Entscheidungsdatum
19.05.2020Norm
ASVG §410Spruch
I412 2004573-5/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, vertreten durch Rae Dr. Gernot Klocker, Dr. Manuela Klocker, Marktplatz 7, 6850 Dornbirn, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) Landesstelle XXXX vom 05.07.2017, XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Die Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX (PVA) hat mit Bescheid vom 18.01.2013 den Antrag des Beschwerdeführers XXXX, vertreten durch die IfS-Sachwalterschaft, vom 13.11.2012 auf Waisenpension zurückgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass über den Antrag des Beschwerdeführers bereits mit rechtskräftigem Bescheid vom 08.03.2011 entschieden worden sei. Seit dieser Entscheidung hätten sich weder Änderungen in der Sachlage noch in der Rechtslage ergeben.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14.02.2013 Einspruch an den Landeshauptmann, in welchem im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass die Zurückweisung des Antrags auf Waisenpension nicht zu Recht erfolgte, da unrichtig sei, dass sich seit dem Bescheid vom 08.03.2011 weder die Sach- noch die Rechtslage geändert habe.
Nach Anführung der Bestimmung des § 69 AVG (Wiederaufnahme) wird im Rechtsmittel ausgeführt, dass nach Bescheiderlassung vom 08.03.2011 der Sachverständige Dr. XXXX ein Gutachten erstattet habe, in welchem dieser anführe, dass beim Antragsteller eine Erwerbsunfähigkeit bereits seit dem 01.12.1989 vorliege und an diesen Einschätzungen die vielen, sehr kurzfristigen Arbeitsverhältnisse nichts ändern würden. Am 29.10.2012 habe Dr. XXXX einen weiteren fachärztlichen Befund erstattet, wonach beim Antragsteller eine erhebliche Einschränkung bzw. Unfähigkeit vorliege, sich selbst dauerhaft den Unterhalt zu verschaffen. Diese Problematik habe bereits im Jahr 1989 vorgelegen und sich im weiteren Leben des Antragsstellers bestätigt. Durch den Befund des Sachverständigen Dr. XXXX vom 29.10.2012 würden neue Befundergebnisse und neue konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen vorliegen. Es liege sohin ein neuer Sachverhalt vor, der eine Wiederaufnahme bzw. eine neuerliche Antragstellung rechtfertige. Der Bescheid der PVA leide zudem an einem erheblichen Verfahrensmangel, der ebenfalls zur Aufhebung des Bescheides zu führen habe. Die "Begründung" erschöpfe sich darin, dass über den Antrag bereits rechtskräftig entschieden worden sei, und dass sich seit dieser Entscheidung weder Änderungen in der Sachlage noch in der Rechtslage ergeben hätten. Diese Ausführungen würden die Voraussetzungen der im § 60 AVG verankerten Begründungspflicht nicht erfüllen. Die PVA hätte konkret darlegen und begründen müssen, aus welchen Gründen und Überlegungen sie der Ansicht sei, dass sich trotz des vorliegenden Antrages, mit welchem neue Befundergebnisse durch Vorlage des Befundes vom 29.10.2012 vorgelegt worden seien, keine Änderung in der Sach- und Rechtslage ergeben hätten.
3. In ihrer Stellungnahme zur Einspruchsvorlage vom 19.03.2013 bringt die Pensionsversicherungsanstalt zusammengefasst vor, dass bereits im Verfahren auf Gewährung einer Invaliditätspension im Jahr 2010 der Einspruchswerber eingehend vom Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. XXXX, untersucht worden sei. Im Zuge dieses Verfahrens sei dem Einspruchswerber auch eine befristete Invaliditätspension gewährt worden. Im Verfahren auf Gewährung einer Waisenpension sei der Einspruchswerber nicht neuerlich untersucht worden, sondern seien die im Invaliditätspensionsverfahren eingeholten Gutachten und vorliegenden Befunde von Dr. XXXX vom 29.04.2010, Dr. XXXX vom 24.03.2009 und Dr. XXXX vom 16.06.2005 der Entscheidung zugrundegelegt worden.
