Entscheidungsdatum
14.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W189 2215417-1/14E
W189 2215419-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL, über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Somalia, vertreten durch ARGE - Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2019, Zlen. 1.) 1208083806-180923308 und 2.) 1208084008-180923383, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.02.2020 und am 06.03.2020, zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG sowie § 55 Abs. 1 FPG, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer (in der Folge: der BF1 und der BF2, bzw. zusammen: die BF), Staatsangehörige von Somalia, stellten nach illegaler Einreise in Österreich am 28.09.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurden am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.
Die BF gaben zu Protokoll, in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) geboren zu sein und dort gelebt zu haben. Die Familie lebe in den VAE, eine Halbschwester in Schweden, der Vater sei verstorben.
Zu den Fluchtgründen brachte der BF1 vor, dass er sich in Somalia aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Midgan verfolgt fühle. Seine Familie lebe in Abu Dhabi. Der BF1 könne nicht in Somalia bleiben, weil er dort niemanden habe. Es sei dort nicht sicher. Der BF1 habe nicht in Abu Dhabi bleiben können, weil "wir" dort illegal gewesen seien und keine Papiere gehabt hätten. Zu seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr nach Somalia gab der BF1 an, dass er Angst um sein Leben habe, weil es dort nicht sicher sei. Er habe dort niemanden.
Der BF2 brachte zu den Fluchtgründen vor, dass in Somalia Krieg herrsche und er niemanden in Somalia habe. Die Volksgruppe des BF2 sei eine Minderheit. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der BF2 an, Angst zu haben.
2. Am 16.10.2018 teilten die slowenischen Behörden mit, über keine Daten zu den BF zu verfügen.
3. Am 02.11.2018 teilten die kroatischen Behörden mit, ebenso über keine Daten zu den BF zu verfügen.
4. Am XXXX 2018 wurden die BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen.
Der BF1 gab darin zunächst Protokoll, dass sein Name XXXX sei. Der BF2 gab an, dass sein Name XXXX sei.
Der BF1 gab im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass die BF ein Problem mit dem Haus ihres Vaters gehabt hätten, als sie von Abu Dhabi nach Somalia abgeschoben worden seien. Die Mutter des BF1 habe gesagt, dass die BF in das Haus des Vaters in Mogadischu ziehen sollten. Dort hätten jedoch andere Leute gewohnt, die das Haus nicht verlassen hätten wollen. Der BF1 glaube, dass diese Leute falsche Besitzdokumente gehabt hätten. Dann habe es viele Probleme gegeben, diese habe jedoch der BF2 geregelt. Danach hätten Bekannte, Onkeln und Tanten die BF zu ihnen mitgenommen und sie hätten bei diesen Verwandten bis zur Ausreise gelebt. Mehr wisse der BF1 nicht, da der BF2 immer alles geregelt habe.
Der BF2 gab im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass er und der BF1 von Abu Dhabi nach Somalia abgeschoben worden seien, weil nach dem Tod des Vaters der Aufenthaltstitel nicht verlängert worden sei. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass sein Vater in Mogadischu ein Haus habe und er dorthin gehen solle. Als die BF in Mogadischu angekommen seien, hätten andere Leute in diesem Haus gewohnt. Die BF hätten dennoch ein Zimmer im Haus bekommen. Die BF hätten mit den Leuten diskutiert und erklärt, dass das Haus ihrem Vater gehöre. Die Leute hätten das Haus nicht verlassen wollen. Dann hätten die BF mit den Dorfältesten gesprochen. Diese seien zu ihnen gekommen und hätten mit den Leuten sprechen wollen, die das Haus besetzt halten würden. Die Dorfältesten hätten den BF nicht helfen können, da diese Leute falsche Dokumente gehabt hätten und gesagt hätten, dass dies ihr Haus sei. Danach seien die BF von den Leuten bedroht worden, das Haus zu verlassen. Es habe Streitereien gegeben, Leute seien ins Gefängnis gegangen. Auch der Onkel des BF2 habe nicht helfen können. Die Dorfältesten hätten die BF aufgenommen. Der BF2 habe danach mit seiner Mutter gesprochen. Diese habe mit den Dorfältesten gesprochen, dass sie die BF unterstützen sollen, das Land zu verlassen. Danach seien die BF ausgereist.
