TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/15 W124 2227806-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2020
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Entscheidungsdatum

15.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55

Spruch

W124 2227806-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG sowie 55, 53 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX unter dem Namen XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In der niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab er an, er heiße XXXX , stamme aus XXXX , gleichnamiger Distrikt, Bundesstaat Punjab, Indien, sei ledig und gehöre der Religionsgemeinschaft der Sikh sowie der Volksgruppe der Punjabi an. Er habe zwölf Jahre lang die Grundschule besucht und verfüge über keine Berufsausbildung. Der BF spreche Punjabi. Betreffend den zuletzt ausgeübten Beruf gab er an, Landwirt auf dem Hof seiner Eltern gewesen zu sein.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er lediglich vor, er habe seinen Herkunftsstaat wegen Grundstücksstreitigkeiten mit einem Nachbarn verlassen. Im Falle einer Rückkehr hätte der BF Angst um sein Leben, sein Nachbar würde ihn töten oder von der Polizei töten lassen.

3. Am XXXX richtete das Bundesamt (in der Folge: Bundesamt) ein Aufnahmegesuch gemäß Art. 13 Abs. 1 VO an die Republik Kroatien, welches von der kroatischen Dublin-Behörde am XXXX negativ beantwortet wurde; eine Einreise des BF nach Kroatien sei nicht bewiesen, auch seien in nationalen Datenbänken keine Treffer zur Person des BF gefunden worden.

4. Am XXXX fand vor dem Bundesamt eine niederschriftliche Einvernahme statt, im Zuge derer der BF im Wesentlichen zu seinem aktuellen Wohnsitz und zur Nichteinhaltung seiner Meldeverpflichtung gemäß § 15a Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 befragt wurde. Da der BF angab, er habe "etwas gesundheitliche Probleme" und die Ärzte würden ihm keine Medikamente geben, und aufgrund seines für das Bundesamt unklaren gesundheitlichen Zustands, wurde die Einvernahme nach kurzer Zeit unterbrochen.

5. Bei seiner erneuten niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX gab der BF an, seine Eltern und seine Schwester würden weiterhin in seinem Herkunftsstaat leben. Seine Großmutter, die zum Zeitpunkt der Ausreise noch am Leben gewesen sei, sei inzwischen verstorben. Ihren Lebensunterhalt würden seine Angehörigen von der Verpachtung ihrer Grundstücke bestreiten; wie in Indien üblich, würden sie Geld sparen. Mit seinen Angehörigen habe er alle 15 Tage bzw. ein Mal pro Woche Kontakt.

Der BF habe in XXXX zwölf Jahre die Schule besucht; danach habe er in der familiären Landwirtschaft gearbeitet, wovon er gelebt habe. Er habe bis zu seiner Ausreise in XXXX gelebt. In Österreich lebe er von dem Geld, welches er sich aus Indien von seinen Eltern schicken lasse bzw. von indischen Staatsbürgern in Österreich ausleihe.

Der BF sei zwar nicht vorbestraft, sei in seinem Heimatstaat auch nicht inhaftiert worden, er sei aber etwa drei, vier Mal aufgrund einer Strafanzeige von der Polizei des Ortes XXXX in eine Polizeistation gebracht, dort belästigt sowie gefoltert und anschließend wieder entlassen worden, ohne jedoch festgenommen worden zu sein. Nachgefragt, ob gegen ihn eine offizielle Fahndung laufe, gab er an, sobald eine Anzeige erstattet und die Person nicht gefunden werde, werde nach dieser gefahndet. Er habe weder aufgrund seines Religionsbekenntnisses noch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit Probleme gehabt. Er nehme an keinen bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil und sei auch politisch nicht aktiv.

