Entscheidungsdatum
05.06.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W200 2224970-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland (SMS) vom 16.09.2019, Zl. 22709649000023 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 vH und stellte unter Vorlage von medizinischen Unterlagen am 27.06.2019 einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" sowie auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung (StVO).
Das vom SMS dazu eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten vom 19.08.2019 ergab, dass keine Funktionsminderungen bestünden, die die Zurücklegung ausreichender Wegstrecken reduzierten, auch sei die sichere Benützung möglich, sodass die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zumutbar sei. Nach Vorlage medizinischer Unterlagen erging eine neuerliche gleichlautende Stellungnahme.
Mit angefochtenen Bescheid des Sozialministeriumservice vom 16.09.2019 wurde der Antrag vom 27.06.2019 abgewiesen.
Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde holte das BVwG ein unfallchirurgisches/orthopädisches Gutachten ein. Das Gutachten vom 07.05.2020 gestaltete sich wie folgt:
"Anamnese:
Voranamnese:
Der Beschwerdeführer erlitt am 27.05.1990 als Autolenker einen Verkehrsunfall, wo er sich folgende Verletzungen zuzog: Schädelhirntrauma (kons. Therapie)
Fraktur des IV. Mittelhandknochen links (konservative Therapie),
Serienrippenfraktur V-IX links mit Haematothorax links {Thoraxdrainage + kons. Ausbehandlung). Oberschenkelfraktur links (primäre Verplattung)
Pilonfraktur des linken Unterschenkels {Primärbehandlung im Fixateur externe) und sekundäre Spalthautdeckung eines Defektareales mit Verplattung und Verschraubung Fract. bimall. dext, (primäre Zuggurtung und Verplattung)
Fract. tali dext. aperta grad. II (primäre Verschraubung)
Lux. omi dext. et abruptio tub. maj., (Reposition + kons. Ausbehandlung im Gilchristver- band).
Im Zuge der Folgebehandlungen wurde eine Metallentfernung durchgeführt, wobei lediglich die Bohrdrähte im Sprunggelenk rechts belassen wurden.
Aus der Anamnese lässt sich zudem ein Zustand nach Patellaluxation im Alter von 15 Jahren erheben, wobei eine damals stattgehabte Knorpelabsprengung mittels Arthrotomie behandelt wurde. Ansonsten werden keine Erkrankungen angegeben.
Derzeitige Beschwerden:
Die Beschwerde seitens des Beschwerdeführers wurde am 05.09.2019 formuliert (siehe Ablage 25).
In dieser Beschwerde wird in erster Linie, die aus Sicht des Beschwerdeführers mangelhafte Untersuchung im Rahmen des Gutachtens bemängelt, wobei insbesondere beklagt wurde, dass die definitiv vorliegende, massive Bewegungseinschränkung im Rahmen der Untersuchung keine Berücksichtigung fand.
Der Beschwerdeführer beklagt Dauerschmerzen in beiden Sprunggelenken, vor allem links. Er gibt an, insb. in der kalten Jahreszeit keine 100 m zurücklegen zu können, ohne Pausen von einigen Minuten einhalten zu müssen. Auch in der warmen Jahreszeit seien Gehstrecken von über 200 m ohne Pause nicht zu bewältigen.
Die Beschwerden treten vor allem belastungsabhängig, jedoch auch in Ruhe auf.
Durch Einnahme von Analgetika sei keine suffiziente Linderung der Beschwerden zu erreichen, zudem sei auch durch Einnahme von Analgetika keine Verlängerung der Gehstrecke zu erzielen.
Auch wurden bereits orthopädische Schuhe angefertigt, die dem Beschwerdeführer jedoch mehr Schmerzen verursachten, demzufolge zu keiner Besserung führten und nunmehr nicht getragen werden.
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
laufend Physiotherapien, wechselnde orale Schmerzmedikamente (Dolobene, Parkemed, Novalgin etc.,) Gehhilfen werden keine benutzt, orthopädische Schuhe sind vorhanden, werden jedoch in Ermangelung einer Besserung nicht getragen.
Sozialanamnese: Selbständig XXXX
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Es wurde ein Befund dem Akt beigelegt, hierbei handelt es sich um eine Röntgenuntersuchung des linken Unterschenkels und Sprunggelenkes vom 17.01.2019 (Dr. Maurer).