5. Am 04.01.2019 legten die BF zwei Schulzeugnisse und eine Todesurkunde vor.
6. Mit Bescheiden des BFA vom 24.01.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), und festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
7. Mit Schriftsatz vom 21.02.2019 erhoben die BF binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass das BFA aus dort genannten Gründen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe, da die Länderfeststellungen mangelhaft seien, ebenso die Beweiswürdigung mangelhaft sei und daraus die inhaltliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide folge.
12. Das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) führte am 19.02.2020 eine (erste) öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somali durch, an welcher die BF, ihre Rechtsvertretung und ein Vertreter des BFA teilnahmen. Die BF wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen. Aufgrund von vorgebrachten Verständigungsschwierigkeiten wurde die Verhandlung vertagt.
13. Mit Schriftsatz vom 24.02.2020 machte der BF2 eine Protokollrüge geltend.
14. Das BVwG führte am 06.03.2020 eine (zweite) öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Arabisch durch, an welcher die BF, ihre Rechtsvertretung und ein Vertreter des BFA teilnahmen. Die BF wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der BF1 legte ein Empfehlungsschreiben vor (Beilage ./1).
15. Mit Schriftsatz vom selben Tag brachte das BFA eine Stellungnahme ein.
16. Mit Schriftsatz vom 11.03.2020 brachten die BF eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der BF
Die BF sind volljährige, somalische Staatsangehörige sunnitisch-muslimischen Glaubens. Die BF sind nicht der Volksgruppe der Madhibaan (Midgan) zugehörig. Die Volksgruppenzugehörigkeit kann im Übrigen nicht festgestellt werden. Die BF sprechen Somali, Arabisch und ein wenig Englisch. Die BF können jedenfalls Somali und Arabisch ebenso lesen und schreiben. Der BF1 hat elf Jahre die Schule besucht. Der BF2 hat zwölf Jahre die Schule besucht und abgeschlossen. Die BF sprechen nicht Deutsch.
Die BF wurden in Abu Dhabi, VAE, geboren und sind dort aufgewachsen. Vor ihrer Ausreise nach Europa lebten sie in Mogadischu, Somalia, im Haus des Vaters. Die BF haben eine Unterkunft in Mogadischu. Sie haben nie gearbeitet. Der Vater der BF ist verstorben, die Mutter, zwei Brüder und fünf Schwestern leben in Abu Dhabi. Eine Halbschwester lebt in Schweden. Ein Onkel und eine Tante mütterlicherseits sowie ein Onkel väterlicherseits leben mit ihren Familien in Mogadischu in der Nähe des väterlichen Hauses. Die BF stehen in Kontakt mit ihrer Familie in Abu Dhabi und können jedenfalls dadurch Kontakt mit ihrer Verwandtschaft in Mogadischu herstellen.
Die BF sind ledig, kinderlos und gesund.
Sie sind strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF
Die BF wurden in Mogadischu nicht aufgrund von Eigentumsstreitigkeiten über das väterliche Haus bedroht. Sie werden nicht aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit bedroht.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia
Aus den ins Verfahren eingeführten und im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.09.2019 (in der Folge: LIB) zitierten Länderberichten zur Lage in Somalia ergibt sich Folgendes:
1.3.1. Sicherheitslage - Benadir / Mogadischu
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vgl. BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Abs.11) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).
Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurück erlangt (BMLV 3.9.2019). In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.51). Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Andererseits fühlen sich die Menschen von der Regierung nicht adäquat geschützt (LIFOS 3.7.2019, S.25). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. NLMBZ 3.2019, S.23) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21).
Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017, S.35).
Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Auch Dayniile ist stärker betroffen. Gebiete, die weiter als 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, werden teilweise von al Shabaab kontrolliert. Vor allem Dayniile, Yaqshiid und Heliwaa werden als unsichere Gebiete erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.25f).
Quellen:
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab's Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
- PGN - Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline - August 2019, URL, Zugriff 28.8.2019
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019
- UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 5.9.2019
1.3.2. Bevölkerungsstruktur
Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 5.3.2019b). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S.9).
Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:
- Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
- Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
- Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
- Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
- Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen (SEM 31.5.2017, S.55; vgl. AA 5.3.2019b).
Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil-Mirifle stellen je ca. 20-25% der Bevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 5.3.2019b). Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25).
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S.5).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
- LI - Landinfo (Norwegen) (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, URL, Zugriff 26.6.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
1.3.3. Berufsständische Minderheiten
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den "noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v.a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S.14ff).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe auf oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S.43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S.3).
Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S.44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S.44ff).
Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S.49).
Quellen:
- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, URL, Zugriff 15.7.2019
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019
1.3.4. Bewegungsfreiheit
Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Mogadischu kann international (mit Ethiopian Airlines und Turkish Airlines) erreicht werden (LI 28.6.2019, S.6f).
Quellen:
- LI - Landinfo (Norwegen) (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
1.3.5. Wirtschaft und Arbeit
Generell erholt sich die somalische Wirtschaft weiterhin von der Dürre der Jahre 2016 und 2017. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 2,3% (UNSC 21.12.2018, S.4), 2018 bei ca. 2,8% (UNSC 15.8.2019, Abs.22) und wird vom Internationalen Währungsfonds für 2019 und 2020 auf jeweils 3,5% prognostiziert. Das Wachstum hat sich also erholt, die Inflation wurde gebremst und das Handelsdefizit reduziert. Zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben gute Regenfälle und wachsende Remissen (BLO 27.2.2019), die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen und von Geldflüssen aus Geberländern (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist also die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia (v.a. Mogadischu und die Hauptstädte der Bundesstaaten) zu investieren (BS 2018, S.5). Auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei das Land wiederaufzubauen (ÖB 9.2016, S.23).
Arbeit / Lebensunterhalt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen (USDOS 13.3.2019, S. 37). Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar (ÖB 9.2016, S.18), auch wenn in Puntland und Teilen Südsomalias - insbesondere Mogadischu - der tertiäre Bildungsbereich boomt (BS 2018, S.32). Der Wirtschaft ist es nicht gelungen, ausreichend Beschäftigung zu schaffen - v.a. für Frauen und Junge (UNSC 21.12.2018, S.47). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund ab (BS 2018, S.30). Aufgrund des Fehlens eines formellen Banksystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clan-Verbindungen eine wichtige Rolle - und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greissler anschreiben lassen (RVI 9.2018, S.4).
Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2018, S.26). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, S.2; vgl. OXFAM 6.2018, S.4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (UNFPA 8.2016b).
Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: Auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2% der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30%). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel - v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, S.10). NGOs und der Privatsektor bieten den Menschen grundlegende Dienste - vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, S.4).
Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. So berichten Personen, die aus Kenia in Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 13.3.2019, S.22f). Eine Arbeit zu finden ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Auch Unternehmensgründer sind auf den Clan angewiesen. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz (FIS 5.10.2018, S.22). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, S.22f; vgl. OXFAM 6.2018, S.10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, S.10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, S.22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, S.10).
Arbeitslose: Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose keinerlei Unterstützung (LI 1.4.2016, S.11). In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt zu werden (IOM 2.2016, S.42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, S.5/32f; vgl. GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen - z.B. bei Krankenkosten - und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.9/32ff).
Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 13.3.2019, S.23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58%, bei Frauen bei 37% (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58% der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016a, S.4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2016 mit 6,6% angeführt (BS 2018, S.25). Wieder eine andere Quelle nennt für 2012 eine Jugendarbeitslosigkeit von 67% bei 14-29jährigen (DI 6.2019, S.22). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24jährigen eine Quote von 48% (OXFAM 6.2018, S.22FN8). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von "arbeitslos" unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).
Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4% der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4% gelten als Arbeitssuchende. 44,2% der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 8.2016, S.29).
Remissen: Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 5.10.2018, S.22). Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,2 (DI 6.2019, S.5), nach anderen Angaben 1,3 (UNSC 15.5.2019, Abs.20) bzw. 1,4 Milliarden US-Dollar in die Heimat (RVI 9.2018, S.1). Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2018, S.30) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, S.5). Nach einer Angabe empfangen nur 15% der Haushalte Remissen (UNSC 15.5.2019, Abs.20), nach einer anderen Angabe erhalten 40% der Bevölkerung Überweisungen. Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72%. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, S.1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, S.28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia - und hier v.a. im ländlichen Raum - empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, S.2).
Mindestens 65% der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, S.2f).
