TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/18 G313 2227985-5

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Veröffentlicht am 18.05.2020
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Entscheidungsdatum

18.05.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G313 2227985-5/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS im Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX alias XXXX, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), BFA-Zl. XXXX, zu Recht:

A) Es wird gemäß § 22 a Abs 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

XXXX alias XXXX (im Folgenden kurz als BF bezeichnet), StA Nigeria oder Kamerun beantragte in Österreich ab 2008 und bis dato nunmehr fünfmal erfolglos internationalen Schutz, wobei er immer wieder unterschiedliche Angaben zu seiner Identität machte, diese daher noch nicht abschließend geklärt werden konnte.

Er wurde bereits das erste Mal kurz nach seiner illegalen Einreise nach Österreich am 28.4.2008 das erste Mal wegen SM Delikten verurteilt. Insgesamt weist er neun einschlägige strafgerichtliche Verurteilungen auf.

Zuletzt verbüßte er bis 03.10.2019 eine mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2018, XXXX, verhängte 14-monatige Freiheitsstrafe.

Mit dem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 01.10.2019 wurde über ihn die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Nach der Entlassung aus der Strafhaft wurde er daher in Schubhaft genommen, die seit 04.10.2019 im Anhaltezentrum XXXX vollzogen wird.

Im Rahmen der amtswegigen Überprüfung der Anhaltung des BF in Schubhaft wurde mit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 30.01.2020 und vom 26.02.2020 jeweils nach einer mündlichen Verhandlung festgestellt, dass zum Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei. Zuletzt wurde mit Erkenntnissen des BVwG vom 25.03.2020 und 23.4.2020 festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

Am 14.05.2020 langten beim BVwG die vom BFA unter Darlegung der Gründe, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig sei, vorgelegten Akten zu einer weiteren Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft ein, welche am 15.5.2020 in der ho GA einlangten.

Feststellungen:

Der BF beherrscht die französische und die englische Sprache. Er ist haftfähig. Es liegt kein Reisedokument für ihn vor.

Bei seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz am 03.01.2008 gab er an, XXXX zu heißen; er sei am XXXX geboren und Staatsangehöriger von Nigeria. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 24.04.2008 abgewiesen, was der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 24.05.2013 bestätigte. In der Zwischenzeit war der BF vom Landesgericht für Strafsachen XXXX mit den Urteilen vom XXXX.04.2008, vom XXXX.07.2008, vom XXXX.10.2009, vom XXXX.02.2011 und vom XXXX.08.2012 jeweils im Wesentlichen wegen gewerbsmäßiger Überlassung von Suchtgift an andere zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die ihm bei seiner Erstverurteilung im April 2008 gewährte bedingte Strafnachsicht wurde nach einer Probezeitverlängerung anlässlich der Folgeverurteilung im Oktober 2009 widerrufen. Am 21.10.2010 wurde er bedingt aus der Haft entlassen, wobei die bedingte Entlassung am 04.02.2011 aufgrund einer weiteren Verurteilung innerhalb der Probezeit widerrufen wurde. Mit dem Urteil vom XXXX.2013 wurde gegen ihn eine 14-monatige Freiheitsstrafe ausgesprochen, die er bis 10.12.2014 in den Justizanstalten XXXX und XXXX verbüßte.

In der Folge verließ der BF das österreichische Bundesgebiet und beantragte am 05.01.2015 in der Schweiz internationalen Schutz, wobei er angab, XXXX zu heißen; sein Geburtsdatum sei der XXXX und er sei Staatsangehöriger von Kamerun.

Nach der Rücküberstellung nach Österreich stellte er am 18.06.2015 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, wobei er die bereits zuvor angegebene Identität des nigerianischen Staatsangehörigen XXXX verwendete.

Der Antrag wurde vom BFA mit Bescheid vom 08.06.2016 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen.

Auch der dritte Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 14.08.2016, bei dem er wieder den Namen XXXX, das Geburtsdatum XXXX und die Staatsangehörigkeit Nigeria angab, wurde vom BFA mit Bescheid vom 22.11.2016 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Seitens des BFA wurde die Botschaft von Nigeria um Ausstellung eines HRZ ersucht. Dem Interviewtermin am 28.10.2016 vor der Botschaft leistete der BF keine Folge.

Mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2016 wurde der BF wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgift zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

Am 20.01.2017 wurde der BF im Rahmen des Verfahrens zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments (Heimreisezertifikats) einer Delegation der nigerianischen Botschaft in Wien zur Identitätsfeststellung vorgeführt. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats wurde abgelehnt, weil vermutet wurde, dass er aus Kamerun stamme.

