Entscheidungsdatum
20.05.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2230112-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des rumänischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.03.2020, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde über den Beschwerdeführer (BF) eine 18-monatige bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt. Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 28.10.2019 wurde er aufgefordert, sich binnen zwei Wochen zu der wegen dieser Verurteilung beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Dieser Aufforderung kam er nicht nach.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein dreijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung durch das Landesgericht XXXX begründet. Die vom BF gesetzten Handlungen seien unter § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG zu subsumieren. Es hätten keine Feststellungen über sein Privat- und Familienleben getroffen werden können, weil keine Stellungnahme abgegeben worden sei.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und das Aufenthaltsverbot zu beheben, in eventu, zu verkürzen. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Begründend wird ausgeführt, dass der BF sein Fehlverhalten bedaure. Er sei nicht persönlich einvernommen worden und habe entgegen den Ausführungen des BFA ein intensives Privat- und Familienleben und seinen Lebensmittelpunkt in Österreich. Er habe seit sechs Jahren eine Partnerschaft mit einer rumänischen Staatsbürgerin, die sich als Arbeitnehmerin in Österreich aufhalte. Das Paar lebe in einem gemeinsamen Haushalt und beabsichtige zu heiraten; im März 2020 sei das gemeinsame Kind zur Welt gekommen. Der BF beantragte die Einvernahme seiner Verlobten als Zeugin zum Beweis seines aufrechten Privat- und Familienlebens.
Das BFA erstattete eine Stellungnahme zur Beschwerde und legte diese samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen.
Das Landesgericht XXXX übermittelte dem BVwG auftragsgemäß den den BF betreffenden Auszug aus dem Europäischen Strafregister-Informationssystem (ECRIS) vom 14.12.2018.
Feststellungen:
Der BF ist rumänischer Staatsangehöriger. Er kam am XXXX in der rumänischen Stadt XXXX zur Welt. Er spricht Rumänisch und Deutsch (Strafurteil; Schreiben des Bundeskriminalamts vom 08.08.2019; ZMR-Auszug).
Der BF hält sich seit Mai 2018 in Österreich auf. Seit XXXX.05.2018 bestehen - abgesehen vom Zeitraum 15.11.2018 bis 29.01.2019 - durchgehend Hauptwohnsitzmeldungen an verschiedenen Adressen im Bundesgebiet. Zwischendurch hielt sich der BF nicht in Österreich auf. Zwischen XXXX.12.2018 und XXXX.01.2019 war er mit Nebenwohnsitz in XXXX gemeldet. Zuvor hatten bereits bereits zwischen XXXX.09.2007 bis XXXX.01.2008 eine Hauptwohnsitzmeldung in XXXX und zwischen XXXX. und XXXX.10.2016 eine Nebenwohnsitzmeldung in XXXX bestanden (ZMR-Auszug). Der BF war im Bundesgebiet erstmals im Oktober 2016 und dann wieder ab Mai 2018 (mit Unterbrechungen) bei diversen Arbeitgebern (zumeist kurzfristig) beschäftigt (Versicherungsdatenauszug). Eine Anmeldebescheinigung wurde ihm nicht ausgestellt; er hat dies auch nicht beantragt (IZR-Auszug).
Der BF ist mit der am XXXX geborenen rumänischen Staatsangehörigen XXXX liiert, der am XXXX.09.2019 eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt wurde. Seit September 2019 besteht ein gemeinsamer Haushalt in XXXX bei XXXX. Am XXXX kam der gemeinsame Sohn XXXX in XXXX zur Welt. XXXX hält sich ebenfalls seit Mai 2018 mit Unterbrechungen im Bundesgebiet auf; seit August 2019 bestehen durchgehend Hauptwohnsitzmeldungen. Sie war hier zwischen XXXX.06. und XXXX.07.2018 als Arbeiterin erwerbstätig, von XXXX.07. bis XXXX.12.2018 bezog sie Wochengeld. Ab XXXX.01.2019 war sie wieder (mit Unterbrechungen) bei verschiedenen Arbeitgebern im Bundesgebiet unselbständig erwerbstätig. Zwischen XXXX.11. und XXXX.12.2019 sowie zwischen XXXX.12.2019 und XXXX.01.2020 bezog sie Krankengeld, ab XXXX.01.2020 Wochengeld (Beschwerde samt damit vorgelegten Urkunden; ZMR-Auszug; IZR-Auszug, Versicherungsdatenauszug).