UN-HABITAT führt ein Ausbildungsprogramm für Jugendliche in Somalia, namentlich in Kismayo, Garoowe und Mogadischu durch. 400 jungen Frauen und Männern der Altersgruppe 15-35 sollen Kenntnisse im Bauwesen, Wirtschaft, Gründertum und Soft Skills vermittelt werden (UNHABITAT 16.8.2018). Auch der Bürgermeister von Mogadischu hat im Feber 2019 ein Projekt gestartet, bei welchem 400 Jugendliche aus Mogadischu, Baidoa und Kismayo eine Berufsausbildung erhalten sollen. Das Projekt wird von UNDP finanziert (AMISOM 28.2.2019).
Quellen:
- AMISOM (28.2.2019): 28 February 2019 - Morning Headlines [Quelle: Goobjoog News], Newsletter per E-Mail
- BLO - Bloomberg (27.2.2019): IMF Sees Somalia's GDP Growth Accelerating to 3.5% in 2019, URL, Zugriff 13.3.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019
- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
- IOM - Internationale Organisation für Migration (2.2016): Youth, Employment and Migration in Mogadishu, Kismayo and Baidoa, URL, Zugriff 9.9.2019
- LI - Landinfo (Norwegen) (1.4.2016): Somalia - Relevant social and economic conditions upon return to Mogadishu, URL, Zugriff 9.9.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
- OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, URL, Zugriff 24.7.2019
- RVI - Rift Valley Institute / Majid, Nisar / Abdirahman, Khalif / Hassan, Shamsa (9.2018): Remittances and Vulnerability in Somalia, URL, Zugriff 12.9.2019
- UNFPA (8.2016a): Somali youth in figures - better data, better lives, URL, Zugriff 12.9.2019
- UNFPA (8.2016b): Economic Characteristics of the Somali People, URL, Zugriff 24.7.2019
- UNHABITAT - UN Human Settlements Programme (16.8.2018): Providing Somali youth hope through job creation, URL, Zugriff 23.7.2019
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019, URL, Zugriff 22.8.2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
1.3.6. Grundversorgung / Humanitäre Lage
Aktuelle Lage: Somalia steht wieder vor einem großen humanitären Notfall. Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen (SLS 12.7.2019; vgl. UNOCHA 31.7.2019, S.1). Das Land leidet unter den negativen Folgen unterdurchschnittlicher Regenfälle in der Gu-Regenzeit (April-Juni) 2019 (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Letztere hat sehr spät eingesetzt. Der gefallene Regen hat die Dürre-Bedingungen zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs etwas verbessert; trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken (UNSC 15.8.2019, Abs.38ff). Am Ende ist die Gu zwar normal oder fast normal ausgefallen; doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Außerdem kam er um ein Monat später als normal (FAO 19.7.2019, S.1). Bereits zuvor war die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) 2018 schlecht ausgefallen und Anfang 2019 war ungewöhnlich trocken. Mit Ausnahme der Gu im Jahr 2018 ist seit Ende 2015 jede Regenzeit unterdurchschnittlich ausgefallen (UNSC 15.8.2019, Abs 38ff).
Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNOCHA 31.7.2019, S.1). In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (FEWS 31.7.2019). Der Preis für Sorghum befindet sich bereits auf einer außergewöhnlichen Höhe (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Viele Menschen aus ländlichen Gebieten sind in Städte gezogen, um Zugang zu Hilfsgütern zu erhalten (BAMF 20.5.2019, S.5).
IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Juli 2018 bis September 2019 mit einer Prognose bis Dezember 2019; bemerkenswert ist, dass für die Stadtbevölkerung von Mogadischu auf beiden Karten IPC 1 vermerkt ist (FSNAU o.D.).
Die Stadtbevölkerung ist von IPC 3 oder 4 anteilig weit weniger betroffen als die Menschen in ländlichen Gebieten oder IDPs (FEWS 2.9.2019b, S.20).
Bei gegebener humanitärer Hilfe gilt für die meisten ländlichen Gebiete im September 2019 IPC 2. In Agrargebieten von Guban (Somaliland), Bay und Bakool sowie in Teilen von Hiiraan, Galgaduud, Lower und Middle Juba gilt IPC 3. Dahingegen haben stabile Lebensmittelpreise und Arbeitsmöglichkeiten in den meisten städtischen Gebieten dazu beigetragen, dass IPC 2 nicht überschritten wurde oder auch nur IPC 1 gilt. Lediglich in Städten in Sool, Sanaag und Hiiraan wird mitunter auch IPC 3 verzeichnet - bedingt durch hohe Lebenskosten und begrenzte Einkommensmöglichkeiten (FEWS 2.9.2019a).
Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2018, S.30), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 4.3.2019, S.20). In Mogadischu muss für jede Dienstleistung bezahlt werden, es gibt keine öffentlichen Leistungen (FIS 5.10.2018, S.22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2018, S.30). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, bilden (Sub-)Clan (OXFAM 6.2018, S.11f; vgl. BS 2018, S.30, AA 4.3.2019, S.20), erweiterte Familie (BS 2018, S.30; vgl. AA 4.3.2019, S.20) und Remissen aus dem Ausland (BS 2018, S.30). Während Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) helfen neben Familie und Clan auch andere soziale Verbindungen - seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, S.15).
Generell stellt in (persönlichen) Krisenzeiten die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar (DI 6.2019, S.17). 22% der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28% bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 28% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, S.11f). In der somalischen Gesellschaft - auch bei den Bantu - ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt - wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, S.20f).
Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clan-Heimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, S.12).
Andererseits liegen keine Informationen vor, wonach es gesunden jungen Männern im arbeitsfähigen Alter (15-29 Jahre; 14 % der Gesamtbevölkerung Somalias) an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden (BFA 11.5.2018, S.18).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (11.5.2018): Anfragebeantwortung zu Humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019
- FAO - UN Food and Agriculture Organization / SWALIM (19.7.2019): 2019 Gu (March to June) Rainfall Performance and Impacts - Issued 19 July 2019, URL, Zugriff 23.7.2019
- FEWS - Famine Early Warning System Network / FSNAU (2.9.2019a): Somalia 2019 Post Gu FSNAU FEWS-NET Technical Release, URL, Zugriff 16.9.2019
- FEWS - Famine Early Warning System Network / FSNAU / FAO (2.9.2019b): A Briefing on the Outcome of the 2019 Post Gu Seasonal Food Security and Nutrition Assessment, URL, Zugriff 16.9.2019
- FEWS - Famine Early Warning System Network (31.7.2019): Somalia Key Message Update, July 2019, URL, Zugriff 22.8.2019
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019
- FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia / FAO (o.D.): IPC Maps, URL, Zugriff 13.9.2019
- OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches, URL, Zugriff 24.7.2019
- SLS - Somaliland Standard (12.7.2019): Response plan for impact of poor Gu rains in place to avoid a major crisis in Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 August 2019, URL, Zugriff 16.9.2019
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019, URL, Zugriff 22.8.2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
1.3.7. Rückkehrspezifische Grundversorgung
Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.5/31f). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein (ÖB 9.2016, S.17; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.63). Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Im herausfordernden Umfeld von Mogadischu sind entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist z.B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig [siehe Abschnitt 21.1] (FIS 5.10.2018, S.22). Eine andere Quelle gibt an, dass ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung sein wird, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist (NLMBZ 10.2017, S.73f).
Unterstützung extern: Außerdem haben Rückkehrer nach Mogadischu dort üblicherweise einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen (REDSS 3.2017, S.29). Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, S.63) und Kenia gibt es seitens UNHCR finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, S.6; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS 3.7.2019, S.63). Rückkehrer aus Tansania erhielten Hilfe im Rahmen einer EU-IOM-Initiative (TC 7.10.2018). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 4.3.2019, S.20).
Unterkunft: Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2018, S.29). Die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit ist bei der Rückkehrunterstützung nicht inbegriffen und wird von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen. Diesbezüglich auftretende Probleme können durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden (LIFOS 3.7.2019, S.63). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, S.63; vgl. AA 4.3.2019, S.20; USDOS 13.3.2019, S.22). Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden (AA 4.3.2019, S.20f).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (10.2017): Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, URL, Zugriff 21.6.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
- ReDSS - Regional Durable Solutions Secretariat / NRC / DRC (3.2017): Durable Solutions Framework, Local Integration Focus - Benadir Region, URL, Zugriff 24.7.2019
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019
- TC - The Citizen (7.10.2018): 17 Somali migrants return home from Tanzania, URL, Zugriff 22.1.2019
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.9.2018): Operational Update Somalia 1-30 September 2018, URL, Zugriff 21.6.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
1.3.8. Rückkehr
Behandlung: Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ 3.2019, S.52).