Am selben Tag stellte er unter der Identität XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehöriger von Kamerun, einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

Während des Verfahrens wiederholte er jedoch die in den früheren Verfahren gemachten Angaben zu seiner nigerianischen Identität. Der Antrag wurde im zweiten Rechtsgang mit dem Bescheid des BFA vom 01.03.2019 abgewiesen; gleichzeitig wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Die Beschwerde des BF dagegen wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 04.04.2019 als unbegründet abgewiesen.

Am 23.05.2018 wurde die Botschaft von Kamerun in Berlin, die für Österreich zuständig ist (siehe www.ambacam.de/index.php?pid=2; Zugriff am 21.04.2020), um die Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den BF gebeten.

Der BF war mit den Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2017 und vom XXXX.2018 neuerlich wegen Suchtgiftkriminalität zu Freiheitsstrafen von einem Jahr bzw. 14 Monaten verurteilt worden. Anlässlich der Verurteilung vom XXXX.2017 wurde die ihm 2016 gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Die am XXXX.2018 ausgesprochene Strafe wurde bis 03.10.2019 in den Justizanstalten XXXX und XXXX vollzogen.

Am 27.09.2019 wurde neuerlich ein Heimreisezertifikat für den BF bei der Botschaft von Nigeria in Wien beantragt.

Am 18.10.2019 wurde er zur Identitätsfeststellung einer Delegation der nigerianischen Botschaft vorgeführt. Da er bei diesem Termin nur französisch sprach und jegliche Aussage in Englisch verweigerte und angab, er sei Staatsangehöriger von Kamerun, wurde mitgeteilt, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch die nigerianische Vertretungsbehörde erst nach einer negativen Identifizierung durch die Vertretungsbehörde von Kamerun erfolgen könne.

Am 02.12.2019 stellte der BF während der Anhaltung in Schubhaft einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei er wieder angab, XXXX zu heißen, am XXXX geboren und Staatsangehöriger von Kamerun zu sein. Die Schubhaft wurde gemäß § 76 Abs 6 FPG aufrechterhalten, weil angenommen wurde, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden war. Dieser mittlerweile fünfte Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit dem Bescheid des BFA vom 09.01.2020 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Die Beschwerde des BF dagegen wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 06.02.2020 als unbegründet abgewiesen.

Am 14.02.2020 wurde der BF abermals einer Delegation der nigerianischen Botschaft zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments vorgeführt.

Da er neuerlich angab, aus Kamerun zu kommen, und sich abermals weigerte Englisch zu sprechen, wurde dem Botschafter von Nigeria die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, in der der BF auf Englisch befragt wurde, und angab dass dies kein Problem darstelle, kündigte der Konsul an, den Fall mit der Konsulin von Kamerun zu besprechen. Er regte an, den BF einer Delegation aus Kamerun vorzuführen. Für den Fall einer negativen Identifizierung durch Kamerun stellte er die Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den BF durch die nigerianische Vertretungsbehörde in Aussicht.

Bei der Botschaft von Kamerun in Berlin wurde die Ausstellung eines Ersatzreisedokuments für den BF am 20.06.2018, am 14.11.2019 und zuletzt am 24.01.2020 urgiert. Bislang erfolgte noch keine Reaktion. Weitere Urgenzen werden nach Angaben der Behörde ergehen. Am 19.02.2020 richtete das BFA eine Bitte an Interpol in Nigeria und Kamerun mit der Bitte um Identifizierung des BF. Bislang erfolgte noch keine Identifizierung.

Am 11.5.2020 erfolgte eine weitere Urgenz an die Botschaft von Nigeria zur Erlangung eines HRZ.

Der BF ist nicht bereit, in seinen Herkunftsstaat auszureisen. Er hat im Bundesgebiet keine relevanten familiären oder sonstigen sozialen Bindungen. Er hat keine Unterkunft und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Seitens der Behörde ist eine Einzelabschiebung des BF geplant. Sobald ein HRZ vorliegt und der Flugverkehr, der aufgrund der Covid 19 Krise dzt noch eingeschränkt ist, wieder aufgenommen wird, sollte der BF ehebaldigst abschoben werden.

Trotz dieser Einschränkungen ist es nach wie vor wahrscheinlich, dass in den nächsten Monaten ein Heimreisezertifikat für den BF ausgestellt und seine Abschiebung durchgeführt werden kann. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft würde er aufgrund seines bereits gezeigten persönlichen Verhaltens und der absoluten Nicht Bereitschaft mit den Behörden zu kooperieren, im Inland untertauchen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unstrittigen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des BVwG.

Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des BF sind ungeklärt, zumal er dazu divergierende Angaben machte und keine Dokumente vorliegen. Kenntnisse der englischen und der französischen Sprache werden anhand seiner Angaben, zuletzt bei den mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG (Niederschriften G310 2227985-1/19Z und G306 2227985-2/5Z), festgestellt. Eine Verständigung war sowohl mit Dolmetschern für Englisch als auch für Französisch möglich.

Der BF selbst macht je nach eigenem Dafürhalten zur Erlangung des für ihn als wahrscheinlich bestes Ergebnis seine Herkunft zu verschleiern stets unterschiedliche Angaben.

Es sind keine Hinweise auf schwerwiegende Erkrankungen des BF, die zu seiner Haftunfähigkeit führen würden, aktenkundig. Auch in den früheren Verfahren zur Überprüfung der Schubhaft beim BVwG wurden keine relevanten gesundheitlichen Probleme angegeben. So gab der BF z.B. bei der Verhandlung am 30.01.2020 an, sich fit zu fühlen.

Es gibt keine Hinweise dafür, dass ein Reisedokument für den BF vorliegt. Ein solches ist insbesondere im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) nicht dokumentiert. Der BF gab vor dem BFA bei den Einvernahmen am 11.07.2017 und am 22.08.2018 an, keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität zu haben.

Die Feststellungen zu den bisherigen, den BF betreffenden Verfahren beim BFA und beim BVwG werden anhand der entsprechenden Akten, Niederschriften und Entscheidungen getroffen. In diesem Zusammenhang liegen keine relevanten Widersprüche vor, zumal die Eintragungen im IZR damit gut in Einklang stehen.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF werden anhand der Eintragungen im Strafregister und der vorliegenden Urteile festgestellt. Die Feststellungen zum Vollzug der Freiheitsstrafen basieren auf den im Strafregister dokumentierten Vollzugsdaten sowie den Wohnsitzmeldungen des BF in Justizanstalten laut dem Zentralen Melderegister (ZMR).

Die fehlende Ausreisebereitschaft des BF ergibt sich aus den Stellungnahmen des BFA und wurde auch von ihm selbst bei Einvernahmen und Verhandlungen bekräftigt. Die Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikats für ihn wurden vom BFA schlüssig und im Einklang mit den vorgelegten Unterlagen und den Angaben in den vorangegangenen Verfahren zur Schubhaftüberprüfung dargelegt. Sämtliche Bemühungen der Behörde ein HRZ zu erlangen werden durch die stete Weigerung des BF am Verfahren mitzuwirken besonders erschwert.

Es gibt keine Beweisergebnisse vor, aus denen sich eine maßgebliche soziale Verankerung des BF in Österreich ableiten lässt, zumal gegen ihn erst vor kurzem eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen wurde.

Er behauptete zwar erstmals vor dem BVwG , in Österreich lebende Kinder zu haben, gibt aber zu, dass zu ihnen seit geraumer Zeit kein Kontakt besteht (siehe Niederschrift G310 2227985-1/19Z). Eine gesicherte Wohnmöglichkeit des BF in Österreich wird nicht ins Treffen geführt. Mangels eines Aufenthaltsrechts und einer Beschäftigungsbewilligung besteht auch keine legale Erwerbsmöglichkeit, diese wurde auch seitens des BF nie angestrebt, wurde er doch bereits kurz nach seiner Einreise im Jahr 2008 und bis dato 9 mal wegen SM Delikten verurteilt, sodass davon auszugehen ist, dass er nicht selbsterhaltungsfähig ist, zumal keine wesentlichen Vermögenswerte oder Ersparnisse aktenkundig sind und der BF mit Suchtgift handelte, um sich ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (siehe § 27 Abs 3 SMG iVm § 70 StGB).

Das BVwG geht davon aus, dass sich der BF bei einer Enthaftung dem weiteren Verfahren mit Sicherheit durch Untertauchen entziehen würde. Dies ist angesichts seiner fehlenden Aufenthaltsberechtigung, der mehrfachen unbegründeten bzw. unzulässigen Anträge auf internationalen Schutz, der widersprüchlichen Angaben zu seiner Identität und der Weiterreise in die Schweiz in Höchstem Maße wahrscheinlich. Da die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie durchwegs vorübergehend bzw. befristet angeordnet wurden, ist davon auszugehen, dass trotzdem zeitnah, also innerhalb der nächsten Monate, ein Ersatzreisedokument für ihn ausgestellt und seine Rückführung in seinen Herkunftsstaat bewerkstelligt werden kann.