Auf die Frage des Bundesamts, ob er im gegenständlichen Asylverfahren noch nicht vorgelegte Unterlagen oder Dokumente habe, antwortete er zunächst, er habe nur Fotos der gegen ihn erstatteten Strafanzeigen in seinem Mobiltelefon. Nachgefragt gab er an, dass sich die Originale in Indien befinden würden und er nicht gewusst habe, dass er diese brauchen würde. Der BF erklärte gegenüber dem Bundesamt, sich die Originale zuschicken zu lassen und dem Bundesamt nach Erhalt sofort vorzulegen. Weiters verfüge er über einen aktuell gültigen, nach seiner Ausreise aus Indien ausgestellten Führerschein, der sich allerdings ebenfalls in Indien befinde und auf dem aus unerfindlichen Gründen eine falsche Adresse aufscheine. Er habe den Führerschein persönlich abholen müssen, was jedoch aufgrund seiner zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgten Ausreise nicht mehr möglich gewesen sei und daher sein Vater den Führerschein abgeholt habe. Der BF fügte hinzu, dass das Protokollieren falscher Daten - wie etwa einer falschen Adresse - in Indien typisch sei.

Zu seinem Fluchtgrund gab er an, er werde von der Polizei verfolgt und auch belästigt; er komme aus der Mittelschicht und ihm sei von der Polizei nicht geholfen worden. Seine Gegner - vier Brüder, deren genauen Namen er nicht kenne - stünden mit höheren Behörden in gutem Kontakt. Der BF verfüge im Wohnort seiner (mittlerweile verstorbenen) Großeltern, etwa 30 bis 40 km von seinem Wohnort entfernt, über ein Grundstück, welches einen Wert von neun Millionen Rupien aufweise und bereits seit seiner frühen Kindheit Gegenstand von Streitigkeiten sei. Es seien ihm bzw. seiner Familie für das Grundstück 1,3 Millionen Rupien angeboten worden; selbstverständlich hätten sie das Angebot aufgrund des sehr viel höheren Grundstückswertes nicht angenommen. Folglich hätten die Gegner damit begonnen, ihn und seine Angehörigen zu verfolgen und zu belästigen. Konkret brachte der BF vor, er sei beim Betreten des Grundstückes zum Zwecke der landwirtschaftlichen Arbeit immer wieder verjagt worden; dabei sei er von Polizisten im Auftrag seiner Gegner geschlagen worden. Zudem seien er und seine Angehörigen am Verkauf der Ernte (Getreide, Mais) gehindert worden, indem die Gegner mit einem Traktor auf das Grundstück gefahren seien, um die Ernte zu zerstören. Obgleich der BF vorbrachte, sich darüber nicht beschweren habe können, gab er nachgefragt an, natürlich habe er dies der Polizei gemeldet, welche jedoch dagegen keine Maßnahmen ergriffen habe. Vielmehr habe ihn die Polizei mehrmals in die Polizeistation mitgenommen und ihn dort im Sinne einer Strategie zur Erlangung des Grundstücks durch die Gegner belästigt sowie gefoltert und danach wieder entlassen; eine Festnahme sei jedoch nie erfolgt. Wäre er eingesperrt worden, hätte er das Grundstück niemals freiwillig hergegeben.

Die Gegner hätten ein zweites Mal nachgefragt, ob sie bereit seien, ihnen das Grundstück für 1,3 Millionen Rupien zu verkaufen; sein Vater habe das Angebot, aus dem gleichen Grund wie beim ersten Mal, erneut abgelehnt. Daraufhin sei eine Anzeige gegen ihn erstattet worden. Ein wegen der Anzeige eingeleitetes gerichtliches Verfahren habe zum Ergebnis geführt, dass - in diesem Zusammenhang verwendete der BF den Plural - die Grundstücke ihm und seinen Angehörigen gehören würden. Aus diesem Grund hätten die Gegner mit anwaltlicher Unterstützung ein zweites Verfahren eingeleitet und die Grundstücke eigenmächtig in Besitz genommen. Da das Gericht wieder zugunsten des BF bzw. seiner Familie entschieden habe, hätten die Gegner erneut ein (drittes) Verfahren eingeleitet und seien die Belästigungs- und Verfolgungshandlungen intensiver geworden. An dieser Stelle gab der BF an, die Gegner seien fünf Personen und er der einzige Sohn seines Vaters. Er sei der Einzige in seiner Familie, der für das Grundstück kämpfen könne, sein Vater sei alt und könne dies daher nicht tun.

