TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/4 G311 2230910-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2020
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Entscheidungsdatum

04.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G311 2230910-1/10E

Schriftliche Ausfertigung des am 20.05.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Libyan Arab Jamahiriya, BFA-Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.05.2020, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig ist.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Feststellungen:

Der Fremde stellte erstmalig am 22.06.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.03.2018, Zl. I413 2173938-1/19E hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Darüber hinaus wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Libyen zulässig ist.

Der Fremde kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 04.12.2018 seinen ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz. Der erste Folgeantrag des Fremden auf internationalen Schutz vom 04.12.2018 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.02.2019, Zl. I414 2173938-3/3E hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Darüber hinaus wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Libyen zulässig ist. Darüber hinaus wurde gegen ihn Einreiseverbot erlassen. Dieser Entscheidung wurde das Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation für Libyen vom 20.10.2017 zugrunde gelegt.

Der Fremde kam seiner Ausreiseverpflichtung abermals nicht nach.

Er wurde am 22.01.2020 einer Personenkontrolle durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Dabei wies er Behandlungsblätter eines Krankenhauses einer anderen Person vor und führte 10 Stück portionierte Kokainkügelchen mit sich (Bericht und Anhalteprotokoll der Landespolizeidirektion XXXX vom 22.01.2020).

Dazu hat die Staatsanwaltschaft ein strafgerichtliches Verfahren eingeleitet. Vor dem Landesgericht XXXX findet am XXXX.06.2020 die entsprechende Strafverhandlung statt. Die belangte Behörde steht mit dem Landesgericht XXXX bezüglich der Sicherung des strafgerichtlichen Verfahrens in Kontakt.

Der Fremde brachte am 22.01.2020 seinen verfahrensgegenständlichen zweiten Folgeantrag, sohin seinen insgesamt dritten Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit 22.01.2020 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Fremden ein Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG erlassen und über diesen mit Bescheid vom XXXX.01.2020 die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zum Zweck der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verhängt. Begründend wurde der bisherige Verfahrensgang zusammengefasst und festgestellt, dass der Fremde im Besitz eines gültigen Reisepasses sei. Er verfüge über keine ausreichenden finanziellen Mittel, könne keiner legalen Beschäftigung nachgehen. Er habe sich bisher nicht kooperativ verhalten, weil er seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen ist. Er habe sich zumindest kurzfristig im Verborgenen aufgehalten. Weiters wurde auf das über ihn ergangene Strafurteil verwiesen. Es liege seit 19.12.2019 eine Obdachlosenmeldung vor. Er sei mit einer marokkanischen Staatsangehörigen nach islamischer Tradition verheiratet, sie halte sich in Österreich auf. Es liege Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1, 3, 5, 8 und 9 FPG vor. Er sei seiner Meldeverpflichtung gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG nicht nachgekommen. Aufgrund des negativen Ausgang des Asylverfahrens und der Ausreiseunwilligkeit des Fremden müsse davon ausgegangen werden, dass er sich der Überstellung in sein Heimatland nicht freiwillig stellen wird. Er hat einen weiteren Folgeantrag gestellt. Zur Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung sei die Schubhaft erforderlich. Aufgrund seiner fehlenden familiären privaten Verankerungen Bundesgebiet und der strafgerichtlichen Verurteilung sei die Verhängung der Schubhaft verhältnismäßig. Aufgrund des Vorliegens eines gültigen Reisepasses könne von einer zeitnahen Abschiebung nach dem Abschluss des Verfahrens ausgegangen werden. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 FPG sei aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung gegeben.

