Entscheidungsdatum
28.05.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G313 2217093-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.03.2019, Zl. XXXX, beschlossen:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 02.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) die behördliche Absicht, im Falle einer Verurteilung gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu verhängen, vorgehalten, und ihm schriftlich Gelegenheit dazu gegeben, binnen gesetzter Frist zu seinen privaten und familiären Verhältnissen und zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bosnien und Herzegowina vom 23.02.2018 Stellung zu nehmen.
Eine mit "13.05.2018" datierte, schriftliche Stellungnahme des BF dazu langte am 29.05.2018 bei der belangten Behörde ein.
2. Mit Bescheid des BFA vom 18.03.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
4. Am 08.04.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist bosnischer Staatsangehöriger.
1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.03.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
In diesem Bescheid wurde begründend festgehalten, dass der BF im Jahr 1991 mit seinen Eltern in Österreich eingereist ist, seither im Bundesgebiet lebt, am 01.08.2007 einen unbefristeten Daueraufenthaltstitel-EU erhalten hat, und 2009, 2010, 2011, 2013 und 2019 rechtskräftig strafrechtlich verurteilt wurde, was die Erlassung eines zehnjährigen Einreiseverbotes nach sich gezogen hat.
2. Beweiswürdigung:
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergaben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
3.2. Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung des Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.
Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).
3.3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.03.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
In diesem Bescheid wurde festgestellt, dass der BF im Jahr 1991 mit seinen Eltern in Österreich eingereist ist, seither im Bundesgebiet lebt und am 01.08.2007 einen unbefristeten Daueraufenthaltstitel-EU erteilt erhalten hat.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid eine Prüfung nach § 52 Abs. 4 FPG durchgeführt, ohne zuvor geprüft zu haben, ob nicht § 52 Abs. 5 FPG anzuwenden ist.
§ 52 Abs. 5 FPG idgF lautet:
"§ 52. (...)
(...)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde."
Demnach wäre ein anderer Prüfungsmaßstab als der von der belangten Behörde angewandte anzuwenden gewesen.
Dazu, welchen Aufenthaltsstatus der BF ab seiner Einreise mit seinen Eltern im Jahr 1991 bis zum Erhalt des Daueraufenthaltstitels - EU am 01.08.2007 hatte, wurde keine Feststellung getroffen. Zum Wohnsitz des BF wurde festgestellt, der BF habe keinen aufrechten Wohnsitz in Österreich, außer in der Justizanstalt. Zuvor sei er bei seinen Eltern an einer bestimmten näher angeführten Adresse im Bundesgebiet gemeldet gewesen.
Der bereits am 31.08.2018 außer Kraft getretene § 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet wie folgt:
"Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z. 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist."
Im angefochtenen Bescheid wurde auf den dem BF am 01.08.2007 erteilten unbefristeten Aufenthaltstitel (Daueraufenthalt-EU) und unter "den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbotes" auf die rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF im Bundesgebiet von 2009, 2010, 2011, 2013 und 2019 verwiesen.
Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf gemäß § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, grundsätzlich eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn ihm "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes", demnach vor der ersten der ersten relevanten strafrechtlichen Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlung, die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können.
Der mit "Verleihung" betitelte, am 01.01.1999 in Kraft getretene und am 22.03.2006 außer Kraft getretene § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) 1985, BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 124/1998, lautet wie folgt:
"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;
2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrundeliegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;
3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist;
4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;
5. gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht und auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;
7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder ihn an seiner finanziellen Notlage kein Verschulden trifft und
8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde."
Im gegenständlichen Fall wäre somit zu prüfen gewesen, ob der BF seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Jahr 1991 bereits seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, und wenn ja, ob auch die weiteren in § 10 Abs. 1 StbG, BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 124/1998, für eine mögliche Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft kumulativ geforderten Voraussetzungen erfüllt sind.
§ 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, aufgehoben durch Art. 4 Z. 5, BGBl. I Nr. 56/2018, ist am 31.08.2018 außer Kraft getreten.
Bei Erfüllung aller in § 10 Abs. 1 StbG angeführten für eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft kumulativ geforderten Voraussetzungen hätte "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts", demnach vor der ersten der ersten relevanten strafrechtlichen Verurteilung des BF von 2009 zugrundeliegenden strafbaren Handlung, gemäß § 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, gegen den BF, der ab 01.08.2007 über einen Daueraufenthaltstitel-EU verfügte, keine Rückkehrentscheidung erlassen und dem BF nicht mit Schreiben des BFA vom 02.05.2018, demnach mit einem zu einem Zeitpunkt verfassten Schreiben, zu welchem § 9 Abs. 4 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, noch (bis 31.08.2018) gültig war, die im Fall einer schriftlichen Verurteilung behördlich beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes vorgehalten werden dürfen.
Im Zuge der Begründung des Einreiseverbotes - später zu Spruchpunkt III. - wurde unter Bezugnahme auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des BF von Jänner 2019 der Einreiseverbotstatbestand nach § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG für erfüllt erklärt und von einer vom BF im Bundesgebiet ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen.
Da im gegenständlichen Fall die Voraussetzung nach § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG und nicht die als Ausnahme in § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, angeführte Voraussetzung nach § 53 Abs. 3 Z. 6, 7 oder 8 FPG für die Erlassung eines Einreiseverbotes für erfüllt erklärt wurde, wäre jedenfalls zu prüfen gewesen, ob gegen den BF, der ab 01.08.2007 im Besitz eines Daueraufenthaltstitels - EU war, eine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfe, was bei Erfüllung aller in § 10 Abs. 1 StbG, BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 124/1998, kumulativ angeführten Voraussetzungen zu einem Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes", demnach vor der ersten der ersten strafrechtlichen Verurteilung von 2009 zugrundeliegenden Straftat, nicht der Fall ist.
Es wäre somit vorweg zu prüfen gewesen, ob gegen den bereits seit 1991 im österreichischen Bundesgebiet aufhältigen BF überhaupt eine Rückkehrentscheidung erlassen werden durfte, wobei die vorhin angeführten Bestimmungen des am 31.08.2018 außer Kraft getretenen § 9 Abs. 4 Z. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, und des am 01.01.1999 in Kraft getretenen und am 22.03.2006 außer Kraft getretenen § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) 1985, BGBl. Nr. 311/1985, idF BGBl. I Nr. 124/1998, heranzuziehen bzw. relevant gewesen wären.
Spruchpunkt I. samt die weiteren auf diesen Spruchpunkt aufbauenden Spruchpunkte des im Spruch angeführten Bescheides waren daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
4. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Da im gegenständlichen Fall bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2217093.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020