Der BF wurde in den Jahren 2012 bis 2017 in der Bundesrepublik Deutschland vier Mal strafgerichtlich verurteilt. Im Juli 2012 wurde er wegen schweren Bandendiebstahls (Einbruchsdiebstahls) in drei Fällen zu einem zweijährigen Freiheitsentzug verurteilt, wobei die letzte Tat im Februar 2012 begangen und die Strafe letztlich erlassen wurde. Im Dezember 2015 kam es zu einer Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung und Sachbeschädigung. Im November 2016 wurde wegen Körperverletzung eine Geldstrafe verhängt. Im Juli 2017 folgte eine weitere Geldstrafe wegen des Erschleichens von (öffentlichen) Leistungen in zwei Fällen, wobei die letzte Tathandlung im April 2017 begangen wurde (ECRIS-Auszug).
In Österreich weist der BF eine strafgerichtliche Verurteilung auf. Mit dem Urteil Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde er wegen des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung (§§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB) bei einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, die zur Gänze für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF am XXXX.09.2018 im Zusammenwirken mit einem weiteren Täter versuchte, einem Kellner in einem Bordell im Zuge einer Auseinandersetzung absichtlich eine schwere Körperverletzung zuzufügen. Die Täter versetzten dem Opfer teils mit einem mitgeführten Stock (Baseballschläger), teils mit den Fäusten und den Füßen mehrfach wuchtige Schläge und Tritte gegen Kopf und Körper. Das Opfer erlitt zufällig und aufgrund von Abwehrhandlungen nur leichte Verletzungen (Rissquetschwunde im Stirnbereich, Hämatome und Hautabschürfungen am ganzen Körper), sodass es beim Versuch blieb. Nach der Tat flüchteten die Täter; ihr Aufenthalt war in der Folge unbekannt. Am XXXX.09.2019 wurde der BF in XXXX aufgrund einer Festnahmeanordnung verhaftet und bis XXXX.07.2019 in der Justizanstalt XXXX angehalten. Bei der Strafbemessung wurden sein Geständnis, der untergeordnete Tatbeitrag und der Umstand, dass es beim Versuch blieb, als mildernd gewertet; erschwerend wirkten sich zwei einschlägige Vorverurteilungen, die Tatbegehung in Gemeinschaft und die tatsächliche Verletzung des Opfers aus (Strafurteil; Strafregister; Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom XXXX.12.2018; Mitteilungen der Staatsanwaltschaft XXXX vom 10. und 11.04.2019; Bericht über die Festnahme vom XXXX.07.2019).
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er hat im Bundesgebiet außer seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn keine nahen Familienangehörigen. In Rumänien besteht lediglich gelegentlicher telefonischer Kontakt zu seiner Mutter (Beschwerde).
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln. Die Identität des BF (Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit) ergibt sich aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil sowie aus dem Strafregisterauszug. Das Bundeskriminalamt teilte dem BFA mit Schreiben vom 08.08.2019 mit, dass er von Interpol Bukarest unter diesen Personendaten identifiziert worden sei.
Kenntnisse der rumänischen Sprache sind aufgrund der Herkunft des BF naheliegend, zumal im Strafverfahren eine Dolmetscherin für diese Sprache beigezogen wurde. Es ist glaubhaft, dass er - wie in der Beschwerde behauptet - auch Deutsch spricht, zumal er sich vor seinem nunmehrigen Aufenthalt in Österreich offenbar in Deutschland aufhielt (wie seine strafgerichtlichen Verurteilungen dort nahelegen, ebenso der Umstand, dass die Polizei nach der Tat am XXXX.09.2018 eine XXXX zugeordnete Telefonnummer mit deutscher Vorwahl eruierte, die der BF genutzt haben soll).
Die Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet gehen aus den Zentralen Melderegister (ZMR) hervor, seine Beschäftigungsverhältnisse im Inland aus dem Versicherungsdatenauszug. Demnach war er während folgender Zeiträume aufgrund einer Anmeldung als Arbeiter im Inland sozialversichert: 06.10. - 16.10.2016, 19.10. - 27.10.2016, 03.05 - 01.07.2018, 18.07 - 28.07.2018, 31.07.2018, 24.09. - 26.09.2018, 05.12.2018 - 07.01.2019, 08.02 - 09.02.2019, 20.03. - 19.04.2019, 23.04 - 23.05.2019, 17.07. - 23.07.2019, 12.08. - 21.08.2019, 21.08. - 04.10.2019, 16.10.2019 (geringfügig), 24.10. - 31.10.2019 (geringfügig), 11.11. - 04.12.2019, 21.01. - 03.02.2020, 04.02 - 10.02.2020, 09.03.2020 und 25.03.2020 - 27.04.2020. Es handelt sich durchwegs um (zum Teil sehr) kurze Beschäftigungsverhältnisse, zwischen denen deutliche zeitliche Lücken bestehen, was mit dem Umstand, dass er sich auch nach Mai 2018 nicht ständig im Bundesgebiet aufhielt, korrespondiert. Die entsprechende Feststellung beruht darauf, dass aus dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom XXXX.12.2018 hervorgeht, dass er und sein Mittäter nach der Tat am XXXX.09.2018 flüchteten und sich danach nicht mehr in Österreich aufhielten. Die Staatsanwaltschaft XXXX teilte dem BFA am 10.04.2019 mit, dass der Aufenthalt des BF unbekannt sei. Am 11.04.2019 folgte die Mitteilung, dass er sich nicht mehr in Österreich aufhalte und einen Wohnsitz in Rumänien haben soll. Aus dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom XXXX.01.2019 (der letztlich zu einem Freispruch des BF von der ihm vorgeworfenen Tat führte, siehe Seite 4 des Strafurteils) ergibt sich, dass er nach den angezeigten Vorkommnissen am 05.01.2019 nach Rumänien reiste und einen für den 14.01.2019 geplanten Vernehmungstermin nicht wahrnahm.