Zuletzt habe das Gericht entschieden, dass das Grundstück frei bleiben solle; es dürfe weder von ihm und seiner Familie noch von den Gegnern betreten werden. Zuvor hätten die Gegner, in dem Glauben, die Polizei habe einen guten Draht zum zuständigen Richter, diese bestochen. Zum Zeitpunkt der Einvernahme seien vier Verfahren wegen des Grundstücks anhängig, sowohl beim Bezirks- als auch beim Höchstgericht. Überdies suche die indische Polizei nach dem BF, da er die Grundstücksstreitigkeiten verursacht habe.

Weiters brachte der BF vor, dass das Grundstück zur Hälfte von einem der Gegner in Besitz genommen worden sei und diese Person gegen ihn Strafanzeige mit der Behauptung, er hätte eine Morddrohung gegen einen anderen ausgesprochen, erstattet.

Aufgrund der Anzeige sei ein Verfahren gegen den BF eingeleitet worden. Da genannte Person die andere Grundstückshälfte dem Minister verschrieben habe, helfe dieser seinem Gegner dabei, gegen den BF rechtliche Schritte zu setzen. Nachgefragt, wie besagter Minister heiße, stellte der BF zunächst die Gegenfrage, welchen Minister er erwähnen solle, früher habe es ja einen anderen gegeben, nannte dann die vollen Namen zweier Minister und gab schließlich an, dass die betreffende Grundstückshälfte nicht dem Minister selbst, sondern einem seiner Anhänger gehöre; der Minister verhindere, dass dem BF von der Polizei geholfen werde.

Nachgefragt, um wen es sich bei besagtem Anhänger des Ministers handle, gab der BF an, es sei ein Cousin der Familie des Gegners; dieser habe einem Mädchen Geld gegeben und sie angewiesen, zu behaupten, dass sie von einem für die "Army" arbeitenden Cousin des BF vergewaltigt worden wäre und eine entsprechende Anzeige zu erstatten. Dies habe sie getan, woraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, in welchem allerdings festgestellt worden sei, dass das Mädchen die Behörden bereits öfters belogen habe, indem sie erfundene Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht habe, und daher eine Betrügerin sei. Zudem habe sie der Familie des BF gegenüber zugegeben, dass sie wegen des erhaltenen Geldes die vermeintliche Vergewaltigung durch den Cousin des BF angezeigt habe. Das Ziel seiner Gegner sei eine Bestrafung seines Cousins nach § 420 Strafgesetz gewesen, sodass er in weiterer Folge vom Militär entlassen werde. Aber nicht er, sondern das Mädchen sei am Ende verurteilt worden.

Den familiengeführten Landwirtschaftsbetrieb gebe es nicht mehr, da die Grundstücke verpachtet worden seien und einiges in Besitz genommen worden sei. Indien zu verlassen sei die Entscheidung seiner Mutter gewesen; ein Interesse an einer freiwilligen Ausreise in Österreich bestehe nicht.

Das Bundesamt brachte ihm zur Kenntnis, dass es beabsichtige, seinen Antrag auf internationalen Schutz mangels asylrelevanter Verfolgung abzuweisen, festzustellen, dass die Abschiebung, Zurückschiebung bzw. Zurückweisung nach Indien zulässig sei und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung zu veranlassen. Nachgefragt, ob hiergegen konkrete Gründe vorliegen, gab der BF an, er werde streng genommen eigentlich auch von der Regierung verfolgt, denn ohne die Unterstützung durch den Minister könnte sein Gegner nicht so erfolgreich sein; ihm drohe der Tod.

Zu seiner Lebenssituation in Österreich brachte der BF vor, er lebe mit einem Bengalen zusammen und habe hier Freundschaften zu Indern geknüpft. Er lasse sich aus Indien Geld schicken, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch borge er sich im Bedarfsfall von hier lebenden Indern Geld aus; seine Familie zahle den Betrag dann an die Familie des Darlehensgebers zurück. Er sei eigentlich schon arbeitsfähig. Bisher sei er in Österreich nicht erwerbstätig gewesen. Er spreche lediglich Punjabi und ein wenig Englisch.

Am Ende der Einvernahme wurden dem BF die Quellen und Berichte zur Lage in Indien ausgehändigt und ihm erklärt, dass er im Rahmen des am XXXX stattfindenden Parteiengehörs die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme haben werde.

