort ihren Herkunftsstaat verlassen haben.
Weitere Fluchtgründe brachte er nicht vor.
Insgesamt vermochte der BF nicht glaubhaft zu machen, dass er im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch eine (schiitische) Miliz aus Gründen seiner sexuellen Orientierung ausgesetzt gewesen wäre.
1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:
Der BF hat nachweislich von XXXX.12.2017 bis XXXX.05.2018 das "XXXX" besucht und dort an Deutschkursen sowie anderen Pflicht- und Wahlfachkursen teilgenommen sowie Treffen der Organisation "XXXX", einem Verein zur Unterstützung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*- und Interpersonen, besucht [Schreiben XXXX; Kursbesuchsbestätigung].
1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:
Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte, parallel zu diesen Geschehnissen, durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.
Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.
Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.
Anlassbezogen ist jedoch nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Bedrohung durch schiitische Milizen oder durch die Polizei des Herkunftsstaates ausgesetzt gewesen wäre. Auch kam nicht hervor, dass es ihm - selbst bei Wahrunterstellung einer allfälligen asylrelevanten Verfolgung - nicht möglich gewesen wäre, eine innerstaatliche Fluchtalternative zu wählen.
1.6.1. Bei der vom BF genannten Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) bzw. Jaish al Mahdi handelt es sich um eine der unter der PMF zusammengefassten schiitischen Milizen. Die von ihm zuerst genannte Miliz wurde 2014 von Muqtada al-Sadr gegründet und kann als Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee (Jaish al-Mahdi; https://de.wikipedia.org/wiki/Mahdi-Armee , Stand Dezember 2019, zuletzt abgerufen am 20.05.2020) bezeichnet werden. Einige Quellen sprechen von 50.000 bis zu 100.000 Kämpfern. Ihre Schlagkraft ist mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt, was an der gewahrten politischen Distanz zu Teheran und damit einhergehend reduzierten Mitteln von Seiten des Iran liegt. Ihr Haupteinsatzgebiet liegt im vorgeblichen Schutz heiliger schiitischer Stätten. Seitens der Regierung wurde 2016 der Versuch unternommen, Teile der PMF in die staatliche Sicherheitsstruktur einzugliedern und unter die Kontrolle des Premierministers zu stellen - ein Projekt, dessen Ausgang noch immer unklar ist.
Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft oder sexueller Minderheiten durch diese Miliz besteht nicht. Die schiitische Glaubensgemeinschaft in XXXX stellt gegenüber der sunnitischen Gemeinschaft die Mehrheit dar und ist sie in der Gesellschaft und in der Regierung präsent. Die Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft spielen überdies eine große Rolle im irakischen Parlament.
Quellen:
- Australian Government, DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT IRAQ, 26.06.2017, http://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-iraq.pdf (Letzter Zugriff am 16.07.2018)
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen 02.02.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424853.html (Letzter Zugriff am 16.07.2018)
- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Letzter Zugriff am 16.07.2018)
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (Letzter Zugriff am 16.07.2018)
- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Letzter Zugriff am 18.07.2018)
- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc (Letzter Zugriff am 18.07.2018)
1.6.2. Berufsgruppen:
Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.2.2018).
Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat des BF lässt sich nicht entnehmen und ist auch sonst nicht hervorgekommen, dass Elektriker, Installateure, Schweißer und/oder XXXX einer besonderen Gefährdung, konkret der Miliz "Saraya al-Salam", ausgesetzt wären.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 27.9.2018
- IWPR - Institute for War and Peace Reporting (25.11.2009): Fear chokes Nasiriya's Song, https://iwpr.net/global-voices/fear-chokes-nasiriyas-song, Zugriff 2.10.2009
- USDOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394979.html, Zugriff 2.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 21.9.2018
1.6.3. Medizinische Versorgung:
Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).
Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).
Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).
In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 12.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767. Zugriff 20.11.2018
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017),https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl de.pdf:isessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1 cid294?blob=publicationFile. Zugriff 16.10.2018
- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care,
- http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html. Zugriff 16.10.2018
1.6.4. Sexuelle Minderheiten:
Das Strafgesetzbuch des Irak verbietet gleichgeschlechtliche Intimität nicht (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Es gibt keine Gesetze, die gleichgeschlechtliches Verhalten (same-sex conduct) direkt kriminalisieren würden. Nach Artikel 394 ist jedoch das Eingehen einer außerehelichen sexuellen Beziehung strafbar (HRW 14.1.2020). Die Behörden stützen sich aber auf Anklagen wegen Sittlichkeitsvergehen oder Prostitution, um gleichgeschlechtliche - aber auch außereheliche heterosexuelle - Aktivität strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 11.3.2020). Herangezogen wird Artikel 401 bezüglich unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit (bis zu sechs Monate Haft). Es handelt sich dabei um eine vage Bestimmung, die zur Verfolgung sexueller und gleichgeschlechtlicher Minderheiten herangezogen werden kann, auch wenn kein derartiger Fall dokumentiert ist (HRW 14.1.2020).