Am 03.02.2020 wurde der Fremde - während seiner Anhaltung in Schubhaft - niederschriftlich vor dem BFA einvernommen. Zu den Gründen für seine neuerliche Antragstellung befragt, gab er hierbei an, dass er nach seinem letzten Asylantrag "auf der Straße" gesessen sei und man ihm gesagt habe, dass er einen neuen Asylantrag stellen müsse, um wieder Verpflegung und Unterkunft zu bekommen. "Aus Angst" habe sich der Fremde zur freiwilligen Rückkehr angemeldet, den diesbezüglichen Antrag jedoch wieder zurückgezogen, nachdem er neuerlich von der Polizei aufgegriffen worden sei. Zudem habe der Fremde von Milizen aus Libyen ein Angebot bekommen, mit ihnen zusammen gegen den Machthaber in Libyen, General Haftar, zu kämpfen, dieser habe jedoch mittlerweile auch die Kontrolle über die Stadt Tripolis, sodass dort keine Flugzeuge mehr landen könnten und der Fremde aufgrund dessen nicht mehr zurückkehren könne. Der Fremde werde nach wie vor namentlich von General Haftar gesucht, dieser Umstand sei ihm bereits seit dem Jahr 2014 bekannt und habe er dies auch in seinen vorangegangenen Asylverfahren bereits geltend gemacht (S. 3f der Niederschrift vom 03.02.2020).

Mit mündlich verkündeten Bescheid vom 12.02.2020 hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Fremden gemäß "§ 12a Absatz 2 AsylG" auf.

Der mündlich verkündete Bescheid des BFA vom 12.02.2020, Zl. "XXXX" wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes I417 2173938-4 vom 19.2.2020 aufgehoben.

Diese Entscheidung wurde wie folgt begründet:

"In Bezug auf das Fluchtvorbringen des Fremden in seinem gegenständlichen dritten Asylverfahren wird festgestellt, dass dieser im Fall seiner Rückkehr nach Libyen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein wird.

Jedoch ist dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Libyen (Stand 21.11.2019) zu entnehmen, dass sich die politische Situation in Libyen nach wie vor instabil und die Sicherheitslage nach wie vor gefährlich und unvorhersehbar gestaltet. Kämpfe - auch zwischen lokalen Milizgruppen - können überall ohne Vorwarnung ausbrechen, und bleibt die terroristische Bedrohung sowohl innerhalb der Hauptstadt Tripolis als auch im Rest des Landes real.

Aufgrund der gegenwärtig aktuellen UNHCR-Position zur Rückkehr nach Libyen mahnt auch der UNHCR bzw. bittet dringend ("urges"), zwangsweise Rückführungen nach Libyen auszusetzen, bis sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage deutlich verbessert habe.

Angesichts der allgemeinen Lage im Land kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass eine Abschiebung des Fremden nach Libyen für ihn eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

Laut im Akt Zahl: I417 2173938 einliegender Übernahmebestätigung wurde der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.02.2020 vom Fremden am 20.02.2020 übernommen.

Mit Bescheid des BFA vom 11.03.2020 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 22.01.2020 hinsichtlich des Status zur Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Antrag wurde auch hinsichtlich des Datums des Status des Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz iVm § 9 BFA-VG wurde Rückkehrentscheidung gemäß worauf 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Libyen zulässig ist. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG wurde ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Entscheidung wurde - ebenso wie der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.02.2020 - das Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation vom 21.11.2019 zugrunde gelegt.

Der Bescheid wurde am 11.03.2020 vom Fremden persönlich im Anhaltezentrum XXXX übernommen.

Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BFA-VG zwei Wochen. Gemäß § 1 Abs. 1 des am 20.05.2020 in Geltung befindlichen Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetzes hat die Frist am 01.05.2020 neu zu laufen begonnen, die Frist endete am 15.05.2020. Laut Mitteilung der belangten Behörde vom 18.05.2020 ist kein Rechtsmittel erhoben worden. Der Bescheid der belangten Behörde vom 11.03.2020 ist mithin in Rechtskraft erwachsen.

Der Fremde ist volljährig, Staatsangehöriger von Libyen, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum islamischen Glauben. Seine Identität steht fest.

Der Reisepass des Fremden war bis 22.04.2020 gültig.