6. Am XXXX fand vor dem Bundesamt eine niederschriftliche Einvernahme des BF zur Gewährung des Parteiengehörs statt. Der BF erklärte, er habe seinen im XXXX , Punjab lebenden Cousin gebeten, ihm die Anzeigen und Bestätigungen im Zusammenhang mit den Grundstücksstreitigkeiten zu übermitteln, was noch nicht geschehen sei. Außerdem erklärte er, auf seinem Mobiltelefon gespeicherte E-Mails als Beweismittel einbringen zu wollen. Der BF wurde vom Einvernehmenden darüber aufgeklärt, dass das Mobiltelefon nicht als Beweismittel angenommen werden könne und aufgefordert, die Unterlagen (physisch) vorzulegen.

Am selben Tag langte beim Bundesamt ein aus punjabi- und englischsprachigen Schriftstücken bestehendes Konvolut (AS 299 - 347) ein.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 FPG mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer eines Jahres befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF Staatsangehöriger von Indien, Angehöriger der Volksgruppe der Punjabi sowie Sikh sei. Er sei ledig, habe keine Kinder und sei gesund sowie arbeitsfähig. An einer schwerwiegenden psychischen Störung und/oder schweren oder ansteckenden Krankheit leide er nicht. Im Falle des BF bestehe keine asylrelevante Verfolgung. Im Falle einer Rückkehr nach Indien sei auch keine Bedrohungssituation gegeben; in Indien sei die elementare Grundversorgung gewährleistet. In Österreich habe der BF weder familiäre noch sonstige soziale Anknüpfungspunkte. In Indien hingegen verfüge er über familiäre Anknüpfungspunkte.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, das Fluchtvorbringen des BF sei nicht glaubhaft: Obwohl die Grundstücksstreitigkeiten seinen Angaben nach bereits seit Langem bestünden - ein genaues Datum habe er nicht nennen können -, suche ihn die Polizei, da die Streitigkeiten seinetwegen entstanden seien. Dies sei unplausibel, habe er doch bis zu seiner Ausreise in Indien weitergelebt; auch seine Eltern würden in Indien weiterleben können. Genaue Angaben über die ihn aufgrund des Grundstückes verfolgende und bedrohende Familie habe er nicht machen können. Weder zur erlittenen Folter noch zu seinen Rückkehrbefürchtungen habe er etwas Konkretes angegeben. Seine Behauptung, man habe ihm mit dem Tod gedroht, sollte er das Grundstück nicht veräußern, stelle gegenüber in der Einvernahme früher getätigten Aussagen eine Steigerung dar.

Sein Vorbringen hinsichtlich der ihm nicht helfenden Polizei sei nicht nachvollziehbar, habe diese doch seinem wegen eines Vergewaltigungsvorwurfes angezeigten Cousins geholfen. Selbiges gelte für das Gericht, welches die gegen seinen Cousin erhobenen Beschuldigungen als unwahr festgestellt habe. Dass der indische Staat im Falle von Bedrohungen oder von privaten Personen ausgehenden Verfolgungshandlungen nicht einschreite, ergebe sich aus den behördlich getroffenen Feststellungen nicht; ferner sei der indische Staat funktions- und schutzfähig sowie auch schutzwillig.

Darüber hinaus gehe aus seinen Angaben im Verfahren nicht glaubhaft hervor, dass er in seinem Herkunftsstaat Schwierigkeiten bzw. Probleme mit den Behörden gehabt habe, denn er habe in Indien weder strafbare Handlungen begangen, noch sei er dort politisch oder religiös tätig bzw. Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Organisation gewesen. Da gemäß den Länderinformationsblättern kein Meldewesen existiere, stehe ihm in jedem Fall die Möglichkeit offen, sich an einem anderen Ort in Indien niederzulassen, um etwaigen Problemen zu entgehen. Seine einzige Begründung, warum er dies nicht in Erwägung gezogen habe, sei die angebliche Entscheidung seiner Mutter gewesen. Es habe insgesamt den Anschein, als hätte der BF den Antrag auf internationalen Schutz gestellt, um seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verlängern und den Konsequenzen eines rechtswidrigen Aufenthaltes zu entgehen.