Quellen:
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
1.4. Zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr
Den BF - jungen, gesunden, arbeitsfähigen Männern - ist die Rückkehr nach Somalia, und zwar nach Mogadischu, wo die BF vor der Ausreise gelebt haben, wo sie ein Haus und somit Unterkunft besitzen, und wo sich nahe Verwandte aufhalten, zumutbar.
Im Falle einer Rückkehr würden sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden.
Sie laufen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.
Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sind die BF nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.
1.5. Zur Situation der BF in Österreich
Die BF versuchten am 28.09.2018 mit einem Schlepper illegal in Österreich einzureisen und wurden dabei am Grenzübergang Spielfeld aufgegriffen. Sie stellten noch am selben Tag ihre Anträge auf internationalen Schutz.
BF beziehen Leistungen aus der Grundversorgung und gehen keinem Erwerb nach.
Die BF sprechen nicht Deutsch, haben bislang keinen Deutschkurs besucht und haben kein Prüfungszertifikat vorgelegt. Sie besuchen auch keine sonstigen Kurse oder Ausbildungen.
Die BF verfügen über keine familiären oder sonstig verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen, sozialen Bindungen im Bundesgebiet.
Die BF haben keine ehrenamtlichen Tätigkeiten ausgeübt. BF1 ist Mitglied eines örtlichen Fußballvereins. Im Übrigen sind die BF nicht Mitglied einer religiösen Gruppe oder sonstigen Organisation.
Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person der BF
2.1.1. Die Identität konnte mangels Vorlage von Dokumenten nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich der Namen und der Geburtsdaten Verfahrensidentität vorliegt. Vielmehr waren die Angaben der BF zu diesen Daten von Widersprüchen geprägt.
Während der BF1 in der Erstbefragung am 28.09.2018 noch zu Protokoll gab, XXXX zu heißen (AS 1), behauptete er in der Einvernahme am XXXX 2018, dass sein Name XXXX sei (AS 31). Seine Mutter in Abu Dhabi besitze Dokumente und er könne diese besorgen (AS 49). In der Folge legte der BF1 lediglich die Kopie eines Schulzeugnisses auf den Namen " XXXX " vor, dem zudem kein Geburtsdatum zu entnehmen ist (AS 67). In der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2020 rechtfertigte der BF1 sich damit, dass die BF ihre Dokumente auf der Reise verloren hätten. Sein Bruder, der BF2, hätte die Dokumente in Serbien verloren (Niederschrift der mündlichen Verhandlung (in der Folge: NSV) vom 19.02.2020, S. 5). Dies ist aber insoweit nicht glaubhaft, als der BF1 in der Erstbefragung angab, mit einem gefälschten somalischen Reisepass ausgereist zu sein, den er in der Türkei weggeworfen habe (AS 5). Weiters gab der BF1 in jener mündlichen Verhandlung an, dass seine Mutter gedacht habe, dass ein Schulzeugnis zur Vorlage ausreiche (NSV vom 19.02.2020, S. 5f). Der - rechtlich vertretene - BF1 legte aber auch seit jener Verhandlung keine Identitätsdokumente oder zumindest Kopien von diesen vor, obwohl er regelmäßig in Kontakt mit seiner Mutter stehe (AS 47).