Im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) ist weder eine Anmeldebescheinigung des BF noch ein darauf gerichteter Antrag dokumentiert. Dies wird von ihm auch nicht behauptet.
Die familiären Verhältnisse des BF, insbesondere die Lebensgemeinschaft mit XXXX und die Geburt des gemeinsamen Sohnes, werden anhand der Beschwerdebehauptungen und der mit der Beschwerde vorgelegten Urkunden (Mutter-Kind-Pass, Ausweiskopie, Arbeitsvertrag, Anmeldebescheinigung) festgestellt. Der gemeinsame Haushalt ergibt sich aus übereinstimmenden Hauptwohnsitzmeldungen, die laut ZMR und den mit der Beschwerde vorgelegten Meldebestätigungen seit XXXX.09.2019 bestehen. Der am XXXX in XXXX geborene XXXX ist laut ZMR seit XXXX.04.2020 an derselben Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet.
Die Feststellungen zu der vom BF in Österreich begangenen Straftat und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und dem Urteil des Landesgerichts XXXX. Die Hintergründe der Tat werden im polizeilichen Abschlussbericht vom XXXX.12.2018 dargestellt. Die Haft von 26. bis 28.07.2019 geht aus der Vorhaftanrechnung laut Strafurteil, der Nebenwohnsitzmeldung in der Justizanstalt XXXX laut ZMR und dem Polizeibericht über die Festnahme vom 27.07.2019 hervor. Die Vorstrafen des BF werden anhand des ECRIS-Auszugs festgestellt.
Mangels anderslautender aktenkundiger Informationen ist davon auszugehen, dass beim BF keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Die Konstatierungen zu seiner Arbeitsfähigkeit folgen daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und dem Versicherungsdatenauszug, der zuletzt eine Anmeldung als Arbeiter zur Sozialversicherung im Zeitraum XXXX.03. bis XXXX.04.2020 aufweist. Der BF schildert in der Beschwerde glaubhaft telefonische Kontakte zu seiner Mutter in Rumänien. Das Fehlen anderer naher Bezugspersonen dort ist nachvollziehbar, wenn berücksichtigt wird, dass er sich in Deutschland aufhielt, bevor er nach Österreich kam. Weitere familiäre Anknüpfungen (abgesehen von seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn) werden in der Beschwerde nicht behauptet und lassen sich auch den Verwaltungsakten nicht entnehmen.
Es sind keine Anhaltspunkte für eine Integration des BF in Österreich zutage getreten, die über die Feststellungen hinausgeht, sodass dazu keine weiteren Feststellungen getroffen werden.
Rechtliche Beurteilung:
Zur in der Beschwerde behaupteten Verletzung des Parteiengehörs ist festzuhalten, dass allein der Umstand, dass die Behörde den BF nicht persönlich einvernommen hat, das Parteiengehör nicht verletzt, wenn sie dem Recht auf Parteiengehör auf andere geeignete Weise entspricht. Aufgrund der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme hatte der BF die Gelegenheit, in diesem Verfahren Stellung zu nehmen. Letztlich ist aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu äußern, von einer Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen, zumal der angefochtene Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergibt (vgl. VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056).
Der BF ist rumänischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG.