Laut Auszug aus der Anhalte- und Vollzugsdatei vom 13.05.2020 gab es seitens des Fremden am 07.04.2020 eine Suizidankündigung, die er dann widerrief. Der Fremde befand sich von 14.04.2020 bis 17.04.2020 in Hunger/Durststreik.

Er leidet im Entscheidungszeitpunkt nicht an schweren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegenstünden.

Der Fremde ist mit einer in Österreich lebenden marokkanischen Staatsangehörigen nach islamischen Ritus verheiratet. Darüber hinaus liegen keine privaten oder familiären Bindungen zum Bundesgebiet vor. Er verfügt über keine finanziellen Mittel und hat auch die Möglichkeit einer legalen Beschäftigung nachzugehen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2019, Zl. XXXX, rechtskräftig am XXXX.2019, wurde der Fremde wegen der versuchten Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 15 StGB, § 28 Abs. 1 erster Fall SMG sowie wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 9 Monaten, davon 6 Monate bedingt, verurteilt. Dem Urteil liegt zugrunde, dass der Fremde vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge, und zwar 1.900 Gramm Haschisch am 01.03.2019 mit seinem Mittätermit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, zu erwerben versuchte. Es blieb beim Versuch, da er unmittelbar davor festgenommen wurde. Er hat auch Suchtgift vorschriftswidrig überlassen, und zwar Mitte Februar 2019 an einen unbekannten Abnehmer 5 g Kokain und 50 g Haschisch um insgesamt Euro 550,--.

Seit XXXX.01. 2020 ist der Beschwerdeführer im Polizeianhaltezentrum XXXX polizeilich gemeldet.

Anfang April 2020 gab es einen Luftangriff auf den Flughafen Mitiga in Tripolis. Flüge wurden ausgesetzt und die Passagiere evakuiert (siehe BBC Onlinemeldung vom 08.04.2019). Anfang Mai 2020 wurden wiederum zwei Passagierflugzeuge Ziele eines Angriffs (siehe Onlinemeldung des Aero-Telegraph vom 11.05.2020). In den ersten beiden Wochen im Mai 2020 fanden über 50 Luftangriffe auf eine Militärbasis südlich von Tripolis statt, weiters landete eine Granate in der Nähe der türkischen Botschaft im Zentrum von Tripolis (Onlinebericht Al-Monitor 18.05.2020). Die vom Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 19.02.2020 festgestellte prekäre Sicherheitslage in Libyen ist daher auch im Entscheidungszeitpunkt gegeben. Angesichts der allgemeinen Lage im Land kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass eine Abschiebung des Fremden nach Libyen für ihn eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde

Am 13.05.2020 langte die Vorlage gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Über Anfrage des Bundesverwaltungsgerichtes teilte die belangte Behörde mit Email vom 18.05.2020 Folgendes mit:

* Libyen verfüge über eine Botschaft in Wien, zu dieser bestehe Kontakt - an der Botschaft werden die Interviews auch durchgeführt. Das Konsulat sei seit dem 12.03.2020 aufgrund der COVID-Situation bis auf weiteres geschlossen. Die Konsularabteilung sei Montag und Donnerstag per Mail erreichbar (Stand vom 09.04.2020). Die Direktion der belangten Behörde habe die telefonische Auskunft vom Konsulat Libyen erhalten, dass der Reisepass des XXXX kein weiteres Mal verlängert werden kann. Es sei aber möglich ein Heimreisezertifikat auszustellen, welches eine Woche lang gültig sein werde. Nach Vorlage einer vorläufigen Flugbuchung, spätestens eine Woche vor Abflug könne das Dokument abgeholt werden. Laut Statistik habe zuletzt im Jahr 2018 eine Abschiebung nach Libyen stattgefunden. Diese sei vermutlich per Flug durchgeführt worden, dass lasse sich aus der Statistik nicht entnehmen.