Hier wurde ein posttraumatischer Zustand am linken Unterschenkel beschrieben, wobei differentialdiagnostisch eine chronische Osteomyelitis in den Raum gestellt wurde.
In erster Linie wurde jedoch die hochgradige Arthrose im oberen Sprunggelenk mit völligem Aufbrauch des Gelenksspaltes und Deformierung des Talus beschrieben.
Degenerative Veränderungen auch im unteren Sprunggelenk.
Neben dem schriftlichen Befund wurden auch die Röntgenbilder mitgebracht und begutachtet.
Untersuchungsbefund: (...)
Klinischer Status - Fachstatus:
Caput: unauffällig. HWS: aktiv und passiv frei
Rechte obere Extremität:
Rechtes Schultergelenk: Abduktio und Elevation endlagig schmerzhaft eingeschränkt, Außenrotation frei
Ellbogen- Hand- und Fingergelenke bds. aktiv und passiv frei, periphere Sens, und DB zum Untersuchungszeitpunkt o.B.
Linke obere Extremität:
Linkes Schultergelenk: Abduktion, Elevation endlagig frei,
Ellbogen- Hand- und Fingergelenke bds. aktiv und passiv frei, periphere Sens, und DB zum Untersuchungszeitpunkt o.B.
BWS: achsengerade, nicht klopfdolent Thorax: symmetrisch, keine Dyspnoe Abdomen: weich, indolent LWS: nicht klopfdolent Becken: stabil
Rechte untere Extremität:
Hüftgelenksbeweglichkeit S 0-100, R 10-0-40, kein Rotations- oder Stauchungsschmerz Am Kniegelenk rechts zeigt sich eine bogenförmige median der Patella verlaufende, etwa 20 cm haltende Arthrotomienarbe, das Kniegelenk ist ergussfrei, bandstabil, Zohlentest pos., Lachmanntest neg.,
Das Sprunggelenk rechts ist verplumpt, es zeigt sich eine bogenförmige bland, verheilte Narbe von etwa 15 cm Länge über dem Außenknöchel, zudem eine bogenförmige Narbe von etwa 12 cm Länge über dem Innenknöchel.
Insg. zeigen sich Veränderungen im Sinne einer chronisch-venösen Insuffizienz.
Die Beweglichkeit des Sprunggelenkes beträgt S 0-15, Zehenspitzenstand und Fersenstand sind nicht möglich.
Es findet sich eine milde Spreizfußstellung mit Pseudoexostose über dem I. Mittelfußköpfchen sowie Hammerzehen II - IV. Die periphere Sens, und DB ist zum Untersuchungszeitpunkt ungestört.
Linke untere Extremität:
Hüftgelenksbeweglichkeit S 0-100, R 10-0-30, kein Rotations- oder Stauchungsschmerz.
Am Oberschenkel lateral findet sich eine über den ganzen lateralen Oberschenkel reichende bland verheilte OP-Narbe, streckseitig findet sich eine Narbe nach Spalthautentnahme von etwa 10x5 cm.
Das Kniegelenk ist ergussfrei, seitenbandstabil, der Lachmanntest ist neg.,
Der Unterschenkel zeigt mehrere bland verheilte Narben nach Spanneranlage, über dem distalen Unterschenkel medialseitig findet sich eine 20 cm haltende, verbreitete derbe Narbe bis über den Innenknöchel reichend.
An der Außenseite über dem Außenknöchel findet sich eine etwa 12 cm haltende, blande, derbe Narbe. Streckseitig über dem distalen Unterschenkel findet sich eine spindelförmige, etwa 12 x 4 cm haltende Narbenplatte nach Spalthautdeckung.
Die Sprunggelenksbeweglichkeit beträgt 0.
Der Patient gibt Dysaesthesien im gesamten Vorfußbereich an, wobei Zehenspitzen- und Fersenstand nicht möglich sind.
Es zeigt sich eine milde Hailux-Valgusstellung mit Pseudoexostose über dem I. Metaköpfchen sowie Hammerzehenbildung II - IV.
Beinlänge seitengleich. Die Muskulatur der UE links im Seitenvergleich atroph.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Es zeigt sich ein steifes, unsicheres linksbetont hinkendes, unharmonisches Gangbild, welches aufgrund des nicht vorhandenen Abrollvermögens, vor allem links gegeben ist.