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 54a NAG). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden. Das BFA hat zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots bejaht, weil sich die Gefährlichkeit des BF in der brutalen Tathandlung (Angriff mit einem Mittäter auf ein Opfer mit Fäusten, Fußtritten und einem mitgeführten Stock, wobei es ihm darauf ankam, dieses schwer zu verletzen, siehe § 5 Abs 2 StGB) besonders nachdrücklich manifestierte (siehe VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169) und die vorangegangenen Verurteilungen in Deutschland und die dort verhängten Strafen ihn nicht von der neuerlichen Straftat abhalten konnten. Der BF wurde nur wenige Monate nach seiner Niederlassung im Bundesgebiet abermals straffällig, obwohl die letzte Verurteilung in Deutschland noch nicht lange zurücklag. Aktuell kann ihm daher keine positive Zukunftsprognose attestiert werden, zumal er bereits 2015 und 2016 wegen (weniger schwerwiegender) Aggressionsdelinquenz (Körperverletzung, Sachbeschädigung) in Erscheinung getreten war. In diesem Zusammenhang ist auch aus der bedingten Nachsicht der Strafe für sich genommen nichts zu gewinnen (vgl. VwGH 22.05.2014, Ro 2014/21/0053). Der BF wird den Wegfall der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit unter Beweis stellen müssen (vgl. VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0194). Die seit der Tat und der Verurteilung vergangene Zeit reicht dafür noch nicht aus, zumal der BF seine Legalbewährung erst durch die Vermeidung eines Rückfalls während der Probezeit beweisen muss.
Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF ist verhältnismäßig, obwohl im Bundesgebiet ein Familienleben mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn besteht. Das BFA weist in der Stellungnahme zur Beschwerde zu Recht darauf hin, dass sich der BF und seine Lebensgefährtin erst seit kurzem in Österreich aufhalten und erst seit wenigen Monaten hier in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, sodass nicht von einer maßgeblichen Verwurzelung auszugehen ist. Der BF war zwar im Inland immer wieder erwerbstätig und spricht Deutsch. Er hat aber auch noch starke Bindungen zu seinem Heimatstaat, woher auch seine Lebensgefährtin stammt. Aktuell sind beide im Bundesgebiet nicht mehr erwerbstätig. Eine gemeinsame Rückkehr nach Rumänien (oder eine Niederlassung in einem anderen Staat, in dem sie als EWR-Bürger aufenthaltsberechtig sind), ist ihnen insbesondere angesichts des erst kurzen Inlandsaufenthalts zumutbar. Dadurch kann auch der persönliche Kontakt des BF zu seinem Sohn aufrechterhalten werden. Der BF kann das gemeinsame Familienleben aber auch durch Kommunikationsmittel wie Telefon und Internet sowie bei Besuchen außerhalb des österreichischen Bundesgebiets pflegen, zumal aufgrund seiner wiederholten Straffälligkeit ein besonders großes Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht.
Das Aufenthaltsverbot gegen den BF ist zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten. Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere insbesondere der letzten, schweren Straftat des BF und auf das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt, überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung sein gegenläufiges persönliches Interesse.
Die vom BFA mit drei Jahren maßvoll bemessene Dauer des Aufenthaltsverbots ist angesichts der gewaltsamen, auf eine schwere Verletzung des Opfers ausgerichteten Straftat des BF keiner Reduktion zugänglich, obwohl der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft und die Strafe zur Gänze bedingt nachgesehen wurde, zumal er schon zum dritten Mal wegen eines Aggressionsdelikts verurteilt wurde und die letzte Tat deutlich schwerwiegender war als die vorangegangenen, bei denen jeweils mit Geldstrafen das Auslangen gefunden wurde. Aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF begangenen Straftat unter Berücksichtigung der Strafzumessungsgründe und der dreijährigen Probezeit sowie unter Bedachtnahme auf seine privaten und familiären Verhältnisse ist ein dreijähriges Aufenthaltsverbot angemessen, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und ihn zu einer nachhaltigen Abkehr von Straftaten gegen die körperliche Integrität anderer zu bewegen. Während dieses Zeitraums sollte es dem BF möglich sein, seine Lebenssituation nachhaltig zu stabilisieren und seinen Gesinnungswandel durch die Vermeidung eines neuerlichen Rückfalls zu untermauern. Das Aufenthaltsverbot laut Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit nicht korrekturbedürftig.
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Nach dieser Bestimmung ist einem EWR-Bürger grundsätzlich ein einmonatiger Durchsetzungsaufschub zu gewähren, wovon nur ausnahmsweise Abstand genommen werden darf (VwGH 12.09.2013, 2013/21/0094).
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht zu beanstanden, zumal die Restriktionen von Reisen und Grenzübertritten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie bereits gelockert wurden und es dem BF daher voraussichtlich möglich sein wird, das Bundesgebiet innerhalb des Zeitraums des Durchsetzungsaufschubs zu verlassen.
§ 21 Abs 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung sogar dann, wenn deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zwar besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art 8 EMRK sonst relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (VwGH Ra 2016/21/0233).
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Verhandlung, von deren Durchführung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten ist. Die in der Beschwerde beantragte Einvernahme der Lebensgefährtin des BF als Zeugin kann entfallen, weil das BVwG ohnedies den Beschwerdebehauptungen zum gemeinsamen Familienleben in Österreich folgt.
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Interessenabwägung öffentliche Interessen Pandemie VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2230112.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020