* Zur Frage, inwieweit sich die Lage in Libyen seit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.02.2020 geändert habe, wurde auf den Bescheid vom 11.03.2020 verwiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.05.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Fremde, eine Vertreterin der belangten Behörde sowie ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen.

2018 wurden 58 Anträge auf internationalen Schutz und 2019 37 Anträge auf internationalen Schutz von Antragstellern des Herkunftsstaates Libyen gestellt.

Die belangte Behörde hatte am 14.04.2020 Kontakt mit der libyschen Vertretungsbehörde in Österreich. Dabei wurde bei Vorliegen einer Flugbuchung die Ausstellung eines Heimreisezertifikates innerhalb von einer Woche zugesagt.

Die belangte Behörde beantragte die schriftliche Ausfertigung der verkündeten Entscheidung.

2. Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen, die die Zeit bis zur Erlassung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl I417 2173938-4 am 20.02.2020 betreffen, gründen auf dem diesbezüglichen Beschluss. Dem Gerichtsakt ebenso beigelegt wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.02.2019, Zahl I414 2173938-3.

Das Bundesverwaltungsgericht forderte bei der belangten Behörde den Bescheid vom 11.03.2020 samt Übernahmebestätigung sowie beim Landesgericht für Strafsachen XXXX das genannte strafgerichtliche Urteil an, die jeweiligen Kopien wurden dem Gerichtsakt angeschlossen.

Die Feststellungen zur gesundheitlichen Situation des Fremden stützen sich auf die Angaben in der Anhalte-Datei sowie die in der Verhandlung vorgelegten aktuellen Unterlagen.

Die Feststellungen zur Gültigkeitsdauer des Reisepasses des Fremden wurden der Beschwerdevorlage entnommen.

Hinsichtlich der Möglichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK in Libyen wird auf das der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes I417 2173938-4 vom 19.02.2020 zugrundeliegende Länderinformationsblatt (LIB) vom 21.11.2019 und die diesbezügliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes verwiesen, die instabile Sicherheitslage wird auch durch die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Medienberichte zur aktuellen Lage in Tripolis unterstrichen. Die Medienberichte wurden dem Gerichtsakt angeschlossen.

Im Übrigen konnte die belangte Behörde nicht schlüssig darlegen, weshalb sie in ihrem Bescheid vom 11.03.2020 aufgrund des aktuellen vorliegenden Länderinformationsblattes (LIB) vom 21.11.2019 zu einer anderen Einschätzung kommt als das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 19.02.2020. Im Bescheid vom 11.03.2020 wird auf das LIB 21.11.2019 Bezug genommen, ebenso nimmt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung I417 2173938-4 vom 19.02.2020 auf die Fassung des LIB vom 21.11.2019 Bezug. Nicht nachvollziehbar sind mithin die Ausführungen der belangten Behörde im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Bescheides vom 11.03.2020, wonach keine Änderung der Sachlage in Bezug auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.02.2019 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten eingetreten ist. Dazu ist auszuführen, dass sich das Erkenntnis I417 2173938-3 vom 28.02.2019 auf das LIB 2017 bezieht. Diesbezüglich konnten auch die Angaben in der Verhandlung keine Klärung bringen, da auf eine Auskunft der libyschen Vertretungsbehörde vom 14.04.2020 verwiesen wurde.

Die Auffassung des erkennenden Gerichtes wird auch durch den Umstand untermauert, dass nach den eigenen Angaben der Behörde zuletzt im Jahr 2018 eine (!) Abschiebung nach Libyen durchgeführt wurde. An dieser Einschätzung konnten vor dem Hintergrund der obigen Erwägungen auch die Angaben der Behördenvertreterin in der Verhandlung, dass 2018 bundesweit 58 und 2019 37 Anträge auf internationalen Schutz aus dem Herkunftsstaat Libyen gestellt wurden, davon seien erstinstanzlich in 20 Fällen subsidiärer Schutz erteilt, weshalb keine weiteren Abschiebungen erforderlich waren und angestrebt wurden, nichts ändern.