Der BF2 wiederum gab in der Erstbefragung an, XXXX zu heißen und am XXXX geboren zu sein (AS 1), behauptete aber sodann in der Einvernahme, dass sein Name XXXX sei, wobei er bei seinem Geburtsdatum blieb (AS 25). Auch er gab an, dass seine Mutter in Abu Dhabi auf ihn ausgestellte Identitätsdokumente besitze und er diese besorgen könne (AS 39). Der BF2 legte in der Folge ebenso lediglich die Kopie eines Schulzeugnisses auf den Namen " XXXX " vor, dem jedoch das Geburtsdatum XXXX zu entnehmen ist (AS 57). In der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2020 wandte der BF2 gegen die Niederschrift ein, dass er nicht am XXXX , sondern am XXXX geboren sei (NSV vom 19.02.2020, S. 11). In einer Protokollrüge vom 24.02.2020 merkte der BF2 an, dass er angegeben habe, am XXXX geboren zu sein und bei der Protokollierung wohl ein Tippfehler unterlaufen sei (OZ 8). In der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2020 gab der BF2 aber wiederum an, am XXXX geboren zu sein. Auf Vorhalt der Diskrepanz rechtfertigte der BF2 sich damit, dass er sein Geburtsdatum unabsichtlich verwechselt habe. Auch bei der Erstbefragung sei er nervös gewesen, wodurch er nicht sein richtiges Geburtsdatum nennen habe können. Darüber hinaus habe er in der Erstbefragung aufgrund seiner Nervosität auch seinen Spitznamen statt seinen richtigen Namen genannt (NSV vom 06.03.2020, S. 4). Es ist allerdings völlig lebensfremd, dass der BF2 aus behaupteter Nervosität mehrfach ein falsches Geburtsdatum und zudem auch einen falschen Namen angeben würde. Der BF2 gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er sein Geburtsdatum nach der Erstbefragung nicht mehr ausbessern habe können, weil ihm in der Einvernahme gesagt worden sei, dass die Richterin bei der Verhandlung darüber entscheiden müsse (NSV vom 06.03.2020, S. 4f), was aber schon deshalb nicht glaubhaft ist, weil es ihm in jener Einvernahme auch möglich war, einen anderen Namen anzugeben und dieser entsprechend protokolliert wurde. Hätte er ein anderes Geburtsdatum angegeben, wäre daher auch dieses entsprechend protokolliert worden. In der mündlichen Verhandlung befragt, weshalb er bisher keine Identitätsdokumente vorlegte, wich der BF2 aus, dass er diese vorlegen könne, wenn das Gericht diese brauche (NSV vom 06.03.2020, S. 6). Aber auch seit dieser Verhandlung langten keine Dokumente oder zumindest Kopien dieser ein.
Gesamt betrachtet war daher davon auszugehen, dass die von den BF angegebenen Identitäten hinsichtlich Namen und Geburtsdatum falsch sind und die BF aus diesem Grund absichtlich keine Identitätsdokumente vorlegten.
2.1.2. Die Feststellungen zur Staats- und Religionszugehörigkeit der BF gründen sich auf ihre insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen sowie in den mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG bzw. ihren Kenntnissen der somalischen Sprache. Die Feststellung über ihren Schulbesuch ergibt sich ebenso aus ihren glaubhaften Angaben. Die Feststellung über die mangelnden Deutschkenntnisse ergibt sich aus dem Unvermögen in der mündlichen Verhandlung, auf Deutsch zu sprechen, der Nichtvorlage von Kursteilnahmebestätigungen oder Prüfungszertifikaten sowie der kurzen Aufenthaltsdauer.
2.1.3. Dass die BF der Volksgruppe der Madhibaan angehören, war nicht glaubhaft.
Zwar gaben die BF im Laufe des Verfahrens durchgehend an, dieser Volksgruppe anzugehören. Jedoch gab der BF2 in der Einvernahme ebenso an, dass sein Vater einen Universitätsabschluss gehabt habe (AS 47). Zwar führte er in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2020 aus, dass sein Vater in Abu Dhabi studiert habe, bestätigte aber, dass er zuvor eine entsprechend gute Ausbildung genossen habe, um dadurch in den VAE die Berechtigung für ein Hochschulstudium zu erlangen (NSV vom 06.03.2020, S. 13). Vor dem Hintergrund der unter Punkt 1.3. zitierten Länderberichte, wonach Angehörige der Madhibaan noch zur Jahrtausendwende nicht einmal die Schule besuchen konnten, ist aber nicht nachvollziehbar, wie der Vater der BF - laut vorgelegter Sterbeurkunde im Jahr 2015 im Alter von 62 Jahren verstorben (AS 61 zum BF2) - eine derart gute Bildung erreichen habe können, dass er sogar zu einem Universitätsstudium in den VAE zugelassen worden sei. Zudem brachte der BF2 - wenn auch nicht glaubhaft (s. Punkt 2.2) - in der Einvernahme vor, dass aufgrund der behaupteten Eigentumsstreitigkeiten die Dorfältesten eingeschaltet worden seien (AS 41f). Auch dies würde bei Wahrunterstellung darauf hindeuten, dass es eine entsprechende Anzahl an Clanangehörigen an jenem Ort leben würden, was aber eher für einen Mehrheitsclan sprechen würde, zumal die Mahdibaan laut zitierten Länderberichten weniger strikt organisiert sind und in allen Teilen Somalias verstreut leben.
Gesamt betrachtet und in Zusammenhang mit der auch sonst festzustellenden Unglaubwürdigkeit der BF war daher festzustellen, dass die BF nicht der Volksgruppe der Madhibaan angehören, wobei nicht festgestellt werden kann, welcher Volksgruppe sie im Übrigen tatsächlich angehören.