Auch wenn sensible Themen zunehmend öffentlich diskutiert werden, wird Homosexualität weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt. Homosexuelle leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung (AA 12.1.2019) und Gewalt (FH 4.3.2020), bis hin zu Ehrenmorden durch Familienangehörige (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Angehörige sexueller Minderheiten sind häufig Misshandlungen und Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, die von der Regierung nicht wirksam untersucht werden. Die Polizei wird mitunter eher als Bedrohung, denn als Schutz empfunden (AA 12.1.2019). Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten versäumt es die Regierung, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw. mögliche Opfer zu schützen (USDOS 11.3.2020). Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt (AA 12.1.2019).
Quellen:
- - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- - CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women; IraQueer (Author), MADRE (Author), OutRight Action International (Author), OWFI - The Organization of Women's Freedom in Iraq (Author) (9.2019): Violence and Discrimination Based on Sexual Orientation and Gender Identity in Iraq, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37343_E.docx, Zugriff 13.3.2020
- - FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- - HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- - USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der schiitischen Araber, aus politischen Gründen oder wegen seiner sexuellen Orientierung Probleme gehabt hätte. Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass er oder die Angehörigen seiner Kernfamilie politisch aktiv gewesen wären oder als Mitglied einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten. Auch konnte der BF nicht glaubhaft machen, dass er von seiner Familie wegen seiner sexuellen Orientierung verstoßen worden wäre, hatte er auch behauptet, dass er "seine Homosexualität" auch zu Hause ausleben habe können.
Im Beschwerdeverfahren, das auch der Ermittlung seiner Lebensumstände vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat diente, kam hervor, dass der BF das Tragen von extravaganter Kleidung als Ausdruck seiner persönlichen Freiheit ansah und diese auch in der Öffentlichkeit und am XXXX trug. Dementsprechend ist nicht feststellbar, dass der BF ob seines Auftretens von staatlicher Seite einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt war, zumal er dies auch nicht behauptete. Auch kam nicht hervor, dass er wegen des Tragens extravaganter Kleidung mit der von ihm behaupteten sexuellen Orientierung - von wem immer - in Verbindung gebracht worden wäre und deshalb Schwierigkeiten bekommen hätte [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 02.09.2017, S. 20f].
Der BF, hatte zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit Angehörigen einer Miliz, namentlich der Miliz "Saraya al-Salam/Jaish al-Mahdi". Auch wurde kein Mitglied der Familie des BF je dazu angeworben, für diese oder eine andere (schiitische) Miliz zu kämpfen. Auch sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass der BF Berührungspunkte mit dieser oder einer anderen, im Herkunftsstaat aktiven Miliz gehabt hätten. Ihm gelang es nicht, eine Einberufung zu einer Miliz des Herkunftsstaates glaubhaft zu machen. Er hat auch keine Behauptung dahingehend erhoben bzw. gelang es ihm nicht glaubhaft darzutun, dass er von Angehörigen einer Miliz verfolgt worden wäre.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.
2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die auf den Angaben des BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden sowie den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten Reisedokumente.
Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.
2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:
Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben.
Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der BF am 17.12.2015 zu seinen Fluchtgründen befragt, angegeben, den Herkunftsstaat deshalb verlassen zu haben, weil er Angst hatte, als am 10.11.2015 von Mitgliedern der "Saraya as-Salam/Jaish al-Mahdi Miliz" versucht worden sei, ihn zu rekrutieren [Erstbefragung, S.3 und 5]. Weitere Fluchtgründe führte er nicht ins Treffen.