Die übrigen Feststellungen hinsichtlich der Zahl der gestellten Anträge aus dem Herkunftsstaat Libyen und der Kommunikation mit den libyschen Vertretungsbehörden gründen auf den Angaben der belangten Behörde.

Hinsichtlich seiner Eheschließung mit einer marokkanischen Staatsangehörigen nach islamischen Ritus folgt das Gericht den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers. Dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers legal in Österreich aufhältig ist, hat der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet. Weitere private oder familiäre Bindungen wurden nicht vorgebracht.

3. Rechtliche Beurteilung

§ 76 Abs. 1 bis 5 FPG lauten:

"(1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt."

§ 22a BFA-VG lautet:

"Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Die Entscheidung der belangten Behörde vom 11.3.2020, mit welcher der Antrag auf internationalen Schutz vom 22.1.2020 hinsichtlich des Status zur Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz nicht erteilt wurde, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen wurde, festgestellt wurde, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Libyen zulässig ist und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wurde, ist in Rechtskraft erwachsen.

Gemäß § 76 Abs. 5 FPG wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Im gegenständlichen Fall gilt daher nunmehr die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Der Fremde ist seinen Ausreiseverpflichtungen nicht nachgekommen, er versuchte bei der Polizeikontrolle am 22.01.2020 seine Identität zu verschleiern, gegen den Fremden lag zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, er befand sich während der Schubhaft einige Tage in Hunger- und Durststreik. Die Lebensgefährtin des Fremden lebt in Österreich. Darüberhinaus wurden keine privaten oder familiären Bindungen vorgebracht. Der Fremde verfügt über keine finanziellen Mittel und kann auch keiner legalen Beschäftigung im Bundesgebiet nachgehen.

Beim Fremden liegt jedenfalls Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5 und 9 FPG vor.

Gegen den Fremden liegt die genannte strafgerichtliche Verurteilung vor. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die libysche Vertretungsbehörde erscheint zeitnah umsetzbar. Diese Umstände haben im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Aufrechterhaltung gesprochen.

Dennoch war aus folgenden Gründen festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht vorlagen:

Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist und gemäß § 50 Abs. 1 FPG 2005 die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig ist, wenn dadurch unter anderem Art. 3 MRK verletzt werden würde. Vor diesem Hintergrund kann es erforderlich sein, dass sich das VwG im Schubhaftverfahren auch mit einer behaupteten Verletzung des Art. 3 MRK im Zielstaat der Abschiebung auseinandersetzt (VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0065 mwN).

Dass mit einer Abschiebung tatsächlich gerechnet werden kann, bedeutet nicht, dass ihre Effektuierung schon als gewiss feststeht. Die Abschiebung muss sich aber nach Lage des Falles mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als möglich darstellen (VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0080).

Auf Anfrage des Bundesverwaltungsgerichtes teilte die belangte Behörde mit Email vom 18.05.2020 mit, dass eine Abschiebung nach Libyen zuletzt im Jahr 2018 erfolgte.

Aufgrund dieser Angaben der belangten Behörde und der Medienberichte bezüglich jüngst stattgefundener Anschläge in Tripolis und Umgebung ist mit nicht ausreichender Wahrscheinlichkeit von einer Möglichkeit der zeitnahen Abschiebung nach Libyen auszugehen.

Hinsichtlich der Möglichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK in Libyen wird auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes I417 2173938-4 vom 19.02.2020 verwiesen, die instabile Sicherheitslage wird auch durch die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Medienberichte zur aktuellen Lage in Tripolis und Umgebung unterstrichen.

Gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG ist daher auszusprechen, dass nunmehr die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und die weitere Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig ist.

Da im gegenständlichen Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt, war die Revision spruchgemäß für nicht zulässig zu erklären.

Schlagworte

Rückkehrsituation Schubhaft Schubhaftbeschwerde strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2230910.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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