2.1.4. Die Feststellungen zum Geburts- und Wohnort in Abu Dhabi, dass die BF nie gearbeitet haben, sowie zum Aufenthalt der Mutter, der Geschwister, und zum Ableben des Vaters stützen sich auf die insoweit glaubhaften Angaben der BF. Dabei war maßgeblich miteinzubeziehen, dass sowohl die Einvernahmen durch das BFA als auch die mündliche Verhandlung am 06.03.2020 ohne Probleme in Arabisch durchgeführt werden konnten, und der Somali-Dolmetscher in der Verhandlung vom 19.02.2020 anmerkte, dass aus dem Sprachgebrauch erkennbar sei, dass die BF nicht in Somalia aufgewachsen seien (NSV vom 19.02.2020, S. 11).
2.1.5. Die Feststellung, dass die BF Somali, Arabisch und ein wenig Englisch sprechen und jedenfalls Somali und Arabisch auch lesen und schreiben können, folgt aus den entsprechenden Angaben der BF. Unglaubhaft war hingegen das im Laufe des Verfahrens geänderte Vorbringen der BF, über keine ausreichenden Kenntnisse der somalischen Sprache zu verfügen.
Beide BF gaben in der Erstbefragung an, dass ihre Muttersprache Somali sei, sie gute Sprachkenntnis hätten und die Sprache in Wort und Schrift beherrschen würden (AS 1f jeweils zu BF1 und BF2). Beide gaben in der auf Somali durchgeführten Erstbefragung ebenso an, die Dolmetscherin zu verstehen, und erklärten gleichfalls am Ende der Befragung, alles verstanden zu haben (AS 3 und 7 jeweils zu BF1 und BF2). Beide wiederholten in der auf Arabisch durchgeführten Einvernahme zunächst, dass Somali ihre Muttersprache sei, dass sie Somali sprechen würden und die Sprache in Wort und Schrift beherrschen würden (AS 35, 43 und 47 zum BF1; AS 29, 33 und 37 zum BF2). Weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme noch in der Beschwerde wurde zu sprachlichen Problemen im Falle einer Rückkehr ein Vorbringen erstattet. In der auf Somali durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 19.02.2020 wiederholten beide BF, dass Somali ihre Muttersprache sei und gaben an, mit der Mutter auf Somali geredet zu haben. Sie erhoben keine Einwände gegen eine Durchführung der Verhandlung auf Somali. Die BF wurden aufgefordert, etwaige Verständigungsschwierigkeiten umgehend bekanntzugeben (NSV vom 19.02.2020, S. 3). Im Laufe der Verhandlung brachte der BF1 erstmals vor, dass er "damals" bei seiner Einreise in Somalia "nicht gut" Somali gesprochen habe, da seine Mutter "auch" Arabisch mit ihm gesprochen habe (NSV vom 19.02.2020, S. 7). In der Folge war der BF1 jedoch in der Lage, die mündliche Verhandlung in Somali durchzuführen, verstand die ihm gestellten Fragen und konnte ihnen antworten. So gab er auch während der Verhandlung an, dass die Verständigung mit dem Dolmetscher gut sei und es keine Probleme gebe (NSV vom 19.02.2020, S. 6). Erst am Ende der Verhandlung merkte der Dolmetscher an, dass er das Gefühl habe, dass der BF1 die Fragen nicht verstehe, er aber auch nicht wisse, ob der BF1 ihm überhaupt zuhöre (NSV vom 19.02.2020, S. 10). In Hinblick auf den BF2 gab der Dolmetscher an, dass dieser oftmals nicht zusammenhängende Wörter sprechen würde und er daher gemerkt habe, dass die BF nicht in Somalia aufgewachsen seien. Der BF2 selbst gab an, dass er in der Lage sei, die Verhandlung auf Somali weiterzuführen (NSV vom 19.02.2020, S. 11). Der BF2 wiederum wiederholte in der auf Arabisch durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 06.03.2020 zunächst, dass seine Muttersprache Somali sei (NSV vom 06.03.2020, S. 3), gab sodann jedoch im Widerspruch zum bisherigen Vorbringen an, dass die BF mit ihren Eltern auf Arabisch gesprochen hätten und diese lediglich auf Somali ge