Diagnosenliste:
1) Posttraumatische Ankyiose des oberen Sprunggelenkes links nach Pilonfraktur links
2) Arthrose des rechten Sprunggelenkes nach Bimalleolarfraktur sowie offener Talusfraktur
3) Zustand nach Oberschenkelfraktur links
4) Zustand nach Schulterluxation mit Absprengung des Tuberculum majus rechts
5) Zustand nach Fraktur des IV. Mittelhandknochens links
6) Zustand nach Serienrippenfraktur mit Hämatothorax links
7) Zustand nach Schädelhirntrauma
8) Zustand nach Kniescheibenluxation rechts
Beantwortung der Fragen laut Auflistung durch das BVwG:
ad 1) siehe Diagnoseliste, Stellungnahme und Begründung der Unzumutbarkeit
ad 2) aus orthopädisch, traumatologischer Sicht liegen keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor.
ad 3) aus orthopädisch, traumatologischer Sicht liegen erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor - siehe Stellungnahme sowie Begründung Unzumutbarkeit
ad 4) aus orthopädisch, traumatologischer Sicht liegen keine Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen vor
ad 5) aus orthopädisch, traumatologischer Sicht liegt keine hochgradige Immunschwäche vor.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten;
Im Vergleich zum Vorgutachten werden nach ausführlicher Anamneseerhebung sämtliche bekannten Diagnosen für den Beschwerdeführer erfasst und gelistet.
(...)
1. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist aufgrund der vorliegenden Funktionseinschränkungen, welche nach Durchsicht der vorgelegten Befunde, sowie der im Rahmen der Begutachtung durchgeführten klinischen Untersuchung verifiziert wurden, nicht möglich. Das sichere Ein- und Aussteigen, das Zurücklegen von kurzen Wegstrecken sind beträchtlich erschwert, wobei auch unter Zuhilfenahme von orthopädischen Schuhen keine signifikante Besserung erreicht werden kann.
Es können im jahreszeitlichen Unterschied, Gehstrecken von 100 bis höchstens 200 m zurückgelegt werden, ohne dass eine Pause eingehalten werden muss. Erst nach einer Rast von bis zu 5 Min. kann die Gehstrecke fortgesetzt werden. Aufgrund des eingesteiften oberen Sprunggelenkes links besteht zudem erhöhte Sturzgefahr.
2. Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein"
Im gewährten Parteiengehör wurde keine Stellungnahme abgegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 von Hundert.
1.2. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.
1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:
Klinischer Status - orthopädischer/unfallchirurgischer Status:
Rechte obere Extremität:
Rechtes Schultergelenk: Abduktio und Elevation endlagig schmerzhaft eingeschränkt, Außenrotation frei
Ellbogen- Hand- und Fingergelenke bds. aktiv und passiv frei, periphere Sens, und DB zum Untersuchungszeitpunkt o.B.
Linke obere Extremität:
Linkes Schultergelenk: Abduktion, Elevation endlagig frei,
Ellbogen- Hand- und Fingergelenke bds. aktiv und passiv frei, periphere Sens, und DB zum Untersuchungszeitpunkt o.B.
Rechte untere Extremität:
Hüftgelenksbeweglichkeit S 0-100, R 10-0-40, kein Rotations- oder Stauchungsschmerz
Am Kniegelenk rechts zeigt sich eine bogenförmige median der Patella verlaufende, etwa 20 cm haltende Arthrotomienarbe, das Kniegelenk ist ergussfrei, bandstabil, Zohlentest pos., Lachmanntest neg.,
Das Sprunggelenk rechts ist verplumpt, es zeigt sich eine bogenförmige bland, verheilte Narbe von etwa 15 cm Länge über dem Außenknöchel, zudem eine bogenförmige Narbe von etwa 12 cm Länge über dem Innenknöchel.
Insg. zeigen sich Veränderungen im Sinne einer chronisch-venösen Insuffizienz.
Die Beweglichkeit des Sprunggelenkes beträgt S 0-15, Zehenspitzenstand und Fersenstand sind nicht möglich.
Es findet sich eine milde Spreizfußstellung mit Pseudoexostose über dem I. Mittelfußköpfchen sowie Hammerzehen II - IV. Die periphere Sens und DB ist zum Untersuchungszeitpunkt ungestört.
Linke untere Extremität:
Hüftgelenksbeweglichkeit S 0-100, R 10-0-30, kein Rotations- oder Stauchungsschmerz.