Insbesondere das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie ergebe eindeutig, dass Kindeseigenschaft gemäß § 252 Abs. 2 Z 2 ASVG (seit 01.06.2012 Z 3 FreiwG) nicht vorliege. Aus diesem Grund sei mit Bescheid vom 08.03.2011 der Antrag auf Gewährung einer Waisenpension nach dem Verstorbenen XXXX abgelehnt worden. Dagegen habe der Einspruchswerber kein Rechtsmittel ergriffen. Der neuerliche Antrag vom 30.05.2012 sei in Kenntnis und unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. XXXX vom 09.03.2012 mit Bescheid vom 24.07.2012 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden, wogegen wiederum kein Rechtsmittel ergriffen worden sei.
Am 13.11.2012 habe die Sachwalterin des Einspruchswerbers neuerlich einen Antrag auf Gewährung einer Waisenpension gestellt, der mit Bescheid vom 18.01.2013 zurückgewiesen worden sei.
Die im Zuge der erstmaligen Antragstellung auf Gewährung einer Waisenpension herangezogenen Gutachten hätten klar ergeben, dass Kindeseigenschaft gemäß § 252 Abs. 2 Z 2 ASVG nicht gegeben sei. Der Einspruchswerber habe im Zeitraum vom 15.07.1991 bis 04.06.2009 verschiedene Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichtet. Seit dem 01.07.2010 beziehe der Einspruchswerber nun eine Invaliditätspension.
4. Im Schriftsatz vom 19.06.2013 führt der Beschwerdeführer aus, dass sich aus dem Schreiben der PVA selbst ergäbe, dass sich die Sachlage zwischenzeitlich geändert habe, da aus dem Gutachten von Dr. XXXX vom 29.10.2012 hervorgehe, dass beim Antragssteller eine erhebliche Einschränkung bzw. Unfähigkeit vorliege, sich selbst dauerhaft Unterhalt zu verschaffen. Gemäß den Ausführungen des Sachverständigen habe diese Problematik bereits im Jahre 1999 vorgelegen. Aufgrund dieses Gutachtens würden neue Tatsachen und Beweisergebnisse vorliegen, sodass der Antrag vom 14.02.2013 berechtigt sei.
5. In ihrer Äußerung vom 13.09.2013 ergänzt die PVA, dass der Einspruchswerber seit 01.04.2010 eine bis 30.11.2014 befristete Invaliditätspension beziehe, die aufgrund der massiven kognitiven Defizite, der leichten zerebralen Irritierbarkeit, massiver Rückzugstendenzen und fehlender sozialer Kontakte gewährt worden sei. Zudem sei im Gutachten ausgeführt worden, dass der Pensionsbezieher nicht mit dieser Behinderung in das erste Dienstverhältnis eingetreten sei und bestätige dies auch das Gutachten Dr. XXXX vom 24.03.2009 und das Gutachten Dr. Jochum vom 16.06.2005. Sollte bereits im Jahr 1999 eine Unfähigkeit vorgelegen haben, sich selbst dauerhaft Unterhalt zu verschaffen, so müsse angeführt werden, dass der Einspruchswerber mit 16.07.1993 das 18. Lebensjahr vollendet habe. Für die Weitergewährung der Waisenpension habe daher eine Erwerbsunfähigkeit im Jahr 1999 keine Auswirkungen.