Anlässlich seiner am 03.07.2017 vor der belangten Behörde stattgehabten mündlichen Einvernahme hatte der BF angegeben, dass er ob seiner sexuellen Orientierung von Mitgliedern der "Saraya as-Salam/Jaish al-Mahdi Miliz" entführt und gefoltert worden sei. Er sei aus dem ersten Stock eines Hauses geworfen worden und habe einen Leistenbruch erlitten, welcher in einem Krankenhaus operativ behandelt worden sei. Er habe seiner Familie zwar über den Vorfall, jedoch nichts über dessen Hintergrund bzw. seine homosexuelle Orientierung berichtet. Nachdem Mitglieder der "Saraya as-Salam/Jaish al-Mahdi Miliz" seinen Vater aufgesucht und diesen angehalten hätten, dass sein Sohn, der BF, keinen Geschlechtsverkehr mit Männern mehr haben soll und sie ihn in sieben Tagen abholen würden, habe er seinen Vater weiterhin über die sexuelle Orientierung im Dunklen gelassen. Anschließend sei er zu seinem Onkel gegangen und habe von seinem Vater den Rat bekommen, das Land zu verlassen. Im September 2016, sohin nach seiner Flucht, sei sein Cousin in der Nähe seines Elternhauses entführt und drei Tage später tot aufgefunden worden. Ob der Ähnlichkeit zu ihm und dem selben Geburtsjahr sei es wohl zu einer Verwechslung mit ihm gekommen. Auch sein Bruder sei entführt worden, worauf seine Familie den Wohnort gewechselt habe. Seine Familie habe ihn daraufhin verstoßen, da sie nun gewusst hätte, dass er homosexuell sei da man seinen Cousin sicher mit ihm verwechselt habe, da sie sich ähnlichsehen würden und das gleich Geburtsjahr hätten. Davon abgesehen gebe es keine weiteren Fluchtgründe [Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 7f].
Vor dem BVwG hielt der BF seine Angaben zu seiner sexuellen Orientierung zwar aufrecht, jedoch gab er ergänzend an, dass es nach der Ermordung seines Cousins zu einer Brandschatzung des Elternhauses durch die Familie des Cousins gekommen sei. Diese sei zwar der Polizei gemeldet worden, diese würde sich jedoch nicht in Clanangelegenheiten einmischen [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 02.09.2017 S. 9ff].
Während die Fluchtroute und der Ablauf vom BF glaubhaft geschildert wurde, verwickelte er sich in Widersprüche mit seinen Angaben, wann genau der BF die Entscheidung zur Flucht getroffen hatte und wie er das Land verließ. Während er in seiner Erstbefragung am 17.12.2015 noch angab am 15.11.2015 mittels Flugzeug von XXXX nach Izmir geflogen zu sein, korrigierte er diese Angaben bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 03.07.2017 dahingehend, dass er mittels Bus nach Istanbul gefahren sei. Auch das Datum des Fluchtentschlusses und somit der angeblichen Bedrohung durch die "Saraya al-Salam/Jaish al-Mahdi Miliz" konnte der BF nicht übereinstimmend wiedergeben. Während er bei seiner Erstbefragung noch angab, am 10.11.2015 von fünf maskierten Personen bedroht worden zu sein, gab er hierzu vor dem BFA am 03.04.2017 nach einer Korrektur an, am 27.10.2015 bedroht worden zu sein und am 03.11.2015 den Irak mit einem Bus verlassen zu haben [Erstbefragung vom 17.12.2015 S 3; Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 5ff]. Auch wenn es ob der Drucksituation, unter welcher der BF gestanden haben mag, nicht auszuschließen ist, dass ein Ausreisedatum nicht korrekt wiedergegeben werden kann, scheint es schlicht unglaubwürdig, wenn die Art der Ausreise nicht übereinstimmt. Es ist auch bei der vom BF angegebenen Nervosität nicht nachvollziehbar, dass dieser sich nicht an die Art der Ausreise erinnern konnte.
Unklar ist auch, wann der BF letztmalig Kontakt zu seiner Familie hatte und ob dieser noch besteht. Vor der belangten Behörde hatte er noch angegeben, dass er seine Mutter ein bis zwei Mal im Monat kontaktieren, während der Rest der Familie ihn verstoßen haben soll [Niederschrift-BFA vom 03.07.2017 S. 4]. Im Wiederspruch dazu gab er im Rahmen der hg. Verhandlung vom 02.09.2019 an, dass er seit dem Jahr 2016 keinen Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt hätte bzw. zwei Monate vor der stattgehabten Verhandlung mit seiner Mutter telefoniert habe, nachdem diese einen Schlaganfall erlitten haben soll. Dies sei auch der Grund für die - später widerrufene - freiwillige Rückkehr in den Irak gewesen. Seine Mutter habe ihm jedoch ob der aufrechten Bedrohung durch die Milizen und die Familie seiner Tante abgeraten [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 02.09.2017 S. 8 und S. 11f].