Aus dem Vorbringen des BF seien auch keine Anhaltspunkte für das Bestehen außergewöhnlicher Umstände in Bezug auf seine Person oder eine landesweite allgemeine extreme Gefährdungslage ersichtlich, weshalb nicht davon ausgegangen werde, dass er im Fall seiner Rückkehr in eine existenzbedrohende Situation geraten würde. Er sei ein mobiler, junger, gesunder und arbeitsfähiger Mensch und komme aus einem Staat, in welchem die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet sei. Er habe bis zu seiner Ausreise gearbeitet, weshalb das Bundesamt davon ausgehe, dass ihm dies auch weiterhin möglich sein werde, zumal in seinem Herkunftsstaat familiäre Anknüpfungspunkte gegeben sind.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass er keine asylrelevanten Verfolgungsgründe glaubhaft habe dartun können. Aus dem Ermittlungsverfahren hätten sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte für eine Verfolgung aus Konventionsgründen ergeben. Zu Spruchpunkt II. wurde festgehalten, dass sich - wie aus der Beweiswürdigung ersichtlich - keine begründeten Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der BF durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinen nach Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder dem Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK gewährleisteten Rechten verletzt werde. Die Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 würden nicht vorliegen (Spruchpunkt III). Zum Privat- und Familienleben des BF (Spruchpunkt IV.) wurde zusammengefasst ausgeführt, dass entscheidungserhebliche integrative Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet, welche zu einem Überwiegen seiner privaten Interessen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat geführt hätten, nicht hätten erkannt werden können. Anhaltspunkte, dass eine Abschiebung gemäß § 50 FPG unzulässig sei, hätten sich nicht ergeben (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise sei mit 14 Tagen festzusetzen gewesen, zumal keine berücksichtigungswürdigen Umstände hervorgekommen seien, welche eine längere Frist erforderlich gemacht hätten (Spruchpunkt VI.).

Da der BF illegal ins Bundesgebiet eingereist sei, einen missbräuchlichen, unbegründeten Asylantrag gestellt habe und er nicht in der Lage sei, Mittel für seinen Unterhalt aus Eigenem nachzuweisen, stelle sein Aufenthalt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar und habe die von der Behörde vorgenommene Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung eines auf die Dauer eines Jahres befristeten Einreiseverbotes gerechtfertigt und notwendig sei (Spruchpunkt VII.).

8. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der XXXX als Rechtsberater zur Seite gestellt, welcher ihn in weiterer Folge im Beschwerdeverfahren vertrat.

9. Mit der gegen diese Entscheidung fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde der Bescheid vollinhaltlich wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Der BF führte nach Wiederholung des Verfahrensgangs sowie seines Vorbringens begründend aus, das Bundesamt habe seine Ermittlungspflicht verletzt, da es auf der Grundlage der nachvollziehbaren Schilderungen des BF konkrete, fallbezogene Recherchen hätte durchführen müssen, um das Vorbringen des BF mit dem damit gewonnenen Material einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen. Auch habe sich das Bundesamt mit dem ebenfalls nachvollziehbaren Vorbringen des BF, er habe in Indien aufgrund besonderer Umstände seine Lebensgrundlage verloren, nicht auseinandergesetzt. Somit liege ein Grad der Willkür vor, weil die belangte Behörde nicht bereit gewesen sei, sich mit der Gesamtheit der Aspekte des persönlichen Vorbringens auseinanderzusetzen. Zudem habe sich der BF in Österreich gut eingelebt und sei bisher nur positiv aufgefallen; er beabsichtige nicht, von sozialen Hilfen zu leben, sondern selbsterhaltungsfähig zu sein und die deutsche Sprache zu erlernen.

Insgesamt hätte das gegenständliche Asylverfahren bei mangelfreiem Ermittlungsverfahren und richtiger Beweiswürdigung einen für den BF positiveren Ausgang genommen.

10. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

11. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht die von diesem zuvor in Auftrag gegebene Übersetzung der vom BF am XXXX bei der belangten Behörde eingebrachten punjabisprachigen Schriftstücke (AS 299 - 347) ein. Bei diesen - einige Schriftstücke bzw. einzelne Seiten waren im Konvolut zweifach vorhanden, weshalb in dieser Hinsicht überflüssige Aktenseiten nicht genannt werden - handelt es sich um folgende Dokumente:

> Erstanzeigebericht ("First Information Report") der Polizeistation XXXX , Bezirk XXXX , Punjab, Indien vom XXXX (AS 317 - 333),

> Erstanzeigebericht der Polizeistation XXXX , Bezirk XXXX , Punjab, Indien vom XXXX (AS 301 - 307),

> Bericht des Polizeiamts Bezirk XXXX vom XXXX (AS 347),

> ein als "Vor dem Obersten Gericht für die Bundesstaaten Punjab und XXXX " betiteltes Dokument (AS 315),

> eine Entscheidung des Gerichtes von XXXX vom XXXX (AS 345 - 347) sowie

> eine als "Gericht des XXXX , P.C.S., Bezirksrichter mit Zuständigkeit als Steuerbeamter, XXXX " betitelte gerichtliche Entscheidung (AS 299).

Im vom BF vorgelegten Erstanzeigebericht vom XXXX (AS 317 - 333) findet die Person des Beschwerdeführers (und auch jene seiner Eltern) keine Erwähnung; im Wesentlichen wird eine Schlägerei zwischen Betreibern zweier Busgesellschaften ("Bus Services") zur Anzeige gebracht.

Im vom BF vorgelegten Erstanzeigebericht vom XXXX (AS 301 - 307) betreffend eine Anzeige von XXXX bringt dieser im Wesentlichen vor, er sei Pächter eines im Eigentum des XXXX (offenbar der Vater des BF) befindlichen Grundstücks und sei von mehreren Männern angegriffen worden: "[...] Am XXXX , in der Früh um ca. 8.00 Uhr, habe ich neben dem Grundstück auf meinen Minibus, den Bus, der zwischen XXXX und XXXX fährt, gewartet. Der betreffende XXXX , Sohn des XXXX , XXXX , Sohn des XXXX , XXXX Sohn des XXXX , Kaste Jat, wohnhaft in XXXX , und XXXX ', Sohn des XXXX , XXXX , Sohn des XXXX , wohnhaft in XXXX , Polizeiinspektion XXXX kamen zusammen mit fünf oder sechs unbekannten Leuten, die kleine und große Schlagstöcke und andere solche Waffen in Händen hatten, und die einen blaufarbenen Traktor der Marke (Mahindra) Bolero mit dem Kennzeichen XXXX fuhren. Sie haben gewaltsam den Traktor auf mein Grundstück gelenkt, und haben begonnen, das Grundstück zu pflügen. Ich habe darüber meinen Bruder XXXX am Telefon informiert, dieser ist zum Tatort gekommen, und wir haben sie beim Pflügen gestoppt. Darüber sind sie alle mit ihren Waffen und dem Traktor, den XXXX gelenkt hat, und auf dem mit ihm XXXX , Sohn des XXXX , wohnhaft in XXXX , gesessen war, vom Traktor weggegangen und haben dabei geschrien, dass sie uns umbringen werden. [...] Gegen die genannten Personen bitte rechtliche Schritte unternehmen. [...]"

Im Bericht des Polizeiamts Bezirk XXXX vom XXXX (AS 347) geht es um einen Antrag von XXXX , Sohn des XXXX , betreffend das Eigentum am oben genannten strittigen Grundstück. Das Gericht habe die Eigentumsrechte an XXXX übertragen, aber das Verfahren über das genannte Grundstück sei noch bei Gericht anhängig; dem Gericht werde vom zuständigen Polizeibeamten empfohlen, dem Antrag des XXXX stattzugeben.

Das vierte vom BF vorgelegte Dokument (AS 345 - 347) enthält lediglich das Rubrum mit der Unterüberschrift "Sonstige Strafrechtliche Angelegenheiten ... aus 2017" eines beim "Obersten Gericht für die Bundesstaaten Punjab und XXXX " eingebrachten verfahrenseinleitenden Schriftsatzes.