Sollte jedoch entsprechend dem Befund von Prof. XXXX aus dem Jahr 1989 bereits Erwerbsunfähigkeit vorgelegen haben, so wäre der Einspruchswerber bereits erwerbsunfähig in das erste Dienstverhältnis eingetreten. Dies wiederum habe zur Folge, dass der Einspruchswerber die Behinderung ins Erwerbsleben eingebracht habe und eine Invalidität gemäß § 255 Abs. 7 ASVG zu beurteilen wäre. Voraussetzung für eine Invaliditätspension gemäß § 255 Abs. 7 ASVG sei die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen durch 120 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit. Diese geforderten 120 Beitragsmonate einer Erwerbstätigkeit seien beim Einspruchswerber nicht vorliegend. Folglich müsste das Invaliditätspensionsverfahren ebenfalls überprüft werden, jedenfalls aber würde die Invaliditätspension, welche bis 30.11.2014 befristet sei, nicht weitergewährt werden.
6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.11.2016, wurde der angefochtene Bescheid vom 18.01.2013 behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neues Bescheides an die Pensionsversicherungsanstalt zurückverwiesen.
7. Mit Schreiben der PVA vom 20.12.2016 an die den Beschwerdeführer vertretende Sachwalterschaft wurde angefragt, ob der Antrag vom 08.11.2012 als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG gewertet werden soll. Mit Schreiben der Sachwalterschaft vom 13.01.2017 wurde mitgeteilt, dass es sich dabei um einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens handle und das Gutachten von Dr. XXXX neu vorgelegt.
8. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 05.07.2017,XXXX, wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen. Dieser Bescheid wurde damit begründet, dass das vorgelegte Gutachten keine Änderung der medizinischen Entscheidung bewirke.
9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.10.2017, wurde dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe stattgegeben und mit Schriftsatz vom 31.10.2017 durch den von der XXXX Rechtsanwaltskammer bestellten Verfahrenshelfer Beschwerde erhoben.
In dieser wird zusammengefasst ausgeführt, dass sich die Begründung des angefochtenen Bescheides darin erschöpfe, dass das vorgelegte Gutachten von Dr. XXXX vom 16.12.1989 keine Änderung der medizinischen Entscheidung bewirke. Die Pensionsversicherungsanstalt gehe in der Begründung des Bescheides nicht darauf ein, ob die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden und begnüge sich die Pensionsversicherungsanstalt damit, eine inhaltliche Entscheidung zum Antrag auf Gewährung der Waisenpension vorzunehmen, ohne auf die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme einzugehen.
10. Mit Schreiben vom 01.07.2019 wurde von der Pensionsversicherungsanstalt eine weitere Stellungnahme erstattet und mit Schreiben vom 14.05.2020 vom Beschwerdeführer zu einer Anfrage des Bundesverwaltungsgerichtes mitgeteilt, dass Grund für die Wiederaufnahme nicht das Gutachten von Dr. XXXX vom 15.12.1989, sondern das Gutachten von Dr. XXXX vom 29.10.2012. Dieser stütze sich zwar darauf, dass bereits beim Befund von Dr. XXXX im Jahr 1989 eine Problematik vorgelegen haben könnte. Diese habe sich jedoch erst im weiteren Leben des Beschwerdeführers bestätigt.-
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Verfahrensgang wird festgestellt, wie oben in I. wiedergegeben.
Ferner wird festgestellt:
Am 29.10.2012 wurde von Dr. XXXX ein als "fachärztlicher Befund" bezeichnetes Schreiben zur Vorlage bei der Pensionsversicherungsanstalt erstattet.
Darin wird nach Wiedergabe der Anamnese schlussfolgernd ausgeführt wie folgt:
"Soweit aus all den Unterlagen ableitbar, dürfte eine erhebliche Einschränkung bzw. Unfähigkeit vorliegen, sich selbst dauerhaft den Unterhalt zu verschaffen. Entsprechend dem Befund von Dr. XXXX aus dem Jahre 1989 scheint bereits damals eine Problematik vorgelegen zu haben, die sich im weiteren Leben von Herrn XXXX bestätigt hat."
Mit ärztlichen Gesamtgutachten eines FA für Psychiatrie vom 13.06.2017 sowie vom 17.10.2018 wurde bei Nachuntersuchungen bezüglich Invalidität jeweils nach Untersuchung festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht mit der Behinderung in das erste Dienstverhältnis eingetreten ist.
Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt mit Bescheid vom 10.01.2019 der Anspruch auf Invaliditätspension ab 01.01.2019 für die weitere Dauer der Invalidität anerkannt.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie dem Gerichtsakt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
3.5. Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) lauten:
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat."
Die belangte Behörde stützt die Ablehnung des Antrages des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens wegen hervorgekommener Tatsachen und Beweismittel darauf, dass das der Pensionsversicherungsanstalt vorgelegte Gutachten von Herrn Dr. XXXX vom 16.12.1989 keine Änderung der medizinischen Entscheidung bewirke.
Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist lediglich die Frage, ob die belangte Behörde zu Recht die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 08.03.2011 abgeschlossenen Verfahrens abgelehnt hat
Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat alle für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit, dh der Einhaltung der subjektiven und objektiven Frist maßgeblichen Angaben zu enthalten (VwGH 19. 5. 1993, 91/13/0099; 25. 1. 1996, 95/19/0003; Hengstschläger/Leeb6 Rz 588, 1073; Schulev-Steindl6 Rz 347 f) und trägt der Antragsteller die "Beweislast" (näher § 45 Rz 3) für die Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmebegehrens (VwGH 3. 9. 1998, 98/06/0086; 8. 7. 2005, 2005/02/0040; 14. 11. 2006, 2005/05/0260; vgl auch Reisner in Götzl et al2 VwGVG § 32 Rz 37;
Hat die Erstbehörde den Wiederaufnahmeantrag meritorisch erledigt und damit "als rechtzeitig anerkannt", ist das Verwaltungsgericht nicht gehindert, die Frage der Rechtzeitigkeit neu aufzurollen und anders zu beurteilen (VwGH 5. 11. 1986, 86/11/0073).
Vom rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführer wird in der Stellungnahme vom 14.05.2020 ausgeführt, dass Grund für den Wiederaufnahmeantrag nicht das Gutachten von Dr. XXXX aus dem Jahre 1989 sei, sondern das Gutachten von Dr. XXXX vom 29.10.2012.
Wie den Feststellungen zu entnehmen ist und in der Stellungnahme des Beschwerdeführers selbst ausgeführt wird, stützt sich dieser allerdings auf einen "Befund" von Dr. Wurst aus dem Jahre 1989.
Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides oder nach Erlassen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts eingeholt wurden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit auch nicht als neue Beweismittel (Rz 34) Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein (VwGH 10. 5. 1996, 94/02/0449; 21. 4. 1999, 99/03/0097; 2. 7. 2007, 2006/12/0043; 25. 7. 2013, 2012/07/0131). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides bzw nach Erlassen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts "feststellt" oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - wie insbesondere des mangelnden Verschuldens (vgl Rz 36 ff; VwGH 24. 9. 2003, 2003/11/0079) - als neu hervorgekommene Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 18. 1. 1989, 88/03/0188; 4. 8. 2004, 2002/08/0074; 25. 7. 2007, 2006/11/0147; 25. 7. 2013, 2012/07/0131; 21. 10. 2016, Ra 2016/11/0141).