Am Oberschenkel lateral findet sich eine über den ganzen lateralen Oberschenkel reichende bland verheilte OP-Narbe, streckseitig findet sich eine Narbe nach Spalthautentnahme von etwa 10x5 cm.
Das Kniegelenk ist ergussfrei, seitenbandstabil, der Lachmanntest ist neg.,
Der Unterschenkel zeigt mehrere bland verheilte Narben nach Spanneranlage, über dem distalen Unterschenkel medialseitig findet sich eine 20 cm haltende, verbreitete derbe Narbe bis über den Innenknöchel reichend.
An der Außenseite über dem Außenknöchel findet sich eine etwa 12 cm haltende, blande, derbe Narbe. Streckseitig über dem distalen Unterschenkel findet sich eine spindelförmige, etwa 12 x 4 cm haltende Narbenplatte nach Spalthautdeckung.
Die Sprunggelenksbeweglichkeit beträgt 0.
Der Patient gibt Dysaesthesien im gesamten Vorfußbereich an, wobei Zehenspitzen- und Fersenstand nicht möglich sind.
Es zeigt sich eine milde Hallux-Valgusstellung mit Pseudoexostose über dem I. Metaköpfchen sowie Hammerzehenbildung II - IV.
Beinlänge seitengleich. Die Muskulatur der UE links im Seitenvergleich atroph.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Es zeigt sich ein steifes, unsicheres linksbetont hinkendes, unharmonisches Gangbild, welches aufgrund des nicht vorhandenen Abrollvermögens, vor allem links gegeben ist.
Funktionseinschränkungen:
Posttraumatische Ankylose des oberen Sprunggelenkes links nach Pilonfraktur links, Arthrose des rechten Sprunggelenkes nach Bimalleolarfraktur sowie offener Talusfraktur, Zustand nach Oberschenkelfraktur links, Zustand nach Schulterluxation mit Absprengung des Tuberculum majus rechts, Zustand nach Fraktur des IV. Mittelhandknochens links, Zustand nach Serienrippenfraktur mit Hämatothorax links, Zustand nach Schädelhirntrauma, Zustand nach Kniescheibenluxation rechts
1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die körperliche Belastbarkeit ist ausreichend vorhanden. Es liegen jedoch erheblichen Funktionsstörungen der unteren Extremitäten vor. Der Beschwerdeführer kann im öffentlichen Raum jahreszeitlich bedingt Gehstrecken von 100 bis höchstens 200m ohne Pausen zurücklegen und kann erst nach einer fünfminütigen Pause weitergehen. Auch mit orthopädischen Schuhen kann keine signifikante Besserung erzielt werden. Aufgrund des eingesteiften oberen Sprunggelenkes links besteht zudem eine erhöhte Sturzgefahr.
Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirken sich - auch im Zusammenwirken -in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus. Es besteht eine erhebliche Einschränkung der Mobilität durch die festgestellten Funktionseinschränkungen.
2. Beweiswürdigung:
Zur Klärung des Sachverhaltes war von der belangten Behörde ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt worden, dessen Schlussfolgerung aus zwei Zeilen bestand.
Aus diesem Grund holte das BVwG ein fachärztliches Gutachten ein, in dem der Zustand des Beschwerdeführers im Detail dargelegt und sehr wohl ein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt wurde. Die Leiden führen laut Gutachten nachvollziehbar zu Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten, die die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränken. Insbesondere wurden aufgrund es des eingesteiften oberen Sprunggelenkes links eine erhöhte Sturzgefahr mitberücksichtigt.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen in Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachtens. Dieses wurde daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Zu A)
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).
Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:
Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 wird ausgeführt:
Ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sind Funktionseinschränkungen relevant, die die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Alle therapeutischen Möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des behandelnden Arztes/der behandelnden Ärztin ist nicht ausreichend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen. Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)
Beim Beschwerdeführer liegen - wie bereits ausgeführt - erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar." rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. (§ 24 Abs. 1 VwGVG)
Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. (§ 24 Abs. 2 Z.1 VwGVG)
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Zur Klärung des Sachverhaltes war vom BVwG ein fachärztliches Sachverständigengutachten eingeholt worden. In dem vorzitierten Gutachten wurde der Zustand des Beschwerdeführers im Detail dargelegt und das Vorliegen der Voraussetzungen - konkret das Vorliegen erheblicher Funktionseinschränkungen - für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung festgestellt.
Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde das Sachverständigengutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2224970.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020