Die vom BF vorgelegte "Entscheidung des Gerichtes von XXXX " vom XXXX in der Sache XXXX , Sohn des XXXX , gegen vier Beklagte (darunter XXXX , Sohn des XXXX , und XXXX , Sohn des XXXX ), AS 345 - 347, enthält folgenden Urteilsspruch bzw. Spruch: "Es wird verfügt, dass die Zivilklage des Klägers teilweise zu vergebühren ist. Die Befreiung vom Gemeinschaftsbesitz wird abgewiesen. Die betreffende Pfandrechtsurkunde vom XXXX sowie der betreffende Kaufvertrag vom XXXX sind somit aufgehoben. Eine Veräußerung der strittigen Liegenschaft durch die Beklagten wird dadurch verhindert."

Das sechste vom BF vorgelegte Dokument, eine Entscheidung des " XXXX , P.C.S., Bezirksrichter mit Zuständigkeit als Steuerbeamter, XXXX " (AS 299), enthält im Wesentlichen die Feststellung, dass "der Verkaufsvertrag datiert XXXX , sowie die Pfandurkunde, datiert XXXX , akzeptiert werden, die genannten Vertragsabschlüsse laut Entscheid, datiert XXXX , ausgesetzt werden und daher dem Antrag des XXXX , Sohn des XXXX , auf Aufhebung der grundbücherlichen Änderungen bezüglich zweier bestimmter Einlagezahlen stattgegeben wird", sowie die Verfügung, "die grundbücherlichen Änderungen bezüglich zweier bestimmter Einlagezahlen gemäß Bescheid mit Namen des rechtmäßigen Eigentümers einzutragen".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des BF

Der 25-jährige Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger, stammt aus der Provinz Punjab und gehört der Volksgruppe der Punjabi sowie der Religionsgemeinschaft der Sikh an. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er spricht Punjabi und ein wenig Englisch, jedoch kein Deutsch. In Indien besuchte er zwölf Jahre lang die Grundschule und war bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern tätig, wovon er seinen Lebensunterhalt bestritt. In seinem Herkunftsort leben seine Eltern in einem Haus. Der BF pflegt regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern.

Am XXXX stellte er nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus einem der von ihm genannten Gründe - konkret wegen der Verfolgung durch seine Nachbarn, durch die indische Polizei oder durch sonstige indische Behörden - seinen Herkunftsstaat verlassen hat oder ihm aus diesen Gründen im Fall seiner Rückkehr eine Gefahr oder Verfolgung drohen würden.

Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder eine Rückkehr für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Im Fall seiner Rückkehr nach Indien verfügt der BF zudem über die Möglichkeit, außerhalb seiner Heimatstadt zu leben und einer Beschäftigung nachzugehen.

1.3 Zum Privat- und Familienleben in Österreich

In Österreich ist der BF unbescholten. Er verfügt über keine Deutschkenntnisse und war bisher im Bundesgebiet nicht erwerbstätig. Leistungen aus der Grundversorgung bezieht er zum Entscheidungszeitpunkt nicht. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch Zahlungen seiner in Indien lebenden Eltern und Darlehen von in Österreich lebenden Indern. Der BF ist sohin nicht selbsterhaltungsfähig. Es können keine Anhaltspunkte für die Annahme einer außergewöhnlichen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, sozialer respektive beruflicher Hinsicht festgestellt werden.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat

Politische Lage

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 23.1.2019; vgl. AA 18.9.2018). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Indien verfügt über 29 Bundesstaaten und sechs Unionsterritorien (AA 11.2018a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 20.4.2018). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 11.2018a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 18.9.2018), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 11.2018a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 18.9.2018). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 3.2018a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2018a). Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 11.2018a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 18.9.2018).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 20.4.2018). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2017 ist Präsident Ram Nath Kovind indisches Staatsoberhaupt (AA 11.2018a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 3.2018a).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 18.9.2018). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 3.2018a; vgl. FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 18.9.2018). Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis "National Democratic Alliance" (NDA) mit der "Bharatiya Janata Party" (BJP) als stärkste Partei (282 Sitze) die Kongress-Partei an der Regierung ab (AA 18.9.2018). Die BJP holte sie nicht nur die absolute Mehrheit, sie ließ auch den bislang regierenden Indian National Congress (INC) weit hinter sich. Der INC kam nur noch auf 46 Sitze und erlitt die schlimmste Niederlage seit der Staatsgründung 1947. Wie es mit dem INC mit oder ohne die Familie Gandhi weitergeht, wird abzuwarten sein. Die Gewinne der Wahlen im Punjab, Goa und Manipur sowie das relativ gute Abschneiden in Gujarat sind jedenfalls Hoffnungsschimmer, dass die Zeit der Kongresspartei noch nicht vorbei ist (GIZ 13.2018a). Die Anti-Korruptionspartei (AAP), die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang 2014 landesweit nur vier Sitze (GIZ 3.2018; vgl. FAZ 16.5.2014). Der BJP-Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt und steht seither einem 26-köpfigen Kabinett (mit zusätzlichen 37 Staatsministern) vor (AA 18.9.2018).

In Indien wird im Zeitraum zwischen April und Mai 2019 wieder gewählt. Der genaue Zeitplan ist jedoch noch unklar. In den Umfragen liegt der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi mit seiner BJP vorne (DS 1.1.2019).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 3.2018b).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktive Außenpolitik. Der außenpolitische Kernansatz der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" ergänzt. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Gestaltungsmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (AA 11.2018b). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 3.2018a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten "Neuen Seidenstraße" eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im "Regional Forum" (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (AA 11.2018b).

In den Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst. Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmir-Problem (AA 11.2018b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 3.2018a).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 3.2018a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206048, Zugriff 23.1.2019

- AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019

- CIA - Central Intelligence Agency (15.1.2019): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 23.1.2019

- DS - Der Standard (1.1.2019): Was 2019 außenpolitisch bringt. Die US-Demokraten übernehmen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, Großbritannien plant den Brexit - und in Indien, der größten Demokratie der Welt, sind Wahlen, https://www.derstandard.de/story/2000094950433/was-2019-aussenpolitisch-bringt, Zugriff 28.1.2019

- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 11.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 23.1.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (3.2018b): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, https://www.liportal.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 23.1.2019

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 18.9.2018).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2018).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 11.2018b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BBC 23.1.2018).

Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und ein terroristischer Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Gemäß Regierungserklärung reagierte Indien auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. Immer wieder kommt es zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 11.2018b).

Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist 2016 zum Stillstand gekommen. Aktuell sind die Beziehungen auf sehr niedrigem Niveau stabil (AA 11.2018b).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

- AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019

- BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile - Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019

- BPB - Bundeszentrale für Politische Bildung (12.12.2017): Innerstaatliche Konflikte - Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 23.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.10.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

- SATP - South Asia Terrorism Portal (13.1.2019): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2019, http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 23.1.2019

Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2018).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services-Intelligence (ISI) bekannt, welcher gemeinsam mit der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierung Babbar Khalasa International (BKI) und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2018). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 20.4.2018; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2018).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2018).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar (USDOS 20.4.2018).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 10.2017).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 10.2017).

Quellen:

- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394309.html, Zugriff 6.11.2018

- BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 18.10.2018

- MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 18.10.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2015 Report on International Religious Freedom - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436757.html, Zugriff 23.10.2018

Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 18.9.2018). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 18.9.2018).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2018). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2018).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums für 2015 bis 2016 ergab eine Vakanz von 43 Prozent der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 20.4.2018). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 18.9.2018).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2018). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 18.9.2018).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 18.9.2018).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. (AA 18.9.2018).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK Internationales Komitee des Roten Kreuz) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 18.9.2018).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill", und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 20.4.2018). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 20.4.2018).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.

Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2018).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

- FH - Freedom House (27.1.2018): Freedom in the World 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1142635.html, Zugriff 22.10.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

Sicherheitsbehörden

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2018) und untersteht den Bundesstaaten (AA 18.9.2018). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2018).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2018). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt (USDOS 20.4.2018). Polizeireformen verzögerten sich 2017 erneut (HRW 18.1.2018).

Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 20.4.2018).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2018). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 18.9.2018; vgl. BICC 12.2018). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2018).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von "Recht und Ordnung" herangezogen (USDOS 20.4.2018). Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Ha

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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