Einen Wiederaufnahmegrund können aber nur neue Befundergebnisse, neue konkrete sachverständige Tatsachenfeststellungen in einem Gutachten abgeben und nicht auch ein Irrtum des Sachverständigen (VwGH 7. 9. 2005, 2003/08/0093; 16. 10. 2007, 2004/18/0376), dh geänderte sachverständige Schlussfolgerungen aus eben den festgestellten Tatsachen, also nicht auch eine Änderung des Gutachtens im engeren Sinn (§ 52 Rz 58). Neue Schlussfolgerungen oder ein Irrtum eines Sachverständigen können - entgegen neuer Befundergebnisse - keinen Wiederaufnahmegrund bilden (vgl VwGH 19. 4. 2007, 2004/09/0159; 24. 2. 2011, 2010/09/0198). Sie können weder Tatsachen noch Beweismittel iSd § 69 Abs 1 Z 2 AVG oder des § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG darstellen (vgl VwGH 24. 9. 2003, 2003/11/0079; 21. 10. 2016, Ra 2016/11/0141). Daher liegt kein Wiederaufnahmegrund vor, wenn der bereits im Verfahren bestellte Sachverständige später erklärt, dass ihm bei den Schlussfolgerungen - ohne dass die Voraussetzungen des § 69 Abs 1 Z 1 AVG bzw des § 32 Abs 1 Z 1 VwGVG vorliegen (Rz 9 ff) - Fehler unterlaufen seien und er nunmehr zu anderen Schlussfolgerungen komme oder sich ein Irrtum bei der Prognose eingeschlichen habe (vgl VwGH 11. 11. 2016, Ra 2016/12/0096). Das gilt auch für den Fall, dass ein anderer (ein im Verfahren nicht vernommener) Gutachter auf dem Boden unveränderter Sachverhaltsgrundlagen nunmehr zu anderen Schlüssen kommt als der dem Verwaltungs- bzw dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogene Sachverständige (vgl VwGH 4. 8. 2004, 2002/08/0074; 7. 9. 2005, 2003/08/0093; 2. 7. 2007, 2006/12/0043).
Kein Wiederaufnahmegrund liegt zunächst für den Fall vor, dass ein anderer (ein im Verfahren nicht vernommener) Gutachter auf dem Boden unveränderter Sachverhaltsgrundlagen nunmehr zu anderen Schlüssen kommt als der dem Verwaltungs- bzw dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogene Sachverständige (vgl VwGH 4. 8. 2004, 2002/08/0074; 7. 9. 2005, 2003/08/0093; 2. 7. 2007, 2006/12/0043).
Insgesamt ist somit festzuhalten, dass, unter der Voraussetzung, dass das Gutachten von Dr. XXXX aus dem Jahre 1989 als Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu betrachten ist, davon auszugehen sein wird, dass der Wiederaufnahmeantrag verspätet gestellt wurde und somit unzulässig wäre, da das Gutachten von Dr. XXXX vom 15.12.1989 dem Beschwerdeführer bereits zumindest seit Mai 2012 bekannt ist.
Wenn der Beschwerdeführer davon ausgeht, dass das als "fachärztlicher Befund" bezeichnete Schreiben von Dr. XXXX vom 29.10.2012 den Grund für den Wiederaufnahmeantrag darstellt, so ist auf das oben angeführte zu verweisen.
Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung eingeholt wurden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein. Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden haben, erst nach Rechtskraft der Entscheidung "feststellt", können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 20.3.2019, Ra 2019/20/0096). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Wiederaufnahmewerber zudem den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen. Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Bescheid geführt hätten (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0403, mwN).
Die Sachverhaltsgrundlage (der Befund) der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. XXXX basiert zur Gänze auf dem bereits während dem Verwaltungsverfahren bekannten Gutachten von Dr. XXXX aus dem Jahre 1989. Es kann sich daher dabei nicht um eine Tatsache handeln, die erst bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden war, aber erst danach hervorgekommen ist.
Es wurde somit kein Beweismittel vorgelegt, das gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG zur Wiederaufnahme des Verfahrens führen könnte und hat die belangte Behörde damit im Ergebnis zu Recht den Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers abgewiesen.
Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung konnte nach § 24 Abs 4 VwGVG unterbleiben, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Zudem zählt ein Verfahren über die Zulässigkeit eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu den Angelegenheiten, auf die Art. 6 MRK nicht anwendbar ist (vgl. das Urteil des EGMR vom 8. Mai 1978, Nr. 7761/77, ua.).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
neu entstandene Tatsache Sachverständigengutachten Wiederaufnahmeantrag WiederaufnahmegrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I412.2004573.5.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020