Des Weiteren scheinen die Angaben des BF, wonach er sich in seinem Heimatland extravagant gekleidet und unrasiert in der Öffentlichkeit gezeigt haben will, hinterfragenswert. Vor dem BVwG gab er an, dass er sich entgegen der Moralvorstellungen seiner Religion und seines Herkunftslandes gekleidet und längere Haare getragen habe. Hosen und Hemden seien körperbetont geschnitten gewesen, was eine äußerliche Abgrenzung zu anderen Menschen und den Milizen bedeutet hätte, zumal sich heterosexuelle Menschen nicht so gekleidet hätten. Er habe diese Kleidung immer als Ausdruck seiner persönlichen Freiheit getragen. Daraus ergibt sich, dass er diese auch vor seiner Familie getragen haben muss. Wenn man nun annimmt, dass diese Kleidung nur von einer bestimmten sozialen Gruppe getragen wird, hätte dies auch seinen Eltern auffallen müssen weswegen anzunehmen ist, dass seiner Familie seine sexuelle Orientierung zumindest nicht unbekannt war und von dieser akzeptiert wurde und sohin eine Verstoßung durch diese unwahrscheinlich ist. Zumindest zu seiner Mutter hatte der BF bis kurz vor der Verhandlung vom 02.09.2019 telefonischen Kontakt. Des Weiteren gab er vor der belangten Behörde am 03.07.2017 sowie im Rahmen der Beschwerde an, trotz seiner Homosexualität eine Beziehung zu einer Frau haben zu wollen sowie heiraten und Kinder haben zu wollen. Er würde seine sexuelle Neigung nicht aufgeben können und wolle diese weiterhin ausleben. Damit verstrickte er sich in eklatante Widersprüche, die insgesamt auch erhebliche Zweifel an der von ihm behaupteten homosexuellen Orientierung aufkommen lassen. Es widerspricht einfach den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung, wenn bekennende homosexuelle Männer eine Beziehung zu einer Frau führen wollen. Auch aus ankonnte der BF erscheint das Vorbringen des BF zu den Gründen für seine Ausreise nicht glaubhaft, hatte er doch angegeben, dass er seine homosexuelle Neigung nicht nur in Bars, sondern auch zu Hause ausgelebt haben will. Bei Wahrunterstellung dieser Angaben erscheinen die Angaben des BF, von den Angehörigen seiner Familie wegen seiner homosexuellen Orientierung verstoßen worden zu sein, nicht glaubhaft, zumal letzterer - wie gesagt, bei Wahrunterstellung - die sexuelle Orientierung des BF nicht verborgen geblieben sein konnte, und die Familie die behaupteten Eskapaden des BF demnach in ihre Duldung genommen hatte, was wiederum ohne Hinzutreten anderer Umstände, die der BF nicht behauptete, für sich genommen noch nicht zu einem Ausschluss aus dem Familienverband geführt haben konnten.
Die getroffenen Konstatierungen waren somit im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat der bfP in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen dem BF drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.
2.5. Zur Integration des BF in Österreich
Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten (Deutschkursbesuch, Einbindung in den Verein Queer Base) ergaben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 08.03.2018 erhobene Beschwerde des BF sind rechtzeitig und legte die belangte Behörde die Beschwerdesachen dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.
3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, der sich eignet, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH vom 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; vom 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318 und vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH vom 05.11.1992, Zl. 92/01/0792 und vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH vom 01.06.1994, Zl. 94/18/0263 und vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor einer konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH vom 08.09.1999, Zlen. 98/01/0503 und 98/01/0648).
Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, Zl. 98/20/0399 und vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).
3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Eine gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr von staatlicher Seit aus solchen Gründen wurde vom Beschwerdeführer weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht.
Soweit er in der Beschwerde geltend gemacht hat, dass er aufgrund seiner sexuellen Orientierung und der Verfolgung durch eine schiitische Miliz aus seiner Heimat geflohen ist, gelang e ihm nicht, dies als Grund für seine Ausreise glaubhaft zu machen.
Das Fluchtvorbringen stützt sich im Wesentlichen darauf, dass der BF von der Miliz "Saraya al-Salam/Jaish al-Mahdi" ob seiner sexuellen Orientierung bedroht worden sei und diese versucht habe, ihn zu rekrutieren. Als weiteren Grund nannte er die nach der Ermordung des Cousins bestehende Blutfehde zur Familie seiner Tante. Es gelang dem BF jedoch im Laufe des Verfahrens nicht, eine gegen ihn gerichtete asylrelevante Verfolgung durch die Miliz oder die Familie des ermordeten Cousins glaubhaft zu machen und vor allem eine diesbezügliche Schutzunwilligkeit bzw. Schutzunfähigkeit des irakischen Staates glaubhaft zu machen.
Es erübrigt sich daher das Prüfen einer Fluchtalternative, zumal die bfP eine asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung nicht glaubhaft machen konnten.
3.2.3. Aus den angeführten Gründen war daher der gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gerichtete Teil der Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
3.3. Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:
3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn der beschwerdeführenden Partei eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH vom 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; vom 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; vom 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; vom 26.06.1997, ZI. 95/18/1291 und vom 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH vom 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH vom 08.06.2000, Z