Rechtliche Beurteilung

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom BVwG zu überprüfen. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das BVwG hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

An den Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft hat sich seit der letzten Entscheidung des BVwG darüber am 23.4.2020 nichts geändert. Gegen den BF besteht eine durchsetzbare und rechtskräftige Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot. Seine Anträge auf internationalen Schutz wurden rechtskräftig ab- bzw. zurückgewiesen. In Zusammenschau mit der fehlenden sozialen Verankerung und der mangelnden Rückkehrbereitschaft liegt nach wie vor Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 3 Z 3 und 9 FPG vor. Außerdem behindert der BF die Abschiebung dadurch, dass er die Angaben zu seiner Identität und insbesondere zu seinem Herkunftsstaat immer wieder ändert, sodass auch das Kriterium des § 76 Abs 3 Z 1 FPG erfüllt ist. Da er wiederholt wegen Übertretungen des SMG strafgerichtlich verurteilt wurde und deshalb bereits mehrere Freiheitsstrafen verbüßte, wobei sowohl bedingte Strafnachsichten als auch eine bedingte Entlassung widerrufen werden mussten, überwiegt unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz seiner persönlichen Freiheit iSd § 76 Abs 2a FPG. Der Zweck der Schubhaft kann auch nicht durch Anwendung eines gelinderen Mittels erreicht werden, zumal der BF kaum finanzielle Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts hat und keine gesicherte Unterkunftmöglichkeit besteht.

Die Schubhaftdauer überschreitet bereits sechs Monate. Da der BF deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil die für seine Einreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt, kann die Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 2 FPG für bis zu 18 Monate aufrechterhalten werden.

Da davon auszugehen ist, dass innerhalb der nächsten Monate eine Identifizierung des BF erfolgen, in der Folge ein Ersatzreisedokument für ihn ausgestellt und danach seine Rückführung in seinen Herkunftsstaat durchgeführt werden kann, ist die Schubhaft trotz der aktuellen noch etwas andauernden Einschränkungen aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie derzeit noch verhältnismäßig, zumal aufgrund der signifikanten Straffälligkeit des BF ein besonders großes Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht. Von der nigerianischen Vertretungsbehörde wurde die Ausstellung eines Reisedokuments für den Fall, dass der BF nicht als Staatsangehöriger von Kamerun identifiziert wird, in Aussicht gestellt.

Da die Beschränkungen für Reisen nach Nigeria und Kamerun vorübergehend bzw. befristet angeordnet wurden, ist davon auszugehen, dass diese Maßnahmen alsbald wieder aufgehoben oder so eingeschränkt werden, dass das bereits beantragte Reisedokument für den BF ausgestellt und seine Abschiebung durchgeführt werden kann. In Österreich wurden die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bereits schrittweise gelockert. Ein aus den Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie allenfalls resultierendes Abschiebehindernis ist daher aufgrund der zeitlichen Beschränkung dieser Maßnahmen aus heutiger Sicht noch als vorübergehend anzusehen und wird voraussichtlich in der nächsten Zeit wieder wegfallen, sodass die Schubhaft beim BF verhältnismäßig bleibt. Auch in der Mitteilung der EU-Kommission vom 17.04.2020 "COVID-19: Hinweise zur Umsetzung der einschlägigen EU-Bestimmungen im Bereich der Asyl- und Rückführungsverfahren und zur Neuansiedlung" (2020/C 126/02) wird vertreten, dass die von den Mitgliedstaaten und Drittländern eingeführten befristeten Beschränkungen zur Verhinderung und Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 nicht so auszulegen sind, als würden sie automatisch den Schluss zulassen, in allen Fällen bestünde keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr (siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1587138114770&uri=CELEX:52020XC0417(07); Zugriff am 22.04.2020). Da der BF zuletzt am 26.02.2020 vor dem BVwG zur Frage der Fortsetzung der Schubhaft einvernommen wurde und seither keine entscheidenden Änderungen eingetreten sind, die bei einer mündlichen Verhandlung zu erörtern wären, unterbleibt eine weitere Verhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 Abs 4 VwGVG, weil der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt werden konnte.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war und sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte. So hat sich der VwGH im Beschluss vom 01.04.2020, Ra 2020/21/0116, unter anderem mit den Auswirkungen der aktuellen weltweiten Flugreisebeschränkungen auf die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft auseinandergesetzt und festgehalten, dass die Annahme, es wäre mit einer Aufhebung dieser Maßnahmen binnen weniger Wochen zu rechnen, nicht unvertretbar sei.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2227985.5.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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